Montag, 21. April 2008

Volkssouveränität statt Behördenpropaganda

«Volkssouveränität statt Behördenpropaganda» soll PR-Lawine des Bundes eindämmen

Eidgenössische Volksinitiative
von Dr. phil. Judith Barben, Psychologin

Am 1. Juni werden Volk und Stände über die eidgenössische Volksinitiative «Volkssouveränität statt Behördenpropaganda» abstimmen. Die Initiative fordert, dass der Bundesrat sich wieder an geltendes Recht und direktdemokratische Grundsätze hält und die Bürger objektiv und neutral über Abstimmungsvorlagen informiert.
Früher hielt sich der Bundesrat weitgehend an seine verfassungsmässige Neutralitätsverpflichtung und überliess den Abstimmungskampf dem freien Austausch der Standpunkte und Meinungen unter den Stimmberechtigten und Interessengruppen. Ordnungsgemäss orientierte er nach Abschluss der parlamentarischen Beratungen die Öffentlichkeit über die Abstimmungsvorlagen und versandte das «Abstimmungsbüchlein», in welchem er den Stimmberechtigten die Vorlagen erläuterte.
Doch seit einiger Zeit kümmert sich unsere oberste Exekutive kaum noch um diese direktdemokratischen Grundregeln. Mit zunehmender Unverfrorenheit führen der Bundesrat und seine Ämter mit Hilfe von Werbe- und Kommunikationsagenturen regelrechte Abstimmungskampagnen. Ausgefeilte Strategien und Methoden dienen dazu, unpopuläre «Reformpakete» wie die Privatisierung von Post und Nationalstrassen, die Entmachtung der Kantone oder die Abschaffung der freien Arztwahl «am Volk vorbei» zu schmuggeln.
Ungebremste PR-Lawine des Bundes?

Diese Propagandatätigkeit des Bundesrates hat solche Ausmasse angenommen, dass auch die «Neue Zürcher Zeitung» am 23. April 2004 von einer «ungebremsten PR-Lawine des Bundes» spricht und der «Tages-Anzeiger» das Bundeshaus die «grösste PR-Agentur der Schweiz» nennt (26. April 2001). Auch Facts stellt fest: «Was sich in den angelsächsischen Ländern unter dem Spottnamen Spin doctors längst in der Politik eingenistet hat, greift zunehmend auch in die eidgenössische Politmaschinerie ein. Spin doctors […] sind Bestandteil des immens gewachsenen Informationsapparates des Bundes» geworden (24. Dezember 1996). Die Volksinitiative ist also von grosser Bedeutung.
Nicht nur die Stimmberechtigten, sondern auch das Parlament wird mit Public-Relations- und Spin-doctor-Methoden manipuliert und in seiner Meinungsbildung gelenkt. Ein Beispiel ist der Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) an die private Zürcher Public-Relations-Agentur Richterich & Partner. Das Werbebüro sollte dem BAG helfen, noch vor der Behandlung im Parlament (!) gegen die eidgenössische Volksinitiative «Ja zur Komplementärmedizin» Stimmung zu machen. Die Initiative war im September 2005 eingereicht worden und Bundesrat Couchepin befürchtete, sie könnte angenommen werden. Um dies zu verhindern, wurde heimlich ein «Kommunikations»-Budget von 300 000 Franken eingesetzt und der Werbeagentur der genannte Auftrag erteilt. «Eine professionelle Begleitung des Projekts im Bereich Kommunikation (war) unabdingbar», rechtfertigte sich das Bundesamt, denn das Thema Komplementärmedizin sei heikel.
Als Dank die Kündigung

Als das skandalöse Vorgehen bekannt wurde, stoppte das BAG den PR-Auftrag. Bundesrat Couchepin behauptete, er habe von allem nichts gewusst, ausserdem hätte es sich nur um 30 000 Franken gehandelt. Doch schon am nächsten Tag musste BAG-Direktor Thomas Zeltner zugeben, dass es doch 300 000 Franken gewesen waren («Tages-Anzeiger» vom 26. Juni 2006). Die Ständerätliche Geschäftsprüfungskommission rügte das Bundesamt, es sei «in einem ganz sensiblen Bereich, nämlich dem Einsatz von Steuergeldern im Vorfeld eines Abstimmungskampfes, zuweit gegangen». Die Mitarbeiterin, die das verfassungswidrige Vorgehen aufgedeckt hatte, meinte empört: «Das Volk hat ein Recht zu wissen, was mit seinen Steuergeldern passiert.» Als Quittung erhielt sie die Kündigung. So sind die Zustände in Bundesbern.
Auch die Staatspolitische Kommission des Nationalrates zeigte sich am 17. November 2006 befremdet darüber, wie anmassend sich der Bundesrat über die Verfassung und das Parlament hinwegsetzt. Die Kommission erklärte in ihrer Medienmitteilung vom 17. November 2006: «Mit grossem Erstaunen nahm die Kommission davon Kenntnis, dass sich der Bundesrat vorbehalten will, in Zukunft auch eine von der Parlamentsmehrheit abweichende Abstimmungsempfehlung abzugeben. […] Es ist mit der schweizerischen Demokratiekonzeption unverträglich, dass die Exekutive sich ‹à la de Gaulle› unter Umgehung der gewählten Volksvertretung direkt an das Volk wendet […]. Um so notwendiger ist es, bei dieser Gelegenheit die geltende Verfassungsordnung in Erinnerung zu rufen.»
Die Initiative verlangt nicht mehr als die Einhaltung der Verfassung

Die Volksinitiative «Volkssouveränität statt Behördenpropaganda» greift somit ein dringendes Erfordernis der Zeit auf, indem sie den Bundesrat auf seine verfassungsmässige Rolle bei Abstimmungen verpflichtet. Denn schon heute gilt laut Bundesverfassung: «Die Garantie der politischen Rechte schützt die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimm­abgabe.» (Art. 34 Abs. 2 bisher). Das Bundesgericht legt diesen Verfassungsartikel wie folgt aus: «Die Freiheit der Meinungsbildung schliesst grundsätzlich jede direkte Einfluss­nahme der Behörden aus, welche geeignet wäre, die freie Willensbildung der Stimmbürger im Vorfeld von Wahlen und Abstimmungen zu verfälschen.» (BGE 114 1a 427). Zudem ist laut Bundesgericht jede «Irreführung des Stimmberechtigten» oder «behördliche Propaganda» verboten.* Da es aber bisher keinen Rechtsweg gibt, diesen Anspruch auch auf Bundesebene durchzusetzen, ergänzt und verdeutlicht die Volksinitiative den geltenden Verfassungstext (siehe Kasten).
Die Initiative verhindert, dass unser direkt-demokratisches Staatswesen schleichend demontiert wird. Die überwiegende Mehrzahl der Schweizer Stimmberechtigten steht zum Modell der direkten Demokratie und will ihm Sorge tragen. Deshalb wird die Initiative «Volkssouveränität statt Behördenpropaganda von so vielen begrüsst und unterstützt. •

* Schweizerische Bundesverfassung, Europäische Menschenrechtskonvention, Uno-Menschenrechtspakte. Herausgegeben und erläutert von Prof. Dr. iur. Ivo Schwander, Universität St. Gallen 1999, S. 127.
Initiativtext

Eidgenössische Volksinitiative «Volkssouveränität statt Behördenpropaganda»

(Bestehend) Art. 34 Abs. 2
Die Garantie der politischen Rechte schützt die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe.
Die Volksinitiative lautet:
Die Bundesverfassung vom 18. April 1999 wird wie folgt geändert:

(Neu) Art. 34 Abs. 3 (neu) und 4
Mit Abschluss der parlamentarischen Beratungen werden die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe insbesondere wie folgt garantiert:
a. Der Bundesrat, die Angehörigen des obersten Kaders der Bundesverwaltung und die Bundesämter enthalten sich der Informations- und Propagandatätigkeit. Sie enthalten sich insbesondere der Medienauftritte sowie der Teilnahme an Informations- und Abstimmungsveranstaltungen. Davon ausgenommen ist eine einmalige kurze Information an die Bevölkerung durch die Vorsteherin oder den Vorsteher des zuständigen Departements.
b. Der Bund enthält sich jeder Finanzierung, Durchführung und Unterstützung von Informationskampagnen und Abstimmungspropaganda sowie der Produktion, Publikation und Finanzierung von Informations- und Propagandamaterial. Davon ausgenommen ist eine sachliche Broschüre mit den Erläuterungen des Bundesrates an die Stimmberechtigten. Darin sind die befürwortenden und ablehnenden Argumente ausgewogen zu berücksichtigen.
c. Der Abstimmungstermin wird mindestens sechs Monate im voraus publiziert.
d. Den Stimmberechtigten werden die Abstimmungsvorlagen zusammen mit dem geltenden Text unentgeltlich zur Verfügung gestellt.
Abs. 4 Das Gesetz ordnet innert zwei Jahren Sanktionen bei Verletzung der politischen Rechte an.

Keine Kommentare: