Donnerstag, 10. April 2008

Die Hysterie der linken Politiker und Medien

Endzeitstimmung in Seldwyla

Von Philipp Gut

Warnrufe hallen durchs Land: Die Demokratie sei in Gefahr, weil die SVP Bundesrätin Widmer-Schlumpf aus der Partei ausschliessen will. Die Erregung ist absurd.

Stellen wir uns einen unbefangenen Besucher vor, der von den aktuellen Vorgängen in der Schweizer Politik keine Ahnung hat. Der Mann will sich informieren und sichtet die Presse.

«Opposition gegen die Demokratie», titelt die traditionsreiche Neue Zürcher Zeitung. Der Kommentator eines sonntäglichen Boulevardblattes schreibt von einer «Fatwa-Partei», die auf «psychische Vernichtung» einer «Ketzerin» aus sei, die «demokratischen Spielregeln» ändern wolle und «Gewalt» schüre. Ein ehemaliger Bundesrat gibt sich «entsetzt» über die «Respektlosigkeit gegenüber der Demokratie» und will mit einer 100000-Franken-Kampagne das Land retten. Die Zeitung Sonntag bietet gleich sieben alt Bundesräte auf, die durch die Vorkommnisse aus ihrem Rentendasein aufgeschreckt und «mobilisiert» wurden und einen verzweifelten «Appell» an die Nation richten.

«Das ist der grösste Skandal, den die Schweiz je erlebt hat», sagt Pierre Aubert (SP). Ruth Dreifuss (ebenfalls SP) bemerkt, dass «die schweizerische Kultur, unsere gesellschaftlichen und politischen Werte» zerstört würden. Das Verhalten der «Fatwa-Partei» ist für Rudolf Friedrich (FDP) «demokratisch gesehen unannehmbar». Was sie treibe, urteilt Arnold Koller (CVP), «gab es in unserer Geschichte noch nie».

In welcher Geschichte dann? Otto Stich (SP) spricht es aus: «Das ist eine Hetzjagd und erinnert mich an 1932.» Das war das letzte Jahr
der Weimarer Republik, die Machtübernahme Adolf Hitlers stand unmittelbar bevor.

Der Beobachter, der sich unbefangen über die gegenwärtige Lage der Schweiz informiert, könnte Dutzende weitere Zeugnisse finden. Sie alle müssen ihm denselben Eindruck vermitteln: Das Land steht am Abgrund eines Bürgerkriegs, der Rechtsstaat ist bedroht, die Demokratie in Gefahr.

Täuscht die Realität?

Nehmen wir an, der unbefangene Beobachter sei auch unerschrocken. Er geht auf die Strasse, sieht nach – und findet nichts. Das Bundeshaus steht nicht in Flammen, die Richter gehen wie gewohnt ihrer Arbeit nach, sogar Wahlen finden statt.

Zuletzt am Sonntag in Uri und Thurgau. Verblüfft stellt der Besucher fest, dass die Bürger aus freien Stücken jener Partei zum Sieg verholfen haben, die «Opposition gegen die Demokratie» betreibt.

Der Beobachter denkt nach. Die merkwürdige Situation lässt nur zwei Schlüsse zu: Entweder täuscht ihn die Realität, oder die Medien täuschen ihn. Er vertraut der Realität.

Das Ereignis, auf das Presse und Politiker derart hysterisch reagieren, ist die Aufregung nicht wert. Nüchtern betrachtet ist Folgendes passiert.

Eine Partei, die SVP, legt die Strategie für die Bundesratswahlen fest. Die beiden Bisherigen, Samuel Schmid und Christoph Blocher, sollen wiedergewählt werden. Sonst, so der Entscheid von Delegiertenversammlung und Fraktion, geht die Partei in die Opposition. Kandidaten, die den demokratisch gefällten Entscheid unterlaufen, werden aus der Fraktion ausgeschlossen.

Die Abmachungen waren allen bekannt. Was jeder halbwegs interessierte Zeitgenosse wusste, wusste auch Eveline Widmer-Schlumpf. Die SVP-Sprengkandidatin der Linken erhielt, wie alle andern Regierungsräte auch, Tage vor der Wahl nochmals eine schriftliche Niederlegung des Beschlusses der Parteiorgane.

Geistiger Bürgerkrieg

Sie hielt sich nicht daran. Das kann man moralisch bedenklich finden, aber es ist ihr freier Entscheid. Die Spielregeln waren klar. Widmer-Schlumpf wusste von Anfang an, worauf sie sich einliess.

Wenn der Zentralvorstand der SVP nun überaus deutlich den Ausschluss der Bundesrätin aus der Partei fordert, ist das keine «Hexenjagd», wie die Sprachregelung der Hysteriker lautet. Der Fall, der das Land an den Rand des kollektiven Wahns treibt, ist im Grunde einfach: -Widmer-Schlumpf hat die von der eigenen Partei festgelegten Regeln verletzt, und die Partei zieht daraus die Konsequenzen. Nicht mehr und nicht weniger.

Dass diese banale Frage in eine Art geistiger Bürgerkrieg ausartet, muss dem unbefangenen Beobachter rätselhaft bleiben.

Die Heftigkeit, mit der die SVP derzeit attackiert wird, lässt sich kaum aus dem geringfügigen Anlass erklären. Die Vermutung liegt nahe, dass es tieferliegende Gründe gibt. Offenbar verträgt es die Konkurrenz schlecht, dass die Partei weiter von Erfolg zu Erfolg eilt. Nach der überraschenden Entfernung Christoph Blochers aus dem Bundesrat haben wohl manche etwas anderes erwartet. Der hysterische Ton der aktuellen SVP-Schelten ist als Ausdruck der Verzweiflung zu werten, dass man der Blocher-Partei auch jetzt nicht beikommt.

Dabei wiederholt man den alten Fehler. Statt griffige Gegenpositionen zu formulieren, bricht man erneut eine moralisch aufgeladene Stildebatte vom Zaun. Die Verteufelung ersetzt die konkrete Auseinandersetzung. Offensichtlich will man nicht begreifen, dass der Siegeszug der SVP vielleicht auch auf die politischen Inhalte zurückzuführen ist.

Quelle: www.weltwoche.ch

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