Donnerstag, 17. April 2008

Demokratie in Deutschland

Hans Hermann Hoppe: Demokratie. Der Gott, der keiner ist
Edition Sonderwege bei Manuscriptum
Rezensiert von Florian Felix Weyh

Beginnen wir mal so: Der repräsentative Parlamentarismus hat seine Mängel. Man muss nur Radio und Fernseher einschalten und denjenigen lauschen, auf deren schwachen Schultern unser Gemeinwohl lastet. Wird eine gute Idee des politischen Gegners nicht gleich als Blödsinn abgekanzelt, sondern verstohlen dem eigenen Programm zugefügt, kann man schon rechtschaffen froh sein. Mehr ist kaum zu erwarten in einem System der Führungsauslese, das auf permanentem Wahlkampf basiert. Aber deswegen gleich solche Geschütze auffahren?

Angesichts von Massenwahlen werden insbesondere jene Mitglieder der Gesellschaft mit geringen oder keinen moralischen Hemmungen gegen das Nehmen von Fremdeigentum, d. i. habituelle Amoralisten, die am talentiertesten sind, aus einer Vielfalt moralisch ungehemmter und miteinander unvereinbarer populärer Forderungen Stimmenmehrheiten zusammenzuzimmern - effiziente Demagogen -, bevorzugt Zugang zur Regierung erlangen und bis an ihre Spitze aufsteigen.

Willkommen beim furiosesten Pamphlet antiparlamentarischer, antidemokratischer, ja antistaatlicher Ideologie seit Carl Schmitt. Wie immer - Tradition verpflichtet! - aus deutscher Feder, diesmal von einem US-Exilanten, dem nach Las Vegas ausgewanderten Volkswirtschaftler und Monarchiefreund Hans Hermann Hoppe. Das ist nicht ohne Pikanterie, denn während Europa einmal von Königen beherrscht wurde, steht Hoppes Gastland USA für den totalen Triumph der demokratischen Idee. Von der aus geht nichts mehr weiter, weil nichts darüber hinausgeht - doch gerade diese "Ende-der-Geschichte"-Haltung im Sinne von Francis Fukuyama ist Hoppe ein Dorn im Auge. Der Fortschritt, sagt er, war zwar ein Schritt - aber in die falsche Richtung:

Vom Standpunkt derjenigen, die weniger gegenüber mehr Ausbeutung bevorzugen und die Weitblick und individuelle Verantwortung höher bewerten als Kurzsichtigkeit und Verantwortungslosigkeit, repräsentiert der historische Übergang von der Monarchie zur Demokratie nicht Fortschritt, sondern zivilisatorischen Niedergang.

Denn der König - der absolute Herrscher, nicht sein konstitutionell verwässerter Nachfahr - denkt wie ein Unternehmer. Ihm gehört das Land, er will es vererben. Also behandelt er es pfleglich, mit langem Zeithorizont. Die Besteuerung wird mäßig bleiben; niemand hinterlässt seinen Kindern gern ausgeblutete Landschaften. Ganz im Gegensatz dazu der auf Zeit gewählte Herrscher:

Ihm gehört die laufende Verwendung der Regierungsressourcen (Nießbrauch), aber nicht ihr Kapitalwert. In deutlichem Unterschied zu einem König wird ein Präsident nicht den Gesamtwert des Regierungsvermögens (Kapitalwerte und laufendes Einkommen) maximieren wollen, sondern das laufende Einkommen. (...) Anstatt den Wert des Regierungseigentums zu erhalten oder gar zu mehren, wie es ein König tun würde, wird ein Präsident (der vorübergehende Verwalter oder Beauftragte der Regierung) die Regierungsressourcen so schnell wie möglich verbrauchen, denn was er nicht jetzt verbraucht, wird er womöglich niemals verbrauchen können.

Selbst wenn die maximierte Entnahme nicht auf finanziellen Eigennutz zielt, sondern nur dazu dient, Wahlgeschenke zu verteilen (wie jedwede Art von Sozialausgaben nach Hoppes Meinung), bleibt sie doch ein bedenklicher Vorgang, weil ständig die Zukunft beliehen wird. Doch auch der "vernünftige Unternehmermonarch" ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Noch lieber will der Volkswirtschaftler zur "natürlichen Ordnung" zurück, wahlweise auch genannt "Anarchokapitalismus", "Privatrechtsgesellschaft" oder "reiner Kapitalismus":

In einer natürlichen Ordnung sind sämtliche Güter im Privateigentum einzelner Personen oder Personengruppen. (...) Es gibt keinen Staat, keine Steuern, kein Gerichtsmonopol und kein "öffentliches Eigentum". Sicherheit (...) wird, wie andere Güter und Dienstleistungen auch, in Eigenleistung, in nachbarschaftlicher Kooperation und durch frei finanzierte Spezialunternehmen erbracht. Neben Eigen- und Nachbarschaftsleistungen (...) werden vertraglich vereinbarte Sicherheitsleistungen aller Art vor allem von frei konkurrierenden (unregulierten) Eigentums- und Lebensversicherern angeboten und erbracht, die ihrerseits in regelmäßiger Zusammenarbeit mit unabhängigen und miteinander konkurrierenden Schlichtern bzw. Vermittlern und selbständigen oder angegliederten polizeilichen Vollzugsorganen stehen. Als Ergebnis (in komplettem Gegensatz zum unter staatlichen Bedingungen erzielten Resultat) fällt der Preis für Sicherheit, während die Qualität steigt.

Klingt wie der Alptraum aller Globalisierungsgegner, denen multinationale Versicherungskonzerne jetzt schon zu mächtig sind. Andererseits schimmern auch wohlbekannte Träume linker Anarchisten durch. Staatenlosigkeit, ob rechts oder links imaginiert, umfasst immer die Utopie der Selbstverwaltung. Fragt sich nur, wer zum "Selbst" dazugehört und wie man mit dem "Nicht-Selbst" umgeht? Hoppe knüpft da an eine verdrängte - vielmehr: blutig aus dem Feld geschlagene - amerikanische Tradition an und empfiehlt die Sezession: Austritt aus bestehenden Territorialverbünden und Rückbesinnung auf kleine, ja kleinste Einheiten, in denen beispielsweise der Pater familias die oberste Autorität verkörpert:

Haushalte müssen zu exterritorialen Gebieten erklärt werden, wie ausländische Botschaften.

Sezession kann freiwillig geschehen, indem sich ideologisch homogene Einheiten abspalten; sie kann allerdings auch verfügt werden. Dann heißt sie Diskriminierung, ja Apartheid - absolute Unworte der Demokratie, und darum vom reaktionären Romantiker Hoppe mit besonderer Provokationslust verwendet:

Freiwillige räumliche Trennung und Diskriminierung müssen als nicht schlechte, sondern gute Dinge erkannt werden, die die friedliche Kooperation zwischen verschiedenen ethnischen und rassischen Gruppen ermöglichen.

Und weiter an anderer Stelle:

Erzwungene Integration (das Resultat aller nichtdiskriminierenden Politik) züchtet schlechtes Benehmen und schlechten Charakter. In einer zivilisierten Gesellschaft ist der höchste zu zahlende Preis für schlechtes Benehmen der Ausschluss, und rundum schlechterzogene oder üble Charaktere (selbst wenn sie nicht kriminell sind) werden sich schnell von allem und jedem ausgeschlossen finden und zu Ausgestoßenen werden, physisch entfernt von der Zivilisation.

Was mag dem Autor in Las Vegas nur alles zugestoßen sein, fragt man sich besorgt. Gerade in den heiklen Bereichen der Integrations- beziehungsweise Desintegrationspolitik entgleist Hoppes Sprache völlig. "Unproduktive Schmarotzer, Gammler und Kriminelle" besiedeln das Feld - ein Duktus, der an unverdaute 68er-Frustrationen gemahnt, als sich der Autor ganz offensichtlich auf der Seite der Unterlegenen befand. Das Wort "Gammler" hört man seit Jahrzehnten nicht mehr, es klingt unfreiwillig komisch. Nicht mehr komisch allerdings die Aufkündigung gesellschaftlicher Toleranz:

In einer libertären Sozialordnung kann es keine Toleranz gegenüber Demokraten und Kommunisten geben. Sie müssen aus der Gesellschaft physisch entfernt und ausgewiesen werden.

Aber, würde Hoppe spitzfindig entgegnen, das mache nichts, denn "die Gesellschaft" gäbe es ja dann nicht mehr, sondern nur noch einzelne autonome Inseln. Was fängt man mit einem Buch an, das mit dem unschuldigen Blick des reinen Toren daherkommt, dabei aber Ressentiments gegen so gut wie alle modernen Politmodelle bedient, vom Kommunismus bis hin zu Amerikas Ultrarechten um Pat Buchanan, die Hoppe als National-Sozialisten beschimpft. (Die Invektive liegt natürlich auf dem zweiten Teil des Begriffs.) Das voller unerhörter Fantasien strotzt und sich weder um political correctness kümmert noch um deutsche Empfindlichkeiten?

- Man liest es wie ein Stück politischer Pornographie. Wie ein obszönes Szenarium, in dem die Starken den Schwachen Mitleid zusichern, aber keine Rechte mehr; in dem die Klugen und Gebildeten den anstrengenden Diskurs mit den Dummen und Ungebildeten aufkündigen, um mit ihnen nicht mehr um gemeinschaftliche Entscheidung ringen zu müssen. Das Schmittsche Freund-Feind-Denken feiert hier fröhliche Urstände, allerdings in einer unkriegerischen Variante.

Man will das Fremde nicht besiegen, gar unterwerfen - das bedeutete ja wieder Integrationsverpflichtungen -, sondern von ihm unbehelligt bleiben. Ein ziemlicher Unfug, denn Völker verändern sich, indem sie Mitglieder aufnehmen und abgeben, während ein Sezessionsmodell "Reinheit" in Kultur, Herkunft oder Denken voraussetzt, was die angestrebte Anarchie sofort in eine Diktatur umschlagen ließe, denn Reinheit muss ständig überwacht und bewahrt werden.

Auch der ökonomisch begründete Vorrang der Monarchie vor der Demokratie krankt an einer verkürzten Prämisse: Wie alle Theoretiker der Volkswirtschaft lässt sich Hoppe vom Trugbild des nüchtern kalkulierenden homo oeconomicus leiten, den es nie gegeben hat, weder in Privathaushalten noch auf Königsthronen. Die Motivlage von Machthabern ist viel zu diffizil, um sich einer solch simplen Dualität von Besitz vs. Nießbrauch zu beugen. Aber Pornographie muss nicht logisch sein. Sie muss erregen, nicht beweisen; die Erregung allein ist der Beweis ihrer Wirksamkeit.

In diesem Sinne gehört Hans Hermann Hoppes Buch zum Schärfsten, was auf dem Markt politischer Stimulanzien derzeit zu haben ist, auch wenn es - wie alle Pornographie - wenige Schlüsselreize in endloser Litanei wiederholt. In Einzelteilen enthält die Suada erhellende Passagen über unleugbare Mängel der Demokratie, und Kritik ist Demokraten stets willkommen. Diese Annahme freilich muss der Rezensent gegen den Autor verteidigen, denn der eröffnet sein Buch mit einem prinzipiellen Verdikt:

Deutschland ist kein freies Land. Es gibt in Deutschland nicht einmal Redefreiheit. Wer hier bestimmten regierungsamtlich verkündeten Aussagen öffentlich widerspricht, wird eingekerkert. Und wer sich "politisch unkorrekt" äußert, wird kaltgestellt und mundtot gemacht.

So einfach macht es die Demokratie ihren Bezweiflern nicht. Aber es gibt Etliche, die es sich gerne so einfach machen würden. Um ihnen das Handwerk zu erschweren, ist eine breite öffentliche Debatte des provokanten Buches unabdingbar.

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