Donnerstag, 24. April 2008

Public-Relations, Propaganda und Lügen

Verdrehen und Lügen von Anfang an
von Karin Wild

Über die «Meinungsmacher» schrieb Rainer Fabian im Jahre 1970, um seine Zeitgenossen aufzuwecken. Es lohnt sich, das Buch zur politischen Willensbildung noch einmal hervorzuholen und über Public-Relations-Aktivitäten generell nachzudenken.

Steht es in den deutschen Geschichtsbüchern? Der Staatssekretär im Reichsmarineamt, Alfred von Tirpitz, hatte 1894 das Ziel, den Auf- und Ausbau der deutschen Kriegsmarine dem Volk schmackhaft zu machen. Ohne wirkliche Diskussion mit dem Bürger, nur mit Propaganda und subtiler Einflussnahme. Die schwächsten Glieder in der Gesellschaft, die Kinder, waren dafür nicht zu schade. In dieser Zeit begann auf der anderen Seite Bertha von Suttner die europäische Welt vor einem grossen Krieg zu warnen.
Tirpitz setzte darüber hinaus auf jedem neuen grösseren Kriegsschiff einen Presseoffizier ein, der die Öffentlichkeit «informieren» sollte. In den Schulbüchern erschienen auf einmal Bilder von Marineschiffen, der Matrosenanzug wurde Mode, Flottenkalender gelangten in die deutschen Haushalte und noch vieles andere mehr…
Also schon vor mehr als 100 Jahren ein Beispiel, wie PR-Arbeit dem zukünftigen Krieg dienen soll. Und wie PR-Arbeit dazu dient, am Volk, das im Grunde seines Herzens den Frieden will, vorbei zu regieren.
Fabian erwähnt aus der Geschichte dieser Zeit weitere interessante Details. Etwa zur gleichen Zeit war das Ansehen vieler Gross­konzerne in den USA auf dem Nullpunkt angelangt. Sklavenartige Arbeitsverhältnisse plagten Hunderttausende von Arbeitern. Upton Sinclair machte sie zum Thema mit seinen sozialkritischen Romanen wie «Am Fliessband. Mister Ford und sein Knecht Shutt». Die Bücher verfehlten nicht ihre Wirkung.
«Mistharken» nannte John D. Rockefeller die unbequemen Schriftstellerintellektuellen. Was tun? Viele Unternehmen setzten PR-Firmen zum ersten Mal ein, um das ramponierte Bild ihrer Firma in der Öffentlichkeit zu ­polieren, während die realen Verhältnisse eher schlimmer wurden.
Wenige Jahre später, 1917, wurde in den USA erstmals vom Militär ein Propagandabüro eingerichtet, um die bisher eher pazifistische und neutrale US-Bevölkerung umzuerziehen und auf den grossen Krieg vorzubereiten: das «US-Commitee of Public Information». Edward L. Bernays, der Neffe von Sigmund Freud, war der Urvater der PR-Propaganda. «Information, Überzeugung, Anpassung», so definierte Bernays die Ziele der PR-Propaganda. 52 Jahre später, 1969, gibt es in den USA schon 200 Universitäten, an denen man PR-Arbeit studieren konnte. 250 000 professionelle Berater zählen die USA schon zu diesem Zeitpunkt!
Was ist das Ziel solcher PR-Arbeit? Sogar öffentliche Einrichtungen wie unsere Bundesbehörden haben bekanntlich solche PR-Abteilungen, um in Abstimmungskämpfen lenkend einzugreifen.
Von Anfang an verdrehte Wahrheit, Lüge

Aus der Geschichte der PR geht hervor, dass sie dazu da ist, die Wahrheit zu verdrehen, zu vertuschen, zu beschönigen, «anzupassen» – ohne dass es der Betroffene merkt. PR zerstört also im Kern die Grundlagen einer demokratischen Öffentlichkeit, die auf ein ehrliches Miteinander aller Bürger angewiesen ist. Die Wahrheit ist auf einmal nicht mehr wichtig. Es zählt nur, wie man dasteht, nicht, was real ist.
Vorgehen

Umfrage- und Analyseinstitute belauschen die Bürger, um dann auf die da festgestellte Meinung indirekt oder direkt Einfluss zu nehmen, diese störende Meinung zu manipulieren und umzubiegen. Nicht nur die Bilder, die vermittelt oder angehängt werden, sind manipulativ, sondern auch die Wortwahl, die Begriffe.
PR hat nichts mit ehrlichem Journalismus zu tun

Ein PR-Mann oder eine PR-Frau unterscheidet sich von einem ehrlichen Journalisten, weil sie grundsätzlich die Wahrheit im Dienste der Auftraggeber verändern und falsch darstellen wollen. Statt dass der deutsche Kaiser damals dem Volk offen die Karten auf den Tisch gelegt und seine Kriegspläne offen diskutiert hat, wird die ganze Bevölkerung schon Jahre vor dem grossen Krieg, der vielen grosse Profite bringt, mit Psycho-Tricks hinters Licht geführt. Ein Detail der Geschichte: Von den Jahrgängen 1892–1895, also von denen, die als Kinder im Deutschen Reich Opfer der genannten Regierungs-PR-Massnahmen wurden, starben mehr als ein Drittel im Ersten Weltkrieg im Schützengraben oder auf «hoher See» …
Krieg mit anderen Waffen

Der Propagandakrieg ist ein Krieg mit anderen, feineren Waffen, der in den Herzen und Köpfen der Menschen heimtückisch ansetzt und unmerklich die Voraussetzung für die Zustimmung zu Dingen schafft, die eigentlich von der Bevölkerung abgelehnt werden. Ein Alltagsbeispiel ist die Werbung für «gesunde» und «leichte» Zigaretten. Man kennt den Wunsch nach Gesundheit in der Bevölkerung. Gerade dort setzt man an und verdreht dann die Tatsachen. Es wird für diese Zielgruppe, vor allem für Frauen, eine «gesündere» Zigarette angeboten, die in Wirklichkeit genauso wenig gesund ist wie andere auch. Junge, gesund aussehende junge Frauen rauchen auf den Werbebildern.
Kriegspropaganda mit irreführenden Worten

Nehmen wir den breiten Widerstand der europäischen Bevölkerung gegen den Kosovo-Krieg, den Irak-Krieg, den Afghanistan-Krieg. Deshalb ändert man, um die Bevölkerung für den Krieg zu gewinnen, die Begriffe: Statt von «Krieg» sprach man von «friedenserzwingenden» oder von «humanitären» Einsätzen. Statt von unschuldigen Opfern von «Kollateralschäden» usw. Im zweiten Irak-Krieg sprach man von «chirurgischen» Schlägen, als ob hier jemand Krankes durch eine Operation wieder gesund gemacht werden sollte. In Wahrheit handelte es sich hierbei um völkerrechtswidrige Bombardements mit Uranwaffen, die die Zivilbevölkerung töteten und eine jahrtausendealte Kultur zerstörten.
In Diensten der Regierung und der EU

In den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts überlegte das deutsche Bundespresseamt, wie man die umstrittenen «Notstandsgesetze» dem Volk besser schmackhaft machen könnte. Die vom Volk selbst bezahlten Damen und Herren entwickelten statt dessen den Begriff «Vorsorgegesetze». Staatssekretär Diehl gelang es indessen nicht, das manipulative Wort gegen die Verwaltung durchzusetzen.
Wie viele Bürger beklagen die mangelnde Bürgernähe und das riesige Demokratiedefizit der EU! PR-Agenturen raten Politikern, darauf «einzugehen» und so etwas öffentlich einzufordern. Der Bürger fühlt sich dadurch verstanden. In Tat und Wahrheit aber ändert kein hochrangiger Politiker in Deutschland oder anderswo in der EU etwas am Kerninhalt und am undemokratischen Verfahren bei der Verabschiedung der EU-Verträge. Der portugiesische Ministerpräsident wurde kürzlich sogar innenpolitisch wortbrüchig und verzichtete auf ein Referendum über den neuen Vertrag. Mit ein wenig Abänderungen wurden die Verträge in Lissabon abgenickt. Auch Frankreich unter dem schillernden Medienprofi Sarkozy wollte keine Volksabstimmung mehr zulassen.
Wahrheitsverdrehende PR-Arbeit ist es sicher auch, wenn einer der grössten Kriegstreiber des völkerrechtswidrigen Kosovo-Krieges, der ehemalige deutsche Aussenminister Josef Fischer, in der Taschenbuchausgabe von «Widerstand des Herzens» von Nathan Stoltzfus ein Vorwort schreiben darf. Es handelt sich um die Dokumentation über die mutigen Frauen der Rosenstrasse, die ihre jüdischen Männer 1943 retten konnten. Das Beispiel zeigt, wie vergiftend die PR-Arbeit in alle Fasern einer Gesellschaft eingreift.
Wir-Gefühl erzeugen

Die PR-Agenturen wissen, wie wichtig ein künstlich erzeugtes Gemeinschaftsgefühl für eine positive Einstellung der Menschen zu einer Sache ist. Man hat im Zweiten Weltkrieg bei den US-Truppen festgestellt, dass 23% der kämpfenden Soldaten aus psychischen Gründen kampfuntauglich wurden. Es war zu wenig, wenn die Militärführung nur an die Vaterlandsehre usw. appellierte. Ein Wir-Gefühl musste erzeugt werden, das der Propaganda einen emotionalen Boden gibt. Konsequenterweise legten die US-Militärs im Vietnam-Krieg viel Wert auf eine «wohltuende» gemeinschaftliche Atmosphäre unter den kämpfenden Truppen: Man schuf identitätsstiftende Symbole für die kämpfenden Einheiten. Man förderte die Rivalität unter ihnen. Man gab den Soldaten – wie im Irak heute – komfortable Rückzugsräume, «rest and recreation», im Soldatenjargon «love and liquor» genannt. Nur noch 5% statt 23% der Soldaten fielen aus. PR-Agenten im Dienste des Pentagons hatten das Militär umstrukturiert.
Künstlich Vertrauen schaffen

In dem Begriff der PR steckt das Wort «Beziehung». So ist es auch gemeint: Es soll immer eine positive und «vertrauensvolle» Verbindung mit dem durch die moderne PR angesprochenen (und manipulierten) «Opfer» der PR-Arbeit hergestellt werden. PR braucht Vertrauen. Deshalb versucht PR immer eine vertrauensvolle Atmosphäre herzustellen.
Man kann den jüngsten Wechsel in der Kriegstaktik der USA weg vom groben Klotz Bush zu einem «sanfteren» Präsidenten auch so interpretieren, dass wieder «Vertrauen» in die USA hergestellt werden muss. Mit einer Charmeoffensive? Der Krieg allerdings geht in anderer Form weiter. Kein Wort hört man bei allen Präsidentschaftskandidaten von einer wirklichen Rückkehr zu ehrlicher und gerechter Politik, von einer Wiedergutmachung für die zahlreichen Opfer der US-Angriffskriege. Kein Versprechen, auch nur eine Militärbasis aufzugeben, die unter Bush offensiv eingerichtet wurde, viele davon in Osteuropa.
PR für den Krieg

Fabians Buch ist 37 Jahre alt. In welchen Dimensionen heute PR-Manipulation für den Krieg eingesetzt wird, zeigt das bestens dokumentierte Werk von Jörg Becker und Mira Beham «Operation Balkan: Werbung für Krieg und Tod». Die Untersuchung lässt eindrücklich nachvollziehen, wie vor dem Jugoslawien-Krieg Regierungen – vor allem Kroatiens – Beratungsverträge mit US-PR-Firmen abschlossen, um den Krieg vorzubereiten und in die «Köpfe und Herzen» der Menschen zu bringen. Die Autoren wiesen darauf hin, dass in den USA die PR-Branche heute mehr Mitarbeiter als alle US-Medien zusammen beschäftigt. Das Pentagon gab im Jahre 2005 300 Millionen Dollar an PR-Firmen aus, um den gescheiterten Irak-Krieg besser zu verkaufen. Die Clinton-Regierung tat Ähnliches im Kosovo-Krieg.
Verschweigen und Aussitzen

Es ist auch sehr verwunderlich, dass um die sechs am Jungfraujoch verunfallten jungen Schweizer Soldaten in den sonst so geschwätzigen Medien so wenig Aufhebens gemacht wird. Ex-Nato-General Gerhard Schmückle berichtete in seinen Erinnerungen, dass 1957 in dem Fluss Iller (Süddeutschland) 15 Wehrpflichtige, durch die Fahrlässigkeit der Vorgesetzten bewirkt, ums Leben kamen. Die reissende Strömung des Flusses wurde unterschätzt. Die Medien reagierten hier prompt und deutlich. Die Affäre kam bis vor das Parlament. Schmückle schreibt: «Das Parlament wurde zum Tribunal. Angeklagt waren Konrad Adenauer (der damalige Bundeskanzler) und Franz-Josef Strauss (der damalige Verteidigungsminister). Anklagepunkt: Das Iller-Unglück.» Ein Aufschrei des Entsetzens und der Empörung ging damals durchs ganze Land.
Wiederaufbauarbeit ist nötig

In den vergangenen 37 Jahren ist also das Problem der korrumpierten PR-Arbeit eher grösser geworden. Die Menschheit hat die Zeit der Beendigung des kalten Krieges bisher nicht genützt, um wieder eine Kultur der Aufrichtigkeit und Wahrheit durchzusetzen, auch in den Medien und in der Öffentlichkeitsarbeit. Das Problem liegt sicher noch tiefer. Albert Schweitzer stellte 1923 nach dem Desaster des Ersten Weltkriegs in «Kultur und Ethik» fest: «Wir stehen im Zeichen des Niedergangs der Kultur. Der Krieg hat diese Situation nicht geschaffen. Er selber ist nur eine Erscheinung davon. Was geistig gegeben war, hat sich in Tatsachen umgesetzt […]. Wir kamen von der Kultur ab, weil kein Nachdenken über Kultur unter uns vorhanden war.»
Wo sind heute Intellektuelle wie Upton Sinclair, die das Elend der globalisierten Wirtschaft auf dem sogenannten «freien Markt» dokumentieren, anstatt die neuen Kriege einfach fatalistisch hinzunehmen oder sogar zu begrüssen?
Noch eine PR-Lüge? Der Klimawandel

Noch ein Blick in die Gegenwart: Cui bono, wenn man auf allen Kanälen über den Klimawandel aufgeklärt wird? Um die Menschen als «Hauptverursacher» in eine defensive passive und ängstliche Haltung zu bringen, die sie weitere erklärte oder unerklärte Kriege um die Ressourcen dieser Welt hinnehmen lässt? Um die Menschheit auf eine falsche Fährte zu locken, anstatt dass wirkliche Friedensarbeit endlich Einzug hält in die Agenda der Völker? Ist der Klimawandel eine PR-Lüge? Der renommierte Zoologe Josef Reichholf schreibt: «Das Klima war nie wirklich stabil. Zu raschen Veränderungen kam es immer wieder.»
Zukünftige Propagandafelder

Was ist im Hinblick auf das Bild vom Islam zu befürchten? Einer seit langem anerkannten Weltreligion mit Milliarden von Mitgliedern? Welche schmutzigen Verdrehungen fallen den PR-Strategen hier ein, um der Öffentlichkeit weiszumachen, dass man die vielen ehrbaren Anhänger dieser Religion – die zufällig in vielen rohstoffreichen Gebieten der Erde wohnen – zu potentiellen Terroristen zu machen? Das erinnert an die Zeit der Kreuzzüge.
Propaganda durchschauen und ehrlich kommunizieren

Als Bürger haben wir die Möglichkeit, die wahrheitsverdrehende PR-Masche zu durchschauen, indem wir uns breit informieren und überall, wo wir können, Stellung nehmen. Wenn wir widerstehen, wenn Propaganda von Staats wegen oder von Unternehmen getrieben wird, um die Fakten zu verdrehen. Wenn wir uns untereinander ehrlich austauschen. Ein türkisches Sprichwort heisst: «Die ausgesprochene Wahrheit kann einen Wildbach aufhalten.» •

Rainer Fabian, Die Meinungsmacher. Eine heimliche Grossmacht, Hamburg 1970
Gerhard Schmückle, Ohne Pauken und Trompeten. Erinnerungen an Krieg und Frieden, München, 1984
Michael Jürgs, Der kleine Frieden im Grossen Krieg, 2003
Josef H. Reichholf, Die Zukunft hat längst begonnen, «NZZ» vom 16.2.2007

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