Dienstag, 8. April 2008

ADL provoziert die Schweiz

Jüdische Organisation: «Calmy-Rey finanziert Terrorismus»
Nach dem Jüdischen Weltkongress (WJC) nimmt auch die jüdische Organisation Anti-Defamation League (ADL) die Schweiz und ihre Aussenministerin Micheline Calmy-Rey wegen des Gasliefervertrags mit dem Iran ins Visier. In einer heute lancierten Inseratenkampagne wird die Schweiz der Terrorismusfinanzierung bezichtigt.

Die Anti-Defamation League (kurz: ADL) ist eine US-amerikanische Organisation mit Sitz in Washington, die nach eigenem Bekunden gegen Diskriminierung und Diffamierung von Juden eintritt. Sie wurde 1913 in Chicago gegründet. Ausschlaggebend war ein Vorfall im US-Bundesstaat Georgia, bei dem Leo Frank gelyncht wurde, weil er Mary Phagan, ein 13 Jahre altes Mädchen, vergewaltigt und ermordet haben soll. Seine Unschuld gilt heute als erwiesen, so dass das eigentliche Motiv für den Mord am Industriellen im Antisemitismus zu suchen ist. Seit 1998 ist die Anti-Defamation League in Europa mit einem Büro in Wien vertreten. Die ADL verleiht einen «Distinguished Statesman Award» für besondere Politikverdienste. Preisträger sind unter anderem Ariel Sharon (2002), Silvio Berlusconi (2003) und Aleksander Kwasniewski (2005). Seit 1987 wird sie von Abraham Foxman geleitet, einem in Polen geborenen Holocaust-Überlebenden. Er hat für seine Arbeit mehrere Auszeichnungen erhalten. Unter anderem wurde er in die französische Ehrenlegion aufgenommen. Für Schlagzeilen sorgte Foxman im Jahr 2004, als er Mel Gibsons Film «The Passion of the Christ» als antisemitisch bezeichnete. 2006 kritisierte er zudem den ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter für dessen Buch «Palestine: Peace, Not Apartheid», in dem dieser Israel die Hauptschuld für den ungelösten Palästinakonflikt gibt.
Das EDA wies die Kritik zurück. Der Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds, Alfred Donath, distanzierte sich von der Inseratekampagne.

In der heute lancierten Kampagne wird die Schweiz der Terrorismusfinanzierung bezichtigt. «Während die schweizerische Regierung ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen verfolgt, finanziert sie den weltweit führenden staatlichen Unterstützer von Terrorismus», heisst es in den ganzseitigen Inseraten. Und an die Adresse von Bundesrätin Calmy-Rey: «Wenn Sie einen terroristischen Staat finanzieren, finanzieren Sie Terrorismus.»

Laut der ADL-Homepage wurden die Inserate in führenden Schweizer und US-Zeitungen platziert, und zwar in den Blättern «Neue Zürcher Zeitung», «Le Temps», «Le Matin bleu», «New York Times», «International Herald Tribune», «New York Sun» sowie in der Europa-Ausgabe des «Wall Street Journal». ADL-Direktor Abraham Foxman holt in einem Beitrag für den jüdischen Informationsdienst JTA auch weiter aus und schreibt, die Schweiz scheine im Krieg gegen die radikalislamistische Bedrohung die gleiche Haltung einzunehmen wie während des Zweiten Weltkriegs und während des Kalten Kriegs, nämlich jene der Verfolgung von Eigeninteressen durch die Bekennung zur Neutralität.

EDA verwahrt sich gegen Vorwürfe

Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) wies auf Anfrage darauf hin, dass die Vorwürfe und Zahlen im Inserat nicht den Fakten entsprächen. Der Gasliefervertrag zwischen dem Energiekonzern EGL und der iranischen Gasexportfirma sei zudem mit den Iran-Sanktionen sowohl der Vereinten Nationen wie auch der USA konform, bekräftigte EDA-Sprecher Lars Knuchel. Hinzu komme, dass zahlreiche Länder viel grössere Handelsbeziehungen als die Schweiz mit dem Iran unterhielten. Der EDA-Sprecher zählte die grössten Abnehmer von iranischen Exporten auf, auf der die Schweiz weder bei den Gesamtausfuhren noch bei den Rohstoffexporten unter den ersten zehn figuriert.

Auf Distanz zur Inseratekampagne ging auf Anfrage der Präsident der Dachorganisation der Schweizer Juden, Donath. Die Vorwürfe seien «übertrieben und weitgehend», sagte der SIG-Präsident. Zudem schätzten es die Schweizer Juden nicht, wenn sich die internationalen jüdischen Organisationen in die Schweizer Politik einmischten. Donath bestätigte zu einem Bericht der Westschweizer Zeitung «24heures», dass er von Calmy-Rey persönlich über den Iran-Besuch informiert worden sei. Dabei habe er den Eindruck gewonnen, dass die Aussenministerin nicht gerne nach Teheran reise. Die Kritik sollte sich nicht so sehr gegen die Aussenministerin, sondern vielmehr an den Gesamtbundesrat richten, sagte Donath. Der SIG hatte den Gasliefervertrag bereits einen Tag nach der Unterzeichnung vom 17. März scharf kritisiert.

Erinnerung an Holocaust-Kontroverse

Die Inseratekampagne der ADL und der offene Brief des WJC-Präsidenten Ronald Lauder wecken Erinnerungen an die Kontroverse über die Holocaust-Gelder auf den Schweizer Banken in den 1990-er Jahren. Damals hatte die ADL allerdings eine weniger scharfe Position als der Jüdische Weltkongress eingenommen und die Schweiz für ihre Schritte zur Vergangenheitsbewältigung wiederholt auch gelobt.

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