Donnerstag, 7. Februar 2008

Mobbing - der untaugliche Versuch strukturelle Probleme auf personeller Ebene zu lösen

«Der Abschuss war ungerecht»
Justiz

Untersuchungsrichterin Monique Saudan arbeitete nicht schlechter als andere und musste dennoch ihren Arbeitsplatz räumen. Fragwürdige Vorwürfe, Intrigen und ein Chef, der selbst um seinen Job fürchtete. Hintergründe einer seltsamen Entlassung.

Monica Fahmy

Die Nachricht war ein Schlag ins Gesicht. Ende Oktober 2005 erfuhr die eidgenössische Untersuchungsrichterin Monique Saudan, 56, dass sie ihren Schreibtisch räumen muss. Per sofort. So etwas war in Bundesbern noch nie vorgekommen. Eidgenössische Untersuchungsrichter werden nicht einfach freigestellt. Zwar hatte das Bundesstrafgericht Saudan gerügt, weil sie ein Haftentlassungsgesuch zu wenig speditiv behandelt hatte. Doch sie hätte niemals damit gerechnet, dass Jürg Zinglé sie gleich suspendieren würde. Zinglé ist der leitende Untersuchungsrichter beim Untersuchungsrichteramt (URA), er fällte den Entscheid zusammen mit Bundesstrafgerichtspräsident Alex Staub.

Publik wurde die Entlassung erst einen Monat später. Zinglés wortkarge Begründung: Die Juristin habe zu langsam gearbeitet. Daran mögen Parlamentarier und Mitarbeiter der Strafverfolgungsbehörden nicht so recht glauben. Manche sprechen – allerdings nur anonym – von Mobbing. «Der Abschuss von Frau Saudan war ungerecht », sagt ein Parlamentarier. «Ein klassischer Mobbingfall. Sie war angreifbar, weil sie mehrmals klar und deutlich auf Missstände im Untersuchungsrichteramt hinwies.» So kritisierte sie, Verfahren würden zusätzlich verzögert, weil Untersuchungsrichter sich das Sekretariat teilen müssten.

Mit schwieriger Arbeit zugeschüttet

Eigentlich hätte die Bundesanwaltschaft (BA) schon vor zwei Jahren jemanden loswerden wollen, wie in Strafverfolgungskreisen spekuliert wird. Nicht Monique Saudan allerdings, sondern deren Chef – Jürg Zinglé. Bei der BA sei man mit seiner Arbeit nicht zufrieden gewesen, heisst es. In der Folge habe Zinglé Saudan mit Straffällen eingedeckt, die entweder sehr komplex oder erst im Anfangsstadium waren. Zinglé habe Saudan über die Klinge springen lassen – an seiner Stelle.

Saudans Freistellung ist tatsächlich seltsam. Genügte ihre Arbeitsweise nicht, hätten die meisten ihrer Kollegen die Koffer ebenfalls packen müssen. Die URA-Statistik von 2004 entkräftet den Vorwurf, Saudan habe zu langsam gearbeitet. Sie behandelte die meisten Haftfälle. Von den Beschuldigten in ihren Verfahren waren 21 in Untersuchungshaft. Bei ihrem Kollegen Paul Perraudin waren es zehn, bei Ernst Roduner einer, bei den anderen Kollegen keiner. Und Haftfälle dauern länger, weil die Infrastruktur des URA für solche Fälle ungenügend ist, wie ein Insider sagt. Zudem betreute Saudan – wie Kollege Perraudin – Verfahren mit fremdsprachigen Beschuldigten. Auch sie dauern länger. Statistisch gesehen dauerten die Verfahren Saudans durchschnittlich nur unwesentlich länger als jene Perraudins.

Noch vor zehn Jahren hatten eidgenössische Untersuchungsrichter bloss im Nebenamt gearbeitet. Monique Saudan, erst Untersuchungsrichterin in Solothurn, dann Staatsanwältin in Basel, war eine davon. Sie leitete unter anderem die Untersuchung um die Affäre der Waffenexporte der Firma Von Roll an den Irak. 1997 wurde Saudan zur ersten hauptamtlichen Untersuchungsrichterin ernannt. Als sie die Geheimdienstaffäre um Dino Bellasi betreute, stolperte sie über ein Interview mit dem «SonntagsBlick». Wegen «unzulässiger Spekulation » wurde ihr das Dossier entzogen. Dennoch wurde sie im Dezember 2001 ins neue, von Zinglé geleitete URA integriert.

«Sie hatte schon in Basel wenig Erfolg, man wunderte sich, dass sie gewählt wurde », sagt ein Parlamentarier. Allerdings habe man sich auch bei den meisten ihrer Kollegen gewundert, die ins URA gewählt wurden. Etwa bei Ernst Roduner, 58, der 17 Jahre als Richter am Aargauer Obergericht tätig war. Er wurde 2001 nicht wieder gewählt, unter anderem wegen Führungsschwäche und Amtsmissbrauch. «Wer in seinem Kanton geschnitten oder kritisiert wurde, kam ins Untersuchungsrichteramt oder zur Bundesanwaltschaft», sagt ein weiterer Parlamentarier. «Manche haben die Kantone in Bern sogar empfohlen, um sie loszuwerden.»

Nadelöhr in der Strafverfolgung

Auf diese Art wurden Bundesanwaltschaft und Untersuchungsrichteramt im Rahmen der Effizienzvorlage aufgestockt. Die Vorlage, umgesetzt unter der damaligen Justizministerin Ruth Metzler, sah für den Bund neue Kompetenzen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und Wirtschaftskriminalität vor. Ursprünglich waren elf Untersuchungsrichter-Teams vorgesehen. Ende 2002 war das URA jedoch nicht ausgelastet, da bei der Bundesanwaltschaft etliche Fälle stecken blieben. Die Finanzkommissionen beider Räte kürzten daraufhin das Budget um 10 Millionen Franken. Ende 2005 stauten sich beim URA die Strafverfahren. 16 Voruntersuchungen wurden abgeschlossen, 60 sind hängig. Zum Engpass kam es, weil die Zahl der Verfahren der Bundesanwaltschaft sprunghaft zugenommen hatten, sagt Jürg Zinglé.

Mit Saudans Freistellung entstand ein zusätzlicher Engpass. «Frau Saudan hat vier zeitkritische Verfahren bearbeitet», sagt Zinglé, der unter anderem die Dossiers Swissair und Dieter Behring betreut. Für die mangelnden Abschlüsse schieben sich Bundesanwaltschaft und Untersuchungsrichteramt die Schuld gegenseitig zu. Die Stimmung im URA ist zurzeit grundsätzlich mies, wie ein Kollege Saudans berichtet. Schon länger ist das Amt ein Nadelöhr in der Strafverfolgung des Bundes. Zeitweise leiteten nur gerade vier bis fünf Untersuchungsrichter die Voruntersuchungen in den grossen Fällen.

Problematisch ist, dass die Bundesanwaltschaft Fälle an sich reisst, die sie genauso gut an die Kantone delegieren könnte. Etwa das Drogenverfahren, das dann Monate später bei Saudan zur Voruntersuchung landete. Saudan handelte sich wegen des langen Verfahrens eine Rüge ein: Das Bundesstrafgericht entschied, dass ein Verdächtiger trotz erheblicher Fluchtgefahr aus der Untersuchungshaft entlassen werden musste. «Im Kanton Zürich wäre das Verfahren in der halben Zeit erledigt gewesen», sagt der Anwalt eines der Beschuldigten. Dann relativiert er: «Hier behandeln 16 Staatsanwälte auch nichts anderes als solche Fälle. Es sind Profis.»

Beim Bund dauert alles länger, schon aus strukturellen Gründen: Erst ermittelt die Bundesanwaltschaft, dann leitet ein Untersuchungsrichter die Voruntersuchung, überweist den Fall wieder der Bundesanwaltschaft. Erst dann wird beim Bundesstrafgericht Anklage erhoben. «Für effiziente Verfahren ist die eidgenössische Strafprozessordnung ein Unding», sagt Thomas Hansjakob, Untersuchungsrichter im Nebenamt.

Dies soll 2011 mit der neuen Strafprozessordnung anders werden. Vorgesehen ist, das Untersuchungsrichteramt abzuschaffen und in die Bundesanwaltschaft zu integrieren. Dort sind die guten Stellen schon besetzt. Nicht gerade motivierend für die Untersuchungsrichter. Mit ein Grund, weshalb es kaum gelingt, erfahrene Richter zu rekrutieren. «Dies ist ein spezieller Beruf. Jemand muss mit der Aufgabe wachsen», sagt Mascia Gregori, Generalsekretärin beim Bundesstrafgericht. Zurzeit sind acht Untersuchungsrichter tätig. Im November 2005 waren zwei neue Richter verpflichtet worden, zudem sprang ein Staatsanwalt der BA für ein Jahr ein. Er hat zum Teil Saudans laufende Verfahren übernommen.

Die Untersuchungsrichterin selbst ist bis 2008 beim URA angestellt. So lange muss der Bund ihren Jahreslohn – 180'000 Franken – weiter zahlen. Es handle sich um «den untauglichen Versuch, strukturelle Probleme auf der persönlichen Ebene lösen zu wollen», kritisierte Saudan, nachdem ihre Freistellung publik geworden war. Mehr will sie nicht sagen: Sie wehrt sich juristisch gegen die Suspendierung. Die Angelegenheit geht der langjährigen Juristin sehr nahe. Auch Jürg Zinglé möchte sich nicht äussern «im Hinblick auf ein mögliches Verfahren bei der Personalrekurskommission des Bundes». Diese wird prüfen, ob die Vorwürfe gegen Saudan gerechtfertigt sind. Saudans Chancen, sich erfolgreich zu wehren, stehen gemäss einem Parlamentarier alles andere als schlecht.

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