Das »Gelobte Land« – Hat Israel ein Recht auf Palästina?
Michael Grandt
Die Israeliten, das »Auserwählte Volk«, nahm einst das Land Kanaan, das heutige Palästina, mit der Begründung in Besitz, es sei das »Gelobte Land«. Diese gewaltsame Invasion hat Auswirkungen bis heute.
Die jüngsten schrecklichen Angriffe der israelischen Luftwaffe auf Zivilisten im Gaza-Steifen offenbaren die Vehemenz, mit der um das »Heilige Land« gekämpft wird. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass man nicht blutige Bilder aus Palästina sieht. Israelis fühlen sich als Opfer von Terroranschlägen – ungeachtet dessen, dass die Hamas ein Produkt ihrer Okkupation ist – und die Palästinenser fühlen sich als Freiwild einer Besatzungsmacht. Der Konflikt dauert schon viele tausend Jahre an. Wie aber wurde aus Palästina das »jüdische« Israel?
Das »Gelobte Land«
Nach der Genesis gab Gott an Abraham (dem ersten jüdischen Erzvater) den Befehl: „Gehe aus deinem Vaterlande und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.« (Gen. 12,1)
Abrahams Gehorsam gegenüber diesem Befehl war der Beginn eines historischen Prozesses, dessen Kulminationspunkt noch immer aussteht und dessen Auswirkungen wir im aktuellen Überfall der Israelis auf die Palästinenser im Gaza-Gebiet sehen.
Der Auszug der Israeliten in das »Gelobte Land« Kanaans (Palästina) stellte eine Wende in der Geschichte der Menschheit dar.
Moses ist die bedeutendste Persönlichkeit in der jüdischen Tradition und nimmt als Prophet den ersten Rang ein. Er war Gesetzgeber und Richter, Feldherr, Staatsmann, hatte seinem Schöpfer unmittelbar erblickt und das Gesetz (die Zehn Gebote) für sein Volk und die gesamte Menschheit empfangen. Die drei wichtigsten jüdischen Patriarchen sind Abraham, Isaak und Jakob. Sie sind Träger einer doppelten göttlichen Verheißung, nämlich der Vervielfältigung ihrer Nachkommenschaft, die das Volk »Israel«, das »Auserwählte Volk« bilden sollte und die dauerhafte Inbesitznahme des »Gelobten Landes«. Damit begann der bis heute andauernde Konflikt.
Kanaan = Palästina
Gaza bildete den Mittelpunkt Kanaans, umfasste das westliche Palästina, erstreckte sich nordwärts bis Tyrus (später sogar bis Byblos) und schloss Transjordanien und das Golangebiet im Norden ein, also das heutige Staatsgebiet Israels, die Palästinensergebiete und Teile von Jordanien.
Vor der gewaltsamen Invasion der israelitischen Stämme kennzeichnete eine buntgemischte Bevölkerungsstruktur das Land Kanaan: Amalekiter, Hethiter, Jebsuiter, Amoriter und Kanaanäer lebten in Koexistenz. Zudem hatte das Land eine der größten Kulturleistungen der Menschheit hervorgebracht: die Erfindung des Alphabets.
Friedliche »Infiltration« oder gewaltsame Invasion?
Die gewaltsame Okkupation Palästinas durch die Israeliten spaltet die Forscher bis heute. »Israelfreundliche« Wissenschaftler gehen davon aus, dass nomadische und halbnomadische Stämme von Osten her immer weiter in die fruchtbaren Ackergebiete Kanaans vorgedrungen waren mit der Absicht, sich dort niederzulassen. Die Konstitution der Israeliten in Kanaan wäre also eine »langsame Sesshaftwerdung«, eine »friedliche Infiltration« gewesen, von einer gewaltsamen Invasion könne deshalb keine Rede sein.
Andere Forscher widersprechen dieser These vehement. Sie stellen den biblischen Texten archäologischen Funde gegenüber und kommen zu einer anderen Bewertung der »Landnahme«. In ganz Palästina sind inzwischen viele Städte ausgegraben worden, die von Israeliten zerstört worden waren (was freilich von vielen Gelehrten bis heute bestritten wird).
Aus den zeltbewohnenden Halbnomaden, die als Halbsklaven des Pharao lebten, wurden nach ihrem Auszug aus Ägypten (Exodus) also kriegerische Invasoren, die über Kanaan herfielen. Vorausgegangen war wohl eine religiöse Metamorphose (wie sie durch die Offenbarung am Berge Sinai symbolisiert wird), die den Übergang bloßer Stammesgruppierungen in eine »Volkwerdung« (Nationalstaatlichkeit) widerspiegelte.
Freilich schildert die Bibel dies in anderen Worten, aber die »Befreiung aus der (äqyptischen) Knechtschaft« und die »Wanderung« durch die Sinai-Halbinsel in das »Land der Verheißung« wurde zum Eckpfeiler des israelitischen Glaubens.
Die Bibel berichtet über die Invasion Palästinas als vergleichsweise kurze militärische Operation, an der alle zwölf israelitischen Stämme teilnahmen, zunächst unter der Führung von Moses, später dann unter Josua. Heutige Forscher weisen jedoch auf verschiedene Phasen langwieriger militärischer Unternehmungen und komplizierter historischer Prozesse hin und streiten die gewaltsame Besetzung Kanaans und die Zerstörung kanaanäischer Städte durch die Israeliten keinesfalls ab. Der Tendenz der Bibel, Moses und Josua zum Eroberer fast ganz Kanaans zu machen, wird jedoch widersprochen. Dies sei in Wirklichkeit das Werk verschiedener Personen und Stammesgruppen in mehreren Eroberungszügen gewesen.
Die sogenannten »Lea«-Stämme, die von Juda angeführt wurden, die »Rahel«-Stämme unter der Führung des »Hauses Josef«, die »Gad-«, »Ascher-«, »Dan-« und »Naftali«-Stämme, die den Mädgden oder Nebenfrauen zugeordnet waren, fielen in Kanaan ein. Dabei spielten zwei militärische Konfrontationen eine wichtige Rolle – die eine in Obergaliläa und die andere im Süden bei Gibeon. Der nächste Schritt war dann die Zerstörung der Stadt Hazor, des Zentrums der kanaanäischen Macht im Norden.
Viele kanaanäische Städte wurden von den Invasoren zerstört, auf ihren Ruinen entstanden neue israelitische Siedlungen. So wurde beispielsweise Kirjat-Arba zu Hebron. Neuere Ausgrabungen bezeugen, dass dann eine intensive israelitische Kolonisierung einsetzte.
Raub, Kriegslist und Täuschungen
Aber wie gelang es den halbnomadischen israelitischen Stämme die überlegenen kanaanäischen Gegner zu überwinden?
Nach Ansicht der Forscher gibt es dafür verschiedene Gründe:
a) Die von religiösem und nationalem Eifer erfüllten Invasoren stießen auf eine zersplitterte kanaanäische Bevölkerung, die nicht in der Lage war, gegen die Eindringlinge geschlossen Front zu machen.
b) Die Israeliten nutzen die Gegensätze zwischen den verschiedenen ethnischen und nationalen Elementen Kanaans geschickt aus, etwa durch Bündnisse und Separatfrieden.
c) Die spezifische israelitische Methoden der Kriegsführung waren dem der Gegner überlegen: Etwa ein hervorragender Nachrichtendienst zur Ausspionierung militärischer, wirtschaftlicher und demografischer Informationen.
d) Durch Raub von Vieh- und Feldfrüchten für die eigenen Truppen wurde dem Feind die Nahrung entzogen.
e) Die Israeliten vermieden Frontalangriffe, verließen sich auf Kriegslisten, Täuschungsmanöver und Ablenkungsversuche.
f) Sie nutzten topografische Gegebenheiten aus: In der Schlacht Deboras und Baraks gegen Sisra, der angeblich 900 eiserne Streitwagen besaß, verzögerten die Israeliten den Angriff bis zur Regenzeit, die die Jesreelebene in unwegsamen Sumpf verwandelte und dadurch die Wagen der Kanaanäer manövrierunfähig machte.
Trotz der militärischen Vorteile gelang es den israelitischen Stämmen zunächst nicht, sich in ganz Palästina auszubreiten. Ihre Ansiedlungen konzentrierten sich auf das Bergland, das durch massive Waldrodungen urbar gemacht wurde. Erst später, als die Bevölkerungszunahme so groß war, dass der Platz im Bergland immer kleiner wurde, dehnten sich die Stämme auch in den Ebenen aus. Als wichtigstes Aufnahmebecken fungierte dafür das Transjordanland.
»Landnahme« statt Besetzung
Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass vor allem jüdische Wissenschaftler und Forscher bei der gewaltsamen Okkupation Palästinas durch die Israeliten von »der Landnahme« sprechen und nicht etwa von einer Invasion und Besetzung.
Nach den geschilderten Ereignissen dürfte zumindest klar sein, dass es ein »angestammtes« oder gar historisches Recht der Israelis auf das »Gelobte Land«, sprich Palästina nicht gibt. Dieses liegt lediglich in der biblischen Genesis begründet und ist seither Legitimation zu Besatzung, Folter und Mord.
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