Verrat an sozialen und demokratischen Grundlagen!
Parteiprogramm und «Europapolitische Agenda» der SP Schweiz sind Verrat am Volk
von Dr. iur. Marianne Wüthrich
Die Geschäftsleitung der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz hat am 26. März 2010 dem Entwurf zu einem neuen Parteiprogramm zugestimmt, über den der Parteitag am 30./31. Oktober entscheiden soll.1 Wie es sich gehört, finden sich in diesem Papier einige Eckpfeiler, für die sich die Sozialdemokraten aller Länder stets eingesetzt haben: der Kampf für Gerechtigkeit und für die Emanzipation der Arbeiterschaft, die Solidarität mit den Mitmenschen im eigenen Land und auf der ganzen Welt sowie mit den Nachgeborenen. Der Einsatz gegen die wachsende Kluft zwischen arm und reich, gegen Hunger und Armut auf der Welt, für eine gute Bildung der Jugend, für ein gerechtes Gesundheitswesen, für die Integration der Migranten in die Gesellschaft gehören ebenso zum sozialdemokratischen Grundstock wie der Ausbau der sozialen Sicherheit und des Service public unter staatlicher Kontrolle und ein nachhaltiger Umgang mit den natürlichen Ressourcen.
Um so bedenklicher ist die Tatsache, dass das Parteiprogramm zahlreiche massive Verstösse gegen die eigenen unterstützungswürdigen Grundsätze enthält. Insbesondere die Stellungnahmen zur EU-Integration der Schweiz2 sowie zur Globalisierungsproblematik zeichnen sich nicht durch soziales oder demokratisches Denken und Mitfühlen aus, sondern sind durchsetzt mit haarsträubenden Plänen und Unwahrheiten. Als Autor des Parteiprogrammes firmiert Hans-Jörg Fehr.
Es steht zu hoffen, dass es nicht einfach durchgewinkt wird, sondern Anlass zu echten und grundsätzlichen Diskussionen gibt, dass sich diejenigen Stimmen Gehör verschaffen, die sich nicht von ihren basisdemokratischen Anliegen abbringen lassen und diesem Programm zur Auflösung der direktdemokratischen Schweiz im EU-Zentralmoloch die Gefolgschaft verweigern. Solange diese Frage nicht geklärt ist, verlieren alle andern Vorschläge zu sozialen Anliegen und alle Bekenntnisse zur Förderung der Demokratie ihre Glaubwürdigkeit.
Mit Recht spricht die SP sich dezidiert gegen die «neoliberale Ideologie des Staatsabbaus und der Marktgläubigkeit mit ihrer unsäglichen Dreifaltigkeit Privatisierung, Liberalisierung und Deregulierung» aus, die von den «Regierungen mächtiger westlicher Staaten (USA, GB) bewusst vorangetrieben» wird, mit Recht prangert sie den «enormen Machtzuwachs transnationaler Unternehmen» und den «Machtverlust der demokratischen Nationalstaaten […] zulasten des Sozialstaates» an. (Parteiprogramm, S. 5) Statt dann aber dem Übel an die Wurzeln zu gehen und die Auflösung der Machtinstrumente des Grosskapitals, allen voran der WTO, mit Nachdruck zu verlangen, statt die Stärkung der Souveränität der Nationalstaaten und der kleinräumigen Wirtschaft anzustreben, verstrickt sich die SP Schweiz in Widersprüchlichkeiten, eingedenk der altbekannten Pläne der Sozialistischen Internationale, die sich der Globalisierung für ihre eigenen Machtpläne bedienen will:
«Die Sozialdemokratie ist seit ihren Anfängen eine international ausgerichtete und organisierte Parteien-Familie. Die europäische Integration und die Globalisierung der Welt sind daher transnationale Entwicklungen, die dem Charakter der Sozialdemokratie strategisch entsprechen.» (Parteiprogramm, S. 8)
Zur Verbreitung sozialistischer Ideen sind der SP auch fragwürdige Mittel recht. So rühmt das Parteiprogramm die «Globalisierung der Kommunikation mit Hilfe des Internets und anderer digitalisierter weltweiter Plattformen. Sie ist wegen ihrer technologisch vielfältigen Anwendbarkeit ambivalent, darf aber nicht nur unter dem Blickwinkel ihrer Anwendung auf den Finanzmärkten beurteilt werden. Die Informations- und Kommunikationstechnologien haben kommunikative, teilweise sogar subversive Qualitäten, die wir positiv beurteilen.» (Parteiprogramm, S. 7)
Kampf gegen totale globale Marktöffnung – oder doch nicht?
In bezug auf die wirtschaftliche Globalisierung äussert sich die SP zwar gegen die «kapitalistische Globalisierung» und die «totalen globalen Marktöffnungen, die sich allen staatlichen Regulierungen entziehen und enorme soziale und ökologische Schäden anrichten» (Parteiprogramm, S. 6), ja sie will «den Übergang vom freien zum fairen Handel voranbringen.» (Parteiprogramm, S. 38) Dieses wirklich erstrebenswerte Ziel verkehrt sie aber flugs ins pure Gegenteil, wenn es konkret wird: Dann opfert die SP-Geschäftsleitung ihren hehren Einsatz gegen den liberalisierten Welthandel ohne Zögern dem alles überragenden Ziel, nämlich dem EU-Beitritt der Schweiz. Um diesem Ziel näherzukommen, wird jeder bilaterale Vertrag mit der EU besehen oder unbesehen befürwortet, auch wenn er in eklatantem Widerspruch zu den sozialdemokratischen Parteizielen steht und die EU vor allem der internationalen Hochfinanz dient.
Erstes Beispiel: SP unterstützt Strommarkt-Abkommen mit der EU
«Ziel ist u.a. die Versorgungssicherheit im weitgehend liberalisierten europäischen Strommarkt. Die Öffnung des Schweizer Marktes richtet sich nach den im Stromversorgungsgesetz festgelegten Schritten, das 2008 in Kraft trat. Es führte zunächst zu massiven Preissteigerungen und musste schon bald korrigiert werden. Parallel kamen auch die Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU ins Stocken.» (Europapolitische Agenda, S. 9)
Herr und Frau Schweizer erinnern sich: Im September 2002 war die Liberalisierung des Schweizer Strommarktes in einer eidgenössischen Referendumsabstimmung vom Volk abgelehnt worden; das Referendum ergriffen hatte der Schweizerische Gewerkschaftsbund. Wenige Jahre später legte der Bundesrat praktisch dieselbe Vorlage dem Parlament erneut vor, welches über den Entscheid des Stimmvolkes hinweg das Elektrizitätsmarktgesetz ein zweites Mal befürwortete, damit die Schweiz künftig in die europäische Strommarktregelung von Brüssels Gnaden eingespannt werden kann. Der Souverän verzichtete darauf, noch einmal 50 000 Unterschriften für das fakultative Referendum zu sammeln. Der zuständige Departementsvorsteher, SP-Bundesrat Moritz Leuenberger, hatte – um das Gesetz durchzubringen – wider besseres Wissen behauptet, im liberalisierten Strommarkt würden die Strompreise sinken. Obwohl zum Zeitpunkt der Volksabstimmung im Jahr 2002 bereits bekannt war, dass die Preise überall massiv gestiegen waren, die Infrastruktur vernachlässigt wurde und das Geld in die Taschen privater Investoren floss.
Die SP, die für sich in Anspruch nimmt, den Service public vor dem freien Markt schützen zu wollen, legt sich also in ihrer «Europapolitischen Agenda» vom März 2009 für die Teilnahme der Schweiz am liberalisierten EU-Strommarkt ins Zeug, mit der schwächlichen Argumentation, den «grünen Strom» und die Versorgungssicherheit stärken zu wollen.
Ein Jahr später ruft dieselbe SP im Widerspruch zu ihrem eigenen Tun «die Schweiz» dazu auf, sich der Liberalisierung der Grundversorgung entgegenzusetzen:
«Der Service public steht auch international unter Druck: Die führenden Staaten in der Welthandelsorganisation WTO wollen die nationalstaatlichen Grundversorgungen Schritt um Schritt in Märkte verwandeln und privatisieren. Die Schweiz muss diesen Bestrebungen Widerstand leisten, sie blockieren und dem Service public auch unter globalisierten Vorzeichen die ihm gebührende Stellung sichern helfen. Besondere Bedeutung hat der kostenlose Zugang zu frischem Trinkwasser.» (Parteiprogramm, S. 45)
Die Schweizer Bevölkerung tut das ja bereits, sie leistet den Bestrebungen der WTO und der EU entschieden Widerstand, denn sie hat einen gesunden Widerwillen gegen die Privatisierung des Service public, wie sie in der Abstimmung über das Elektrizitätsmarktgesetz gezeigt hat. Die Schweizer sind gewohnt, dass die Gemeinden und Kantone sorgsam und haushälterisch mit dem kostbaren Wasser und mit der Wasserkraft umgehen, und sie wollen, dass Schulen und Gesundheitswesen, Strassen, Kanalisation und Abfallentsorgung, öffentlicher Verkehr und Postwesen in der Hand des Staates bleiben und so vom Souverän kontrolliert werden können. Die Sozialdemokraten stehen (neben den Grünen) mehr als alle anderen Parteien in der Pflicht, sich hinter das eigene Volk und die Völker der Welt zu stellen und sich mit aller Kraft für die Auflösung der nur den internationalen Grosskonzernen dienenden WTO einzusetzen, statt sich bei jedem Räuspern aus Washington oder Brüssel als eifrige Kopfnicker zu betätigen und gleichzeitig ihre eigenen Grundsätze zu verraten.
Zweites Beispiel: SP unterstützt ein Abkommen für den Agrarfreihandel
Auch hier zeigen sich die Sozialdemokraten ausgesprochen marktfreudig: «Angestrebt werden eine Marktöffnung der gesamten ernährungswirtschaftlichen Produktionskette sowie die verstärkte Zusammenarbeit in den Bereichen Lebensmittel- und Produktsicherheit sowie beim Gesundheitsschutz.» (Europapolitische Agenda, S. 8) Die SP-Geschäftsleitung gibt zu, dass die EU an einem solchen Abkommen interessiert ist, weil sie ja weit mehr Agrargüter in die Schweiz exportiert als umgekehrt. Die Schweizer Bauern vertröstet sie mit dem grossen Absatzmarkt für «ökologisch produzierte hochwertige Agrargüter», obwohl sie genau weiss, dass die Bauern in der EU selbst ökologische Produkte im Überfluss produzieren. Bundesrätin Doris Leuthard hat vor einiger Zeit offen zugegeben, dass ein Agrarfreihandelsabkommen mit der EU das Aus für mindestens die Hälfte der Schweizer Landwirtschaftsbetriebe bedeuten würde.
Auch die Bauern gehören zur arbeitenden Bevölkerung – zur hart arbeitenden! – und haben Anspruch darauf, von einer Partei, die sich sozial nennt, nicht im Regen stehengelassen zu werden. Statt dessen setzt die SP noch einen drauf, indem sie den Bauern vorgaukelt, mit dem grossflächigen Verkauf von Bioprodukten im EU-Raum «erhält die Schweizer Landwirtschaft eine bessere Perspektive – dies gilt insbesondere für den Fall eines erfolgreichen Abschlusses der WTO-Verhandlungen». Im Klartext: Die SP, die an anderer Stelle mit Recht die ausschliessliche Ausrichtung der WTO auf die Interessen der globalen Grosskonzerne kritisiert, ist nicht gewillt, die Schweizer Bauern und die gesamte Bevölkerung, die mit den Lebensmitteln aus regionaler Produktion gut fährt, vor dem Abschluss des Weltagrarfreihandelsabkommens der WTO zu bewahren. Gleichzeitig verrät sie ihr Ziel der Solidarität mit den Armen dieser Welt, denen sie angeblich zu «fairem Handel» statt «freiem Handel» verhelfen will. Mit einem WTO-Freihandelsabkommen für gefüllte Kassen von Monsanto und Nestlé? Da lachen ja die Hühner!
Warum die SP-Geschäftsleitung wirklich für das Agrarabkommen mit der EU ist, verrät sie uns erstaunlich ehrlich:
«Die SP will dieses Abkommen. Es senkt aus europapolitischer Sicht eine der letzten innenpolitischen Beitrittshürden und hat einen hohen symbolischen Wert (Abbau der Réduit-Mentalität, Autarkie-Mythos).» (Europapolitische Agenda, S. 9)
EU-Beitritt als Türöffner für die Sozialdemokraten
Für den EU-Beitritt der Schweiz macht sich die SP-Parteileitung schon seit langem stark, allerdings sind auch etliche Parteigenossen skeptisch eingestellt. Denn bei genauer Analyse der schönfärberischen EU-Beitrittspropaganda der SP ergibt sich: alles ist Lug und Trug.
Europäischer Einheitsstaat unter sozialdemokratischer Führung
Hauptargument der SP-Geschäftsleitung: «Die Schweiz muss dort mitentscheiden können, wo die zentralen Entscheidungen gefällt werden. […] Nur der EU-Beitritt verschafft der Schweiz das volle Mitentscheidungsrecht.» (Europapolitische Agenda, S. 6) Obwohl in dieser Agenda sämtliche bilateralen Verträge mit der EU kritiklos befürwortet werden, stört sich die SP-Führung plötzlich daran, dass der Bilateralismus die Souveränität der Schweiz untergrabe. Dasselbe gelte für den sogenannten «autonomen Nachvollzug», das heisst die laufende Anpassung des Schweizer Rechts an die Gesetzgebung der EU (Europapolitische Agenda, S. 5). Kleine Anmerkung: Schweizer EU-Skeptiker haben diesen schleichenden Souveränitätsverlust schon lange moniert und waren aus diesem Grund gegen einige der bilateralen Verträge; sie wurden jeweils – auch von SP-Seite – als Neinsager ohne Sachverstand abgetan.
Selbstverständlich wissen die Genossen sehr wohl, dass die Schweiz – wie die anderen Kleinstaaten – als EU-Mitglied nichts zu melden hätte, sondern das tun müsste, was Merkel und Sarkozy als verlängerter Arm der US-Supermacht befehlen würden. In Wirklichkeit träumen die Parteikader für sich persönlich von einem einflussreichen und finanziell ergiebigen Sitz in Brüssel: «Die von der EU weltpolitisch vertretenen Positionen stehen jener der SP nahe. […] Will die Schweiz [i.e. die SP-Kader der Schweiz, die Verf.] die Globalisierung sozial, ökologisch und friedenspolitisch gestalten, so wird sie innerhalb der EU mehr erreichen können als ausserhalb.» (Europapolitische Agenda, S. 7). Den Genossen geht allerdings der heute erreichte unsägliche Zustand der Zentralisierung ohne Rücksicht auf die vielfältigen Völker und Kulturen noch zuwenig weit – sie haben radikalere Ambitionen: «Die Entstehung eines unionsweiten Rechtsraumes erhöht in hohem Mass die Lebensqualität der Bürger und Bürgerinnen Europas. Nur wenn die Schweiz der EU beitritt, hat sie vollen Anteil an der wachsenden Zusammenarbeit, Vergleichbarkeit und Übereinstimmung in den Rechtssystemen der EU-Mitgliedstaaten.» (Europapolitische Agenda, S. 7).
Vor zwei Jahren haben sich 18 Mitglieder des Nationalrats im virtuellen Projekt «aktiv-mitglied.EU – Die EU, wie wenn wir dabei wären!» der NEBS (Neue europäische Bewegung Schweiz) als künftige Mitglieder des EU-Parlaments zur Schau gestellt. Darunter sind auch fünf Sozialdemokraten. Weitere SP-Politiker wie Andreas Gross und Hans-Jürg Fehr wären sicher auch nicht abgeneigt, in der EU-Machtzentrale mitzuspielen.
Überlegenes Sozialmodell der EU?
Die Behauptung der SP-Parteileitung, das EU-Sozialmodell sei dem schweizerischen haushoch überlegen, entbehrt im übrigen jeder Grundlage: «Ausgebaute Sozialversicherungssysteme, freier Zugang zur Bildung, Gleichberechtigung der Geschlechter, ein rechtlich verbindliches System von Arbeitsbeziehungen» (Europapolitische Agenda, S. 2) usw. gibt es in der Schweiz auch. Ein besseres Berufsbildungssystem als das duale der Schweiz mit ihrer europaweit kleinsten Jugendarbeitslosigkeit soll uns einmal jemand zeigen, und wenn wir auch weniger Betriebsräte haben als die Betriebe unserer Nachbarländer, hindert diese Tatsache die Nachbarn nicht, in den schweizerischen Arbeitsmarkt zu strömen – offenbar sind unsere Arbeitsbedingungen doch nicht so schlecht.
«EU als Friedensprojekt»?
«Die EU ist ein Friedenswerk, das in Europa das seit Jahrhunderten bestehende verheerende Kriegsrisiko nahezu auf null reduziert hat.» (Parteiprogramm, S. 8) – «Es liegt im ureigensten Interesse der Schweiz, innerhalb der EU zum europäischen Friedenswerk beizutragen.» (Europapolitische Agenda, S. 6)
Eine kühne Behauptung, wenn man bedenkt, dass massgebliche EU-Mitgliedsländer, insbesondere Deutschland im Bündnis mit den USA und Israel, Jugoslawien in die Steinzeit zurückbombardiert haben, für das 60jährige Leiden des palästinensischen Volkes mitverantwortlich sind und sich am Bombenkrieg gegen die afghanische Zivilbevölkerung beteiligen.
Ausserdem begann die friedliche wirtschaftliche Zusammenarbeit im Nachkriegseuropa 1948 nicht mit der EWG, sondern mit der Gründung der OEEC, der Vorgängerorganisation der OECD. Auf Wunsch der USA setzten sich 1957 einige Staaten ab und schlossen sich zu einer besser steuerbaren überstaatlichen Vereinigung zusammen, der EWG. Ihr Fernziel einer politischen Union ist heute praktisch erreicht. Um sich neben diesem Separatistenklub behaupten zu können, blieb den anderen westeuropäischen Staaten nichts anderes übrig, als sich zu einer Freihandelsorganisation, der Efta, zusammenzutun, deren Mitglieder ihre volle Souveränität behielten. Wir überlassen es dem Leser zu entscheiden, welche dieser beiden Organisationen für ein friedliches und freiheitliches Zusammenleben souveräner Nationalstaaten geeigneter ist.
Ein weiterer Pfeiler der EU ist die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), deren militärische Truppen zum Beispiel in Bosnien-Herzegowina und im Kongo stehen, die sogenannte Piraten vor der somalischen Küste beschiessen und die seit 2003 in der Lage sind, «für eine militärische Operation binnen 60 Tagen bis zu 60 000 Mann an Bodentruppen sowie Luft- und Seestreitkräfte bereitzustellen.» (Lexikon «Aktuelle Schweiz», S. 328).
Mitmarschieren in den Kriegen der EU statt neutraler Verteidigungspolitik
Bei den Militäreinsätzen dieser kriegerischen Organisation unbedingt dabeisein zu wollen, streben SP-Bundesrätin Calmy-Rey und die SP-Leitung eifrig an. Laut Parteiprogramm soll die Verteidigungsarmee – die immerhin integrativer Bestandteil der immerwährenden bewaffneten Neutralität der Schweiz ist – ganz einfach gestrichen werden:
«Die strikte Trennung von innen und aussen passt nicht mehr in unsere Zeit. Die militärzentrierte, am nationalen Territorium orientierte Sicherheitspolitik ist überholt.»
Konsequenterweise soll die allgemeine Wehrpflicht in der Schweiz abgeschafft und die Armee «ab- und umgebaut werden», so dass sie neben dem Zivilschutz in erster Linie für die «internationale Friedensförderung» eingesetzt werden kann. (Parteiprogramm, S. 39f.) In ihrer «Europapolitischen Agenda» macht sich die SP stark für ein Rahmenabkommen, «mit dem die Teilnahme an EU-geführten internationalen Friedensmissionen erleichtert werden soll», und wirft dem Bundesrat vor, «er druckse sich seit Jahren um die Aufnahme von Verhandlungen» mit der EU «herum». (S. 10) Inzwischen hat sich ein grosser Teil der SP-Nationalrätinnen und Nationalräte im September 2009 mutig und eigenständig gegen den von Bundesrätin Calmy-Rey geplanten Militäreinsatz «Atalanta» unter EU-Kommando gestellt und diesen damit zu Fall gebracht. Die Parteileitung sollte vielleicht zur Kenntnis nehmen, dass viele ihrer Parlamentarier und erst recht ihrer Basis keine EU- oder Nato-Kriegseinsätze mitmachen wollen. Für einen Sozialdemokraten, der diesen Namen verdient, sollte das selbstverständlich sein. Dass die Mitglieder der Parteispitze in fremden Kriegen mitmarschieren wollen, ist nur damit zu erklären, dass sie eben unbedingt den EU-Beitritt samt Pöstchen in Brüssel anstreben.
Rüstungspolitik – «Weniger Heimatschutz und mehr Marktnähe»
Es kommt noch dicker: Dieselbe SP, die angeblich «will, dass die Schweiz alle kriegsfördernden Aktivitäten wie Waffenexporte an risikobehaftete Partner unterlässt», (Parteiprogramm, S. 40) und bekanntlich seit Jahren Sturm läuft gegen den Export jedes Schräubchens, das für die Konstruktion einer Waffe verwendet werden könnte, treibt als Krönung ihrer «Friedenspolitik» die Zusammenarbeit mit der Europäischen Verteidigungsagentur (EVA) im Rüstungsbereich voran. Man höre und staune:
«Die internationale Kooperation im Rüstungsbereich ist gegenüber einer rein national aufgestellten Rüstungsindustrie weit kostengünstiger. Diese Kooperation findet in Europa primär im Rahmen der Europäischen Verteidigungsagentur (EVA) statt. […] Die SP-Fraktion hat sich in ihrem Positionspapier zur Zukunft der Armee vom 23. September 2008 klar für eine Rüstungspolitik ausgesprochen, welche von weniger Heimatschutz und mehr Marktnähe geprägt ist [sic!].» (Europapolitische Agenda, S. 11)
Bleibt zu hoffen, dass sich einige aufrechte Sozialdemokraten finden, die diese unwürdigen Spielchen zum alleinigen Zweck eines baldigen EU-Beitritts nicht mitmachen, sondern eine echte Friedenspolitik unterstützen, wie sie die Schweiz immer geführt hat und wie sie von derselben Bundesrätin Micheline Calmy-Rey sehr positiv betrieben wird, wenn sie nicht gerade von internationalem Aktionismus befallen wird.
Umbau der Schweiz als Vorarbeit für den EU-Beitritt
Dass die einzigartige direktdemokratische und föderalistische Staatsstruktur der Schweiz zur undemokratischen und zentralistischen EU wie die Faust aufs Auge passt, hat sich sogar bis in die Führungsetagen der Schweizer Sozialdemokraten herumgesprochen. Also muss diese Struktur zertrümmert und dann EU-kompatibel umgebaut werden.
Alle Macht den Agglomerationen?
Zwar gesteht die SP-Führung der föderalistischen Staatsstruktur zu, dass sie zur Machtteilung und zur Bürgernähe beiträgt. Aber: «Die Gliederung in die drei Ebenen Bund, Kantone und Gemeinden […] muss durch eine vierte Ebene, die europäische, ergänzt werden.» Und weiter:
«Der Föderalismus ist reformbedürftig. Das gilt in erster Linie für das aus dem 19. Jahrhundert stammende strukturelle Übergewicht der kleinen, ländlichen und agrarisch geprägten Kantone. Sie haben parlamentarisch mit der Sitzverteilung für den Ständerat und direktdemokratisch mit dem Ständemehr ein Übermass an Einfluss, das der realen Bevölkerungsverteilung zwischen Stadt und Land längst nicht mehr entspricht. Die SP tritt für eine Anpassung des Föderalismus an die reale gesellschaftliche Entwicklung ein. Namentlich muss die Stellung der Städte und Agglomerationen gestärkt werden.» (Parteiprogramm, S. 33)
Aha, jetzt wissen wir, wer in der Schweiz die Gründung von EU-gesteuerten Metropolitanräumen einerseits und die Verödung der ländlichen und der Berggebiete andererseits vorantreibt. Jetzt wissen wir, warum einige Ostschweizer Politiker mit fieberhafter Betriebsamkeit einen Kanton Ostschweiz erfinden wollen, damit sie von der EU-Zentrale nicht zur «Provinz» abgestuft werden. Die Thurgauer, St. Galler, Appenzeller und Bündner würden sich gescheiter gegen solch unsägliche Pläne zur Wehr setzen. Dem bleibt hinzuzufügen, dass der Autor des Parteiprogramms Hans-Jürg Fehr ist, Nationalrat des kleinen Kantons Schaffhausen, dessen «strukturelles Übergewicht» er mit der Abschaffung des Ständemehrs und der Umfunktionierung des Ständerats zu einer Regionenvertretung bodigen will. Ob die Schaffhauser Bevölkerung ihn wohl 2011 wieder wählen wird, wenn sie das liest?
Konsequenterweise ist der SP die feinmaschige föderalistische Struktur mit 26 Kantonen und fast 3000 Gemeinden ein Dorn im Auge. Sie setzt sich für Gemeinde- und Bezirksfusionen ein und verlangt den Zusammenschluss der Kantone zu Grossregionen: «Langfristig soll die Anzahl Kantone stark reduziert werden, damit grössere und eigenständigere Einheiten als heute untereinander gleichwertig und mit neuer Vitalität ihre zukunftsgerichteten Aufgaben erfüllen können.» (Parteiprogramm, S. 34) Mit «neuer Vitalität» ist gemeint, dass die SP in grösseren Gemeinden und Kantonen mit mehr Parteiwählern und Parteisitzen rechnet, hat sie doch ihre grössten Wähleranteile in den Städten und den einwohnerstarken Kantonen. In kleineren Gemeinden werden nämlich mehrheitlich parteiunabhängige und nur selten SP-Gemeinderäte gewählt – das soll geändert werden. Was an den Grossregionen «eigenständiger» sein soll als an den in vielen Bereichen souveränen Kantonen, darüber schweigt sich das Parteiprogramm aus.
Abschaffung der direkten Demokratie
Unter dem an Orwell erinnernden Titel «Die Demokratie weiterentwickeln» äussert sich das Parteiprogramm zuerst fast überschwenglich zur direkten Demokratie, um sie dann flugs zu relativieren:
«So wichtig die demokratische Staatsform für uns ist, so wichtig ist es auch, ihre Grenzen zu benennen, denn auch das Volk darf nicht alles [sic!].»
Demokratie finde ihre Grenzen im «übergeordneten Recht, das ja seinerseits demokratisch legimiert ist, also in den Menschenrechten und im Völkerrecht». (Parteiprogramm, S. 31)
Zum sogenannt «übergeordneten Recht», das nach dem Gusto der Sozialdemokraten die direktdemokratischen Rechte der Schweizerinnen und Schweizer aushebeln soll, würde nach dem EU-Beitritt der Schweiz selbstverständlich der gesamte Dschungel von Rechtserlassen aus der EU-Zentrale zählen. Was daran «demokratisch legitimiert» sein soll, weiss niemand.
Schweizer Souverän durch Gericht entmachtet?
Um das reichhaltige Initiativ- und Referendumsrecht der Stimmbürger unter Kontrolle zu bekommen, will die SP-Parteileitung die Judikative über den Souverän und über das eidgenössische Parlament stellen: «Die SP hält die Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative für eine zentrale historische Errungenschaft und verteidigt sie uneingeschränkt. [Diese Selbstverständlichkeit muss man offenbar betonen, wenn man in die EU will, die Verf.] Auch demokratische Verfahren und Entscheide müssen sich an den Rahmen halten, den die Menschenrechte und der Rechtsstaat setzen. Die Judikative muss deshalb gestärkt werden.» Dementsprechend verlangt die SP die Einführung eines Verfassungsgerichtes, das die «Entscheide der Regierung, des Parlamentes und des Volkes auf ihre Vereinbarkeit mit dem übergeordneten Recht, namentlich mit den Grundrechten prüft. Volksinitiativen sollen künftig nur gültig sein, wenn sie die grundlegenden Prinzipien des Verfassungs- und Völkerrechts respektieren.» (Parteiprogramm, S. 33f.)
«Internationale Volksmotion» als Ersatz für verlorene politische Rechte?
Den Schlusspunkt zur Abschaffung der hochentwickelten und umfassenden politischen Rechte der Schweizerinnen und Schweizer auf allen drei Ebenen (Bund, Kanton, Gemeinde) setzt Demokratie-Experte Andreas Gross, der in der ganzen Welt herumreist und anderen Völkern erzählt, was direkte Demokratie ist: «Andi Gross reicht die Parlamentarische Initiative 09.417 zur Einführung einer internationalen Volksmotion ein. Mit einer von 20 000 Stimmberechtigten unterzeichneten Volksmotion soll dem Bundesrat der Auftrag erteilt werden können, auf internationaler Ebene in einer bestimmten Form tätig zu werden, sofern die Mehrheit der beiden Kammern der Volksmotion zustimmt, nachdem auch der Bundesrat zu deren Inhalt Stellung genommen hat.» (Europapolitische Agenda, S. 18)
Damit wäre die Schweiz endgültig in EU-kompatible Form gepresst: Mit einem blossen Petitionsrecht, also der unverbindlichen Bitte an die Behörden, etwas zu tun, sollen wir Schweizer abgespiesen werden, wenn die Brüsseler Zentrale an unserer Stelle die Rechtsetzung übernimmt? So nicht, ihr Herren von der SP-Parteileitung! Es ist zu hoffen, dass viele Sozialdemokraten gegen den Entwurf des Parteiprogramms und die Europapolitische Agenda Widerstand leisten. •
1 SP Schweiz, Parteiprogramm. Entwurf der Geschäftsleitung vom 26. März 2010
2 Vgl. dazu besonders auch «Europapolitische Agenda der SP-Fraktion vom 17. März 2009»
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