Montag, 15. März 2010

Die Schweiz mutiert zum Spitzel-Staat

Die Lauscher versuchen ihren nächsten Angriff

Von Jean-Martin Büttner, Bern.

Das Bundesamt für Polizei will massiv mehr Kompetenzen beim Überwachen, Aushorchen und Kontrollieren. Der geplante massive Eingriff in die Grundrechte der Bürger führt zu heftiger Kritik von allen Seiten.

Wer jemanden kennt, der Drogen nimmt, muss vielleicht schon bald damit rechnen, dass er in der Öffentlichkeit abgehört wird, weil sein Freund mit Drogen dealen könnte. Wer zu einer Organisation gehört, die irgendwann etwas Kriminelles anstellen könnte, wird allenfalls von der Kriminalpolizei des Bundes überwacht – ohne dass er es je erfährt. Und Privatpersonen sollen künftig als Spitzel eingesetzt und bezahlt werden, ohne dass bei einer allfälligen Klage transparent wird, wer diese Leute sind, die Informationen weitergeben.

Vor allem aber: Das alles soll passieren dürfen, noch bevor ein Ermittlungsverfahren eröffnet wird und bevor es zu einem ordentlichen Strafverfahren kommt. Die Überwachung, das Aushorchen und Fichieren der Bürger durch den Staat bleibt somit im Dunkeln.

Das jedenfalls fordert der Gesetzesentwurf für ein neues Polizeiaufgabengesetz, den das Justizdepartement von Eveline Widmer-Schlumpf – von den Medien unbeachtet – Ende November in die Vernehmlassung gegeben hat. Diese läuft heute Montag ab.

Das Parlament sagte schon nein

Die Kritik am Entwurf kommt von allen Seiten und fällt überwiegend hart aus. Das liegt zunächst daran, dass das Bundesamt für Polizei (Fedpol) mit diesem Gesetz nach Kompetenzen und Methoden verlangt, die aus dem zweiten Entwurf zu einem verschärften Staatsschutzgesetz stammen. Einem Entwurf also, den das Parlament bereits zurückgewiesen hat. Der NationaIrat trat gar nicht erst darauf ein, der Ständerat schickte die Vorlage an den Bundesrat zurück. Verschiedentlich kritisierte man den «grossen Lauschangriff» und verlangte, die Bürger müssten besser vor solchen Eingriffen geschützt werden.

Dennoch tauchen solche Forderungen im neuen Polizeigesetz wieder auf. So soll die Fedpol die Kompetenz erhalten, ohne konkreten Tatverdacht oder Strafverfahren Personen in der Öffentlichkeit zu überwachen, filmen oder abzuhören. Ohne Wissen der betreffenden Person können auch ihre Freunde oder Familie befragt werden. Die Bundespolizei soll selber und ohne externe Kontrolle entscheiden können, ob sie die überwachte Person benachrichtigen will oder nicht. Sie darf private Spitzel anwerben und auch bezahlen, ohne dass sichergestellt ist, ob deren Informationen auch stimmen.

Übernahme von Hooligan-Daten

Darüber hinaus verlangt die Bundespolizei noch weitere und weitreichende Kompetenzen. Wenn sie einen «begründeten Verdacht» hegt, der im Gesetzesentwurf nicht näher präzisiert wird, will sie auch Informationen über die politische Betätigung von Bürgerinnen und Bürgern sammeln dürfen. Und sie möchte die umstrittene Hooligan-Datenbank führen, für die eigentlich die Kantone vorgesehen waren. Die wichtigsten Parteien begrüssen es, dass der Bund verstreute Artikel, Bestimmungen und Verordnungen zu einem neuen Gesetz bündeln möchte. Damit ist es mit der Zustimmung allerdings bereits weitgehend vorbei. Die meisten finden, das neue Gesetz gebe der Bundespolizei zu weitreichende Kompetenzen, deren Kontrolle mangelhaft sei und die teilweise massiv in die Grundrechte der Bürger eingreife. Damit werde die Kantonshoheit über die Polizei hinterfragt, wenn nicht sogar ausser Kraft gesetzt.

Auch FDP und SVP dagegen

SVP und FDP lehnen den Entwurf in der vorliegenden Version rundweg ab. Die SVP befürchtet, dass der Bund die Polizeiaufgaben auf eine Weise zentralisiert, welche die kantonale Polizeihoheit beschneidet. Sie ist auch dagegen, dass die Schweiz internationale Polizei-Organisationen finanziell unterstützt.

Die FDP schreibt, der Entwurf bringe dem Bürger nichts. Auch sei es nicht sinnvoll, Teile des Staatsschutzgesetzes in das Polizeigesetz auszulagern. Die CVP wiederum bedauert, dass die kantonalen Gesetze und Sicherheitsorgane nicht vom Bund abgegrenzt und koordiniert werden. Die SP teilt mit, sie werde ihren Kommentar später einreichen.

Kantone gegen die Grenzwacht

Für die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren regelt das Gesetz nicht, was das Grenzwachtkorps darf, macht und bekommt. Dabei habe es einen eigenen Ordnungsdienst aufgebaut, der weit mehr dürfe als andere Polizeieinheiten des Bundes.

Der Verband der Schweizerischen Polizeibeamten stösst sich vor allem daran, dass Polizeiaufgaben zunehmend privatisiert würden. Der Bund müsse bindend und klar festlegen, wer wie in der privaten Sicherheit operieren kann – vor allem auch, welche Kompetenzen der Bund an solche Firmen delegiere und welche nicht. Zufrieden reagiert einzig die Vereinigung der Richterinnen und Richter.

Für Amnesty viel zu vage

Amnesty International und die Gruppe grundreche.ch kritisieren den Entwurf besonders scharf und ausführlich. Bei der Beschaffung von Informationen über Bürger, schreibt die Menschrechtsorganisation, werde die Unschuldsvermutung ausgehebelt. Was die Überwachung angeht, verlangt sie eine Bewilligungspflicht durch eine unabhängige Behörde. Die wichtigsten Bestimmungen seien generell zu vage formuliert. Zudem liessen die vielen Ausnahmebestimmungen den Behörden einen grossen Ermessensspielraum.

Die Gruppe grundrechte.ch kritisiert zudem, dass der Entwurf sich nicht auf die unmittelbare Gefahrenabwehr beschränke, sondern auf Störungen der Sicherheit und Ordnung, die theoretisch irgendwann in der Zukunft möglich wären. Damit könne die Bundespolizei schon im Vorfeld gegen Personen vorgehen, ohne dass klar werde, ob das Vorgehen verhältnismässig, nötig und angemessen sei.

Beide Organisationen finden auch, dass der bezahlte Einsatz von Privatpersonen als Spitzel die Gefahr von Missbräuchen erhöhe. «Eine Polizei, die so operieren darf», sagt Viktor Györffy von grundrechte.ch, «ist nicht mehr kontrollierbar».

Kein Kommentar vom Fedpol

Und was sagt das Bundesamt für Polizei zu dieser Kritik? Mediensprecher Stefan Kunfermann bat erst, die Fragen schriftlich einzugeben und schrieb dann zurück, das Fedpol werde die Vernehmlassung zuhanden des Bundesrates auswerten und die Resultate später veröffentlichen. «Einzelne Stellungnahmen kommentieren wir nicht.»

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