Freitag, 29. Januar 2010

Haiti: Hilfsaktion oder Invasion?

Wolfgang Effenberger

Die Situation im leidgeprüften Haiti ist von außen kaum gerecht zu beurteilen. Welchen Seiten darf man glauben? Den der US-Kampfunterstützungsagentur DISA (»Defense Information Systems Agency«) angeschlossenen »Embeded Journalists« oder den US-regierungskritischen »Embeded Workers« von »Democracy Now!« um Amy Goodman? Hilfreich wird hier ein Blick in die Geschichte und in die gültige US-Sicherheitsstrategie sein.
Ende des 19. Jahrhunderts begannen führende Industrielle und Politiker trotz starker isolationistischer Kräfte in den Kategorien einer Seemacht zu denken. Zum Schutz amerikanischer Interessen beorderte US-Präsident William McKinley das US-Kriegsschiff Maine nach Havanna (Kuba). Vor Anker liegend flog das Schiff mit einer gewaltigen Explosion in der Nacht zum 15. Februar 1898 unter mysteriösen Umständen in die Luft. 266 Mann der Besatzung wurden getötet. (1)

Trotz ungeklärter Ursache schürte die amerikanische Presse mit Joseph Pulitzer an der Spitze das Kriegsfeuer gegen Spanien. Bald hallte der Kriegsruf »Remember the Maine, and To Hell with Spain!« durch die USA und die Hallen des Kongresses.

Zwei Monate später erreichte der als »Progressive Era« bezeichnete Zeitraum (1890–1914) im Spanisch-Amerikanischen Krieg den ersten Höhepunkt. (2) Dieser Krieg stellte die Weichen für den heutigen US-Anspruch als globale Führungsmacht.

Auf der Website der amerikanischen Botschaft liest sich das nicht ganz so dramatisch: Nach diesem Krieg »übten die Vereinigten Staaten Kontrolle oder Einfluss aus auf Inseln in der Karibik, im mittleren Pazifik und in der Nähe des asiatischen Festlandes« (3). Bis heute wird die Einflussnahme mit militärischer Gewalt unterlegt.

Der Spanisch-Amerikanische Krieg bildete den Ausgangspunkt für eine koordinierte Militärverwaltung der USA, die im Joint Chiefs of Staff mündete. Nach der Kuba-Krise von 1962 entwickelten die USA eine Sicherheitsarchitektur für ganz Süd- und Mittelamerika. Es entstand das US-Regionalkommando US-Southern Command (SOUTHCOM). (4) Es ist verantwortlich für die Koordination und Führung aller militärischen Operationen der USA in Süd- und Mittelamerika sowie in der Karibik.

Seit 1914 will die amerikanische Einflussnahme in Haiti nicht abreißen. Als Präsident Woodrow Wilson die Inva­sion Haitis vorbereitete, die bis 1934 dauern sollte, bemerkte sein Außen­minister William Jennings Bryan: »Ach Gottchen, denken Sie nur – Nigger, die Französisch sprechen.« (5)

Haitis jüngere Geschichte ist eine traurige Abfolge gescheiterter Versuche, das Land zu entwickeln und in eine wahre Unabhängigkeit zu führen. Häufig litt Haiti unter Gewaltherrschern und Kleptokraten wie Francois Duvalier oder seinem 1986 aus dem Land vertriebenen Sohn Jean-Claude Duvalier (»Baby Doc«). Diese kriminelle Familiendiktatur wurde lange Zeit von den USA als antikommunistisches Bollwerk gegen Castros Kuba mit großzügigen Hilfen unterstützt. Zur Wahrung der eigenen Interessen scheute sich Washington nicht, sich mit Diktatoren der schlimmsten Sorte zu arrangieren.

Im Jahr 1994 schickten die USA Truppen ins Land, um Jean-Bertrand Aristide wieder in das Präsidentenamt zu heben. Nachdem er die Erwartungen nicht erfüllte, landeten 2004 wieder US-Truppen, die den ehemaligen Zögling in das südafrikanische Asyl verfrachteten. Eingesetzt wurde René Preval, der erwartungsgemäß den beispiellosen Einsatz der US-Truppen lobt.

Als Gegenstück zur der US-dominierten »Gesamtamerikanischen Freihandelszone« (ALCA) gründete Venezuelas Präsident Hugo Chávez im gleichen Jahr mit seinem damaligen kubanischen Amtskollegen Fidel Castro die »Bolivarische Allianz für Amerika« (ALBA). Die nach dem südamerikanischen Freiheitshelden Simón Bolívar (»El Libertador«, 1783–1830) benannte Allianz will durch ALBA-Fonds vor allem auch soziale Projekte fördern. Port-au-Prince profitierte von dem Vertrag bisher durch den Bau eines Stromkraftwerks, Hilfe beim Bau von Häusern, Entwicklung der Landwirtschaft und medizinischer Hilfe.

Anfang Mai 2006 folgte mit dem zwischen Venezuela, Bolivien und Kuba geschlossenen Freihandelsabkommen Tratado de Comercio de los Pueblos (TCP) ein weiterer Schritt, das Projekt ALBA zu verwirklichen. Der Handelsvertrag sieht unter anderem die Abschaffung der Zölle auf bestimmte Güter im Warenverkehr der drei Länder vor. Kuba zahlt mit Ärzten und Lehrern, Venezuela mit Öl. Alles folgt der bekannten Philosophie des ALBA-Projekts: Handel zwischen Mitgliedsländern soll durch kooperative Hilfe statt komparative Vorteile bestimmt werden.

Mit Bolivien entstand ein Dreieck der Länder mit den größten Öl- und Gasvorkommen Lateinamerikas. Hatte die Welt bisher die Zusammenarbeit zwischen den letzten sozialistischen Länder Venezuela und Kuba eher belächelt, wurde ALBA mit diesem Schritt ein ernst zu nehmender Gegner. Ein Gegner, der die geostrategischen Pläne der USA für diese Region durchaus zur Makulatur werden lassen könnte.

Eine weitere finanzpolitische Zusammenarbeit wurde auf dem 8. ALBA-Gipfel Mitte Dezember 2009 angekündigt. Ab dem 1. Januar 2010 wollen die ALBA-Staaten das »Unitäre System regionaler Kompensation« (SUCRE) in Kraft setzen. Mit der »virtuelle Währung« SUCRE soll der Handel zwischen den ALBA-Ländern (6) künftig direkt und nicht mehr in US-Dollar erfolgen. Das soll die Abhängigkeit von den USA schwächen und die Region zugleich von den Folgen der Weltwirtschaftskrise schützen.

Auf dieser Konferenz sah Venezuelas Präsident Hugo Chávez »Zeichen einer Offensive« der USA. Dies sei seiner Meinung nach an dem Putsch gegen die letzte demokratisch gewählte Regierung von Manuel Zelaya in Honduras sowie an der zunehmenden Militarisierung Lateinamerikas durch die USA auszumachen. Tatsächlich waren zu diesem Zeitpunkt in Haiti über die UN-Stabilisierungsmission (MINUSTAH) und dem US-Regionalkommando SOUTHCOM an die 20.000 Soldaten fremder Länder stationiert – bei einer Bevölkerung von neun Millionen! Dagegen kommen im umkämpften Afghanistan 70.000 US- und NATO-Soldaten auf eine Bevölkerung von 28 Millionen.

Ein Heritage-Foundation-Bericht unterstreicht zwei Tage nach der Katastrophe den Führungsanspruch der USA und weist auf die Motive von Amerikas Mission in Haiti hin: »Das Erdbeben hat sowohl humanitäre als auch amerikanische Staatssicherheitsimplikationen, die eine schnelle Antwort verlangen, die nicht nur kühn, aber entscheidend ist.« (7) Diese Aussage steht im Einklang mit der von US-Präsidenten Bill Clinton 1994 verabschiedeten Präsidentendirektive (PDD 25). (8) Sie wurde nach dem Scheitern der UN-Intervention in Somalia verabschiedet und verbietet jede Unterstellung von US-Truppen unter einen Oberbefehl der UNO. Friedensmissionen der UN werden an enge Restriktionen gebunden. Vor dem Eingreifen sind folgenden Fragen zu beantworten: Fördert die Intervention amerikanische Interessen? Sind die Ziele der Intervention klar definiert? Was kostet das Unternehmen? Gibt es für den Fall des Misserfolgs eine Exit-Strategie?

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass nach dem verheerenden Beben vom 12. Januar 2010 mit über 150.000 Opfern die Hilfsmaßnahmen der USA besonders kritisch beobachtet wurden.

Angesichts des aufmarschierten Flottenverbandes (9) versuchte Michel Chossudovsky die Frage zu beantworten: humanitäre Operation oder Invasion? (10)

Als Hauptakteur der »humanitären Operation« sieht er das Außenministerium mit dem Anhängsel U.S. Agency for International Development (USAID) an vorderster Front, während das Verteidigungsministerium die gesamte Operation über den Befehlsbereich SOUTHCOM leitet. Mit dem Hauptquartier in Miami und vielen amerikanischen Militäranlagen überall in Lateinamerika soll sichergestellt werden, dass in dieser Region die USA jederzeit zur Sicherung ihrer geostrategischen Interessen eingreifen können. Liberal-nationale und pro-amerikanische Regierungen können mit Washingtons Unterstützung rechnen. Die zentrale Lage Haitis im karibischen Raum dürfte in den geopolitischen Zielen des Pentagons eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen – kann doch von hier aus gegen Kuba und Venezuela operiert werden. Aus dieser Befürchtung heraus protestierten nach dem Erdbeben in Haiti die ALBA-Länder gegen die US-Strategie, und Boliviens Präsident Evo Morales forderte wegen der militärischen Besetzung Haitis durch die USA eine Sondersitzung der Organisation der Vereinten Nationen (UNO).

Auch darf es nicht überraschen, wenn Venezuelas Präsident die USA verdächtigt, das Erdbeben selbst verursacht zu haben.

Dem Nachrichten-Portal Fox-News zufolge glaube der Staatschef von Venezuela, dass die amerikanischen Streitkräfte eine experimentelle Waffe getestet haben, die Erdstöße erzeugt und auch Wetteranomalien wie Überflutungen und Wirbelstürme hervorrufen kann. (11)

Diese Möglichkeit existiert tatsächlich. Ein schon im Jahr 1999 erschienener EU-Bericht (12) hält unter Punkt 27 das klimabeeinträchtigende US-Forschungsprojekt HAARP (High Frequency Active Auroral Research Project) wegen »der weitreichenden Umweltauswirkungen für eine globale Angelegenheit« und fordert, die »rechtlichen, ökologischen und ethischen Auswirkungen von einem unabhängigen internationalen Organ untersuchen zu lassen, bevor weitere Forschungsarbeiten und Versuche stattfinden«. Diese EU-Forderung wurde bislang ignoriert.

Mittels HAARP kann ein fest umrissenes Gebiet millionenfach stärker mit Energie aufgeladen werden, als mit irgendeiner anderen herkömmlichen Energiequelle. Diese Energie lässt sich auch auf bewegliche Ziele ausrichten, u.a. auf feindliche Raketen. Die Möglichkeiten einer derartigen auf elektromagnetischen Wellen beruhenden »Öko-Waffe« hat schon 1997 der US-Verteidigungsminister William S. Cohen in einem öffentlichen Briefing aufgezählt: Klimaveränderung, Erdbeben und Vulkantätigkeit.

Angesichts der Existenz derartiger Waffen und der immanenten Einflussnahme durch die USA sind solche Verdächtigungen durchaus verständlich. Auch sollte der Vorwurf, dass die USA die Tragödie auf Haiti nutzen, um unter dem Deckmantel der humanitären Hilfe die Karibikinsel zu besetzen, nicht vorschnell in die Lächerlichkeit gezogen werden.

Die Folgen dieses Erdbebens hätten nicht so verheerend sein müssen, wenn sich die USA schon früher ernsthaft und uneigennützig um systematische Verbesserungen in Haiti bemüht hätten. Amerika muss erkennen, dass seine Verantwortung für Haiti über eine einfache Katastrophenhilfe hinausgeht. Hoffentlich nutzen die USA diese Tragödie, um ihre bisherigen beschämenden Einmischungen und böswilligen Vernachlässigungen ihres unmittelbaren Nachbarlands wieder gut zu machen.
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Anmerkungen:

(1) Erst 1950 klärt die US-Marine die wahre Ursache der Maine-Tragödie auf: ein Heizkessel war explodiert.

(2) Der Krieg ging als Splendid Little War in die US-amerikanische Geschichte ein und endete mit der Besetzung Kubas, Puerto Ricos, Guams und der Philippinen durch die USA. Der damalige Außenminister John Hay bezeichnete diesen Krieg als Splendid Little War, den man mit den besten Absichten begonnen und mit großartiger Intelligenz sowie in großartigem Geist weitergeführt habe.

(3) US-Botschaft in Berlin, unter http://usa.usembassy.de/geschichte-growth.htm vom 26. Janauar 2009.

(4) Das US Southern Command wurde 1963 aktiviert und entstand aus dem 1947 aufgestellten US Carbbean Command und ist Teil des 2001 reformierten Unified-Combatant-Command-System.

(5) Kreye, Andrian: »Napoleons Schmach. Die Wurzeln des Elends: Haiti bezahlt immer noch für seine Befreiung«, in Süddeutsche Zeitung vom 19. Januar 2010.

(6) Heute umfasst das Bündnis zudem die Staaten Bolivien, Ecuador, Nicaragua, Dominica, San Vincent und die Grenadinen sowie Antigua und Barbuda.

(7) Roberts, James M./Walser, Ray: American Leadership Necessary to Assist After Devasting Earthquake, Heritage Foundation, January 14, 2010.

(8) Presidential Decision Directive No. 25 vom Mai 1994; Vgl. White House: The Clinton Administration’s Policy on Reforming Multilateral Peace Operations, May 1994.

(9) Flugzeugträger USS Carl Vinson, Zerstörer USS Normandy, Fregatte USS Underwood, Hospitalschiff USNS Comfort sowie drei Landungsschiffe.

(10) Chossudovsky, Michel: »The Militarization of Emergency Aid to Haiti: Is it a Humanitarian Operation or an Invasion?« in Global Research vom 15. Januar 2010.

(11) Nachrichten-Portal Fox-News, unter http://www.foxnews.com/story/0,2933,583588,00.html.

(12) Olsson, Karl Erik: EU-BERICHT vom 14. Januar 1999 über Umwelt, Sicherheit und Außenpolitik, aufgerufen unter http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+REPORT+A4-1999-0005+0+DOC+XML+V0//DE; siehe auch den Artikel von Wolfgang Effenberger »Klimakiller Nummer 1 – das Militär«, Kopp-Online-Informationsdienst.

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