Dienstag, 6. November 2007

The Truman Show

Erschaffen der Wirklichkeit, Beherrschen der Welt

von Bernd Zywietz

All die noblen, meist amerikanisch apostrophierten Werte und Überzeugungen laufen ins Leere: die Wahrheit (und damit Gerechtigkeit), die am Ende siegt; das standhafte Individuum, dass sich gegen Täuschung durchsetzt etc. Allein ein Blick auf das Element der Technik im Film THE TRUMAN SHOW, einem Kernpunkt der SF, straft diese Ideale Lüge. Denn nicht trotz aller Technologie, die für (oder gegen) ihn aufgebracht wird, überwindet Truman seinen Käfig sondern wegen ihr, genauer gesagt: dank ihrer Mangelhaftigkeit. Es ist der herabstürzende Scheinwerfer am Beginn, der das Misstrauen weckt, und das Autoradio, das die falsche Frequenz einfängt, verstärkt es. Oder mit anderen Worten: Wenn bloß genügend Kameras vorhanden gewesen wären, mehr und besser ausgebildete Schauspieler (die z.B. auch Boote hätte steuern können), oder wenn gar die künstliche Welt unter der Kuppel groß genug gewesen wäre (sagen wir, so groß wie der Planet Erde?) um einem Entdecker Raum zu bieten, bis hin zu den Fidschi-Inseln – wie wäre es dann um das Durchbrechen der Illusion bestellt gewesen? Was Niccol mit seinem ganz eigenen paranoiden Szenario darlegt, ist, dass Wirklichkeit und Simulation primär nichts unterscheidet als der Grad ihrer (technischen) Perfektion. Niccol bewegt sich hier ganz auf dem konstruktivistischen Terrain, wo die Wahrnehmung vor dem Sein gesetzt ist.

Nun bedeutet Konstruktivismus (ebenso wie Baudrillards Simulation und Simulakren) freilich mehr als das Errichten einer enormen Kulisse, in der jemand ohne Wissen lebt, sondern es geht um Sinnreferenzen und Referenzlosigkeit sowie (gesellschaftliche) Wirklichkeitsmodelle, die "subjektgebunden, aber nicht subjektiv sind im Sinne von willkürlich, intentional oder relativistisch", und dies, "weil die Individuen bei ihrer Wirklichkeitskonstruktion [...] immer schon zu spät kommen." (Siegfried Schmidt)

Bei Orwell/Radford basiert die Bildermacht und ihre Manipulation als Propaganda auf direktem, bewusst intentionalem Nutzen. Sie dienen dem totalitären System zur Gleichschaltung, zur Kontrolle. In THE TRUMAN SHOW herrscht hingegen eine andere, eine stärkere, unbewusste und unsichtbare Medien-Macht: Sie ist ein Selbstläufer. Verselbständigt etabliert sie kognitive Strukturen und funktionale Bedeutungen. Geht es in 1984 um ein Instrument zur Aufrechterhaltung eines Status von Macht, welches damit über die gewollte Ordnung, für die es steht, durschau- und angreifbar ist, bedeutet das, was die unbewusste und -intendierte 'Propaganda' der Truman-Show im Film darstellt, letztlich Ausdruck bzw. Hervorbrechen latenter Modellstrukturen zu "Wissensordnung für Problemlösungen" (Schmidt). Die Truman-Show stellt die Folge und Reaktion einer anthropologischen Entwicklung dar, die Befriedigung eines Bedürfnisses. Das 'Konservieren' Trumans ist gleichbedeutend einem kultischen Akt. Allerdings wird weniger einem Gott 'geopfert' um sich dessen zu vergewissern als (was verleibend dem am nächsten kommt) der menschlichen Ursprünglichkeit, der Authentizität. Jean Baudrillard zieht nach Seahaven. Gerade das macht auch die SF aus: Zu zeigen, "wie der Mensch von heute mit der Technik von morgen in einer Gesellschaft von gestern lebt." (G. Seeßlen) Fortschritt in den Rückschritt, medial technisierte Archaismus. Die – mehrheitlich satirisch gedeutete – Selbstverständlichkeit des menschenunwürdigen Missbrauchs eines Individuums im Film ist dafür bezeichnend. Ein politisches Engagement Sylvias für die Befreiung Trumans wird da höchstens als übliche politische Spinnerei, auf die mit Unverständnis zu reagieren ist, gewertet.

Als Hollywood-Film versagt THE TRUMAN SHOW also bei näherem Hinsehen dem Zuschauer das abschließenden Wohlgefühl, um etwas viel komplexerem, beängstigenderem Platz zu machen.

Wobei vielleicht Jean Baudrillard nicht in Seahaven lebt, ein Ferienhäuschen hat er dort aber sicher.

(Dieser Beitrag ist ein gekürzter Auszug aus einer Hausarbeit des Verfassers über die Filme Andrew Niccols.)

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