Mittwoch, 2. Januar 2008

Der schleichende Abbau der direkten Demokratie - die tiefgreifende Umwälzung der Gesellschaft

Neujahrsansprache 2008
Bern, 31.12.2007 - Pascal Couchepin, Bundespräsident Embargo: Dienstag, 1. Januar 2008, 12.00 Uhr

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger
verehrte Damen und Herren

Mit dem Jahr 2007 ging die 47. Legislatur seit der Gründung unseres modernen Bundesstaates im Jahre 1848 zu Ende. 2007 war auch ein Wahljahr: das Parlament und der Bundesrat wurden neu gewählt.

Beide Behörden haben wichtige Veränderungen erfahren, gemessen an der erlebten jahrzehntelangen grossen Stabilität in unserem Land. Diese Veränderungen haben Stellungnahmen ausgelöst, welche die kommenden vier Jahre prägen und darüber hinaus wirken werden.

Ich erwähne hier diese Tatsachen, die Sie alle kennen, um zwei Schlussfolgerungen damit zu verknüpfen.

Erstens: Die moderne Schweiz hat schon eine lange Geschichte. Nun folgte in dieser Geschichte aber nicht einfach ein friedliches Jahr auf das andere, und mit einem Male waren da Wohlstand, Demokratie und das harmonische Zusammenleben von sprachlich, religiös und sozial unterschiedlichen Gemeinschaften.

Nein! Unser Land hat immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Weltanschauungen und politischen Standpunkten erlebt und tiefgreifende Umwälzungen der Gesellschaft erfahren.


Kurz: Die Schweiz hat sich wie ein lebendiges Wesen zu dem gemacht, was sie heute ist, indem sie um ihre eigene Identität gekämpft hat, indem sie mit andern Nationen zusammengearbeitet hat, indem sie sich in ihrem Innern radikal verändert hat.

Denken wir nur zum Beispiel daran, wie in den letzten fünfzig Jahren aus der stark ländlich geprägten Schweiz eine urbane Schweiz geworden ist. Oder an die wirtschaftlichen Veränderungen: Ganze Industriezweige sind verschwunden und haben Wirtschaftszweigen Platz gemacht, die leistungsfähiger sind und sich auf die Herausforderungen der heutigen Zeit besser einstellen können.

Die einmal erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten gingen dabei nicht einfach verloren, sondern haben vielmehr die Entwicklung neuer Wirtschaftszweige erst möglich gemacht. Unser Land kennt deshalb die tiefsten Arbeitslosenzahlen unter den Industrieländern. Wegen seiner hohen Bereitschaft und Fähigkeit, sich zu verändern, hat unser Land einen grossen Wohlstand erlangt. Und gleichzeitig hat unsere Gesellschaft an Zusammenhalt und Solidarität gewonnen.

Ja, es stimmt: Die Schweiz war schon immer ein Land in Bewegung, im Wandel. Die Veränderungen, welche die letzte Legislatur und insbesondere deren Endphase gebracht haben, sind - geschichtlich betrachtet - keine ausserordentliche Erscheinung.

Die zweite Schlussfolgerung, die ich heute aus den jüngsten politischen Ereignissen in unserem Land ziehen möchte, ist die Fähigkeit der Schweizerinnen und Schweizer, nach Phasen der sozialen Spannungen und der politischen Auseinandersetzung immer wieder zusammenzustehen.

Die Episode - halb historisch und halb der Welt der Legenden zugehörig - von der Kappeler Milchsuppe rührt uns ans Herz, weckt unsere Einbildungskraft und spricht zum Verstand. Im Jahre 1529, während der Religionskriege, verbrüderten sich die Soldaten der beiden verfeindeten Heere rund um einen grossen Suppenkessel und zwangen damit ihre Befehlshaber, im gemeinsamen Interesse aller Frieden zu schliessen.

Fortbestand und Veränderung, das Nebeneinander dieser beiden Entwicklungen ist selbstverständlich. Von ihm leben zahllose Stammtischreden. Aber es gibt historische Momente, in denen Fortbestand und Veränderung unmittelbar erfahrbar und erlebbar werden. Dies beweist, dass unser Land, unsere Institutionen, unsere politische Kultur lebendig sind.

Weitere Veränderungen sind jedoch nötig. Wir müssen darauf achten, dass wir den nachfolgenden Generationen ein solides Staatswesen übergeben, finanziell gesund und fähig, langfristig das zu halten, was es im sozialen Bereich und im Bereich der Bildung versprochen hat. Zusammen mit den andern Ländern müssen wir den Herausforderungen des Klimawandels mit intelligenten Massnahmen entgegentreten.
Wir brauchen wirksame Ansätze zur Lösung des nach wie vor gigantischen Problems der Armut in der Welt.

Die Ziele sind bekannt. Die politischen Instrumente, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen, werden Gegenstand öffentlicher Debatten sein. Und diese Debatten müssen in Entscheidungen münden.

Ich wünsche mir, dass Sie das Jahr 2008 mit Vertrauen und Zuversicht angehen können. Sorgen wir dafür, dass die beginnende neue Legislatur Früchte trägt, dank der Mitarbeit und dem Engagement aller.

Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen, dass Sie im neuen Jahr viel persönliche Befriedigung finden. Dass Sie überall - in Ihrer Familie, in Ihrem Freundeskreis, im Quartier, in dem Sie leben, in Ihrer Gemeinde, in Ihrem Kanton, in unserem Land, an dem wir alle gemeinsam bauen - eine solidarische Gemeinschaft erfahren mögen, welche zukunftsoffen und gastfreundlich ist.
Herausgeber:

Generalsekretariat EDI
Internet: http://www.edi.admin.ch

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