Donnerstag, 31. Dezember 2009

Hafid Quardiri - sein Kampf für den Islam

Der undurchsichtige Herr Ouardiri

Wer ist der Mann, der beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Klage gegen das Ja zur Minarett-Abstimmung einreichen will?

Von Stéphane Zindel

Über Hafid Ouardiri gibt es erstaunlich wenig Informationen, vor allem gesicherte Informationen, obwohl der ehemalige Sprecher der Moschee von Genf seit Jahren eine omnipräsente Persönlichkeit in der Westschweizer Öffentlichkeit ist. Dort gilt er als Personifizierung des toleranten, offenen, gut integrierten Islam, die sich um ein friedliches Zusammenleben zwischen den Religionen bemüht. Seit dem Ja zur Minarett-Initiative wird er sogar international wahrgenommen. Erst recht, nachdem er letzte Woche medienwirksam als Erster die Einreichung eines Rekurses gegen das vom Schweizervolk beschlossene Minarettbauverbot beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg ankündigte.

Gesichert scheint, dass Ouardiri in Algerien geboren ist, dass er 63 Jahre alt ist und nach der Unabhängigkeit von Algerien (1962) nach Europa zog. Ungeklärt ist hingegen, wann er in die Schweiz kam. Vor kurzem sagte Ouardiri, er sei seit 42 Jahren im Land (also seit 1967). 2005 vertraute er aber einem Le Temps-Journalisten an, dass er im Mai 1968 «vor Genf» in Paris war und sich dort an Demonstrationen beteiligte.

Ob er Franzose, Schweizer oder beides ist, ist unklar, ebenfalls sein Wohnort. Laut verschiedenen Gerüchten lebt Ouardiri gar nicht in Genf, sondern an zwei unterschiedlichen Adressen im Kanton Waadt und in Frankreich. Die erste Wohnung liegt in einem hübschen Mehrfamilienhaus in einem Dorf, das etwa 15 Kilometer von Genf entfernt ist. Dieses Appartement ist als Zweitwohnung registriert. Ein Antrag Ouardiris, diese künftig als Hauptwohnung zu nehmen, sei aber vor kurzem eingegangen, heisst es bei den lokalen Behörden.

Kein gesicherter Schweizer Wohnort

Ob sich die aktuelle Hauptwohnung in Frankreich befindet – sie soll in der Nähe von Annemasse liegen –, kann nicht geklärt werden. Wenn ja, würde das plausibel erklären, wieso Ouardiri seine Wohnung im Kanton Waadt zur Hauptwohnung umregistrieren lassen will. Lebte er nicht in der Schweiz, würde das seine – sowieso schon mässigen – Erfolgschancen in Strassburg nicht gerade erhöhen.

Auf solch «bedeutungslose» und «merkwürdige» Fragen, die seine «Intimität» und seine «Privatsphäre» verletzen würden, will Ouardiri nicht eingehen. Einen mit der Weltwoche bereits vereinbarten Termin lässt er platzen mit der Begründung, ein Porträt über ihn interessiere doch «keinen vernünftigen Menschen». «Ich engagiere mich für das ‹Zwischenwissen›, den Dialog, die Solidarität und die Gerechtigkeit für den Frieden», sagt Ouardiri. Alles andere sei nur «Geschwätz». «Meine Zeit ist knapp, und ich brauche sie, um nachzudenken, zu handeln und an einer besseren Welt zu arbeiten. Das ist dringend!»

Merkwürdigerweise war in der Westschweizer Presse noch nie ein grösseres, gutes Porträt über ihn zu lesen. Einige pikante Details sickerten nur dank «anonymen», an die lokalen Medien zugespielten Informationen durch, nachdem er von der – durch Saudi-Arabien finanzierten – Genfer Moschee 2007 gefeuert worden war und seinen ehemaligen Arbeitgeber arbeitsrechtlich verklagt hatte – anscheinend ohne Erfolg. So soll er sich 1968 nicht nur in Paris, sondern auch in Lyon ausgetobt haben und dabei wegen seiner Rolle 1972 zu mehr als vier Jahren hinter Gittern verurteilt worden sein. Ouardiri gab die Verurteilung zu, bestritt aber, mehr als 29 Tage abgesessen zu haben. Die genauen Umstände bleiben unklar.

Ungereimtheiten beim Abgang
Mit «anonymen» Informationen wurde in der Presse auch in Frage gestellt, ob Ouardiri einen Abschluss in Soziologie und Anthropologie besitze, wie er es lange suggerierte. Ein klares Dementi oder eine Bestätigung hat er dazu nie geliefert. Es gibt auch zwei Versionen, wie es zwischen den Geldgebern der Moschee und Ouardiri (und drei weiteren Angestellten) 2007 zum Krach kam. Ouardiri sagt, dass der neu ernannte Direktor eine inhaltliche «Radikalisierung» im Betrieb der Moschee erreichen wollte und sich deshalb von den «liberalen Kräften» trennte. Die neue Direktion machte finanzielle Ungereimtheiten geltend. In der obersten Etage seien etwas gar hohe Löhne bezahlt worden.

Wovon Ouardiri heute lebt, ist unklar. Seine einzige bekannte Tätigkeit ist die Leitung des Sekretariats einer Stiftung, die offiziell den interreligiösen Dialog fördert (Fondation de l’Entre-Connaissance). Was sie konkret macht und wie sie finanziert wird, ist aus ihrer Homepage kaum zu entnehmen. Geschäftsberichte werden keine publiziert. Die Stiftung besitzt bescheidene Räumlichkeiten in Genf. Ihr Zweck scheint hauptsächlich darin zu liegen, Ouardiri weiterhin mit einer offiziellen Funktion zu schmücken, die es ihm halbwegs erlaubt, im Namen der Muslime öffentlich Stellung zu beziehen.

Vor allem dank seinem Kommunikationstalent und seinem äusserst freundlichen Umgang mit unkritischen Journalisten gelingt es ihm immer wieder, im Gespräch zu bleiben. In den letzten Monaten schaffte er es sogar, von den Beamten in Bern ernst genommen zu werden. Seine Stiftung ist eine von nur drei muslimischen Organisationen (die zwei anderen sind echte Dachorganisationen), die am letzten Montag von Eveline Widmer-Schlumpf in Bern empfangen wurden, um über die Konsequenzen der Annahme der Minarett-Initiative zu diskutieren. Ein erstes Treffen in der gleichen Zusammensetzung gab es im September. Wieso ausgerechnet eine so schwach legitimierte Stiftung wie die von Ouardiri als Gesprächspartner gewählt wurde, konnte EJPD-Sprecherin Brigitte Hauser nicht begründen.

Hasstiraden gegen Israel

Ebenso rätselhaft ist, wieso Ouardiri weitgehend als aufgeklärter, toleranter und offener Muslim gilt. «Sobald man sich nicht mehr auf seine verblümten, unverbindlichen Floskeln konzentriert, sondern auf das, was er wirklich sagt – oder nicht sagt –, wird die Sache sofort klar: Ouardiri ist ein doppelzüngiger Integrist», sagt Mireille Vallette, langjährige Journalistin der Tribune de Genève und Autorin des Buchs «Islamophobie ou légitime défiance?».

Natürlich war Ouardiri damals auch hell empört über die Mohammed-Karikaturen. An erster Front war er auch, als es in Genf in den vergangenen zehn Jahren zweimal darum ging, die öffentliche Lesung eines Textes von Voltaire, der französischen Personifizierung der Aufklärung, zu verbieten. Geht es um Israel, lösen sich bei Ouardiri die Sprüche über Toleranz und Frieden ziemlich schnell in Luft auf. Im Januar sagte er an einer Demonstration, dass «der zionistische Staat [. . .] Nazimethoden» anwende. 2006 verlautete er sogar, dass die «militärischen Diktatoren des hebräischen Staates» in Gaza einen «Genozid» verüben würden.
Eine Episode aus dem Jahr 1989, als Ouardiri quasi noch unbekannt war, sagt besonders viel aus über seine Funktionsweise. In Frankreich war eine Debatte über den muslimischen Schleier in der Schule entbrannt. Eine Journalistin von L’illustré wollte wissen, wie es an den schweizerischen Schulen aussehe. Ouardiri, damals Sprecher der Genfer Moschee, präsentierte ihr zwei Mädchen (13- und 14-jährig). Sie versicherten ihr, dass sie den Schleier in der Schulklasse trügen, «aus Scham und weil wir die Religion respektieren». «Niemand zwingt uns dazu. Wenn wir ihn nicht mehr tragen könnten, wären wir sehr traurig.» Etwas suspekt fand die Journalistin aber Ouardiris heftigen Protest gegen ein Foto der beiden Mädchen mit der gesamten Schulklasse. Sie fand schliesslich heraus, dass sich in Tat und Wahrheit die beiden Mädchen wie alle anderen Schülerinnen kleideten: Jeans, Turnschuhe, kein Schleier. Die Mädchen gaben zu, gelogen zu haben, weil «Herr Ouardiri» gedacht haben soll, dass dieses Beispiel für andere Frauen ein Ansporn sein könnte, auch den Schleier zu tragen. Ouardiri erklärte die Lüge anders: Die Mädchen hätten unbedingt auf einem Foto in L’illustré erscheinen wollen.

Erschienen in der Weltwoche Ausgabe 52-53/09

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