Freitag, 2. Januar 2009

Schutz für Whistle-Blower

Alles weist darauf hin, dass der Polizist, der den Fall Nef durch eine Indiskretion auffliegen liess, im Interesse der Allgemeinheit handelte. Trotzdem läuft er Gefahr, bestraft zu werden. Ein neues Gesetz soll dies ändern.

Von Daniel Jositsch

Im Fall Roland Nef soll ein Polizist, der in eine frühere Strafuntersuchung gegen den ehemaligen Armeechef involviert war, der Sonntagszeitung die Kopie eines Polizeijournals zugespielt haben. Damit wurden die Stalking-Vorwürfe gegen Nef publik, obwohl die Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen diesen wegen Nötigung eingestellt hat. Das «Leck» führte schliesslich zum Rücktritt des Armeechefs. Vieles deutet darauf hin, dass der Polizist zu dieser Massnahme griff, weil er den Verdacht hatte, dass der Armeechef «von ganz oben» protegiert werde. Aufgrund seiner Aktenkenntnisse war er offenbar auch davon überzeugt, dass Nef nicht die charakterliche Eignung für diese hohe Position mitbrachte.

Wer im Militär ein Fehlverhalten meldet, gilt als «Kameradenschwein».

Die Staatsanwaltschaft I in Zürich hat die Herausgabe der Akten an die Presse nun als Amtsgeheimnisverletzung gewertet und Anklage gegen den Polizisten erhoben. Der Angeklagte bestreitet jede Schuld. Das Gericht wird jetzt nicht nur die Frage überprüfen müssen, ob der Polizist die Akten überhaupt herausgab. Falls es diese Frage bejaht, muss es überdies prüfen, ob er dies in guten Treuen tat.
Hier liegt der klassische Fall eines sogenannten Whistle-Blower vor: Eine Person hat aufgrund ihrer Tätigkeit oder Position Kenntnis von unlauteren Machenschaften und bringt dies den Vorgesetzten, den Behörden oder allenfalls eben den Medien zur Kenntnis.
Bei den meisten Delikten gibt es ein konkretes Opfer, das eine Möglichkeit und ein Interesse hat, die Tat anzuzeigen. Daneben gibt es aber auch Delikte wie Bestechung, Geldwäscherei oder Begünstigung, bei denen es oft keinen unmittelbar Betroffenen gibt. Bei diesen sogenannt opferlosen Delikten ist die Dunkelziffer naturgemäss hoch. Häufig ist man hier darauf angewiesen, dass ein Insider, ein Whistle-Blower eben, aus dem betroffenen System heraustritt und den Verdacht meldet.
Die gesellschaftliche Akzeptanz von Whistle-Blowern steht umgekehrt proportional zu ihrer Bedeutung für die Strafverfolgung. Am Informanten, der zum System gehört und zugleich dessen Mängel aufdeckt, klebt der Makel des Nestbeschmutzers und Verräters. Bereits im Kindergarten lernen wir, dass man nicht täderlet, und wer im Militär ein Fehlverhalten meldet, gilt als «Kameradenschwein». Solange hier kein Kulturwandel stattgefunden hat, geraten Whistle-Blower fast zwangsläufig in gesellschaftliches Abseits.
Diesem Dilemma sind auch die Politik und die Justiz ausgesetzt. Das Bundesgericht hat die Meinung vertreten, dass Whistle-Blower, die an die Öffentlichkeit treten, unlauter handeln und, sofern nicht besondere Gründe vorliegen, entlassen werden können. Erst ein parlamentarischer Vorstoss des ehemaligen SP-Nationalrats Remo Gysin rüttelte die politisch Verantwortlichen auf.

Einsicht bei der Regierung

Nachdem sich der Bundesrat zunächst geweigert hatte, das Problem aufzugreifen, wurde er vom Parlament gezwungen, sich der Sache anzunehmen. Mittlerweile ist die Regierung immerhin zur Einsicht gelangt, dass Whistle-Blower vor Entlassung zu schützen sind; eine entsprechende Vorlage liegt vor. Doch von einem wirklichen Umdenken sind wir noch weit entfernt.
Dem Zürcher Polizisten, der nun einen Strafprozess über sich ergehen lassen muss, haben wir einiges zu verdanken. Aufgrund seiner Insiderkenntnisse erkannte er, was mittlerweile auch die parlamentarische Untersuchungskommission festgestellt hat: dass die Ernennung von Roland Nef zum Armeechef erfolgte, ohne dass die Verantwortlichen das gegen diesen laufende Strafverfahren abgeklärt hatten. Der Fehler lag zum Teil im System, aber nicht nur. Man schien auf Seiten der Verantwortlichen ganz einfach davon auszugehen, dass es sich beim Verfahren um eine Privatangelegenheit Nefs handelte, die für dessen Position als oberster Militär ohne Bedeutung sei. Hätte man die Akten konsultiert, wäre man wohl zu einem anderen Schluss gekommen.

Roland Nef, so muss aus allem geschlossen werden, was bekannt ist, bestreitet nicht, seine ehemalige Partnerin massiv belästigt zu haben. Das Stalking soll so weit gegangen sein, dass er sogar erfundene Sex-Annoncen im Namen seiner ehemaligen Partnerin im Internet veröffentlichte. Eingestellt wurde das Verfahren lediglich, weil die Geschädigte nach Bezahlung einer Wiedergutmachung ihre Anzeige zurückzog. Das ist nach neuer Rechtslage grundsätzlich möglich, wenngleich im konkreten Fall höchst fragwürdig (siehe Weltwoche Nr. 32/08, «Der verflixte Artikel 53»).
Nach Bekanntwerden der Hintergründe des Strafverfahrens war offenbar für alle klar, dass ein Armeechef mit einer derartigen Vorgeschichte nicht tragbar ist; auch wenn er dafür nicht verurteilt wurde. Dass der Polizist angesichts seiner Insiderkenntnisse zur Einsicht gelangte, dass hier ein Mann in die oberste Führung der Armee gewählt werden sollte, an dessen charakterlicher Eignung mindestens erhebliche Zweifel bestehen, ist nachvollziehbar. Verständlich ist aber auch, dass – als der Polizist sah, dass sich von den für die Wahl des Armeechefs Verantwortlichen niemand für diese Hintergründe zu interessieren schien und das Strafverfahren gegen Nef eingestellt werden sollte – in ihm der Verdacht wach wurde, hier gehe nicht alles mit rechten Dingen zu.
Soweit die Sachlage bekannt ist, muss dem Polizeibeamten attestiert werden, dass er verantwortlich gehandelt und öffentliche Interessen wahrgenommen hat. Man mag nun einwenden, der Polizeibeamte hätte nicht gerade an die Öffentlichkeit treten müssen, er hätte sich an Vorgesetzte oder an die Verantwortlichen des Bundes wenden können. Es ist durchaus richtig, dass der Schritt an die Medien auch für Whistle-Blower das letzte Mittel sein muss. Im speziellen Fall des Armeechefs Nef bestehen erhebliche Zweifel, ob ein alternativer Weg denkbar gewesen wäre.
Einerseits ging der Polizeibeamte davon aus, dass eben gerade die zu informierenden Stellen nicht an seinen Informationen interessiert waren. Gemäss seinen bisherigen Erfahrungen durfte er auch annehmen, dass er sich mit solchen Informationen unter Umständen erheblichen persönlichen Nachteilen ausgesetzt hätte. In einer solchen Situation kann der (verdeckte) Schritt an die Öffentlichkeit der einzig mögliche Ausweg sein. Dabei ist zu berücksichtigen, dass vom Whistle-Blower nicht erwartet werden kann, dass er die Sachlage zunächst umfassend abklärt; sein begründeter und plausibler Verdacht, es bestehe Protektion von oben, muss genügen.

Wahrung höherer Interessen

Nun könnte man weiter einwenden, das Strafrecht sehe halt einmal vor, dass diejenigen, die ein Amtsgeheimnis preisgeben, zu bestrafen sind. Das stimmt nur bedingt. Auch wenn der betreffende Polizeibeamte objektiv den Tatbestand der Amtsgeheimnisverletzung erfüllt hat, muss er sich damit nicht unbedingt strafbar gemacht haben. Das Strafrecht kennt sogenannte Rechtfertigungsgründe, gemäss denen ein strafbares Verhalten zu einem rechtmässigen wird.

Explizit im Gesetz vorgesehen ist etwa der Rechtfertigungsgrund der Notwehr. Ebenfalls anerkannt ist die Rechtfertigung bei einer Person, die etwa eine Amtsgeheimnisverletzung begeht, um höhere Interessen zu wahren. Nach dem bisherigen Kenntnisstand kann davon ausgegangen werden, dass der Stadtpolizist, der die Informationen an die Sonntagszeitung weitergegeben hat, dies getan hat, um genau solche Interessen zu schützen.
Wie das hängige Verfahren ausgeht, ist offen. Der angeklagte Polizist hat gute Aussichten auf einen Freispruch, doch er läuft Gefahr, seine Existenz zu ruinieren. Eine weitergehende gesetzliche Regelung zum Schutz von Whistle-Blowern wäre deshalb dringend nötig. Potenzielle Informanten, die sich hier und heute überlegen, ob sie zum Wohl der Allgemeinheit Informationen weitergeben wollen, riskieren nach allen bisherigen Erfahrungen sehr viel. Die Justiz läuft andererseits Gefahr, indirekt Missetäter zu schützen, die sich auf die Angst von Mitwissern vor den hohen Risiken eines Strafverfahrens verlassen können.

Daniel Jositsch ist Professor für Strafrecht an der Universität Zürich und SP-Nationalrat.
Erschienen in der Weltwoche Ausgabe 01/09

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