Mittwoch, 24. September 2008

Eine Zukunft ohne WTO

von Reinhard Koradi, Dietlikon

Warum lassen sich die Völker eine Wirtschaftsform aufzwingen, die ihnen jede Entscheidungs- und Handlungsfreiheit in bezug auf die Gestaltung ihrer Wirtschafts- und damit auch Gesellschaftspolitik raubt?
Es darf doch nicht sein, dass Regierungen, Volksvertreter, Bürgerinnen und Bürger sich kleinmütig dem Diktat der WTO (Welthandelsorganisation) unterwerfen. Einer Organisation, die sich vorbehaltlos in den Dienst der Reichen und der transnationalen Konzerne stellt, müssten – abgestimmt auf die grundlegenden Bedürfnisse nationaler Volkswirtschaften – klare Grenzen gesetzt werden. Der von der WTO rücksichtslos vorangetriebene globale Freihandel bedroht die Lebensgrundlagen der einzelnen Völker und verletzt deren Selbstbestimmungsrecht aufs Gröbste.
Dennoch preisen die Regierungs- und Interessenvertreter den Freihandel und die damit verbundene Liberalisierung der Produktion und Vermarktung von Gütern und Dienstleistungen als Wunderwaffe gegen Hunger und Armut. Wohlstand durch Wirtschaftswachstum wird propagiert. Doch wir sehen ein anderes, sehr düsteres Bild. Die Reichen werden reicher, Hunger und Armut zerstören Leben und erfassen immer mehr Menschen. Der innovationsfördernde Wettbewerb zwischen den unterschiedlichen Wirtschaftssystemen der Nationen (Marktwirtschaft, soziale Marktwirtschaft, demokratische oder diktatorische Systeme) wird ausgeschaltet. Anstelle eines effektiven Leistungs- und Qualitätswettbewerbs tritt ein Nivellierungs- und Harmonisierungsprozess, der jeden Fortschritt abwürgt und Mensch und Natur verarmen lässt. Die Strukturen einer lebendigen, menschenwürdigen Wettbewerbswirtschaft (heterogene Betriebsgrössen und Branchenstruktur in überblickbaren Räumen) werden durch die von den Finanzströmen ausgelösten Flutwellen weggespült und die Märkte durch transnationale Konzerne monopolisiert.
Wirtschaft für die Menschen

In den vergangenen Jahren verdrängte die Kapitalwirtschaft die Volkswirtschaft. Das auf die Bedürfnisse der Menschen ausgerichtete Wirtschaften innerhalb der Nationalstaaten (was übrigens wirtschaftliche Aktivitäten über die Grenzen nicht ausschliesst) muss­­te einem einseitig auf Reichtumsförderung ausgerichteten neoliberalen Wirtschaftssystem weichen. Dabei fand ein tiefgreifender Wertewandel statt. Neu hat der Mensch der Wirtschaft als Produktions- und Konsumfaktor zu dienen. Wer als Wirtschaftssubjekt den ökonomischen Anforderungen nicht gerecht werden kann, wird ausgemustert. Alles Leben soll kommerziell genutzt und effizienter werden. Institutionen und Arbeitsbereiche, die das Gemeinwohl und den Zusammenhalt unter den Menschen als oberstes Ziel verfolgten, werden durch Reformen und Umstrukturierung marktfähig gemacht. Vor allem die Grundversorgung, die der Existenzsicherung aller Menschen dient, soll der Kontrolle durch das Volk entzogen und dem Markt zugeführt werden. Der Staat und die Gemeinden wären nicht in der Lage, Unternehmen wirtschaftlich zu führen, argumentieren die neoliberalen Geister und fordern daher, die Grundversorgung privaten Unternehmen zu überlassen. Eine Argumentation, die als verdeckter Angriff auf die Nationalstaaten entlarvt werden muss. Eine intakte und leistungsfähige Grundversorgung stärkt die Zusammengehörigkeit und Solidarität unter den Menschen und bildet damit den «notwendigen Kitt» innerhalb der Nationen.
Die neoliberale Wirtschaftstheorie sieht in der Grundversorgung jedoch nur einen Zukunftsmarkt mit erheblichem Wachstums­potential. Private Unternehmen – vor allem deren Kapitalgeber – verfolgen allein das Ziel, die Grundversorgung in ihre Gewalt zu bekommen, um sehr schnell sehr reich zu werden. Damit steht die Privatisierung der Grundversorgung in einem eklatanten Widerspruch zur öffentlichen Aufgabe, allen Menschen, unabhängig von ihrer Kaufkraft, Produkte und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Die Gewinnmaximierung durch Monopole löst die demokratische Forderung nach Mitbestimmung, Chancengleichheit, Solidarität und Subsidiarität ersatzlos auf. Der (Schulden-)Befreiungsschlag der Kommunen hält dann auch einer näheren Überprüfung nicht stand. Infrastruktur (Bahn, Post, Strassennetz usw.), Energie- und Wasserversorgung, Bildungs- und Gesundheitswesen gehören in die Hand des Staates. Die öffentliche Hand hat längst ihre Fähigkeit bewiesen, Unternehmen erfolgreich zu führen. Erfolg hat eben im Zusammenhang mit der Grundversorgung andere Massstäbe und wird allein durch die Kontrolle mündiger Bürger beurteilt. Es gibt bestimmt unzählige Beispiele, die die erfolgreiche Unternehmensführung durch die öffentliche Hand bestätigen.
Die Schweiz zum Beispiel, ein rohstoffarmes Land, hat ihre Wirtschaftskraft auf einer weitsichtigen und verantwortungsvollen Entwicklung des öffentlichen Sektors aufgebaut. Der freie Zugang der Bürger zu den existenzsichernden öffentlichen Gütern (der übrigens über Gebühren und Steuern der Bevölkerung finanziert wurde) festigte nicht nur den Zusammenhalt im Land, sondern öffnete auch den Raum für unternehmerisches Denken und Handeln. Mit der Grundversorgung wurde der Grundstein für eine wettbewerbsfähige Schweiz gelegt. Eine Wettbewerbsfähigkeit, deren Wurzeln unter anderem im Friedensabkommen zwischen den Sozialpartnern und der daraus entstehenden sozialen Sicherheit sowie der Leistungsbereitschaft und -fähigkeit der arbeitsfähigen Bevölkerung verankert sind. Werden diese Voraussetzungen noch durch Eigenverantwortung und Solidarität ergänzt, kann die Wirtschaft ihre Aufgabe innerhalb der Gemeinschaft erfüllen und zu einer Volkswirtschaft führen, die allen Menschen mehr Lebensqualität bringt. Höhere Lebensqualität für die Gesamtbevölkerung kann nur in überschaubarem, nationalem Rahmen verfolgt werden und bedingt eine national ausgerichtete Wirtschaftspolitik, die ernsthaft eine gerechte Einkommensverteilung, Vollbeschäftigung, Zukunftssicherung, stabile Preise und eine ausgeglichene Zahlungsbilanz anstrebt. Eine globale neoliberale Wirtschaftsordnung wird diesen Anforderungen nie gerecht. Es gibt daher nur einen Weg: Wir müssen der globalen neoliberalen Wirtschaftsordnung eine klare Absage erteilen.
WTO als Katalysator der Globalisierung ausschalten

Die Finanzwelt der Reichen hat in der WTO einen mächtigen Partner für die umfassende Kommerzialisierung der Welt gefunden. Dabei verlieren die Staaten ihre Gestaltungsmöglichkeiten und die Selbstbestimmung über die wirtschaftliche Ausrichtung ihrer Länder. Mit der Globalisierung und Privatisierung wird aber Volksvermögen geplündert. Public Private Partnership (Übernahme von öffentlichen Aufgaben durch Private) ist ein Trojanisches Pferd. Es entmündigt die Bürger, entlässt die Behörden aus der Verantwortung und vernichtet Volksvermögen. So werden nur zu oft staatliche Unternehmen zu Schleuderpreisen an Private verhökert. Meistens sind es dann Grosskonzerne, die über Energie-, Wasserversorgung, Bahnnetz, Spitäler und andere öffentliche Betriebe bestimmen. Statt Wettbewerb ernten die Bürger verlorene Mitbestimmung, höhere Abgaben und Tarife und erhebliche Qualitätseinbussen.
Daher ist es angebracht, der Privatisierung und Liberalisierung den Kampf anzusagen. Die Behörden sind aufzufordern, ihren Auftrag zur Grundversorgung ernst zu nehmen. Zumindest sind die sogenannt sensiblen Bereiche vom Einfluss der WTO zu befreien. Die Grundversorgung hat in den WTO-Verträgen keinen Platz. Es ist Aufgabe der Nationalstaaten, ihren Bürgern eine existenzsichernde Grundversorgung zu garantieren. Und sollte der Staat an Grenzen stossen, dann sind keine privaten Firmen, sondern die Bürger gefordert. Es gibt nämlich wohl kaum einen Bereich, der nicht im Rahmen einer Genossenschaft zum Wohl der betroffenen Menschen geführt werden kann. Eigenverantwortung, Solidarität und die Bereitschaft zur Selbsthilfe sind erfolgversprechender als der Ruf nach WTO-Zwängen und privaten Geldgebern. •

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