Freitag, 22. August 2008

Affäre Schmid / Nef

Narziss und Goldmund

Von Alex Baur und Urs Paul Engeler

Ein Gutachten bescheinigt Roland Nef narzisstische Störungen. Das relativiert seine Straftaten - und macht die Wahl zum Armeechef erst recht fragwürdig. Mit 400 000 Franken Schweigegeld will BDP-Bundesrat Samuel Schmid den Skandal aus der Welt schaffen.

Verteidigungsminister Samuel Schmid (BDP) will den gewaltigen Schaden, den er bei Personen, bei der Armee und anderen Institutionen angerichtet hat, möglichst schnell und möglichst leise beheben. Und zwar mit viel Steuergeld. Dem demissionierenden Armeechef Roland Nef will er noch bis Ende Februar 2009 den vollen Lohn bezahlen (rund 26 000 Franken monatlich) und zusätzliche zehn ­Monatstranchen «Entschädigung». Insgesamt soll der gestrauchelte Armeechef mit über 400 000 Franken für seinen Abgang belohnt werden, alles unter dem Vorbehalt, dass die parlamentarische Finanzdelegation nächste Woche den Deal absegnen wird. Besonders freuen darf den Korpskommandanten, dass ihm, gemäss Antrag Schmid, zudem rund 30 000 Franken als Entschädigung für seine Anwaltskosten zugesprochen werden sollen.
Während diese Zeilen gedruckt werden, wird der Bundesrat über das Geschäft beraten. Voraussichtlich wird darüber debattiert werden, ob die Entschädigung für den Rechtsbeistand als zusätzlicher Monatslohn kaschiert werden kann. Doch unter welchem Titel der Betrag auch verbucht wird, es dürfte den Juristen Nef nicht gross beissen. Er darf das Resultat, völlig zu Recht, als Schuldeingeständnis der Regierung, genauer des Chefs VBS, werten.

Polizeirazzia erfolgreich vereitelt

Tatsächlich ist die «Affäre Nef» – von der Suche nach einem neuen Chef der Armee bis zu seiner Vergoldung – ein «Skandal Schmid». Doch zu Ende geschrieben ist die unerfreuliche Geschichte noch lange nicht, die nun durch einen Griff in die Staatskasse vergessen gehen soll. Sie wird vielmehr zur Belastung für die ganze Regierung, die gemäss Ankündigung von Bundespräsident Pascal Couchepin (FDP) den angeschlagenen Verteidigungs­minister decken wird.

Die Unregelmässigkeiten begannen bereits im Herbst 2006, wenige Tage nachdem Nefs ehemalige Partnerin Anzeige wegen Nötigung (Stalking, Sexinserate und Sexkontakte im Internet) erstattet hatte. Die Stadtpolizei Zürich wollte, wie üblich in schweren Fällen, bei Roland Nef eine Hausdurchsuchung vornehmen. Abgesehen hatten es die Fahnder vor allem auf seinen Computer. Wie aus Polizeikreisen zu erfahren war, gab es vorweg Verzögerungen, weil Nef beruflich längere Zeit in Genf weilte. Zudem musste für die Beschlagnahmung des Laptops, der auch mit sensiblen militärischen Daten gefüttert war, die Einwilligung der Sektion Informations- und Objektschutz (IOS) im VBS eingeholt werden.

Für die Razzia in Nefs Wohnung war der Einsatz von mindestens acht Polizeibeamten vorgesehen. Aufgrund des Tatverdachts hatte man sich auch für eine irrationale Reaktion des (immerhin bewaffneten) Brigadiers gewappnet. Die bereits bis ins Detail geplante Polizei­aktion wurde auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Zürich kurzfristig und zur allgemeinen Verblüffung der Fahnder abgeblasen. Nef sei, so wollen die Polizisten erfahren haben, gewarnt worden und soll über seinen Anwalt angeboten haben, sich «freiwillig» zu stellen. Sein Haus und sein Arbeitsplatz wurden später trotzdem noch durchsucht. Der Überraschungseffekt war natürlich verpufft.

Wie aus Justizkreisen zu erfahren ist, war das VBS von allem Anfang an in die zivile Strafuntersuchung gegen Nef mit involviert. Und selbst wenn Schmids Juristen die Tatvorwürfe im Einzelnen nicht gekannt haben sollten, müssen sie zumindest erkannt haben, dass es nicht um eine Bagatelle ging. Denn wegen eines simplen Beziehungsknatsches werden auch in Zürich keine Razzien veranstaltet. Der ungewöhnliche Rückzieher der Staatsanwaltschaft stützt vielmehr den Verdacht, dass das VBS (über die Geheimabteilung IOS und den früheren Armeechef Christophe Keckeis) den aufstrebenden General Nef mit allen Mitteln schützen wollte. Dass die Razzia derart leicht verhindert werden konnte, dürfte dem notorisch misstrauischen Schmid die Sicherheit gegeben haben, dass das ganze Strafverfahren unter dem Deckel gehalten und diskret erledigt werden könne.

Diese These erklärt das merkwürdige Verhalten des Ministers, der dem Bundesrat und der Öffentlichkeit das hängige Strafverfahren gegen Nef verschwieg, über das er sehr wohl im Bild war. Schmid war sich offenkundig bereits am 8. Juni 2007, als der Bundesrat Nef ernannte, ganz sicher, dass das Verfahren eingestellt würde. Denn das Risiko der Peinlichkeit, Nef vor dessen Amtsantritt zurückziehen zu müssen, wäre der Berner, der sich immer absichert, nie eingegangen.

Über die Kollaboration des VBS mit der vierköpfigen Findungskommission und der Zürcher Staatsanwaltschaft verweigern alle in­volvierten Instanzen jede Auskunft. In einer früheren Anfrage der Weltwoche bestätigte Oberstaatsanwalt Andreas Brunner (parteilos) lediglich knapp, dass es «Kontakte zum VBS» gegeben habe. Heute sagen er und sein Stellvertreter Ulrich Arbenz (FDP) nichts mehr. Die fallführende Untersuchungsrichterin Judith Vogel (FDP) bat um eine schriftliche Zusammenfassung der aktuellen Recherchen der Weltwoche – und war, nachdem sie den Fragenkatalog erhalten hatte, nicht mehr erreichbar. Ebenso blieben beim VBS schriftlich gestellte Fragen unbeantwortet. In Schweigen hüllt sich auch der frühere Flüchtlingschef Peter Arbenz (FDP), Mitglied der von Schmid persönlich eingesetzten Findungskommission. Klarheit kann wohl erst der Bericht der Geschäftsprüfungskommission (GPK) bringen, welche die Umstände des Wahldebakels zu untersuchen hat.

Auf den ersten Blick erstaunlich ist, dass es noch bis zum 23. Oktober 2007 gedauert hat, bis das Verfahren eingestellt wurde. Grund dafür dürfte das gerichtspsychiatrische Gutachten sein. Die Analyse der Psyche Nefs könnte der Staatsanwaltschaft die Begründung geliefert haben, mit der sie die Strafverfolgung gegen den Brigadier zu den Akten legte.

Tatsächlich haben renommierte Strafrechtsexperten wie etwa Daniel Jositsch («Der verflixte Artikel 53», Weltwoche 32/08) sich ge­wundert, warum die gravierende Sache von öffentlicher Relevanz mit einer gütlichen ­Einigung der beiden Parteien (unter Zuhilfenahme einer fünfstelligen Summe) erledigt wurde. Artikel 53 des Strafgesetzbuches sieht vor, dass ein Verfahren beendet werden kann, wenn der Täter seine Verfehlungen eingesteht, wenn das Opfer mit der Einigung einverstanden ist und wenn drittens das Verschulden des Täters nicht allzu gravierend erscheint. «Man kann es drehen, wie man will», schreibt Jositsch, «nach dem, was öffentlich bekannt ist, geht die Einstellungsverfügung nicht auf».

Nicht bekannt war den Strafrechtlern, die aus den perfiden und sich über 18 Monate hinziehenden Nötigungsattacken Nefs auf ein schweres Verschulden schlossen, das psychiatrische Gutachten. Wie der Weltwoche aus Justizkreisen zugetragen wurde, diagnostizierte der Gutachter bei Nef eine narzisstische Störung. Aufgrund dieses psychiatrischen Befunds dürfte die Staatsanwaltschaft Nef eine verminderte Zurechnungsfähigkeit attestiert haben. Somit wäre auch sein individuelles Verschulden geringer einzustufen – was wiederum den Weg für eine Erledigung des Verfahrens hinter den Kulissen ebnete.
Nur: Die psychiatrische Diagnose, die dem forschen Brigadier im Strafverfahren dienlich gewesen sein mag, machte ihn definitiv ungeeignet zum obersten Chef der Armee. Aufgrund der Kontakte zwischen der Zürcher Staatsanwaltschaft und der VBS-Spitze ist davon auszugehen, dass das Departement und mit ihm das handverlesene Findungsquartett auch über dieses Gutachten informiert waren.

Die Gebrüder-Arbenz-Connection

Tatsache ist, dass Staatsanwältin Judith Vogel am 23. Oktober 2007 die Einstellungsverfügung erliess und dass sie diesen diffizilen Entscheid vorweg mit der Oberstaatsanwaltschaft absprach. Fakt ist weiter, dass die Staats­anwaltschaft I, der Vogel angehört, seit dem 1. September 2007 unter der Kontrolle von Oberstaatsanwalt Ulrich Arbenz steht. Womit sich ein weiterer kleiner Kreis schliesst: Ulrich ist der Bruder von Peter, der als Schmid-Freund bei der Wahl Nefs die Fäden zog. Zwar versichert die Oberstaatsanwaltschaft mehrfach (und ungefragt), Arbenz habe «mit dem Fall Nef nichts zu tun gehabt». Das mag formal stimmen. Doch die Annahme, dass im lediglich aus drei Oberstaatsanwälten bestehenden Kollegium das Dossier Nef intern nicht diskutiert wurde, wäre weltfremd.

Nachdem die Affäre aufgeflogen war, konnten Nef und sein Anwalt im Bundeshaus Ost mit der ultimativen Drohung einfahren: «Entweder gibt es einen Rücktritt oder dann zwei.» Die erste Variante hatte allerdings ihren Preis. Und der war in Anbetracht der Verstrickung des BDP-Bundesrates in die Manipulationen vor und nach der Wahl des Armeechefs nicht zu knapp. Wehrminister Schmid blieb, ausser der konsequenten Demission, nur die Zahlung eines Schweigegelds, das ohnehin Dritte zu ­berappen haben. Sofern kein Wunder passiert, wird der Gesamtbundesrat Schmids Ablasshandel beim Erscheinen dieses Artikels abgesegnet haben.

Die letzte Reaktion Schmids, lanciert über seinen Generalsekretär Markus Seiler (FDP) via die jüngste Ausgabe der Sonntagszeitung (SoZ), ist nur noch billigste Ausrede und Abschieben der Schuld. Sein Knecht Seiler, selbst Mitglied des gescheiterten Suchtrupps, wollte das Publikum glauben machen, Schmid sei von Nef systematisch an der Nase herumgeführt worden. Der VBS-Chef war erstens seit Frühjahr 2007 über das Strafverfahren im Bild, und er kannte seit dem 27.  Juni 2008, gut zwei Wochen vor der ersten Publikation durch die SoZ, die belastenden Polizeiprotokolle. Wenn Schmid nicht schon alles gewusst hat, was aufgrund seiner Reaktion («Wir haben Kenntnis von diesem Strafverfahren») anzunehmen ist, dann hätte er alle Zeit und alle Möglichkeiten gehabt, sich ins Bild zu setzen. Letztlich geht es dem politisch erledigten Verteidigungsminister mit dem Manöver nur noch darum, den Rest eines verlorenen Gesichts zu retten.

Schmid hat sich zulasten der Steuerzahler freigekauft, Nef ist zumindest finanziell entschädigt und lebt mit Frau und Stiefkind auf dem Land. Es fehlt in diesem Schmierenstück noch der Bösewicht. Die Zürcher Staatsanwaltschaft ermittelt nun mit allen Kräften gegen ein Dutzend Beamte der Stadtpolizei Zürich. Es kursiert der Verdacht, dass einer aus ihren Reihen der Sonntagszeitung die Protokolle zugesteckt hat. Es kam zu – diesmal überfall­artigen – Durchsuchungen der Büros und der Computer der betroffenen City-Wache. Offenbar lässt sich nachweisen, dass die publik gewordenen Journale aus dem Fahndungsprogramm «Police» stammen.

Zwar hat auch die Staatsanwaltschaft Zugriff auf dieses System. Doch die Ungereimtheiten und politisch motivierten (wie geargwöhnt wird) Machenschaften rund um den Fall Roland Nef sorgten schon seit geraumer Zeit für Unruhe und Ärger bei der Zürcher Stadtpolizei.

Gut möglich also, dass am Ende des grossen Skandals vor dem Richter ein aufrechter kleiner Fahnder steht, der es für seine Pflicht gehalten hat, das Land vor einem psychisch angeschlagenen Armeechef zu bewahren.

Keine Kommentare: