Samstag, 26. Juli 2008

Israel und Palästina - der ewige Krisenherd

Der Konflikt in Palästina – «ein riesiges Versäumnis der internationalen Gemeinschaft»
Interview mit Richard Falk*, UN-Sonderberichterstatter für die besetzten palästinensischen Gebiete

thk. An der achten Sitzung des Menschenrechtsrats in Genf trat der neugewählte Sonderberichterstatter über die Menschenrechtslage in Palästina und andere besetzte arabische Gebiete, der Amerikaner Richard Falk, zum ersten Mal vor dieses Gremium und hielt seine mit viel Spannung erwartete Antrittsrede. Bei seinen Ausführungen stützte sich Richard Falk auf den Report seines Amtsvorgängers John Dugard (siehe unten), der in den letzten vier Jahren die katastrophalen Zustände in den von Israel besetzten Gebieten in aller Deutlichkeit dargelegt hatte und nun das Mandat an Richard Falk übergab. Richard Falk, selbst jüdischer US-Bürger, wurde vor seiner Wahl zum Sonderberichterstatter an der Uno von Israel und den USA scharf attackiert, erhielt aber trotz heftigem Widerstand das Mandat.
In seiner Rede vor dem Menschenrechtsrat versicherte er, dass er sich mit aller Kraft für eine Verbesserung der Lebensbedingungen in den besetzten Gebieten und für eine Beendigung des Konflikts einsetzen will. Gleichzeitig gab er die Erweiterung seines Mandats bekannt, indem er die Menschenrechtsverletzungen der Palästinenser gegenüber den Israeli ebenfalls zum Gegenstand seiner Untersuchungen machen wird. Dabei liess er in der nachfolgenden Diskussion erkennen, dass er sehr wohl zwischen Besetzer und Besetzten zu unterscheiden weiss und auf keinen Fall die Opfer zu Tätern würden.
Nach dieser Rede und der anschliessenden Diskussion hatte «Zeit-Fragen» die Gelegenheit, Richard Falk zu einem Interview zu treffen, in dem er über die Situation im Nahen Osten, in Palästina und über die Gründe seiner Mandatserweiterung sprach.
Ein Friedensplan für den gesamten Nahen Osten

Zeit-Fragen: Die erste Frage soll einen Überblick ermöglichen. Der Konflikt zwischen Palästina und Israel ist nicht der einzige Krisenherd in dieser Region. Wie ist es möglich, ihn zu beenden, gibt es überhaupt eine Lösung für diese Region?

Richard Falk: Das ist eine weitreichende Frage, da sich die Situation in dieser Region allmählich verschlechtert hat, insbesondere während der Präsidentschaft von Bush. Eigentlich ist die ganze Region jetzt ein Kriegsgebiet. Ich denke, das beste Gegenmittel zu dieser Realität wäre, wenn man versuchte, einen konstruktiven Ansatz zu finden, indem man einen regionalen Sicherheitsrahmen schafft, in dem alle Regierungen der Region sich gegenseitig die Zusicherung geben, Konflikte friedlich zu lösen und einander nicht mit Gewaltanwendung zu drohen. Dass ein solches Unterfangen gelingt, würde auch von den USA abhängen, indem sie entweder diese regionale Vorgehensweise unterstützen oder sich in irgendeiner Art als nicht regionaler Teilnehmer neben anderen direkt daran beteiligen. Vielleicht könnten Russland, die USA, die EU beteiligt sein und vielleicht auch China und Indien. Ich denke, das ist eine lohnende Initiative.
Eine weitere könnte darin bestehen, alle Massenvernichtungswaffen in der Region abzuschaffen, einschliesslich des ­israelischen Atomwaffen-Arsenals. Dies würde uns auch im Hinblick auf die Probleme mit dem Irak und Iran ein gutes Stück voranbringen, die in den vergangenen Jahren oft als Vorwand für Aggressionskriege benutzt worden sind. Ich halte das für die ersten beiden Schritte, insbesondere, wenn sie mit dem Abzug der US-Truppen aus dem Irak koordiniert werden. Damit meine ich einen vollständigen und echten Abzug und nicht bloss eine «Verlegung» und darüber hinaus einen ohne dauerhafte Militärbasen jeglicher Art. Jede Art von militärischer Präsenz ist für mich inakzeptabel. Ich denke, auf der Grundlage dieser drei politischen Veränderungen müsste eine ausgewogenere Herangehensweise im israelisch - palästinensischen Konflikt möglich sein. Wenn diese vier Dinge geschehen oder beginnen würden zu geschehen, dann gäbe es Hoffnung, dass die Region wieder stabilisiert werden könnte. Und es mag verschiedene sachliche Bedingungen geben, die diese Art der Vorgehensweise begünstigen können, wie etwa die Sicherung des Ölpreises und eine Ausbreitung der US-Rezession auf die ganze Weltwirtschaft. Denkt man nur irgendwie rational über die Zukunft nach, dann müsste es das erste Ziel sein, Stabilität und Ordnung im Nahen Osten zu schaffen. Dies erfordert Gerechtigkeit für die Völker der Region und beginnt mit der Bewältigung der Notlage der Palästinenser und mit der Beendigung der Besetzung des Irak.
«Ist Israel überhaupt daran interessiert, die Gewalt zu reduzieren?»

Sie sind der neue Sonderberichterstatter für Palästina, und daher möchten wir die Sicht auf diesen Konflikt lenken. Wie würden Sie die Lebensbedingungen der Palästinenser beschreiben?

Ich kann darauf auf zwei verschiedene Arten antworten. Als Sonderberichterstatter habe ich nicht wirklich eine unabhängige Untersuchung zu diesem Punkt durchgeführt, so dass ich nicht wirklich in der Lage bin, diese gegenwärtigen Umstände zu kommentieren. Als besorgter Bürger bin ich schon lange beunruhigt über das Leiden des palästinensischen Volkes unter dieser historisch noch nie dagewesenen Besetzung, die nun seit mehr als vierzig Jahren andauert. In den vergangenen Monaten hatte ich den Eindruck, dass in Gaza die reale Gefahr einer humanitären Katastrophe besteht, vor allem als Resultat der Belagerung und der damit verbundenen, von Israel verfolgten Politik, seit die Hamas die Wahlen Anfang 2006 gewonnen hat. In einem gewissen Sinne stellen diese harten Lebensbedingungen selbst, auch wenn sie nicht zu massiven Todesopfern und zu Hunger führen, für die Menschen in Gaza ein tägliches Martyrium dar, das schon an sich eine Katastrophe ist. Die Sorge um das Schicksal der Bewohner Gazas ist nicht eine Sache der Zukunft. Sie existiert als gegenwärtige Realität, und die Weltgemeinschaft ist unverzeihlich langsam darin, die Ernsthaftigkeit der Situation zu erkennen und darauf zu reagieren.
Insbesondere die EU und mehr noch die USA sind durch das Hamas-Problem davon abgelenkt, sich mit dem Leiden der Menschen in Gaza und demjenigen der Palästinenser im allgemeinen zu befassen. Ich finde es schockierend, dass den wiederholten Angeboten der Hamas für einen langfristigen Waffenstillstand und ihren Bemühungen, die Gewalt und die gewalttätigen Interaktionen zwischen den beiden Völkern zu beenden, so wenig Beachtung geschenkt worden ist. Nach meinem Verständnis erklärte die Hamas trotz einer Reihe von israelischen Provokationen im ersten Jahr nach den Wahlen im Januar 2006 einen einseitigen Waffenstillstand und hielt ihn auch weitgehend ein. Während dieser Zeit hat Israel seine gezielten Erschiessungen und seine militärischen Einfälle in die palästinensischen Gebiete fortgesetzt. Daher muss man sich fragen, ob Israel überhaupt daran interessiert ist, die Gewalt zu reduzieren, die mit seiner sogenannten Sicherheitspolitik in den besetzten Gebieten verbunden ist.
Einen Staat für die Palästinenser

Wie ist es möglich, in dieser Situation zu helfen, um die Dinge zum Besseren zu ­wenden? Meine Frage basiert auf dem Hintergrund, dass Sie der Sonderberichterstatter für ­Palästina sind. Wie sehen Sie in diesem Kontext Ihre Aufgabe?

Ich denke, die Situation für das palästinensische Volk kann und muss sich verbessern.Es ist schwer, sich vorzustellen, dass diese gegenwärtige Realität unendlich so weitergeht. Gewöhnlich verschlechtern sich Situationen wie diese, wenn sie nicht verbessert werden. In diesem Sinne würde selbst eine blosse Fortführung der gegenwärtigen Struktur der Besetzung schon aus sich heraus eine Verschlechterung der humanitären Situation in Gaza und allgemein in den besetzten palästinensischen Gebieten hervorrufen. Zur gleichen Zeit ist es nahezu unmöglich, sich eine entscheidende Umstellung der israelischen Sicherheitspolitik vorzustellen, ohne einen wirklichen Wechsel in der politischen Führung in Israel oder als Ergebnis irgendeines bedeutsamen politischen Wechsels in der Politik der USA.
Keine von diesen Entwicklungen scheint aber gegenwärtig irgendwie wahrscheinlich. Unglücklicherweise scheinen die gegenwärtigen amerikanischen Präsidentschaftskandidaten nicht in der Lage zu sein, innovative Standpunkte im israelisch - palästinensischen Konflikt zu unterbreiten. Das politische Klima macht die amerikanischen Politiker glauben, dass sie, um glaubwürdig zu sein, eine 110%ige Unterstützung für Israel zeigen müssten, unabhängig davon, wie sich dieses Land verhält. Das ist sehr entmutigend bezüglich dessen, was wir von Washington in naher Zukunft erwarten können. Um zu vermeiden, dass wir der Verzweiflung und dem Zynismus erliegen, sollten wir einige Überraschungen der jüngeren Geschichte zur Kenntnis nehmen, die alle vernünftigen Erwartungen übertroffen haben.
Die gewaltfreie Beendigung des Apartheid-Systems in Südafrika war ein utopisches Projekt, bis sie stattfand. Eine weisse Rassisten­elite regierte das Land mit eiserner Hand. Es sah aus, als ob sie niemals diese Vorgehensweise ändern würde, es sei denn, sie würde in einem bewaffneten Kampf besiegt und es käme dadurch zu einem Punkt, an dem sie die Apartheid nicht länger aufrechterhalten könnte. Was in sehr bemerkenswerter Weise erreicht wurde, war demgegenüber, die Pro-Apartheid-Regierung des Landes zu überzeugen, eine friedliche Niederlage der Apartheid zu akzeptieren, begleitet von Schritten in Richtung multirassische konstitutionelle Demokratie. Es gibt Israeli, die bereits, angeregt durch die südafrikanischen Erfahrungen, in diese Richtung denken und arbeiten.
Ich glaube, dass es Teil der Rolle meines Mandates ist, sowohl die Menschen in Israel, den USA, in Europa als auch sonstwo zu ermutigen, dass sie versuchen zu verstehen, dass es wirklich den langfristigen Interessen beider Völker entspricht, den Mut, die Weisheit und das Einfühlungsvermögen zu finden, dass sie sich voll und ganz dem Erreichen einer friedlichen Zukunft widmen. Es muss verstanden werden, dass je länger die Errichtung und die Ausweitung der israelischen Siedlungen in der West Bank sowie in und um Jerusalem herum und andere Aktivitäten, wie der Bau eines teuren Netzwerks von Verbindungen zwischen den Siedlungen in der West Bank und innerhalb der Grenzen von Israel vor 1967, weitergehen, es desto schwerer wird, sich eine Zwei-Staaten-Lösung vorzustellen, geschweige denn sie zu verwirklichen. Es scheint wenig Zweifel daran zu geben, dass Israels eigene Anstrengungen in den mehr als 40 Jahren, vor Ort Fakten zu schaffen, das untergraben haben, was bis heute als Israels Vorstellung von einer friedlichen Zukunft verkündet wird. Ein Palästinenser-Staat kann nicht nur zum Schein geschaffen werden, wenn Frieden sein soll. Er muss zumindest einen wirklich souveränen Staat darstellen, der in einer geo­graphischen Einheit in der Gesamtheit der West Bank existiert und an der Verwaltung von Jerusalem teilhat.
Völkerrecht bleibt Grundlage

Wir sprachen jetzt über die Situation in Palästina und die Möglichkeiten für einen Friedensprozess. Hier besteht die Asymmetrie der ganzen Problematik. Israel bricht offensichtlich seit Jahrzehnten das Völkerrecht und tritt das Humanitäre Völkerrecht mit Füssen. Ohne die Respektierung und Achtung dieser beiden Grundpfeiler wird ein Frieden in Palästina unmöglich sein. Wie beurteilen Sie dieses Faktum?

Ich denke, das Problem ist kompliziert und wichtig zugleich. Es ist kompliziert, weil sich Israel selbst als eine demokratische Gesellschaft, als ein politisches System darstellt, das der Rechtsstaatlichkeit sehr verpflichtet ist. Die Legitimität des israelischen Staates hängt von seiner Einhaltung der Grundsätze der rechtsstaatlichen Demokratie ab. Im Konflikt mit den Palästinensern ist sich die israelische Führung bewusst, dass das Völkerrecht in den wesentlichen Streitfragen auf der ­palästinensischen Seite ist (Rückzug aus dem 1967 besetzten Land, der Status der Siedlungen, die Ansprüche auf Jerusalem, die Rechte der palästinensischen Flüchtlinge). Bis heute hat die US-Regierung Israel bei allen diplomatischen Verhandlungen unterstützt, indem sie auf der Zurückweisung des Völkerrechts besteht. Dies läuft darauf hinaus vorzuschlagen, dass eine Lösung des Konflikts nicht auf der Basis der wechselseitigen Rechtspositionen der beiden Seiten, sondern eher auf der Basis ihrer jeweiligen Macht erfolgen solle.
Aus diesem Grund sollten Verhandlungen zwischen beiden Seiten voll die Realität vor Ort in Betracht ziehen und nicht auf den Voraussetzungen eines gerechten Friedens aufbauen, die entweder die Vereinten Nationen unterstützen oder die das Völkerrecht vorschreibt. Diese Einstellung hat eine Reihe von schädlichen Auswirkungen. Sie hat es verunmöglicht, ein für die Palästinenser akzeptables Verständnis von Frieden zu erreichen. Sie hat auf seiten der Palästinenser zudem den Eindruck hervorgerufen, dass es nutzlos ist, dass das Völkerrecht oder die Vereinten Nationen auf ihrer Seite sind. Sie leiden nach wie vor, die Leichen stapeln sich weiter und die ihnen zur Verfügung stehenden Gebiete werden weiterhin verkleinert, um sogar noch mehr Tatsachen vor Ort zu schaffen.
Alles in allem vermittelt diese Erfahrung den meisten Palästinensern die Botschaft, dass die einzige Art, Erfolge zu erzielen und eine unterdrückende Situation zu ändern, in der Zuflucht zur Gewalt besteht. Die Palästinenser schauen vor allem auf den Erfolg der Hizbollah, die Israel dazu brachte, sich aus dem Süden Libanons weitgehend zurückzuziehen und vergleichen dies mit ihrer eigenen Situation. Die internationale Gemeinschaft und besonders die USA vermitteln die Botschaft, dass das Völkerrecht den Schwachen in der Praxis nicht hilft. Es hilft den Mächtigen und den Unterdrückern dabei, den Widerstand gegen unterdrückende Verhältnisse zu diskreditieren.
Ausweitung des Mandats

In Ihrer Rede vor dem Rat erwähnten Sie die Ausweitung Ihres Mandats. Viele wollten im Rat wissen, warum Sie diese Ausweitung verlangen. Was ist der Grund dafür, welche Überlegungen stehen dahinter und wie ist der Zusammenhang mit dem Völkerrecht und den Menschenrechten?

Ich denke, es gibt sowohl einen prinzipiellen Grund als auch einen pragmatischen oder praktischen Grund. Der prinzipielle Grund besteht darin, dass man die Auseinandersetzung über das Thema Sicherheit und das Problem der Rechtsverletzungen durch die Besatzungspolitik nur verstehen kann, wenn man die rechtliche Argumentation Israels richtig einordnet, die das Argument der Sicherheit als Rechtfertigung für ihren Ansatz benutzt. Wie man mit dieser zentralen Frage umgeht, hängt von der Überlegung ab, in welchem Grad das Verhalten der Palästinenser es für Israel legal macht, sich so zu verhalten, wie es das tut.
Diese Art der ausgewogenen Untersuchung geht nicht von irgendeiner Symmetrie zwischen dem Besetzer und dem Besetzten oder zwischen den Opfern und ihren Unterdrückern aus. Tatsächlich deckt eine ausgewogene Untersuchung die reale Struktur der Asymmetrien auf eine glaubhaftere und effektivere Art auf und gibt eine faire Antwort auf die Behauptungen der Besatzungsmacht.
Der praktische Grund besteht darin, dass es für Apologeten auf seiten Israels und der USA zu einfach war, auf die Einseitigkeit des formalen Mandats zu verweisen und zu behaupten, diese Einseitigkeit diskreditiere nicht nur dieses Mandat im besonderen, sondern auch den Menschenrechtsrat und die Vereinten Nationen im allgemeinen. Es war eine sehr wirksame Art, die Substanz der palästinensischen Beschwerden zu umgehen, indem man immer dieselbe Leier von der Einseitigkeit des Mandats vorbrachte. Diese Kritik an dem Mandat hatte Erfolg damit, dass viel zuviel Aufmerksamkeit auf die verfahrenstechnischen Fragen gelenkt wurde, die mit der formalen Reichweite der Untersuchung zusammenhängen. Ich denke, dass es sowohl aus prinzipiellen als auch praktischen Gesichtspunkten angemessen war, dieses Thema zu Beginn meiner Ernennung anzusprechen. Ich wusste, dass dies eine delikate Frage darstellen würde, gebe jedoch zu, dass ich vorher nicht erkannt habe, wie kompliziert und schwierig es sein würde, meine Empfehlung zu übernehmen.

Wir möchten Ihnen an dieser Stelle ganz herzlich zu Ihrer Wahl zum Sonderberichterstatter für Palästina gratulieren. Der Widerstand von seiten der USA und Israel war immens, um so mehr hat es alle postiv überrascht, dass die Wahl auf Sie gefallen ist.

Ja, ich war in der Tat überrascht. Ich war mir sehr bewusst, dass Israel und die USA sich aktiv gegen meine Wahl stellten und über die Existenz des Mandats sowie über John ­Dugard, den letzten Mandatsträger, sehr aufgebracht waren. Es wurde mir berichtet, dass beide Regierungen sehr starken Einfluss ausübten, damit eine andere Art Person ernannt würde, und sie waren verärgert, dass diese Bemühungen fehlschlugen, als sie sich der Tatsache bewusst wurden, dass ich trotz ihrer Kampagne die Wahl des Human Rights Council (HCR) war. Ja, und deshalb war ich überrascht.

Vielen Dank, dass Sie sich für die Fragen Zeit genommen haben. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei Ihrem sehr anspruchsvollen Mandat. Vielen Dank.

Vielen Dank für die Fragen, vielen Dank. Ich möchte versuchen, für beide Völker das Beste zu tun, was mir möglich ist. Besonders die Palästinenser sind seit Jahren von der internationalen Gemeinschaft betrogen worden. Dieser Betrug ist mit dem Widerwillen verbunden, die besondere Verantwortung der internationalen Gemeinschaft zu akzeptieren, die von der Gründung Palästinas als britischem Mandat nach dem Ersten Weltkrieg herrührt. In einem grundsätzlichen Sinn ist das Mandat, das ich innehabe, zumindest eine symbolische Anerkennung dieser Verantwortung durch das System der Vereinten Nationen. •

(Übersetzung Zeit-Fragen)

*Richard Falk ist Jurist und Ökonom, Professor Emeritus für Internationales Recht und Politik an der Princeton University, Autor und Mitautor von mehr als 20 Büchern, Mitglied der Redaktionsleitung von The Nation und The Progressive und Präsident der Nuclear Age Peace Foundation. 2001 war er zusammen mit dem südafrikanischen Professor für Völkerrecht John Dugard und dem ehemaligen Aussenminister von Bangladesh, Kamal Hussein, Mitglied der Untersuchungskommission der Vereinten Nationen für die Palästinensischen Autonomiegebiete. Am 26. März 2008 ernannte ihn der Uno-Menschenrechtsrat zum Sonderermittler für die Aktionen Israels in den Palästinensischen Autonomiegebieten. Im Juni 2008 hat er diese Aufgabe vom Völkerrechts- und Apartheidexperten John Dugard übernommen.
Katastrophale humanitäre Situation in den besetzten Gebieten

thk. Der Vorgänger von Richard Falk im Amt des Sonderberichterstatters für Palästina, der Südafrikaner John Dugard, veröffentlichte im Januar 2008 seinen Bericht über die Lage in Palästina und stellte diesen in der März-­Session dem Menschrechtsrat vor. Im folgenden veröffentlichen wird drei Auszüge, die einen kleinen Einblick in die Situation in den Besetzten Palästinensischen Gebieten ermöglichen.

Der Bau der Mauer, die Erweiterung der Siedlungen, die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, die Zerstörung der Häuser sowie die militärischen Einfälle haben verheerende Auswirkungen auf Wirtschaft, Gesundheit, Bildung, Familienleben und Lebensstandard der Palästinenser in der West Bank. […] Die Armuts- und Arbeitslosigkeitsrate befindet sich auf dem bisher höchsten Stand, Gesundheit und Bildung werden durch militärische Einfälle, die Mauer und die Checkpoints untergraben. Das soziale Gefüge der Gesellschaft ist bedroht. […]
Tödliche Schikanen

Die Polykliniken haben nicht mehr genügend pädiatrische Antibiotika, und es fehlen ihnen 91 entscheidende Medikamente. Früher durften schwerkranke Patienten Gaza über die Grenzübergänge Rafah und Erez zur medizinischen Behandlung in Israel, der West Bank, Ägypten, Jordanien und weiteren Ländern verlassen. Der Grenzübergang Rafah ist jetzt vollständig geschlossen, und die israelischen Behörden verweigern mit Ausnahme «schwerster oder dringendster Fälle» allen anderen den Grenzübertritt.
Die Situation hat sich verschlechtert, seitdem Gaza zum feindlichen Territorium erklärt wurde. Die Weltgesundheitsorganisation berichtet, dass in der Zeit von Januar bis Mai 2007 89,4% der beantragten Passierscheine genehmigt wurden, während diese Zahl im Oktober 2007 auf 77,1% zurückgegangen ist. In der Folge führte dies zu einem drastischen Anstieg der Todesfälle: Gemäss der israelischen NGO «Physicians for Human Rights» starben 44 Personen als Folge eines durch die israelischen Behörden verweigerten oder verzögerten Zuganges zu medizinischer Behandlung; alleine 13 davon starben im November.
Mahmoud Abu Taha, ein 21jähriger Patient mit Magenkrebs, kam am 18. Oktober um 16 Uhr in Begleitung seines Vaters mit einem palästinensischen Notarztwagen am Grenzübergang Erez an. Die Einreise des Patienten wurde um 2½ Stunden verzögert. Nach dieser Zeit wurde sein Vater aufgefordert, auf die israelische Seite von Erez zu gehen. Sein Sohn, der Patient, wurde aufgefordert, mit einer Gehhilfe – nicht mit dem Notarztwagen – die Grenze zu passieren. Nachdem sie das Ende eines 500 Meter langen Tunnels erreicht hatten, wurde dem Sohn der Zugang verweigert, und der Vater wurde für 9 Tage vom israelischen Militär inhaftiert.
Am 28. Oktober, 10 Tage später, wurde eine zweite Ausreise für den Patienten bewilligt. Er wurde in ein israelisches Krankenhaus eingewiesen, wo er noch in derselben Nacht starb. […]
Verletzung des Völkerrechts

Zwar ist die Situation in der West Bank nicht so gravierend wie diejenige in Gaza, aber die Unterschiede sind nur gradueller Natur. Vielmehr ist, ähnlich der Situation in Gaza, die ernste humanitäre Lage in der West Bank weitgehend das Resultat von Verletzungen des Völkerrechts durch Israel. Gemäss dem internationalen Gerichtshof verletzt die Mauer Normen des Humanitären Völkerrechtes und der Menschenrechte; die Siedlungen verletzen die vierte Genfer Konvention; Grenzkontrollpunkte verletzen das in der Menschenrechtskonvention vereinbarte Recht auf freie Bewegungsfreiheit; die Zerstörung der Häuser verletzt die vierte Genfer Konvention; die humanitäre Krise in der West Bank wurde durch das israelische Einbehalten der palästinensischen Steuermittel und weitere Verletzungen des Völkerrechtes herbeigeführt.
Damit verstösst Israel gegen viele Rechte, die im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte festgelegt sind. In Gaza stellen Israels Handlungen eine unrechtmässige Kollektivbestrafung des ­paläs­tinensischen Volkes dar.

Quelle: «Human Rights Situation in Palestine and Other Occupied Arab Territories»,
Report A/HRC/7/17, 21. Januar 2008,
Human Rights Council

(Übersetzung Zeit-Fragen)
Protest gegen Bruch der Genfer Rotkreuzabkommen vom 12. August 1949
Israel zerstört die Sozialeinrichtungen von Hamas in der West Bank
Waisenkinder und Witwen

«Als Teil von Aktionen gegen die Hamas zerstört die Olmert-Regierung Waisenhäuser, Schulen und soziale Einrichtungen in der West Bank.
Es gibt keine anderen Institutionen an ihrer Stelle. Waisenkinder, Witwen und arme Leute werden einfach auf die Strasse geworfen.»
Verletzung des IV. Genfer Abkommens vom 12. August 1949

Mit diesem Vorgehen in der West Bank bricht die Olmert-Regierung geltendes Humanitäres Völkerrecht. So heisst es unter 4: «Geschützte Personen in den besetzten Gebieten:
a) Die geschützten Personen sollen im Rahmen des Möglichen weiterhin in normaler Weise leben können (IV, 47) […].
b) Die Besatzungsmacht soll besonders für das Schicksal der Kinder sorgen (IV, 50) […].
Allgemein gilt, dass die Behörden, die Verwaltungseinrichtungen sowie die privaten und öffentlichen Institutionen der besetzten Gebiete weiter funktionieren dürfen (IV, 54, 63, 64).»

Quelle: Aus einer Anzeige von Gush Shalom in «Haaretz» vom 11.7.2008

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