Donnerstag, 13. März 2008

Links-feministische Intrigen im Bundeshaus

Erfolgreichste Verschwörung seit Brutus

Von Markus Somm

Eveline Widmer-Schlumpf stand mit den Blocher-Abwählern offenbar dauernd in Verbindung. Die eigene Partei, die SVP, führte sie an der Nase herum, der Öffentlichkeit sagte sie die halbe Wahrheit. Das zeigt ein brisanter Dokumentarfilm des Schweizer Fernsehens.

Offenbar hat Eveline Widmer-Schlumpf vor ihrer Wahl in den Bundesrat viel enger mit der Sozialdemokratischen Partei (SP) kooperiert, als sie dies selbst in der Öffentlichkeit dargestellt hat. Das geht aus einem Dokumentarfilm des Schweizer Fernsehens hervor, der vergangene Woche ausgestrahlt worden ist. Bisher hat Widmer-Schlumpf (SVP) wiederholt betont, sie habe vor dem 12. Dezember, als sie überraschend statt Christoph Blocher gewählt worden war, nur «nebenbei» davon gehört, dass sie in Bern als mögliche Kandidatin gehandelt wurde. Am Dienstagabend vor der Wahl sei ihr per SMS von «einem Fraktionsmitglied aus einer anderen Fraktion» mitgeteilt worden, sie stehe zur Diskussion. Und einige Wochen vorher habe sie der Bündner Sozialdemokrat Andrea Hämmerle einmal darauf angesprochen, ob sie sich vorstellen könnte, gegen Blocher anzutreten. Das Gespräch fand am 20. November im Churer Hotel «Stern» statt, am traditionellen Treffen der Bündner Regierung mit den kantonalen Bundesparlamentariern. «Das sei für mich keine Option», habe sie ihm entgegnet, erzählte Widmer-Schlumpf an ihrer ersten Pressekonferenz als Bundesrätin – wenige Stunden, nachdem sie die Wahl am Donnerstagmorgen angenommen hatte. Von anderen Gesprächen mit der SP sagte sie nichts.

Offensichtlich gab es viel mehr Kontakte zwischen ihr und Andrea Hämmerle. Schon gegenüber der Südostschweiz hatte Hämmerle, vermutlich in einer Anwandlung von Triumphalismus, die Vorsicht des Verschwörers kurz abgestreift und angegeben, er habe am Samstag vor der Wahl ein zwanzigminütiges Telefongespräch mit Widmer-Schlumpf geführt. Nun zeigt der Dokumentarfilm des Journalisten Hansjürg Zumstein, dass Widmer-Schlumpf mit der SP, das heisst mit Hämmerle, in den entscheidenden Tagen permanent in Verbindung war. «Wir haben mit ihr ausgemacht», erzählt Ursula Wyss, Fraktionschefin der SP, vor der Kamera: «dass wir sie auf dem laufenden halten, was in Bundesbern passiert. Das war die Abmachung. Dass sie von uns direkt erfährt, wie es sich entwickelt, wie die Mehrheiten sich entwickeln. Das haben wir regelmässig [getan]. Sobald sich etwas verändert hat oder konkreter wurde, ist sie darüber informiert worden.»

Das ging so weit, dass Widmer-Schlumpf Hämmerle auch unterrichtete, wie ihre Gespräche mit der eigenen Partei verliefen: Kurz vor Mitternacht hatte Widmer-Schlumpf am Dienstag noch einmal mit dem damaligen SVP-Präsidenten Ueli Maurer telefoniert. Maurer im Film: «Ich habe sie gefragt, wie sie die Situation beurteile. So wie ich sie beurteile, habe sie morgen reelle Wahlchancen. .?.?. Sie habe auch schon so etwas gehört», sagte sie gemäss Maurer, um ihn dann zu beruhigen: «Ich müsse überhaupt keine Angst haben, dass sie so eine Wahl annehme. Sie wisse, was es heisse, in Bern ohne Fraktion zu politisieren.» Kaum hatte Widmer-Schlumpf aufgehängt, machte sie offenbar bei der SP Rückmeldung. Auf die Frage, ob sie von diesem Telefongespräch gewusst habe, antwortete Wyss lächelnd: «Das kann sein, dass ich das gewusst habe.» Es wirkt, als ob die SP-Fraktionschefin über eine eigene Parteifreundin redet. Wyss war besser informiert als Maurer selbst.

«Solide Garantie»

Was Widmer-Schlumpf und Hämmerle genau miteinander besprochen haben, wissen nur die Beteiligten selbst. Aber offenbar haben die beiden eine sehr unterschiedliche Wahrnehmung davon. Während die neue Bundesrätin den Eindruck erweckt, sie habe Hämmerle eine klar negative Botschaft übermittelt, war die SP im Gegensatz dazu schon früh überzeugt, dass sie mit Widmer-Schlumpf im Geschäft ist. Wyss: «Wir hatten jedenfalls dann den Eindruck, dass wir nicht aktiv nach Alternativen suchen müssen.» Die SP war sich ihrer Sache so sicher, dass sie sowohl die Grünen, die zögerten, als auch die CVP, die konfus war, für sich gewinnen konnte. Im Film sagt Christophe Darbellay, der Präsident der CVP: «Ich hatte eine solide Garantie, dass sie annehmen wird.» Welche Garantie? «Das möchte ich nicht sagen.» Obwohl er, wie er betont, nicht direkt mit ihr geredet hat. Hämmerle war die Schlüsselfigur: «Wir mussten uns», sagt Wyss, «hundertprozentig auf Hämmerle verlassen.» Was sich ausbezahlt hat. Mit andern Worten, Hämmerle und Widmer-Schlumpf haben sich sehr gut verstanden. Es ist schwer vorstellbar, dass sie ihm genau das gesagt hat, was sie heute gegenüber der Öffentlichkeit angibt.

Was stimmt? Zumstein, der fast unerträglich ausgewogen rapportiert, dabei laufend explosives Material auf den Tisch legt, wollte auch Widmer-Schlumpf Gelegenheit geben, diese Vorwürfe zu entschärfen. Vergeblich versuchte er, mit Widmer-Schlumpf zu sprechen. Nach mehreren E-Mails und Anfragen, die fast über einen Monat hinweg zwischen Fernsehen und EJPD hin und her gingen, sagte Pressesprecher Livio Zanolari Ende Januar definitiv ab. Widmer-Schlumpf möchte sich nicht mehr über die Ereignisse des 12. und 13. Dezember äussern. Auch gegenüber der Weltwoche wollte Zanolari keine Stellung nehmen. Offensichtlich glaubt die neue Justizministerin, sie könne die Sache aussitzen.

Womöglich täuscht sie sich. In der SVP ist der Film wie eine Streubombe eingeschlagen – mit maximalen Verletzungen in den Weichteilen. Man habe Dutzende von empörten Zuschriften erhalten, sagt der neue Generalsekretär Yves Bichsel. Der Druck ist gewaltig gewachsen, die Bündnerin nicht bloss aus der Fraktion auszuschliessen, sondern auch aus der Partei. Und zwar nur sie, nicht den Berner Samuel Schmid. Ein unverdächtiger Vertreter des Berner Flügels erzählt, die Stimmung sei mit diesem Film endgültig gekippt. Man spricht von klar «parteischädigendem» Verhalten. Einem Kennwort, dass es gemäss Statuten der Partei erlauben würde, die Justizministerin vor die Tür zu setzen. Laut Parteipräsident Toni Brunner prüft die SVP jetzt, welche juristischen Möglichkeiten vorhanden sind. Auf den ersten Blick scheint es, dass die SVP Schweiz gar nicht befugt ist, jemanden aus der Partei zu werfen, sondern das wäre Sache der Sektion. Ebenso lag der Parteileitung bisher viel daran, den internen Streit zu beenden und sich keine Blösse zu geben. Die Selbstzerfleischung der SVP ist ein Schauspiel, dem die Gegner mit wohliger Vorfreude entgegensehen.

Gleichzeitig fällt es vielen Leuten in der SVP schwer, das unloyale Verhalten der Bündnerin zu schlucken. Wohl keine andere Partei hätte sich das bieten lassen, es dürfte der SVP gar nichts anderes übrigbleiben als der Ausschluss. In der Geschichte des schweizerischen Parlamentarismus gibt es kein ähnlich gravierendes Beispiel. Als Otto Stich von den Bürgerlichen an Stelle der offiziellen SP-Kandidatin gewählt wurde, hatte er vorher die eigene Partei nicht an der Nase herumgeführt. Nachdem Felix Auer, der Königsmacher der FDP, ihn angefragt hatte, zog Stich den Telefonstecker aus und war für niemanden mehr zu sprechen. So konnte er auch niemanden anlügen. Einige Stunden vorher hatte Helmut Hubacher, der damalige SP-Präsident, einen anderen möglichen Sprengkandidaten – Walter Buser – davon abgebracht, indem er drohte, ihn aus der Partei zu werfen. «Du bist nichts mehr in der Partei, wenn du das machst!»

Flavio Cotti war von seiner Partei, der CVP, bereits offiziell als Kandidat für den Bundesrat nominiert worden, als Judith Stamm, die unterlegen war, immer noch für sich um Stimmen warb. «Sie terrorisierte die ganze Partei», erinnert sich ein einflussreicher Christdemokrat: «Schon das galt als ausserordentlich unloyal.»

Szenen des Verrats

Es mag sein, dass einzelne Protagonisten des angeblichen «Plan Scipio» (Darbellay) ihre Rolle nun allzu bedeutungsvoll darstellen. Besonders Wyss kann ihre diebische Freude schwer zügeln, und Darbellay gefällt sich als konspiratives Genie, das alle Fäden in den Händen hielt: der erfolgreichste Verschwörer seit Brutus. Dennoch bleibt der Film für Widmer-Schlumpf eine schwere Hypothek, besonders die visuellen Botschaften, die noch eindrücklicher wirken als die belastenden Aussagen der Verschwörer: Wie sie am Mittwochmorgen im Zug nach Bern sitzt und ihr Handy wie eine heisse Kartoffel an eine mitreisende Parteifreundin weiterreicht, um bloss nicht mit dem eigenen Parteipräsidenten Maurer reden zu müssen – kein Bild könnte besser zeigen, dass sie in diesem Moment gegen die eigene Partei steht. Das Fernsehteam war kurzfristig auf sie angesetzt worden, nachdem in Bern bereits durchgesickert war, dass sie als Kampfkandidatin zur Verfügung steht. Auf dem Weg nach Bern, verlegen lächelnd wie eine zu junge Frau, um der eigenen Partei die grösste Niederlage ihrer Geschichte beizufügen: Dieses Bild macht es unwahrscheinlich, dass sie mit der SVP je wieder in Frieden leben kann.

Wahllos eine Bundesrätin gewählt

Aber auch mit jenen, die sie gewählt haben, dürften sich die Beziehungen verkomplizieren. Man fragt sich, warum die SP oder die Grünen, aber auch die CVP Eveline Widmer-Schlumpf dermassen mutwillig in Schwierigkeiten bringen? Wollen sie sie bereits wieder abschiessen? Zum einen dürfte die reine Egozentrik gewisse Leute verleitet haben, sich vor die Kamera zu stellen und ihre Geheimpläne auszubreiten. Brutus gab keine Interviews. Erstaunlich offenherzig haben die Blocher-Abwähler in diesem Film ihre Motive offengelegt. Aus der Fraktionssitzung kurz vor der Wahl erzählt zum Beispiel Darbellay: «Ich habe den Namen Widmer-Schlumpf erwähnt und gesagt, wie man das schreibt.» Mit anderen Worten, da haben Christdemokraten eine Bundesrätin gewählt, die sie überhaupt nicht kannten. Oder Theres Frösch: «Eigentlich war das die Kirsche auf dem Dessert», freut sich die grüne Fraktionschefin über Widmer-Schlumpfs Wahl: «Es hätte ja auch jemand anders sein können, der mir etwas weniger nah steht, aber dass sie es war, fand ich ganz toll.» Die Freude über die Wahl einer Parteikollegin hätte nicht grösser sein können.

Zum andern signalisiert in diesem Film vor allem die SP, wo die Macht hockt: Widmer-Schlumpf ist von Seiten der SP erpressbar. Mit der blossen Andeutung, wenn nötig noch mehr Details aus den regen Telefongesprächen in Graubünden auszuplaudern, kann die SP Widmer-Schlumpf ihren Willen aufzwingen.

Der Film erreichte eine rekordhohe Einschaltquote von 643'000 Zuschauern, das bedeutet einen Marktanteil von gegen vierzig Prozent. Für einen politischen Dokumentarfilm an einem Donnerstagabend ist das aussergewöhnlich. Nach wie vor beschäftigen die Vorgänge vom 12. Dezember die Bevölkerung offenbar stark. Auch das ist eine schlechte Nachricht für Widmer-Schlumpf.

Quelle: www.weltwoche.ch

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