Peter Zihlmann
November 2012
 
In den letzten zwanzig Jahren hat 
sich unser Strafjustizsystem rapid verändert, immer mehr hat es sich 
losgekoppelt vom System, das Freiheitsstrafe dem Täter gemäss dessen Schuld an 
begangener Tat zumisst. Der Massstab war seit Jahrhunderten das Verschulden des 
Täters, das in der Tat und aus den Motiven, weswegen es zur Tat kam, zum 
Ausdruck kommt. Das Gesetz gab lediglich einen weiten Strafrahmen vor. Seit dem 
19. Jahrhundert ist Strafzumessung im Einzelfall verbunden mit einer Innenschau, 
einer Analyse der Psyche des Täters. Strafe setzte Schuld und daher auch die 
Schuldfähigkeit des Täters voraus. Noch immer gehört es zur richterlichen Norm, 
einen Psychiater im Zweifelsfall die Schuldfähigkeit eines Delinquenten 
vorgängig abklären zu lassen. Die Frage des Richters an den psychiatrischen 
Gutachter war gemäss gesetzlicher Vorgabe: Konnte der Täter das Unrecht seiner 
Tat einsehen und hatte er auch die Fähigkeit, gemäss dieser Einsicht zu handeln? 
Fehlte ihm die eine oder andere dieser Fähigkeiten, galt er als schuldunfähig 
und durfte nicht bestraft werden. Er wurde als Geisteskranker oder 
Geistesschwacher in einer Klinik behandelt, meist in einer geschlossenen 
Abteilung, also unter Zwang. Es gibt nach wie vor Abstufungen der 
Zurechnungsfähigkeit, diese kann auch bloss vermindert sein. Das hat Milderung 
der Strafe zur Folge. 
 
Das oberste Prinzip des Strafrechts 
war die ausgleichende Gerechtigkeit, weil begangenes Unrecht ausgeglichen und 
die Strafe massvoll nach dem Grad des Verschuldens und der Zurechnungsfähigkeit 
zugeteilt werden sollte. Der Täter sollte durch die Strafe erklärtermassen nicht 
nur bestraft, sondern gleichzeitig auch gebessert das heisst resozialisiert 
werden; war er geisteskrank sollte er aufgrund angeordneter Massnahmen 
psychiatrisch behandelt werden.
 
Gegen das Ende des letzten 
Jahrhunderts kam durch die Entwicklung der Gesellschaft und ihrer Techniken eine 
neue Sicht und Idee auf. Schwere Gewalt- und Sexualstraftaten sollten nicht nur 
bestraft, sondern zum vorneherein durch Wegschliessung der möglichen Täter 
verhindert werden. Gewalt- und Sexualtaten erregten schon immer das öffentliche 
Interesse. Durch die Massenmedien wurde es möglich, die Angst der Bevölkerung 
und den Volkszorn durch die Darstellung solcher Verbrechen zu entfachen. Der Ruf 
nach mehr Strafverfolgung, härterem Zugriff, Ausbau des Zugriffsinstrumentariums 
entsprechend der technischen Entwicklung – Stichwort Lauschangriff und verdeckte 
Ermittlungen durch V-Personen – war die logische Folge. Zudem konnte daraus 
politisches Kapital geschlagen werden: der Begriff der inneren Sicherheit als 
Polizeiaufgabe trat in den Vordergrund. Kriminalität sollte verhindert werden. 
Die vorgenommene Erhöhung des Etats an Polizeieinsatzkräften allein konnte 
keinen durchschlagenden Erfolg bringen. 
 
Die Idee, Verbrechen zu verhindern 
wurde so umgesetzt, dass der Einmal-Straffällig-Gewordene auf seine 
Gefährlichkeit für die Gesellschaft untersucht und bei positivem fachärztlichem 
Befund unabhängig von seinem Verschulden weggeschlossen werden konnte. Der 
Begriff der Gemeingefährlichkeit wurde in der Schweiz im Anschluss an den Mord 
eines im Hafturlaub Rückfälligen (sogenannter Zollikerberg-Mordfall) allgemein 
bekannt gemacht. Solche Täter sollten auf sehr lange Zeit verwahrt werden, 
möglichst für immer. Auf Bestrafung wird dennoch nicht verzichtet. Also müssen 
solche Täter ihre Strafe zuerst absitzen, um anschliessend zwangstherapiert oder 
– falls sich das als undurchführbar erweisen sollte – verwahrt zu werden. Da es 
nicht mehr um Schuld- und Strafzumessung geht, sondern um Wahrung der inneren 
Sicherheit, ist der Bezug zur Gerechtigkeit überhaupt in Frage gestellt: Der 
gefährliche Täter muss der Gesellschaft das Opfer seiner Freiheit bringen, damit 
diese sicher bleibt.
 
Aus solcher Praxis heraus und ohne 
gesetzliche Grundlagewurde  eine Institution zur Bestimmung der 
Gemeingefährlichkeit der Delinquenten geschaffen, die sogenannte Fachkommission 
zur Überprüfung der Gemeingefährlichkeit von Straftätern.  Darin 
nehmen Beamte Einsitz, die in irgendeiner Funktion mit dem bisherigen 
Strafvollzug zu tun haben: Gefängnisdirektoren, Staatsanwälte, Strafrechtler bis 
hin zu Beamten aus dem Strafvollzug. Die wichtigste Funktion in diesen 
Dunkelkammern übernehmen wie selbstverständlich die Psychiater. Die 
Fachkommissionen erteilten „unverbindliche Empfehlungen“ zuhanden der 
Strafrichter. Die Mitglieder dürfen den Täter weder behandelt haben noch ihn nur 
kennen. Es wird regelmässig aufgrund der Akten entschieden;  auf 
Antrag kann der Betroffene ausnahmsweise von der Kommission angehört werden. Die 
Einbahnstrasse für Verwahrungen ist signalisiert. Der Damm der 
Rechtsstaatlichkeit ist gebrochen. 
 
Die Psychiater scheinen sich nicht 
daran zu stossen, dass sie in den Dienst eines sich technokratisch 
organisierenden Polizei- und Wegsperrapparates gestellt werden. Geblendet durch 
die ihnen zugeteilte Macht entwickeln die besten Forensiker sogar Systeme, 
 die künftiges, deliktisches Verhalten eines Menschen, denen sie 
eine Störung attestieren,  angeblich voraussagen können, mit 
höherer Wahrscheinlichkeit als Meteorologen das Wetter. So verlieren Menschen 
ihre Freiheit auf Jahrzehnte. Die Forensiker scheint es nicht zu kümmern, dass 
sie ihrer ärztlichen Aufgabe entrückt und als Vollzugsgehilfen des 
Sicherungssystems eingesetzt werden; einige unter ihnen sonnen sich öffentlich 
in der Aura ihrer Macht und verraten so ihre eigene schwere narzisstische 
Persönlichkeitsstörung. Sie taxieren die ihnen vorgeführten Menschen und 
entscheiden über deren Freiheit aufgrund ihrer Prognose. Sie sind zu modernen 
Schamanen geworden. Formell geben sie nur eine Empfehlung ab, anderseits fühlt 
sich der Richter durch die Empfehlung gebunden und entlastet. Ein von aussen 
unangreifbares System. Wer keinen Charakter hat, hat wenigstens ein 
System.
 
Unabhängig und selbständig 
arbeitende Psychiater, die dieses System kritisieren und im Auftrag der 
Verurteilten abweichende Stellungnahmen im Einzelfall abgeben, werden als 
Nicht-Forensiker, als halbe Laien verlacht und deren Gutachten unbeachtet 
gelassen. Nur der Forensiker ist ein Forensiker ist ein Forensiker, andern wird 
kein Fachverstand zugebilligt. Ein perfektes, weil selbstreferentielles System 
mit Monopolcharakter. Die Forensiker sprechen nicht mehr von Geisteskranken oder 
Psychopathen, das ist gegen die Political Correctness. Das neue Zauberwort ist 
die „Persönlichkeitsstörung“, ein Begriff kühn zwischen Krankheit und 
Kriminalität hineingezwängt zur Sicherung der inneren Sicherheit. Das Mittel 
derartige Störenfriede wegzusperren ist das Gefährlichkeitsgutachten eines 
Forensikers. Der als mangelhaft erkannte Einzelne, der Gemeingefährliche, hat 
die Konsequenzen zu tragen. Ihn trifft keine Schuld, aber er hat die Tat zu 
verantworten und die Massnahme trifft ihn schlimmer und härter als jede Strafe. 
Sie ist ohne zeitliches Ende, unangemessen, unverhältnismässig zu seinem Tun, 
schlicht endlos und lässt ihm keine Hoffnung. Einzig die verräterische Tür zur 
Therapie scheint als letzter Ausweg noch offen, solange der Gutachter ihm nicht 
Untherapierbarkeit attestiert hat. Dem Gutachter ist „der Klient“ auf Gedeih und 
Verderb ausgeliefert. Das Machtgefälle zwischen den beiden ist kaum kleiner als 
jenes zwischen Herr und Knecht.
 
Das Massnahmenrecht wurde 1994/2007 
neu konzipiert. Der Begriff der Geistesschwachen oder Geisteskranken verschwand 
ebenso wie jener der Psychopathen oder Gewohnheitsverbrecher alter Schule. Es 
gibt jetzt vor allem neu und zusätzlich Täter mit Persönlichkeitsstörungen, 
eingeteilt in ein Klassifikationssystem der Psychiater, das alles umfasst vom 
Schwachsinn bis zum Wahnsinn nach Eugen Bleuler und Ernst Kretschmer, den 
„Altmeistern“ der Psychiatrie. Im Einzelfall gehen die „schweren 
Persönlichkeitsstörungen über jeden Krankheitsbegriff weit hinaus. Die 
Forensiker sprechen nun nicht mehr von Patienten, sondern von Klienten. Ob krank 
oder nicht spielt keine Rolle mehr, Hauptsache, der als schwer gestört Taxierte 
kann weggesperrt werden. Diesen zynischen Zugang nennen die Forensiker 
„pragmatische Problemlösung“.
 
Das vom Strafrichter ausgesprochene 
Strafmass ist für die zusätzlich zu verhängende Massnahme unerheblich. Der 
Grundsatz der sonst so hoch gehaltenen Rechtskraft eines Urteils wird gebrochen. 
Der Psychiater kann aufgrund seiner Beurteilung Verwahrung empfehlen und der 
Richter wird sie jederzeit als „nachträgliche Verwahrung“ nach deutschem Vorbild 
verfügen. Jedes Strafurteil wird durch diese Öffnung zur Psychiatrie in seinem 
Strafmass unsicher und nach oben hin ins Unabsehbare erweitert. Es ist nur noch 
ein Fetzen Papier in der Hand der Psychiater und des Strafvollzugs. Die Frage an 
den Menschen ist nicht mehr mit nach rückwärts gewendetem Blick in die 
Vergangenheit an ihn selbst gestellt. Sein mögliches, wahrscheinliches Verhalten 
in der Zukunft wird aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur von einer Fachperson 
eingeschätzt. All das kann geschehen, solange der Anlasstäter im Straf- oder 
Massnahmenvollzug ist und – wie die Gerichtspraxis zeigt – sogar noch 
danach!
 
 
Das Institut der nachträglichen 
Verwahrung wurde aus praktischen Gründen scheinbar beiläufig eingeführt. Solange 
ein Täter im Straf- oder Massnahmevollzug festsitzt, kann der Richter in 
Abänderung seiner rechtskräftigen Urteile ohne neue Tat nachträglich Verwahrung 
anordnen. Die Täter sehen sich nach Ende der Strafe plötzlich und ohne jede 
Schuld mit einer von ihnen keineswegs verschuldeten Fortsetzung des 
Freiheitsentzuges –  diesmal ohne Zeithorizont – 
 konfrontiert.
 
Der Weg zum lebenslänglichen 
Weggesperrtwerden erfolgt oft zuerst unauffällig durch die richterliche 
Anordnung einer harmlos anmutenden ambulanten Psychotherapie. 
Von Gesetzes wegen ist diese 
jederzeit umwandelbar in eine stationäre Therapie, wenn Probleme entstehen. 
Dieser Drohfinger kann vom Therapeuten gegenüber Betroffenen jederzeit erhoben 
werden. Die Umwandlung in eine stationäre Massnahme, jeweils um drei gegenüber 
Süchtigen bzw. fünf Jahre gegenüber Personen mit schwerer 
Persönlichkeitsstörung, wird verständlicherweise in der Praxis als „kleine 
Verwahrung“ bezeichnet. Eine hilfreich erscheinende, wenig einschneidende 
Massnahme wird nachträglich ohne neues Delikt zu einem Freiheitsentzug ohne 
Ende. Eine maximale Dauer, ein Ende, ist nicht festgelegt. Es gibt sie nicht. 
 
Dies alles ist mehr als nur eine 
Fehlleistung des Gesetzessystems. Es ist ein epochaler Irrtum. Mir sind Fälle 
bekannt, wo noch nach 20 Jahren Therapien fortgeführt werden sollen (z.B. die 
Fälle Hugo Portmann und Hans-Peter Eggenberger). Gigantische Therapiekosten 
werden zulasten der Krankenkassen und Steuerzahler angehäuft.
 
Der Mensch wechselt so vom 
Strafrichter in die Gewalt der Psychiater, die sich in den Dienst des 
Strafvollzugs gestellt haben. Verhinderung künftiger Verbrechen ist das Ziel. 
Die Unschuldsvermutung ist ausser Kraft gesetzt, nicht nominell, aber im 
Ergebnis. Es braucht keine Schuld, sondern nur vom Gutachter attestierte 
„Gefährlichkeit“ des Täters. Die Rechtskraft des einmal über den Täter und seine 
Anlasstat ausgesprochenen Urteils lähmt den Psychiater, dieses „Vorurteil“ bei 
der Beurteilung der Person grundsätzlich in Frage zu stellen. Wer seine ihn 
angelastete Tat weiterhin leugnet, ist ein Hartgesottener, ein Widerspenstiger, 
ein Renegat, er ist uneinsichtig, ohne Reue und ohne Krankheitseinsicht und gilt 
als untherapierbar: Unschuld als Systemfehler und Restrisiko! Ihm droht 
Zwangsmedikation und vor allem ganz konkret Verwahrung – ihm, dem vielleicht 
wirklich Unschuldigen! Soweit wollen Forensiker gar nicht denken; sie dürfen es 
aus der Sicht des juridischen Systems auch gar nicht.
 
Gerade deswegen ist und bleibt das 
grösste Problem dieses Systems der Nicht-Geständige (vergleiche dazu „Der Fall 
Hassan Mansour“). Wer sich der Therapie widersetzt, namentlich weil er 
bestreitet, die Tat begangen zu haben, gilt bei hartnäckiger Weigerung 
als  nicht therapierbar. Der Widerspenstige hat seine letzte Chance 
in den Augen des Forensikers verspielt und wird verwahrt. Das System ist logisch 
geschlossen und wird denn auch von sportlich-aggressiv veranlagten Forensikern 
durchgeboxt ohne Rücksicht auf Verhältnismässigkeit, Verlust des Augenmasses und 
der Mitmenschlichkeit. Das alles geht leicht von der Hand der Machthaber: Der 
Therapeut empfiehlt eine Massnahme, der überlastete Richter segnet sie ab und 
einer von ihnen unterzeichnet als erster das Urteil. Das ist noch kein fertiger 
Entscheid und zudem liegt eine als verbindlich empfundene Empfehlung der 
Fachkommission vor. Schliesslich unterzeichnen die andern Richter mit. Ein 
klarer Fall. Hauptsache bleibt zudem, der Störenfried wird unschädlich gemacht 
und es kann nichts passieren, was die Öffentlichkeit gegen das System und die 
Amtsträger aufbringen könnte. Es besteht immer eine geheime Verbindung zwischen 
Führung und Geführten, zwischen Führer und Volk.
 
Die Richter passten sich dem neu 
entstandenen Sicherheitsapparat erstaunlich widerstandlos an und dienten 
 ihm zu und folgten ausnahmslos den Empfehlungen der 
Fachkommissionen und Forensiker. Allzu willfährig verhafteten sie Täter, die 
ihre Strafe oder Massnahme bereits abgesessen hatten oder liessen sie selbst 
nach Ablauf der Strafverbüssung nicht mehr in Freiheit. So scheint es nicht 
einmal mehr nötig zu sein, für rechtzeitige richterliche Verlängerung der 
Massnahmen zu sorgen. Die einmal Verurteilten werden vorsorglich in Haft 
behalten. Als Deckmantel diente der neu geschaffene Begriff des sogenannten 
„Nachverfahrens“ oder der Sicherungsmassnahme zur Durchführung einer in Zukunft 
zu erwartenden Massnahme. Der Erfindungsgeist der Richter war plötzlich 
beachtlich angeregt. Die gesetzliche Grundlage hauchdünn und der Eingriff in den 
Kernbereich der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen in eklatantem Widerspruch 
zum Grundrecht.  Das Rechtsgut der Freiheit war für 
Einmal-Straffällig-Gewordene abgeschafft. Das Bundesgericht segnete den 
menschenrechtswidrigen Freiheitsentzug mutlos ab. So kam es im Jahr 2010 zur 
Verurteilung der Schweiz im Fall Borer durch die EMRK-Richter in Strassburg. 
Daraufhin stellt das Bundesgericht die Rechtswidrigkeit der Haft in solchen 
Fällen zwar fest. Aber es fällt niemandem auch nur im Traum ein, den 
Unrechtmässig-in-Haft-Behaltenen in die Freiheit zu entlassen. Einzig 
entscheidende Tatsache bleibt für das Gericht, dass der Verhaftete eine Gefahr 
für die Öffentlichkeit darstellt. Durch eine solche Haltung bricht jeder 
Rechtsschutz des Einzelnen in sich zusammen. Der Rechtsstaat Schweiz 
 ist schwer beschädigt. Mit wenigen Ausnahmen (z.B. Günter 
Stratenwerth und Peter Albrecht, beide in Basel) liessen sich auch die 
Rechtswissenschaftler populistisch in den Dienst der Ideologien der Polizei- und 
Sicherheitsdepartemente stellen.
 
Die Medien realisierten rasch, dass 
die Auflagenzahl und Aufmerksamkeit des Lesers und der Öffentlichkeit besser zu 
steigern waren, wenn der Volkszorn, der sich gerne an schrecklichen Verbrechen 
entzündet, durch Darstellung der Täter als Unholde, Sexmonster und Teufel als 
wenn sie auf den Abbau der fundamentalen Freiheitsrechte im Rechtsstaat 
hingewiesen hätten. Erst wenn der Einzelne direkt oder ein naher Verwandter oder 
Freund von ihm von der Strafsucht oder dem Sicherheitsfanatismus der 
Gesellschaft erfasst wird, realisiert er, welche Schäden diese Raserei 
angerichtet hat. Die Medien haben ihr Wächteramt als vierte Staatsgewalt auf 
weiten Strecken vernachlässigt und peitschen rücksichtslos auf die Richter ein 
und nehmen sie in Geiselhaft, sobald ein Rückfall in die Kriminalität ruchbar 
wird. Die Richter, welche nicht drakonisch hart bestrafen oder auf Lebenszeit 
verwahren werden als lasch, mutlos oder gar als Mitschuldige angeprangert. Ihre 
massvollen und mit Augenmass zugemessenen Strafen werden von Journalisten gerne 
als „Kuscheljustiz“ verächtlich gemacht. Bei Rückfalltaten wird sogar versucht, 
jene, die einem Hafturlaub oder einer (meist bedingten) Entlassung zugestimmt 
haben, zur Verantwortung zu ziehen wegen fahrlässiger Tötung, falls es dazu 
gekommen ist.
 
Diese Schlaglichter auf die heutige 
Situation des Straf- und Massnahmerechts zeigen auf, dass zurzeit ein Übergang 
vom seit Jahrhunderten gefestigten Schuldstrafrecht zum präventiven Wegsperren 
als Polizeimassnahme zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit stattfindet. 
Die Öffentlichkeit scheint nicht bemerkt zu haben, dass es sich um einen 
eigentlichen Paradigmenwechsel handelt. Das Recht fragt nicht mehr danach: Was 
hat du getan? Wie schwer wiegt deine Schuld? Aus welchen Motiven hast du deine 
Tat begangen? Die neue Frage lautet: Wie gefährlich ist dieser Mensch? Die 
Antwort muss die Fachperson, die Kennerin der menschlichen Seele geben, der 
Psychiater. Vor ihm verblasst die einmal real verübte Tat des Verbrechers zur 
blossen Anlasstat, an die sich sein  alles entscheidende Gutachten 
eher beiläufig anschliesst. Das hat schwerwiegende Folgen.
 
Wir verlieren aus den Augen, dass 
sich ein solches Wegschliesssystem von jenem einer Diktatur oder einem 
totalitären Staat nicht mehr grundlegend unterscheidet. Menschen verlieren ihre 
Freiheit, nicht weil sie etwas getan haben, sondern weil sie als gefährlich 
eingestuft werden, also weil sie in Zukunft etwas tun könnten. Das ist letztlich 
Gesinnungsstrafe. Und wir als Volk schlucken das alles, weil es so gut 
institutionalisiert im Gewand der Wissenschaftlichkeit daherkommt. Nur weil die 
Menschen, die in den Gefängnissen und geschlossenen Anstalten auf Vorrat in Haft 
gehalten und zwangstherapiert werden, keine Stimme haben, funktioniert das 
System nach aussen hin. Immerhin dringt durch die Gefängnisdirektion und aus 
deren Umfeld genügend nach draussen, damit jeder verantwortliche Mensch das 
Unrecht, das heute an diesen Menschen geschieht, wahrnehmen kann. Aber wen 
interessiert das heute? Kaum je hat sich eine Gesellschaft für das Unrecht ihrer 
eigenen Zeit gekümmert, während sie immer wieder sich entschuldigt für das 
Unrecht vergangener Generationen – ein schwacher Trost für die unter dem System 
Leidenden.
 
Damit ist eine neue Stufe der 
Expertokratie erreicht worden. Gleichzeitig ist es ein Rückfall in überwunden 
geglaubte Abgründe und Schreckenszeiten. Der Mensch wird wieder vermessen wie 
seinerzeit gestützt auf die Erkenntnisse durch Johann Caspar Lavater nach seiner 
Lehre der Physionomik von Cesare Lombroso im vorletzten und zu Beginn des 
letzten Jahrhunderts, der nach der Schädelform und der Ausformung von Nase und 
Stirn den geborenen Verbrecher zu erkennen glaubte. Die Technik erlaubt es 
jetzt, tiefer in den Menschen zu dringen, mit Hightech unter seine Schädeldecke 
zu kriechen. Gleichzeitig wird dem Volk vorgegaukelt, die Psychiatrie könne eine 
zuverlässige Gefährlichkeitsprognose über einen konkreten Menschen abgeben. Sie 
wird zur exakten Wissenschaft hochstilisiert, um zu rechtfertigen, dass Menschen 
aufgrund solcher Gutachten ihre Freiheit auf lange Jahre, meist für immer 
verlieren können. Mit Computersystemen werden Checklisten erstellt und einem 
pseudowissenschaftlichen Brimborium wird exaktes Wissen über zukünftiges 
Verhalten dieser Probanden vorgetäuscht wie z.B. mit dem 
Forensisch-operationalisierten-Therapierisiko-Evaluationssystem FOTRES des Frank 
Urbaniok in Zürich. Dabei können Prognose des menschlichen Verhaltens und die 
darauf fussenden Zwangsmassnahmen immer nur eines sein: Blick in die Glaskugel 
der Wahrsagerin oder menschliche Hybris und kaltes technokratisches Ausschalten 
des als minderwertig oder mangelhaft erkannten Menschenmaterials mittels der 
Triage. Wir haben diese Systeme in der ersten Hälfte des vergangenen 
Jahrhunderts aufs Schaurigste erlebt. Wieder scheinen sich Viele nach dieser 
Scheinsicherheit einer  - diesmal nicht reinrassigen – aber 
wenigstens von gefährlichen, gestörten Persönlichkeiten gesäuberten 
Gesellschaft, zurückzusehnen. Das Problem eines solchen Systems ist es nicht, 
dass es immer wieder in Einzelfällen zu belegbaren Justizirrtümern kommen wird. 
Selten wird sich das eindeutig beweisen lassen. Das Problem ist umfassender. Wir 
beurteilen nicht mehr die Taten, sondern wir unterziehen die Straftäter einer 
eigentlichen Selektion mit Blick auf ihr zukünftiges, von Forensikern 
eingeschätztes Verhalten. Das ist ein Rückfall in überwunden geglaubte 
Abgründe.  Die Forensiker, die sich anheischig machen, die 
Wahrscheinlichkeit des Rückfalls ihrer Klienten in Delinquenz vorauszusehen, 
sehen nicht einmal ihren eigenen Rückfall in schlimmes, ideologisches Denken und 
Handeln.
 
 Wie konnte es nur zu 
diesem Rückfall in die alte Barbarei kommen, zu versuchen die Bösen aus dem 
gesunden und guten  gesellschaftlichen Körper zu 
entfernen?