Die Globalisierung des Krieges: der »militärische Fahrplan« zum Dritten Weltkrieg (2)
Michel Chossudovsky und Finian Cunningham
Die weltweiten militärischen Planungen des Pentagon zielen auf die Weltherrschaft ab. In vielen Regionen der Welt sind bereits Streitkräfte der USA und der NATO gleichzeitig im Einsatz. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges ist die amerikanische Militärdoktrin durch das Konzept des »langen Krieges« geprägt. [Ursprünglich bezeichnete dieser Begriff die Aufeinanderfolge größerer militärischer Konflikte in der Zeit zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Untergang der Sowjetunion. Nach 2001 ist damit auch und zunehmend der »weltweite Krieg gegen den Terrorismus« gemeint.] Das umfassendere Ziel weltweiter militärischer Vorherrschaft als Grundlage einer imperialen Politik wurde erstmals Ende der 1940er-Jahre unter der Regierung Truman am Vorabend des Kalten Krieges formuliert.
Das Szenario eines Dritten Weltkriegs
Ein offener Krieg gegen den Iran, der über die drittgrößten bekannten Erdölreserven der Welt verfügt, auch unter Einsatz nuklearer Gefechtsköpfe, wird seit 2005 in den Planungsstäben des Pentagon erörtert. Sollte ein solcher Krieg begonnen werden, ginge die gesamte Region des Nahen und Mittleren Ostens und Zentralasiens in Flammen auf – und die Menschheit stünde vor dem Abgrund eines Dritten Weltkrieges.
Die Gefahr eines Dritten Weltkrieg taucht derzeit nicht in den Schlagzeilen auf. Die etablierten Medien verzichten darauf, die möglichen Auswirkungen derartiger Kriegsszenarien zu analysieren und zu diskutieren.Der erste Schritt in diesem Dritten Weltkrieg, wenn es denn dazu kommen sollte, würde als
Durchsetzung einer »Flugverbotszone« daherkommen, als NATO-Operation im Rahmen des Konzepts der »Schutzverantwortung« (»Responsibility to Protect«, R2P) mit geringen »Kollateralschäden« oder »begrenzten« Strafaktionen in Form von Luftangriffen gegen bestimmte militärische Ziele, alles natürlich nur zum Schutz der »weltweiten Sicherheit«, der »Demokratie« und der Menschenrechte in dem betroffenen Land.
Der überwiegende Teil der Öffentlichkeit ist sich der schwerwiegenden Folgen dieser Kriegsplanungen, die in zynischer Ironie als Antwort auf das nicht existierende iranische Atomwaffenprogramm auch den Einsatz von Kernwaffen miteinschließen, nicht bewusst. Darüber hinaus umfasst die Militär- und Rüstungstechnologie des 21. Jahrhunderts hochentwickelte Waffensysteme, deren Zerstörungskraft den nuklearen Holocaust von Hiroshima und Nagasaki in den Schatten stellt. Und ehe es vergessen wird, haben die USA als einziges Land überhaupt schon einmal Atomwaffen gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt.
Auf weltweiter Ebene wird die Militarisierung durch die amerikanische militärische Vereinigte Kommandostruktur vorangetrieben: Die ganze Erde wurde in geografische Zonen unterteilt, für die jeweils eines von derzeit zehn »Unified Combatant Commands« (UCC, deutsch etwa: »Einsatzkommando mit vereinigten Kompetenzen«) zuständig ist, das dem Verteidigungsministerium untersteht. Der frühere NATO-Oberbefehlshaber General Wesley Clarke erklärte, die militärischen Planungen des Pentagon beträfen eine ganze Reihe von Kriegsschauplätzen: »Das [Vorgehen gegen den Irak] wurde als Teil einer fünfjährigen Kriegführung diskutiert …, insgesamt gehe es gegen sieben Länder. Als Erstes gegen den Irak, dann gegen Syrien, den Libanon, Libyen, den Iran, Somalia und den Sudan.« (Wesley Clark, Winning Modern Wars, S. 130.) Wie eine Krebsgeschwulst breitet sich der amerikanische Krieg, den die USA 2003 begannen, über die ganze Welt aus.
Während die New York Times und andere etablierte Medien den 15. Dezember als das Datum priesen, der das »offizielle« Ende des fast neunjährigen amerikanischen Krieges im Irak markiere, wird das vom Krieg zerstörte Land für absehbare Zeit weiterhin ein amerikanischer Kriegsschauplatz bleiben. Militärberater des Pentagons und beim US-Verteidigungsministerium unter Vertrag stehende Unternehmen und deren Mitarbeiter werden dort bleiben, und das irakische Volk wird sich noch einige Generationen lang mit den Folgen des von den USA aufgezwungenen Konfliktes und der damit einhergehenden Grausamkeit befassen müssen. Die Militäroperation des Pentagon im Irak mit der Bezeichnung »Furcht und Schrecken« ist vielleicht ausgelaufen, aber ihre Auswirkungen und das verbrecherische Beispiel, das sie gibt, sind nicht nur im Irak selbst, sondern in der Großregion und in wachsendem Maße auch weltweit immer noch spürbar.
Das »Projekt für das neue amerikanische Jahrhundert« (PNAC), das in gewisser Weise das Rückgrat des neokonservativen Programms bildet, beruht auf dem Konzept einer »Kriegsführung ohne Grenzen«. Zu den erklärten Zielen von PNAC gehört es, »zahlreiche gleichzeitige Kriege auf verschiedenen Kriegsschauplätzen [in unterschiedlichen Regionen der Welt] zu führen und eindeutig zu gewinnen« sowie die sogenannten »polizeilichen« Pflichten, »wie sie mit der Gestaltung des Sicherheitsumfeldes in kritischen Regionen verbunden sind«, zu erfüllen. Auf weltweiter Ebene umfasst der Begriff »polizeiliche Pflichten« weltumfassende polizeiliche Aktivitäten und Interventionen mit militärischen Mitteln, wie etwa verdeckte Operationen und »Regimewechsel«.
Dieses von den Neokonservativen formulierte bösartige militärische Vorhaben wurde von Anfang an von der Regierung Obama übernommen und umgesetzt. Mit seiner neuen militärischen und außenpolitischen Beratergruppe war Obama, was die militärische Eskalation angeht, weitaus effektiver als sein Amtsvorgänger im Weißen Haus, der vor Kurzem vom Kriegsverbrechertribunal in Kuala-Lumpur wegen »Verbrechen gegen den Frieden« verurteilt wurde.
Die Kontinuität der militärischen Agenda unterstreicht die Tatsache, dass es sich bei den beiden großen vorherrschenden Parteien in den USA – den Demokraten und den Republikanern – nur um die zwei Seiten des zentral geplanten und gesteuerten Militärisch-Industriellen Komplexes handelt, der den Auffassungen, Forderungen und Interessen der amerikanischen Wähler völlig unberührt gegenübersteht.
Militärische Eskalation und ein Ausblick auf diese Artikelsammlung
Im Gegensatz zum Mythos des »guten oder gerechten Krieges« zeigen wir in der nachfolgenden Aufsatzsammlung, das der Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg im Rahmen einer bewussten Strategie erfolgte, die eigennützigen imperialistischen Zielen diente. Die Männer und Frauen, die in diesen Krieg kämpften, taten dies vielleicht aus moralischer Überzeugung, aber die Planer in Washington handelten auf der Grundlage von Erwägungen, die vor allem mit geopolitischer Kontrolle und wenig mit moralischen oder rechtlichen Prinzipien zu tun hatten. Der Abwurf der beiden Atombomben auf Japan im August 1945 durch die USA, denen Hunderttausende Zivilisten zum Opfer fielen, war ein Akt ruchloser Unmenschlichkeit, die die Gefühllosigkeit der amerikanischen imperialen Pläne widerspiegelt. Dieser nukleare Holocaust lieferte auch die schändlichen Vorgaben für den sich anschließenden fast 50 Jahre anhaltenden Kalten Krieg, der nahtlos auf den Zweiten Weltkrieg folgte. [Die Artikel von Brain Wilson, Alfred McCoy und Michel Chossudovsky verdeutlichen, dass die völkermörderischen Kriege des Pentagon in Asien als Fortsetzung und Umsetzung der imperialistischen Pläne und Absichten Amerikas zu werten sind – wiewohl sie unter dem Deckmantel des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion geführt wurden.]
Der Untergang der Sowjetunion hätte eigentlich das Ende des Kalten Krieges bedeuten können, aber die USA entdeckten bald neue Vorwände für Kriegsführung in der Welt und die Sicherung ihrer Vormachtstellung auch im Sinne ihrer kapitalistischen Verbündeten. Zu diesen neuen Vorwänden gehörte der »Schutz und die Durchsetzung des Völkerrechts« wie im Falle des ersten Golfkrieges gegen den Irak, auf den Bush senior 1990 zusteuerte und der bereits auf den zweiten Golfkrieg voraus griff, den Bush junior dann 2003 [praktisch als Fortsetzung des Krieges von 2001] führte. Als Neuerung führten dann die Pentagon-Planer »humanitäre Erwägungen« als Vorwände für den Einmarsch in Somalia 1991 und den Krieg der NATO gegen Jugoslawien ein [siehe dazu den Artikel von Sean Gervasi und andere]. In vieler Hinsicht diente der »humanitäre Krieg« gegen Jugoslawien als Vorbild für den NATO-Angriff auf Libyen 2011 und wird als Vorwand für den offenbar kurz bevorstehenden Angriff auf Syrien [siehe dazu Artikel von Rick Rozoff und Mahdi Darius Nazemroaya] vorgebracht.
Die Propagandaschmiede des Pentagon lieferte zusätzliche Vorwände für den »weltweiten Krieg gegen den Terrorismus« und die »präemptiven Militärschläge gegen Massenvernichtungswaffen«. Passenderweise wuchs mit der Zahl der Kriege, die Washington führte, auch die Zahl der erfundenen Vorwände [, wie die Artikel zum Irak und Afghanistan von Felicity Arbuthnot und Jack Smith entüllen].
Ständige Kriegführung: die Globalisierung des Krieges
Im siebten Teil, der der ganzen Sammlung auch den Titel gab, zeigen wir, wie der von Amerika angeführte Imperialismus sich im Verlauf einige Jahrzehnte von blutigen Phasen eines episodischen Imperialismus zum gegenwärtigen Zustand ständiger Kriegsführung ausweitete, deren Kriege oder Kriegsführung sich von Nord- und Nordostafrika über den Nahen und Mittleren Osten und Zentralasien und darüber hinaus bis nach Eurasien (Russland), den Fernen Osten (China) und die Arktis (ebenfalls Russland) erstrecken. [Sehen Sie dazu die Artikel von James Petras, Rick Rozoff, Peter Dale Scott, F. William Engdahl, Finian Cunningham, das Interview mit Fidel Castro, Michel Chossudovsky und Jules Dufour.]
Grund zu unmittelbarer Beunruhigung sind die anhaltenden, von Amerika vorangetriebenen Kriegspläne in der Großregion Mittlerer Osten und Zentralasien, die ein koordiniertes Vorgehen gegen den Iran, Syrien und Pakistan einschließen [siehe dazu die Artikel von Michel Chossudovsky, Tom Burghardt, Rick Rozoff und Mahdi Darius Nazemroaya].
Sollten diese Kriegspläne in die Tat umgesetzt werden, würde dies zu einem ausgedehnten regionalen Kriegsgebiet führen. Die drei bereits existierenden, aber voneinander getrennten Kriegsschauplätze (Iran, Afghanistan und Palästina) würden zu einem umfassenden Kriegsgebiet verschmelzen, das sich dann von der libanesisch-syrischen östlichen Mittelmeerküste bis zur afghanisch-pakistanischen Grenze nach Westchina erstreckte. Auch Israel, der Libanon und die Türkei würden in dem Konflikt hineingezogen.
Der Aufbau einer wirksamen Friedensbewegung
Die Friedensbewegung steckt in einer Krise. Zivilgesellschaftliche Organisationen sind oft falsch sowie unzureichend informiert und werden manipuliert oder lassen sich vereinnahmen. Ein erheblicher Teil der »progressiven« (linksliberalen) öffentlichen Meinung unterstützt das Konzept der »Schutzverantwortung« (»Responsibility to Protect«) so weitgehend, dass diese Kriegspläne sozusagen mit dem Segen der Zivilgesellschaft geführt werden.
Es ist daher dringend geboten, die Friedensbewegung auf völlig neuen Grundsätzen wiederaufzubauen.
Massendemonstrationen und Friedensproteste abzuhalten, reicht nicht aus. Es muss sich ein breites und umfassendes, gut organisiertes Basis-Friedensnetzwerk auf Landes- und internationaler Ebene entwickeln, das die Macht- und Autoritätsstrukturen grundsätzlich infrage stellt. Die Menschen müssen nicht nur gegen die Kriegspläne, sondern zugleich auch gegen die Autorität und die Behörden des Staates und seiner offiziellen Vertreter mobilisieren.
Das Ziel, die weltweite Kriegsagenda der USA und der NATO zu hinterfragen und zu verhindern, ist durch die Vielzahl der Menschen im Westen legitimiert, die demokratische Regierungsführung und die ursprüngliche »Herrschaft des Volkes« einfordern. Dazu gehört auch, dass die Menschen massenweise die Zwei-Parteien-Farce beenden, die nicht nur in den USA, sondern auch in anderen westlichen Staaten bisher als »Demokratie« dargestellt und wahrgenommen wurde, und neue politische Organisationen bilden, die tatsächlich die Bedürfnisse und Interessen der Mehrheit der Bevölkerung repräsentieren. Kriegsführung sowie der kriecherische Gehorsam gegenüber den Wirtschafts- und Finanzeliten ist fester Bestandteil der Politik der vorherrschenden Parteien. Die Wähler müssen verstehen, dass es sinnlos geworden ist, diesen Parteien seine Stimme zu geben, wenn man wirklich demokratische Veränderungen bewirken will.
Eine praktischer Schritt in die richtige Richtung besteht darin, dass die BürgerInnen in rechtlicher Hinsicht eine starke und eindeutige Position vertreten. Es muss daher klar sein, dass ein mit welcher Begründung auch immer geführter Krieg ein »Verbrechen gegen den Frieden« entsprechend den Nürnberger Statuten darstellt. George W. Bush und Anthony L. Blair wurden vom Kriegsverbrechertribunal in Kuala-Lumpur der Führung eines Angriffskrieges für schuldig befunden. Sie sind Kriegsverbrecher, und die weltweit wachsende Zahl der Bürgerinitiativen, die eine Anklageerhebung gegen Bush und Blair fordern, sind ein praktischer Schritt in Richtung dazu, für eine vom Volk getragene Kritik und Zerschlagung des Kriegssystems zu mobilisieren.
Aber die Verantwortung für Kriegsverbrechen beschränkt sich keineswegs auf den früheren amerikanischen Präsidenten und den britischen Premierminister. Es gibt weitere Beschuldigte, wie etwa den gegenwärtigen amerikanischen Präsidenten Barack Obama und andere. Diejenigen amtierenden Staats- und Regierungschefs, die Angriffskriege der USA, der NATO und Israels unter dem Vorwand der »Schutzverantwortung« unterstützen, sind völkerrechtlich als Kriegsverbrecher zu betrachten. Dieser Grundsatz, der unter anderem darauf abzielt, die Kriegsverbrecher in hohen Funktionen ihrer Ämter zu entheben, bildet ein zentrales Motiv beim Aufbau einer wirksamen Friedensbewegung.
Wir wollen mit dieser Aufsatzsammlung den Bürgern aufzeigen, dass die eigentliche Ursache für Krieg in dem vorherrschenden, aber gescheiterten weltweiten kapitalistischen System zu suchen ist – einem System, das nicht nur Leben in fremden Ländern vernichtet, sondern auch die materiellen und moralischen Grundlagen der westlichen Gesellschaft zerstört.
Wir hoffen, dass diese Aufsatzsammlung die BürgerInnen ermutigt, eine allumfassende soziale Bewegung gegen diese bösartige militärische Agenda und für die Verwirklichung wirklicher demokratischer Verhältnisse aufzubauen.
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