Dienstag, 25. August 2009

Die Schweiz als Vorbild

Freiheit, Fortschritt, gute Dienste

Von Ueli Maurer, Bundesrat

Die Schweiz will es allen gerne Recht machen. Zusammenzucken und wegducken sind zum Standard geworden.

Wir Schweizer sind friedliebend. Wir Schweizer vermeiden Streit. Wir Schweizer wollen es gerne allen Recht machen. Das sind grundsätzlich positive Eigenschaften. Mit etwas mehr Schweizer Zurückhaltung und Bescheidenheit, mit etwas mehr Schweizer Harmoniesinn wäre die Welt viel freundlicher.
Aber das Bedürfnis nach Verständnis und Verständigung lässt sich übertreiben. Wir schauen etwas gar ängstlich darauf, wer was von uns hält. Und wenn irgendwo einer frech das Maul aufreisst und uns Übles sagt, dann stammeln wir eingeschüchtert Entschuldigungen - zusammenzucken und wegducken, das ist uns zum Standardverhalten geworden.
Der von Schiller treffend geschilderte schweizerische Nationalheld, Wilhelm Tell, ist darum zum Symbol für Freiheit und Unabhängigkeit geworden, weil er weder zusammengezuckt noch den Kopf eingezogen hat.
Ich meine, wir sollten nicht zuviel darauf achten, was andere über uns sagen, sondern so handeln, wie wir es für richtig halten. Entsprechend unseren Werten, entsprechend unserer rechtstaatlichen und demokratischen Überzeugung. Und dann dürfen wir auch, wenn es nötig ist, auf all das hinweisen, was wir tun, was wir leisten, was wir der Welt geben.
Und wir geben der Welt viel. Ideell. Materiell. Humanitär. Wir bieten insbesondere dreierlei; wir bieten Freiheit, wir bieten Fortschritt, wir bieten gute Dienste.

Permanenter Freiheitsimpuls
Schweiz und Freiheit, das gehört zusammen. Die Schweizer Freiheit war schon sprichwörtlich, noch ehe die französische Revolution die Freiheit zum politischen Programm erhob. Sie faszinierte damals die Philosophen in den Salons von Paris gleichermassen, wie sie die Politiker an den europäischen Fürstenhöfen immer wieder beunruhigte.
Denn unsere Staatsauffassung ist so ganz anders als die anderer Länder: Uns geht es um den Bürger, nicht um den Staat. Der Bürger steht im Mittelpunkt. Der Staat ist nur ein Mittel zum Zweck. Unser Staat hat keine nationale, historische oder religiöse Mission. Unser Staat ist dazu da, uns Bürgern die maximale Freiheit zu sichern.
So suchen wir oft unsere eigene Lösung. Wagen einen eigenen Entwurf. Gehen mit der Schweiz unseren eigenen Weg. Und weil bei uns das Volk entscheidet, ist unser Weg bürgernäher, steuergünstiger, freiheitlicher.

Sonderfall Schweiz
Das ist der Sonderfall Schweiz. Ihn kann nur kritisieren, wer die erzwungene Einheit der gewachsenen Vielfalt vorzieht. Wer von der exakten Planbarkeit der Welt überzeugt ist. Wer immer noch an Zentralismus, Kommandowirtschaft, Sozialismus glaubt.
Der Sonderfall Schweiz färbt auch auf das Ausland ab. Denn der freiheitliche Sonderfall sorgt für Wettbewerb. Weit über unsere Landesgrenze hinaus. Solange ein Fleck auf der Welt ist, wo die Staatsangehörigen wirkliche Bürger sind, befinden sich die Reglementierer und Regulierer, die Bevormunder, Beschränker und Bürokraten immer in einem Erklärungsnotstand. Bei jedem Verbot stellt sich die Frage: «Weshalb wagen nicht auch wir mehr Freiheit? Weshalb soll bei uns scheitern, was in der Schweiz funktioniert?»
Nicht erstaunlich, wird die Schweiz für ihren eigenen Weg kritisiert. Denn unsere Freiheit provoziert alle, die ihr Staatswesen weniger freiheitlich ausgestalten. Früher die Fürsten, heute die Bürokraten. Die jüngsten Reaktionen in London, Brüssel oder Berlin sind nur das Echo auf verwirklichte Freiheit.
Es gibt aber nicht nur das Echo der Administrationen, sondern auch das Echo der wirtschaftlichen Realität: Unternehmer und Unternehmen, die vom Fiskus bedrängt werden, weichen in die Schweiz aus. Weil unser Staat zurückhaltender ist. Weil die Steuerlast weniger drückend ist. Weil wir Eigentum als Eigentum anerkennen.
Solange die Schweiz an ihrer freiheitlichen Ordnung festhält, sorgen wir für einen Wettbewerb der Systeme. Wenn Ausländer ihre Vermögen in die Schweiz überweisen, wenn ausländische Unternehmen ihren Sitz in die Schweiz verlegen, dann bedeutet das: Unser System ist besser, ist wettbewerbsfähiger.
Alle andern Staaten sind eingeladen, diese Unternehmen wieder zurückzugewinnen – nicht mit Pressionen und politischer Macht, sondern durch bessere Rahmenbedingungen.
Wettbewerb belebt. Der Wettbewerb der Systeme belebt ebenso wie der Wettbewerb unter Marktteilnehmern. Das bestätigt uns die Geschichte: Wirtschaftlich blühend, geistig-kreativ sprühend waren Epochen, in denen viele Kleinstaaten sich massen und zu überflügeln versuchten. Die griechische Antike, die Renaissance Oberitaliens, die Weimarer Klassik. Da spielte der ungebundene Wettbewerb der Staats- und Gesellschaftsordnungen.
Die Schweiz gibt der Welt einen permanenten Freiheitsimpuls. Allein durch die Tatsache, dass wir den Bürgern mehr Freiheit zugestehen als anderswo. Darauf dürfen wir stolz sein.
Fortschritt
Die Schweiz ist ein Kleinstaat. Bezogen auf die Fläche; bezogen auf die Bevölkerung. Aber die Schweiz hat wirtschaftliche Bedeutung. Als Bildungsplatz. Als Forschungsplatz. Als Handels- und Messeplatz. Als Finanzplatz. Als Produktionsplatz.
Die Forschungsfreiheit hat unseren Hochschulen schon im 19. Jahrhundert internationalen Ruf eingebracht. Das hohe Niveau ist geblieben. Davon profitiert unter anderem auch der innovative Forschungsstandort Schweiz, dem somit hervorragend ausgebildete junge Frauen und Männer zur Verfügung stehen.
Obschon ein Binnenland, etablierte sich die Schweiz als Handelsplatz; von der Kunstmesse Basel bis zur Zürcher Börse.
Unser Finanzplatz hat sich international gar so erfolgreich positioniert, dass Geld aus der ganzen Welt bei uns angelegt wird. Die Eigentümer schätzen die Dienstleistungen, die Sicherheit, die Stabilität. Derzeit ist die Schweiz der grösste Vermögensverwalter der Welt.
Die Schweiz fertigt hochwertige Produkte. Schweizer Erzeugnisse sind weltweit für ihre Qualität beliebt und berühmt – Schweizer Qualität ist sprichwörtlich. Das zeigt sich auch in den Ausfuhrzahlen: Die kleine Schweiz liegt in der Rangliste der Exportnationen auf dem 14. Platz.
Weltweit kaufen wir Güter. Weltweit wird von Schweizer Unternehmen investiert. Mit den Direktinvestitionen in ausländische Unternehmen liegt die Schweiz international an vierter Stelle. Dadurch schafft die Schweiz nach den aktuellsten Zahlen der Nationalbank 2,35 Millionen Arbeitsplätze im Ausland.
Die Schweiz darf sich sehen lassen mit ihren Beiträgen an die Weltwirtschaft. So helfen unsere Unternehmen, so helfen wir alle mit, weltweit Wohlstand zu schaffen, weltweit zum Fortschritt beizutragen.
Und das soll allen bewusst sein, deren Politik gegenüber der Schweiz von Neid getrieben ist. Alle, die mit einem Wirtschaftskrieg erreichen wollen, was sie im friedlichen und freien Wettbewerb nicht zu erreichen vermögen. Die Wüste beginnt nicht zu blühen, wenn man die Oase trockenlegt. Im Gegenteil, wer immer in der Wüste leben muss, verliert seine Quelle.

Gute Dienste
Zum hundertfünzigsten Mal jährte sich in diesem Juni die Schlacht von Solferino. Die Industrialisierung fand damals die Fortsetzung auf dem Schlachtfeld mit den Massenheeren und mit einem neuen Ausmass an menschlichem Leid. Der blutige Krieg zwischen Sardinien, Frankreich und Österreich wurde mit dem Frieden von Zürich beendet. Und wie damals Zürich bietet der neutrale Boden von Schweizer Städten immer wieder ideale Voraussetzungen für Friedensgespräche.
Vor allem aber wurden die improvisierten Lazarette in der Lombardei dank Henry Dunant zum Geburtsort des Roten Kreuzes. Seither lindert die Schweiz das Leid in den Elendszonen auf der ganzen Welt.
Allen, die mit dem Finger auf uns zeigen und uns als Profiteure verunglimpfen, weil wir nicht an internationalen Abenteuern teilnehmen, ist zu entgegnen: «Wir holen seit anderthalb Jahrhunderten die Menschen aus den Trümmern, die Ihr überall auf der Welt mit Eurem Grossmachtsstreben hinterlässt.»
Und diese Aufgabe können wir nur deshalb so glaubwürdig wahrnehmen, weil wir machtpolitisch ambitionslos sind. Die Grossmächte, sie sich Ressourcen und Transportwege sichern wollen, sind keine glaubwürdigen Helfer und Vermittler. Die Schweiz dagegen, die sich seit jeher aus den Konflikten heraushält, hat das Vertrauen aller Beteiligten. Denn bislang war klar: Unsere Neutralität verbietet uns die Parteinahme. Aber dieses wertvolle Vertrauen ist leicht zu verlieren. Beteiligen wir uns unter Führung der Grossmächte an militärischen Operationen, so werden auch wir zur Konfliktpartei. Den Ruf, den wir uns in den letzten hundertfünfzig Jahren seit Solferino aufgebaut haben, dürfen wir nicht aufs Spiel setzen. Und damit auch unsere Möglichkeiten, dort zu helfen, wo andere zerstören.
Die Militarisierung unserer Aussenpolitik hilft niemandem. Weder unserer Armee, die nur als Verteidigungsarmee den Rückhalt in der Bevölkerung geniesst, noch den Menschen in den Kriegsgebieten, die sich neutrale Helfer und nicht weitere Interventionstruppen wünschen.
Distanz zur Weltpolitik
Gerade unsere Distanz zur grossen Weltpolitik macht unsere Stellung in der Welt aus. Darauf dürfen, darauf sollen wir hinweisen:
Der Freiheitsimpuls, der Beitrag zum Fortschritt, die guten Dienste zeigen, wie weltverbunden die Schweiz ist. Denn Offenheit heisst nicht, blind völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen, Abkommen, an die sich ausser uns ohnehin kaum jemand hält. Offenheit ist viel mehr. Offenheit ist Achtung, ist Austausch, ist Anteilnahme. Offenheit ist, wovon die Menschen profitieren, nicht die Regierungen, die NGO oder die supranationalen Organisationen.
Und was wir den Menschen auf dieser Welt geben, das darf sich sehen lassen. Ideell. Materiell. Humanitär. Wir bereichern die Welt mit Freiheit, tragen zum Fortschritt bei und helfen den Notleidenden. Ein grosser Beitrag für ein kleines Land. Grund genug, Kritikern mit sachlichem und gefestigtem Selbstvertrauen zu begegnen.

Bundesrat Ueli Maurer

Festansprache von Bundesrat Ueli Maurer, Chef des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), anlässlich der 1.-August-Feier 2009 in Welschenrohr, 31. Juli 2009 und in Meilen, Oberwil-Lieli, Marthalen, Volketswil, Wildberg 1. August 2009.

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