Donnerstag, 4. Juni 2009

Die Globalisierung und ihre Opfer

Das Unrecht der internationalen Wirtschaft

Die Politik der Welthandelsorganisation hat das Sozialdumping ermöglicht
von Prof. Dr. iur. Karl Albrecht Schachtschneider

zf. Die Kapitalverkehrsfreiheit aus der Sicht des Rechts: ein Unrechtssystem, das nicht nur jeder rechtlichen Grundlage entbehrt, sondern die Grundprinzipien demokratischer, rechtsstaatlicher und freier Gemeinwesen zerstört. Die weltweite Kapitalverkehrsfreiheit entmachtet Staaten, entbindet die Wirtschaft ihrer ethischen Verpflichtungen und führt zwangsweise zu Krisen, wie wir sie heute haben. Gerade diese Kapitalverkehrsfreiheit, die vor allem auf Drängen der mächtigen Staaten über die EU und die WTO eingeführt wurde, scheint heute, da es auf Grund der Finanzkrise in allen Staatshaushalten an Kapital fehlt, zum Stolperstein der eigenen Machtpolitik zu werden. Doch anstatt über die eigenen Fehler nachzudenken und notwendige Korrekturen in den betroffenen Ländern einzuleiten, versucht gerade Deutschland, auf kleinere Staaten wie die Schweiz und Luxemburg, die die Krise offensichtlich viel besser bewältigen, loszugehen. Im folgenden werden die Zusammenhänge zwischen der Finanzkrise und der Kapitalverkehrsfreiheit ausführlich dargelegt.

Der (Un-)Rechtsrahmen der Weltwirtschaftsordnung
Den rechtlichen Rahmen der Wirtschaft unserer Welt bilden nicht allein, ja nicht einmal wesentlich, die Regelungen der Europäischen Union (EU) oder gar die Gesetze der Einzelstaaten, sondern die Verträge der Welthandelsorganisation (WTO) und die weltweite Kapitalverkehrsfreiheit. Die EU ist zu einer unselbständigen Region des Weltmarktes geworden. Die WTO-Übereinkommen der Uruguay-Runde von 1994 deregulieren weitestgehend den globalen Waren- und Dienstleistungsverkehr (GATT und GATS) durch den Abbau der Zölle und anderer Handelshemmnisse sowie das Verbot von Diskriminierungen ihrer Mitglieder (Staaten). Leitprinzipien sind die Meistbegünstigung und die Inländerbehandlung. Dem Import und dem Export sind somit so gut wie keine Hindernisse in den Weg gelegt. Der Grossteil der Staaten gehört der WTO an, die Europäische Union und alle ihre Mitgliedstaaten, auch China, nicht aber Russland, mit dem die USA noch verhandeln. Die WTO kennt einige wettbewerbsrechtliche Schutzinstrumente wie das Antidumping- und das Anti­subventionsübereinkommen, die nicht sehr wirksam sind. Die Agrarmärkte sind freilich von der Deregulierung noch weitgehend ausgenommen. Vor allem die USA und die EU schützen ihre Landwirte und Agrarfabriken vor dem Weltmarkt, ja sie subventionieren den Export ihrer Agrarprodukte zum Schaden der weniger entwickelten Länder, insbesondere derjenigen in Afrika.

WTO – Lohndumping als Prinzip
Das Welthandelsrecht kennt keine menschenrechtlichen und sozialpolitischen Vereinbarungen. Zwar sind die Mitglieder völkerrechtlich an die Menschenrechtserklärungen, welche auch soziale Rechte umfassen, gebunden. Deren Durchsetzung ist aber nicht erzwingbar, schon gar nicht durch einzelne Menschen, auch in der EU und in Deutschland nicht. Insbesondere gibt es im Rahmen der WTO keinerlei Arbeitnehmerschutzvereinbarungen. Das Lohndumping ist geradezu Prinzip der WTO, vermeintlich im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit der weniger entwickelten Länder. Alle Versuche der Doha-Runde, Sozialstandards zu vereinbaren, sind bislang gescheitert.

Freihandelsdoktrin – der absolute Vorteil für transnationale Konzerne
Die Ideologie der WTO ist die Freihandelsdoktrin, der sich die EU im Vertrag von Lissabon verpflichtet. Der gegenwärtige Welthandel beruht allenfalls im geringen Umfang auf komparativen Vorteilen, dem bestechenden Argument der klassischen Freihandelslehre, weil nicht alle Ressourcen der beteiligten Volkswirtschaften voll ausgelastet sind, allein schon wegen der Arbeitslosigkeit. Aber auch der grenzüberschreitende Kapitaleinsatz führt nicht zu gegenseitigen Vorteilen. Die international tätigen Unternehmen nutzen absolute Vorteile, welche ihnen die Länder mit geringen Arbeitskosten bieten, und vertreiben die dort gefertigten Produkte in den Ländern mit hohem Preisniveau. Die hohe Gewinnspanne ist das Geschäft.
Lissabonner Vertrag verpflichtet Länder auf schrankenlosen Kapitalverkehr
Die Welthandelsordnung wird durch die nationale oder regionale Deregulierung des Kapitalverkehrs ergänzt, in der EU durch Art. 56 Abs. 1 EGV, der «alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verbietet». Begrenzte Ausnahmen dienen dem Schutz der Wirtschafts- und Währungsunion vor schwerwiegenden Störungen (Art. 60 EGV). Auch Kapitaleigner aus dritten Ländern, also aus der ganzen Welt, können ihr Kapital unbeschränkt in der EU einsetzen, es aber auch unbeschränkt abziehen. Eine weltweit vereinbarte Steuer auf spekulativen Kapitalumsatz (Tobinsteuer) wäre vertragswidrig, nicht anders als eine entsprechende nationale oder gemeinschaftliche Steuer (Art. 58 EGV). Die Übereinkommen der WTO sind verbindlich, auch für die EU, wenn auch die Praxis den Bürgern und Unternehmen kein subjektives Recht auf deren Beachtung zugesteht. Das Streitbeilegungsverfahren der WTO hat durchaus Wirkkraft. Wenn Vereinbarungen der WTO geändert werden sollen, müssen zurzeit 153 Staaten zustimmen. Die EU beansprucht im übrigen entgegen dem Wortlaut des Gemeinschaftsvertrages die ausschliessliche Zuständigkeit für die Handelspolitik (AETR-Doktrin). Auch der exportstärkste Mitgliedstaat hat keine Befugnis, Handelsabkommen zu schliessen.Die Einheit der Welthandelsordnung und der weltweiten Kapitalverkehrsfreiheit macht die Rechtlosigkeit der Wirtschaftsordnung aus, welche den Völkern oktroyiert ist. Diese Ordnung hat weitestgehend rechtlich und allemal politisch höchsten Rang, schafft aber weltweit unvollständige Verfassungen, weil weder die Menschenrechte noch die sozialen Prinzipien sich gegen diese neoliberale Ordnung zu behaupten vermögen. Die Agenda 21 von 1992, in der die Vereinten Nationen eine sozialpolitisch und ökologisch ambitionierte Eine-Welt-Politik, freilich demokratiefern, propagiert haben, ist vielleicht nicht vergessen, aber verschwiegen.

Das Sozialprinzip – die Aufgabe des Staates
Das Vertrauen in die sittliche Verantwortung des unternehmerischen Handelns ist die Rechtfertigung der weitgehenden Privatheit der Unternehmen. Kein Volk überlässt sein Schicksal ohne Not Unternehmern, die nicht dem gemeinen Wohl zu dienen versprechen. Privatheit ist das Recht zur freien Willkür. Freiheit aber ist Sittlichkeit, das Gesetz der Sittlichkeit das Sittengesetz, also das Liebesprinzip. Sittliches Handeln ist für die Agenten des Kapitals geradezu ausgeschlossen. Dafür fehlen alle institutionellen und materiellen Vorkehrungen im Welthandelsrecht. Soziale Verantwortung setzt den Staat und dessen Gesetze voraus. Freilich müssen die Staaten Republiken sein, die Staatsform der allgemeinen Freiheit, deren politische Form die Demokratie ist, die bewegende Kraft der sozialen Gerechtigkeit, wenn die Wahlen frei und gleich sind. Die gibt es wiederum nur im wirklichen Rechtsstaat. Unternehmen, welche die Sozialpflichtigkeit abschütteln wollen und können, genügen nicht der deutschen Eigentumsverfassung. Art. 14 Abs. 2 GG lautet nämlich: «Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.» Keinem Staat kann die soziale Frage gleichgültig sein. Er muss dem Sozialprinzip genügen, wenn er ein Gemeinwesen der Freiheit sein will. Der Einzelstaat ist aber in der globalisierten Unternehmenswelt wirtschafts- und sozialpolitisch entmachtet. Wer auf das Ethos der Unternehmer hofft, verkennt die Zwänge des Marktes.Erst ein globaler Staat vermöchte die Kapitaleigner und die Unternehmen wieder dem Sozialprinzip zu verpflichten, aber es ist nach aller Erfahrung nicht zu erwarten, dass ein solcher Weltstaat auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gegründet wäre. Der Weltstaat würde zu viele Menschen vereinen, als dass er mehr als formal demokratisch sein könnte. Solidarität ist nach aller Erfahrung eine Sache der Nähe, der kleinen Einheit und eines hinreichenden Masses an Homogenität.

Unternehmensinteresse und Gemeinwohlinteresse
Die Unternehmen dienen der Lebensbewältigung des Volkes und müssen darum dessen Gesetzen unterliegen. Die Gesetzlichkeit der Unternehmenshandlungen verwirklicht das Gemeinwohl. Darin haben die institutionell privaten Unternehmen ihre staatliche Funktion, die nichts anderes als Verwirklichung des allgemeinen Willens des Volkes und damit der Gemeininteressen desselben ist. Das unternehmerische Gewinninteresse soll sich im Rahmen des Gemeininteresses entfalten können. Soweit privates Unternehmertum höhere Effizienz als staatliche Lebensbewältigung für das Gemeinwesen verspricht, wird dessen Privatheit der dienenden Funktion der Unternehmen in der Republik gerecht. Auch die Veranstaltung des unternehmerischen Wettbewerbs ist Sache des Staates, sei es national oder in internationalen Ordnungen. Die Unternehmen aber sind eine Sache des Volkes; als res publica sind sie eine res populi. Sie sind zugleich eine Sache der Unternehmer, aber auch Sache der Beschäftigten und somit auch eine res privata. Die Staatlichkeit und die Privatheit sind wie bei allem Handeln in der Republik untrennbar verbunden, weil Handeln durch die Interessen der Allgemeinheit und die besonderen Interessen zugleich bestimmt ist.Unternehmerisches Handeln findet nur begrenzten Grundrechtsschutz in der Eigentumsgewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG, in der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG und in der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG. Das Grundgesetz formuliert (im Gegensatz zur Grundrechtecharta der Europäischen Union, Art. 16) keine allgemeine Unternehmensfreiheit. Eine Kapitalverkehrsfreiheit muss sich die Grenzen des Sozialprinzips gefallen lassen. Es gibt keine liberalistischen, sondern nur sozialpflichtige Grundrechte. Freiheit ist ohne Ausnahmen dem Sittengesetz, dem kategorischen Imperativ, verpflichtet.

Marktliche Sozialwirtschaft
Das Sozialprinzip ist wegen seines Verfassungsranges das bestimmende Prinzip der deutschen Wirtschaftsverfassung. Das Grundgesetz hat keine bestimmte Wirtschaftsordnung festgelegt, aber doch mit dem Sozialprinzip dem wirtschaftsordnenden Gesetzgeber die brüderliche Lebensbewältigung aufgegeben und durch die Grundrechte auch das Handeln am Markt geschützt. Die Wirtschaftsordnung muss nach dem Sozialprinzip die Selbständigkeit und damit auch die Selbstverantwortlichkeit der Menschen gewährleisten. Nicht die soziale Marktwirtschaft ist die Wirtschaftsordnung, welche dem Grundgesetz bestmöglich genügt, sondern die marktliche Sozialwirtschaft. Die Wirtschaft trägt zur sozialen Realisation bestmöglich bei, wenn sie marktlich und wettbewerblich gestaltet ist, weil Markt und Wettbewerb der Erfahrung nach wirtschaftliche Effizienz gewährleisten, freilich nur, wenn der Staat dafür Sorge trägt, dass Markt und Wettbewerb sich dem Sozialprinzip fügen, wenn insbesondere die grundsätzlich gleichheitliche, durch Bedarf und Leistung, aber auch durch das Marktprinzip modifizierte Verteilung der Güter gewahrt bleibt, welche durch die Eigentumsgewährleistung geboten ist.

Personalsoziale Eigentumslehre – Grundlage freiheitsgemässer Selbständigkeit
In der Sozialwirtschaft darf die Beschäftigungspolitik keinesfalls vernachlässigt werden; denn Arbeit ist der allgemeinste und menschheitlichste Weg zu Eigentum und damit zu freiheitsgemässer Selbständigkeit, ohne welche der Mensch kein Bürger ist. Die Eigentumsgewährleistung schützt nicht nur das Recht am Eigentum, sondern begründet ein Recht aller auf Eigentum. Die Arbeitsverhältnisse sind das Eigentum der Mitarbeiter der Unternehmen. Zugleich erwächst aus der Eigentumsgewährleistung ein Recht auf Arbeit, wie es die Menschenrechtstexte kennen. Nur eine dieser personalsozialen Eigentumslehre gemässe Eigentumsgesetzgebung genügt dem Sozialprinzip. Die hohe Arbeitslosigkeit und die millionenfachen menschenrechtswidrig unterbezahlten Arbeitsverhältnisse in Deutschland sind Ergebnis einer ebenso kapitalistischen wie internationalistischen Politik, die sich die Parteienoligarchien gefügig gemacht haben. Dafür benötigt man nicht mehr als Geld, notfalls ein wenig ideologischen Moralismus.

Logik des freien Kapitalverkehrs – unvereinbar mit sozialer Verantwortung
Das bestimmende Prinzip der global agierenden Kapitalanleger ist die Rendite (Shareholder value). Sie bestimmt die Standortpolitik der Unternehmen. Das Kapital und damit die Unternehmen können so gut wie unbeschränkt in fast jeden Staat verlagert werden. Nicht nur Unternehmen sind global, sondern auch Produkte und Kunden. Die Verkehrs- und Transportverhältnisse und anderes mehr erleichtern den Standortwechsel. Um der Erwerbsarbeit in ihrem Land eine Chance zu lassen, sind die Staaten zur Nivellierung ihrer Steuer und Sozialpolitik, aber auch zur Deregulierung des Wirtschafts- und des Umweltrechts gezwungen. Der Wettbewerb der Staaten minimiert die staatlichen Pflichten der Unternehmen. Die privaten Maximen der Anteilseigner, meist deren Vorteil, bestimmen deren Handeln. Solidarische Verteilung des Volkseinkommens geht nun einmal zu Lasten der Kapitalrendite. Soziale Verantwortung der Kapitaleigner widerspricht geradezu der «Logik» des globalen Kapitalverkehrs. Die Vorteilsnahme ist die eigentliche Triebfeder der Globalisierung, nicht etwa das Bemühen um das Wohl der Völker, gar der armen Völker.

Ausbeutung der Völker und Unterwerfung der Staaten
Spezifisch die Internationalisierung des Kapitaleinsatzes ist der erfolgreiche Weg der Ausbeutung der Völker und der Unterwerfung der Staaten. Die Theoretiker und Praktiker der entstaatlichten Märkte versuchen sich mit dem Wettbewerbsprinzip zu exkulpieren. Die Legitimation des Wettbewerbs wird (ist) zu einer Ideologie überhöht, welche dem Einzelstaat die Legitimation streitig macht. Die optimale Allokation der Ressourcen, welche ökonomische Theorien dem globalen Wettbewerb nachsagen, mag sich in gleichgewichtstheoretischen Modellrechnungen darlegen lassen. Mit der Wirklichkeit der oligopolistischen, unvollkommenen Märkte haben diese Modelle wenig gemein. Aber der Wettbewerb, dessen Nutzen für die Effizienz unbestritten ist, wenn er vom Staat sachgerecht veranstaltet wird, muss sich in das Gemeinwohl einfügen. Er kann nur Werkzeug der Bürgerschaften sein, wie die Unternehmen selbst auch. Weltweiter Wettbewerb legitimiert es nicht, die Lebensverhältnisse zu entdemokratisieren und zu desozialisieren. Dafür gibt es auch keinerlei ökonomische Zwänge. Marktlicher Wettbewerb setzt, wenn dieser fair sein und dem Recht genügen soll, hinreichende Gleichheit der Chancen voraus, welche die Rechtsordnung sichern muss, für einen weltweiten Wettbewerb das Weltwirtschaftsrecht. Für den globalen Markt gibt es (abgesehen von den genannten Teilregelungen) kein Wettbewerbsrecht. Freilich erübrigt auch ein solches nicht ein durchgreifendes Sozialrecht. Der Missbrauch von Standortvorteilen zu Lasten der Völker muss ausgeschlossen sein. Menschenrechtswidrig produzierte Waren etwa sind rechtens nicht vertriebsfähig. Aber die Praxis kennt nicht einmal den Begriff der illegalen Ware. Wenn die Staaten in einen Wettbewerb treten, ist dieser nur rechtmässig, wenn die Lebensverhältnisse in den Staaten derart homogen sind, dass die Unternehmer als die «Nachfrager» nach Staatlichkeit nicht die sozialpolitische Hoheit der Staaten unterminieren können. In der sozial heterogenen Welt führt die Globalisierung zu sozialen Verwerfungen, in denen auch die freiheitlichen Gemeinwesen zugrunde gehen können, jedenfalls in Not geraten. Das hilft auch den armen und unterdrückten Völkern nicht. Nur nachhaltige Förderung, vor allem Revolutionierung der politischen Systeme, verspricht Entwicklungschancen. Schon Montesquieu hat aber gesagt: «Gerade in den freiheitlichen Ländern stösst der Handelsmann auf Einreden und Widerstände ohne Zahl. Nirgends kommen ihm die Gesetze weniger in die Quere als in geknechteten Ländern.» (Vom Geist der Gesetze XX, 12)

Eingesparte Unternehmenskosten – steigende Sozialkosten
Die Arbeitsplätze, richtigerweise Eigentum der Arbeitnehmer, sind durch den Wechsel eines Unternehmensstandorts, über den durch Boni usw. systemisch korrumpierte Vorstände entscheiden, meist verloren. Die globalisierenden Unternehmer suchen die optimalen, meist die geringsten Arbeitskosten. Mit dem entlassenen, also enteigneten (expropriierten) Arbeitnehmer wird ein Mensch zurückgelassen. Der verlassene Staat muss die Kosten dieses Menschen und gegebenenfalls für dessen Familie übernehmen. Gewerkschaften und Arbeitnehmermitbestimmung vermögen, wie die Praxis erweist, derartige zur Massenarbeitslosigkeit oder, nicht weniger erbärmlich, zur Arbeitnehmerausbeutung beitragende Unternehmenspolitik des provozierten internationalen Wettbewerbs nicht wirklich zu be- oder gar zu verhindern. Kostengünstiger leben die Völker durch die Billigimporte nicht; denn die Gemeinwesen müssen die Transferkosten als Sozialleistungen ­finanzieren. Die Mittel dafür muss die Volkswirtschaft auch aufbringen. Die internationalistischen Unternehmen beuten sowohl die armen Völker (Sklavenarbeit) als auch die reichen Völker (Abschöpfung) aus, so lange bis auch diese verarmt sind. Die Menschen sind in aller Welt Opfer der Globalisierung der Wirtschaft. Wenige aber werden unermesslich reich. Menschliche Schicksale in Gegenwart und Zukunft interessieren diese Macher eher nicht.

Verletzung des Grundprinzips des gemeinsamen Lebens
Auch die Bürgerschaft hat «Eigentum» an den Unternehmen. Dieses Eigentum ist nichts anderes als die Hoheit des Staatsvolkes, welches durch seine Gesetze auf die Unternehmen einwirkt, gemäss seinen Gesetzen an deren Ergebnissen teilhat, aber auch die Verantwortung für sie trägt, jedenfalls für deren Beschäftigte. Die Wirtschaftskrise führt diese Verantwortung deutlich vor Augen. Die Interessen der Bürgerschaft sind kaum noch durchsetzbar. Die Unternehmen können sich dem Gemeineigentum eines Staates entziehen und sich «schwache Staaten» für ihre Geschäfte aussuchen. Die Völker sind «erpressbar» geworden. Solidarische Bindungen der Anteilseigner an ein Gemeinwesen bestehen wegen deren Internationalität nicht mehr. Die liberalistische Wirtschaftsordnung hat den Bürgern ihr «Eigentum» weitgehend genommen, wie es der Logik des anti-etatistischen Neoliberalismus entspricht, der durch den Internationalismus eine Blüte erlebt, die einen extremen Kapitalismus nach sich gezogen hat, obwohl dieser kein Menschenrecht für sich hat, auch nicht das des Eigentums, welches mit der Persönlichkeit des Menschen verbunden ist.

Krisen sind das Gesetz des Zinses
Aber die Krise des Kapitalismus ist auch die Krise der globalisierten Wirtschaft. Die nicht bezahlbaren Hilfsmassnahmen der Einzelstaaten, international koordiniert, sind vielleicht das letzte Aufbäumen des kapitalistischen Systems, welches mit den Volkswirtschaften und vor allem den Währungen die politische Stabilität in Gefahr bringt. Sollte die Rettung gelingen, wird eine weitere Runde gespielt werden – bis zur nächsten Krise; denn die Krisen sind im Kapitalismus systemimmanent. Das ist das Gesetz des Zinses. Wegen der gigantischen spekulativen, nicht werthaltigen kreditären Geldmengen sind die Zyklen schneller und sind die Krisen schlimmer. Wegen des Eigentums der Bürgerschaften und vor allem wegen des eigentumsgeschützten Rechts auf Arbeit dürfen die Unternehmen nicht aus den Staaten ausbrechen und sich nicht den Gesetzen des Volkes entziehen, ohne das Grundprinzip des gemeinsamen Lebens, die allgemeine Freiheit und das allein in der Freiheit aller Bürger gründende Recht, zu verletzen. Sie stellen sich sonst gegen das jeweilige Volk und dessen Staat, vor allem aber gegen dessen Recht. Das aber ermöglicht ihnen die Republik, vor allem sozialwidrige Liberalisierung und Deregulierung des Kapitalverkehrs. Das Recht und damit das gemeine Wohl ist in der gegenwärtigen Welt noch immer Sache der Völker und deren Staaten, wenn und insoweit diese die elementaren Menschenrechte wahren.

Res publica res populi.
Internationalistischer Kapitalismus führt zu Entrechtung und Demokratieabbau
Der internationalistische Kapitalismus verletzt die Bürgerlichkeit, weil die Bürger ihre Freiheit gegenüber ihren Unternehmen nicht wirklich durch Gesetze des gemeinen Wohls verwirklichen können, weil die freiheitliche Verteilung der Güter, die das Gemeinwesen hervorbringt, unter den Bürgern erschwert, wenn nicht verhindert wird, weil die Anteils­eigner, die ausserhalb der Bürgerschaft stehen, die Erträgnisse weitestgehend in Anspruch nehmen, weil die Verwirklichung des demokratisch gestützten Sozialprinzips mangels hinreichenden Einflusses des Staates weitgehend verhindert wird. Das demokratische Prinzip verliert durch die Entstaatlichung der Unternehmen an Bedeutung; denn der (abgenötigte) Privatismus (funktionale Entstaatlichung) der Unternehmen mindert (durchaus bezweckt) die Relevanz der Wahlen, weil die Bürgerschaft und deren Vertreter in den Parlamenten auf Gesetze und mit den Gesetzen auf die Verwirklichung des Gemeinwohls verzichten müssen. Insgesamt wird die Republik relevant entstaatlicht, das heisst entdemokratisiert, entsozialisiert, entliberalisiert (liberal im Sinne der politischen Freiheit verstanden), fundamentaler: entrechtlicht, weil die Unternehmen der Republik entzogen werden. Die Unternehmensgesellschaften tun dies, weil es ihnen nicht verwehrt wird. Die Politiker haben das, von ökonomischen Effizienztheorien, insbesondere einer missverstandenen Freihandelslehre, vielleicht auch durch die Ideologie des Grossen verführt, ermöglicht. Erneut muten die globalen Unternehmen den Völkern zu, ihnen zu dienen. Jetzt werden ihnen die Verluste der ebenso spekulativen wie inflationären Kreditierungen aufgebürdet. Das verkehrt den Nomos der Wirtschaft. Die Führer der globalen Unternehmen und der institutionellen Anleger geben sich als die neuen Herren der Welt, «frei und reich» (Kenichi Ohmae, Die neue Logik der Weltwirtschaft, 1992, S. 242 f.). Die Politik der Welthandelsorganisation hat das Sozialdumping, eine krasse Fehlentwicklung des Freihandels, ermöglicht. Die Unternehmer nutzen die Möglichkeiten, welche die Politiker ihnen geschaffen haben.

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