Montag, 20. Oktober 2008

Jörg Haider - der Oppositionspolitiker

Jörg Haider
Tod eines Popstars

Von Christa Zöchling

Jörg Haider war der erfolgreichste Oppositionspolitiker, den das moderne Österreich je hatte. Sein Tod hat nochmals gezeigt, was er für viele Menschen bedeutete. Seine Biographin ergründet exklusiv den Aufstieg und Fall des politischen Ausnahmetalents.

Wer hätte gedacht, ein einziges Wort würde genügen? Die romantische Aufforderung "Deinetwegen" auf den Plakaten und ein paar Fernsehauftritte, viel mehr war da nicht im vergangenen Wahlkampf, um jeden zehnten Österreicher dahin zu bringen, ihm seine Stimme zu geben.

Tausendmal totgesagt ist Jörg Haider immer wieder aufgetaucht und im Windschatten seiner Wähler gross und grösser geworden. Vom alternden Dandy war zuletzt die Rede gewesen, der am Wörthersee den Operettenbuffo gibt und spätnachts auf Partys die Generation der Alkopoppers um sich schart. Doch Täuschung und Selbsttäuschung liegen in der Natur jener Bewegung, die Haider anführte. Vor 22 Jahren übernahm er am Innsbrucker Parteitag handstreichartig die Macht, auf das Schild gehoben übrigens von jenen deutschnationalen und rechten Kameraden, deren er am Ende überdrüssig wurde und die sich heute bei seinem jüngeren Wiedergänger, Heinz-Christian Strache, daheim fühlen- dem Discogeher, der sich einst im Neonazi-Milieu umgetrieben hat. Wie sich die Karrieren gleichen! Gemeinsam kamen sie bei den jüngsten Nationalratswahlen auf ein Drittel der Wählerstimmen.

Das Establishment stand dem Phänomen Haider ratlos oder mit schlechtem Gewissen gegenüber. Wie sollen auch jene, denen der Übertreiber einen Spiegel vorhielt, hineinsehen, ohne zu erschrecken? Der virilen Konkurrenz war nicht beizukommen, indem man die Person ablehnte, ihre Politik jedoch weitgehend vollzog.

Er bestimmte den Ton der Debatte

Haider bestimmte den Ton, in dem über die Verhältnisse geredet wurde. Er hatte die Lufthoheit über die Stammtische des Landes, auch über diejenigen in den "gehobenen" Kreisen. Mit der Hereinnahme seiner Partei in die Regierung im Jahr 2000 war er salonfähig geworden. Die angesehene Literaturkritikerin Sigrid Löffler erfand dafür den Begriff der "Verhaiderung" Österreichs. Er ist heute noch gültig.

Haider changierte selbst zwischen Anbiederung und Provokation. Er profitierte von der Dialektik der nützlichen Gleichzeitigkeit, sowohl verharmlost als auch dämonisiert zu werden. Wenn Haider sagte, dass er "das System für sturmreif" hält, dann sprach er vielen Menschen aus dem Herzen, die sich der vermeintlichen Willkür von Gesetzen und Vorschriften ausgeliefert sehen und die nicht wissen, wieso und warum. Und wenn er hinzufügte, es sei "nicht notwendig in diesem Lande eine Revolution zu machen", dann beruhigte er die verängstigten Gemüter.

Jörg Haider formte die FPÖ zu einer universellen Oppositionspartei und war, von Bruno Kreisky abgesehen, der erfolgreichste Politiker der Zweiten Republik. Wenn man Erfolg an der Leidenschaft misst, mit der er geliebt und gehasst wurde. ("Die Sonne ist vom Himmel gefallen", sagten seine Mitstreiter am Tag seines Todes) Und wenn man die Effektivität seines Tuns der Moral entkleidet.

Haider war ein Verführer, verspielt und schwer zu fassen, weil scheinbar jede beliebige Meinung eine Zeitlang bei ihm eine Heimat finden konnte. Ein Outlaw, der gegen die Etablierten antrat, rückwärtsgewandt und dennoch modern. Er war der erste, der Elemente des Showbusiness in der Politik etablierte.

Schon in jungen Jahren, gerade einmal 23 Jahre alt, gab er Interviews, hingefläzt auf eine Couch, eine Pfeife im Mund, ein Requisit der "politischen Imagebildung, das sich durch fernsehwirksame Darstellung noch ausbauen" lasse, wie er offen bekannte. Er posierte gern als Coverboy mit nacktem Oberköper und Starlets an seiner Seite. In seinen besten Zeiten marschierte er zu den Klängen von "Final Countdown" in die Arena, alles in Dunkel gehüllt, die Scheinwerfer allein auf ihn gerichtet. Solche Massenveranstaltungen waren - transportiert über Fernsehbilder - eine neue und starke Form der Propaganda, die seine Fans mit gesteigerten Selbstbewusstsein und einem Gefühl von Macht nach Hause entliess.

Jörg Haider hat die politische Kultur aus der Langeweile, aus einer mehr oder minder verdeckten Form der Depression wenigstens zeitweise erlöst. Seine Show wirkte euphorisierend. Er war der Komödiant, der sich in Szene setzte, seinen Spieltrieb auch gegen den Zeitgeschmack austobte, der sich daran berauschte, wenn ihm das Publikum nach anfänglichem Widerstand beinahe willenlos folgte, der ausreizte, was möglich war. Und noch darüber hinaus. Im Jahr 1991 musste Haider seinen Posten als Kärntner Landeshauptmann räumen, weil er von der "ordentlichen Beschäftigungspolitik im Dritten Reich" gesprochen hatte. Acht Jahre nahm er ihn unter Tränen wieder ein. Er hatte bei den Landtagswahlen 42,3 Prozent der Stimmen erreicht.

Haider arbeitete mit ziemlich banalen Strategien. Trotzdem- oder vielleicht deshalb - war er grandios in seiner Wirkung. Er schaffte es, die Politik zu einem Psychodrama, nicht zuletzt zu seinem eigenen zu machen, ein Phänomen der Massenkultur.

Haider holte die Politik auf die Schaubühne zurück, in einer Stadt, in der die Verkehrung von Sein und Schein zur Tradition gehört. "Nur in Wien, wo alles Politische zum reinen Theater geworden war, konnte das Theater sich wirklich an die Stelle aller Realitäten setzen" schrieb Hannah Arendt über "Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft" in ihrem Standardwerk aus den 50er Jahren.

Als stünde er in Brechtscher Tradition, zwinkerte Jörg Haider seinem Publikum dann und wann zu, daran erinnernd, dass doch alles Theater sei und die Zuschauer nicht so dumm, das Ganze ernst zu nehmen.

Hervorragender Nestroy-Schauspieler

Haider wollte, in seiner Pubertät, Schauspieler werden. Er hatte im Schülertheater Szenenapplaus bekommen. In den Nestroy-Rollen soll er so gut gewesen sein, erzählen ehemalige Klassenkameraden, dass er selbst jene faszinierte, mit denen er heillos zerstritten war. Seine Wirkung entsprang, wie in jedem Theater, nicht einem gemeinsamen, rationalen Interesse des Publikums. Der Mission von der Bewahrung einer ethnisch reinen Bevölkerung, von der schon die Nationalsozialisten träumten, ist Haider bis zuletzt treu geblieben.

Als 16-Jähriger hatte er unter tosendem Applaus mehrerer Hundertschaften von Turnern die "Mischungen von Völkern und Rassen", die er vor allem im Kärntner Grenzland, in Wien und in den niederösterreichischen Industriegebieten für zahlenmässig relevant hielt, angeprangert. "Wenn die Politik nicht auf ethnischen Prinzipien aufgebaut ist, dann hat die Menschheit überhaupt keine Zukunft mehr", sagte er in den 90er Jahren.

Als Erbe des Kärntner Bärentales, ehemals in jüdischem Besitz, der mit dem Geld seines Onkels 1939 "entjudet" worden war unter der Auflage, in diesem südlichen Teil Kärntens "das Deutschtum hochzuhalten" entsprach er dem Auftrag und beugte den Rechtsstaat, um keine weiteren zweisprachigen Ortstafeln in Kärnten aufstellen zu müssen. In den letzten Tagen seines Lebens liess er Asylwerber, die Straftaten verdächtigt waren, auf der einsamen Kärntner Saualpe auf 1200 Meter Höhe in eine Sonderstrafanstalt transportieren. Unter dem Beifall der Kärntner Sozialdemokratie.

Haider war ein Abbild, ein Inbild gesellschaftlicher Sehnsüchte und Erwartungen, die nicht zufällig zeitgleich mit der Wahl Kurt Waldheims zum Bundespräsidenten in den achtziger Jahren in österreichischen Politik Konturen bekamen. Während Waldheim, der alte Mann, hilflos von "Pflichterfüllung" sprach, als es um seine, in den Nationalsozialismus verstrickten Kriegsjahre ging, hob Haider den Teppich, unter den das alles jahrzehntelang gekehrt worden war. Er behauptete, dass sich niemand dafür genieren müsse. Die Nachgeborenen schon gar nicht. Und die Kriegsgeneration auch nicht. Eigentlich niemand. Unter Haiders Schutzherrschaft durfte fortan das kollektive schlechte Gewissen zu den Akten gelegt werden.

Kein Mensch lebt ein Leben nach einem einzigen Gesetz oder einem allumfassenden Prinzip. Wenn man will, kann man jedoch einen roten Faden in Haiders persönlicher und politischer Entwicklung entdecken, ein Segment, das hypertroph geworden ist und das den grossen Rest hat absterben lassen. Eine Charaktereigenschaft, die all das, was er tat, bis in Kleinste kennzeichnete. Es war der kindische und potentiell gefährliche Drang, immer und überall Erster, der Beste zu sein, mehr geliebt und mehr gefürchtet zu werden als andere. So musste er fortwährend gegen Widerstände anrennen.

Keiner seiner Parteigenossen, die eine Zeitlang in der öffentlichen Anerkennung gleich wichtig waren, hat an seiner Seite politisch überlebt. Keiner durfte es wagen, seine führende Position in Zweifel zu ziehen. Jeder, der ihn einmal weinend, jammernd und depressiv gesehen hat, lief Gefahr, in einem dafür günstigen Augenblick abgeschoben zu werden.

In der politischen Sphäre war es der Widerstand gegen den Staat und all das, was er in der Zweiten Republik Österreich (re)präsentiert. Doch Haiders Kritik an den Verhältnissen ist im Grunde diffus geblieben. Er prangerte Verbände und Institutionen, Proporz und Privilegien, die Nutzniesser und deren Gehälter an. Als seine eigene Partei an der Macht kam, lief die propagierte Erneuerung darauf hinaus, dass sich auch noch die Haider-Partei in das alte Proporzsystem hineinzwängte.

Der Hauptvorwurf, der gegen Haider immer wieder erhoben wird, ist der des Rechtsextremismus oder der zynischen Instrumentalisierung dieser Haltung zum Zwecke der Provokation. Haider entstammte einem nationalsozialistischen Elternhaus. Von daher rührte Haiders beständiger, ins Ohr schleichender Unterschleif des nationalsozialistischen Worttums. Sein Lob für SS-Veteranen als "anständige Menschen mit Charakter, die trotz des Gegenwindes ihrer Überzeugung treu geblieben sind", die Rede von den "Straflagern" des Nationalsozialismus, sein Kampf gegen "Überfremdung".

Neben dem tiefen Verständnis für die sozialen Gründe der Hitler-Bewegung pflegte man im Hause Haider vor allem das Ressentiment gegen die Ehemaligen, die in einer der beiden Staatsparteien Unterschlupf gefunden hatten. Sie galten als Verräter. "Diejenigen, die früher hochrangige Nazis waren, waren nach dem Krieg auf einmal die grössten Widerstandskämpfer und haben auf die hinunter getreten, die im Prinzip, so wie meine Eltern, nicht zur Führungselite des Nationalsozialismus gehört haben", klagte Haider in einem Gespräch mit der Autorin.

Ein Teil seines Erfolgs ist seinen unterschwelligen homoerotischen Signalen geschuldet. Immer wieder tauchten sogenannte Mitwisser auf, die bestätigten wollten, dass Haider schwul sei. Ging man der vermeintlichen Zeugenschaft auf den Grund, verlor sich die Spur im Nichts. Es handelte sich um eine kollektive Phantasie, gereizt durch den Stil seines Auftretens und den Umgang mit seinen Bewunderern. Haiders Erfolgsjahre waren von einer sogenannten Bubenpartie begleitet: junge Männer, beeindruckt vom Erfolg und stark in der Gruppe, die auf Tennisplätzen, beim Wasserschifahren, oder in schicken Bars am Wörthersee aufgelesen wurden. Wo immer Haider auftrat, war er in wechselnder Besetzung von Angehörigen dieser Gruppe umgeben. Sie waren die Pin-ups der Haider-Partei, seine treuesten Wegbegleiter, die wie Trabanten um ihren Stern kreisten, immer genau darauf achtend, wer gerade in einer nähere Umlaufbahn wechselt. Bis der eine oder andere hinausgekickt wurde.

Haider war sich früh bewusst, worauf sein Leben in der Politik hinauslief. "Mir wird eiskalt, wenn ich daran denke, dass man wie ein Frosch auf einer Sprossenleiter sein ganzes Leben lang nur schaut, wie man die Sprossenleiter hinaufkommt. Dann sagst vielleicht einmal: Du bist ein Narr gewesen", reflektierte er am Beginn seiner Karriere vor 28 Jahren.

Keine Kommentare: