Aus dem ZEIT-Archiv:
Artikel 8: "Zeit"-Fragen Nr. 73c vom 13.11.2000, Seite 9
Ritalin - die verkannte Gefahr
von Dr. phil. Judith Barben, Kinderpsychologin in Baden bei Zürich,
und Dr. med. Andreas Bau, Kinderarzt in Hamburg
Immer mehr Kindern im deutschsprachigen Raum wird täglich Ritalin verabreicht. Elternzeitschriften propagieren die Tablette als Wundermittel gegen Verhaltensstörungen. Der Pharmakonzern Novartis produziert und vertreibt das Mittel weltweit. Chemisch ist es Methylphenidat, ein im Gehirn wirkendes Stimulans (Aufputschmittel). Die verwandten Substanzen Captagon und Amphetamin sind wegen ihrer stimulierenden Wirkung seit Jahren in der Drogenszene verbreitet. In Amerika untersteht Ritalin strengen Kontrollen der Betäubungsmittelbehörden, in Deutschland und der Schweiz darf es nur über ein Betäubungs- mittelrezept, in Österreich nur über ein Suchtgiftrezept verschrieben werden. In den USA wird Ritalin Millionen von Kindern wegen sogenannter «Aufmerksamkeitsdefizitstörung» («Attention Deficit Disorder») verabreicht, und auch in Europa ist seit neuestem eine «Ritalin-Welle» zu beobachten. Warum gibt man Kindern Ritalin? Was ist eine «Aufmerksamkeitsdefizitstörung»? Warum boomt die Psychodroge weltweit? Und was sind die Langzeitfolgen?
In den 70er und 80er Jahren erhielten Kinder, die in Kindergarten oder Schule verhaltensauffällig waren, die sich schlecht konzentrieren konnten, herumzappelten und ständig Konflikte mit anderen Kindern hatten, in der Schweiz oft die Diagnose «POS» («frühkindliches psychoorganisches Syndrom»), in Deutschland und Österreich «MCD» («minimale cerebrale Dysfunktion») und im englischen Sprachraum «MBD» («minimal brain dysfunction»). Diese Begriffe gehen von einem hirnorganischen Defekt bei verhaltensauffälligen Kindern aus - und zwar bei Kindern, bei denen kein hirnorganischer Befund vorliegt. Etwas später tauchten im Zusammenhang mit verhaltensauffälligen, unkonzentrierten Kindern die Begriffe «Teilleistungsschwäche» oder «Wahrnehmungsstörung» auf, mit denen man - ohne organischen Befund - die kindliche Verhaltensstörung zu erklären versuchte. Heute sind die Diagnosen «Hyperaktivität», «hyperkinetische Verhaltensstörung», «hyperkinetisches Syndrom» oder «Aufmerksamkeitsdefizitstörung» am gebräuchlichsten (englisch: «Attention Deficit Disorder» ADD oder «Attention Deficit and Hyperaktivity Disorder» ADHD).1 Auffällig mehr Knaben als Mädchen sind «hyperaktiv».
Gibt es das «Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom»?
Lehrer mit längjähriger Schulerfahrung berichten, dass die Schüler in den letzten Jahren allgemein unruhiger und nervöser geworden sind. Die Gründe dafür sind komplex. Einig sind sich die Fachleute, dass der zunehmende Medienkonsum (Fernsehen, Video, Computergames, Musik) die Kinder unruhig macht. Der Inhalt dieser Medienprodukte ist oft destruktiv oder wenig sinnvoll.2 Ein weiterer Faktor, der zur Unruhe vieler Kinder beiträgt, sind die «modernen» Unterrichtsformen. Bei «offenem» Unterricht ohne klare Führung werden «hyperaktive» Kinder besonders anfällig für störende Verhaltensweisen, während dieselben Kinder bei «konventionellen» Lehrern, die gut strukturiert unterrichten und klar anleiten, oft ruhiger und konzentrierter arbeiten können. Die Tatsache, dass mehr Knaben als Mädchen «hyperaktiv» sind, bedarf weiterer Klärung. Fachleute vermuten, dass dies mit der «modernen» Abwertung der Männerrolle und deren Folgeerscheinungen zusammenhängt.
Das Erscheinungsbild eines «hyperaktiven» Kindes wurde bereits 1844 vom Nervenarzt Dr. Hoffmann in seinem Buch «Struwwelpeter» als Zappelphilipp beschrieben: «Er gaukelt und schaukelt, er trappelt und zappelt auf dem Stuhle hin und her» ... , bis er zu Boden fällt und das Tischtuch mitsamt der Mahlzeit herunterreisst, zum Entsetzen der Eltern. Was aber lässt ein Kind zum Zappelphilipp werden?
Aus der entwicklungspsychologischen und pädagogischen Forschung weiss man, dass Eltern viel in der Hand haben, um ihren Kindern zu mehr Ausgeglichenheit und innerer Ruhe zu verhelfen. Im Artikel «Was ist mit Simon los?» wird das Beispiel eines «hyperaktiven» Kindes beschrieben. Es wird gezeigt, wie ein Kind im Laufe seiner Entwicklung in ein negatives Verhaltensmuster hineingeraten kann. Dank der fachkundigen Beratung und Therapie auf der Grundlage der personalen Psychologie3 haben die Eltern dieses Kindes gelernt, das Verhalten ihres Sohnes richtig zu interpretieren. So konnten sie ihm die richtige Hilfestellung geben, und dem Knaben ist es gelungen, aus seinem früheren negativen Beziehungsmuster herauszufinden. Er hat gelernt, seinen Platz in der Familie und Gemeinschaft auf eine schöne, gewinnbringende Art einzunehmen. Dies ist auch in unzähligen anderen Fällen möglich.
Die empirische Forschung stützt diesen Befund. So konnte kürzlich eine deutsche Studie nachweisen, dass viele «hyperaktive» Kinder sich beruhigen, wenn die Kommunikation und Interaktion innerhalb der Familie verbessert wird. Die Forscher wandten ausdrücklich keine stimulierenden Drogen an. Sie führten mit den «hyperaktiven» Kindern und ihren Familien acht therapeutische Sitzungen innerhalb von neun Monaten durch. Fünf Jahre später machten sie eine Nachuntersuchung. Sie stellten fest, dass bei achtzig Prozent der Kinder die Entwicklung einen positiven Verlauf genommen hatte. Viele von ihnen hatten sogar einen ausgezeichneten Schulerfolg.4
Verkürzte biologische Sichtdes Menschen
Leider findet die Tatsache, dass eine Ausgestaltung der positiven Zuwendung der Eltern «verhaltensauffällige» Kinder ruhiger werden lässt, in der Fachdiskussion nicht die gebührende Beachtung. Trotz der bekannten entwicklungspsychologischen Zusammenhänge wird immer wieder auf hirnorganische Erklärungsmuster und - damit im Zusammenhang - auf chemische Substanzen wie Ritalin zurückgegriffen. Darin kommt eine verkürzte biologistische, mechanistische Sichtweise der menschlichen Persönlichkeit zum Ausdruck. Tatsache ist, dass trotz jahrzehntelanger intensiver Forschung nach hirnorganischen Ursachen der «hyperkinetischen Verhaltensstörung» (beziehungsweise des sogenannten «frühkindlichen psychoorganischen Syndroms» beziehungsweise der sogenannten «minimalen cerebralen Dysfunktion») kein einziger wissenschaftlicher Beleg für einen organischen Defekt gefunden werden konnte, sei es im Genmaterial, im Hormonhaushalt, in der Hirnflüssigkeit, im Hirnfluss, in der Hirnentwicklung oder in der Hirnstruktur. Auch für die Tatsache, dass mehr Knaben als Mädchen «hyperkinetisch» sind, gibt es keine biologische Erklärung. Es fehlt sogar bis heute ein allgemein anerkanntes Diagnoseverfahren für die «Aufmerksamkeitsdefizitstörung».
Vor einigen Jahren versuchte man, diese Kinder (man nannte sie damals «Phosphatis») durch eine phosphatfreie Ernährung zu «bessern», und hatte dabei gewisse Erfolge. Diese Erfolge - so die fast einhellige Meinung der Kinderärzte und Kinderpsychiater - waren auf die vermehrte Zuwendung der Mütter zurückzuführen. Denn diese mussten sorgfältig auf das Einhalten der Diät achten. Dadurch beschäftigten sich die Mütter in positiver Weise mit dem Kind, während sie es vorher häufig für sein unruhiges Verhalten kritisiert hatten. Die Diät selbst hielt keiner wissenschaftlichen Überprüfung stand.
Heute schallt der Ruf nach Ritalin. Einige Ärzte sind auf Grund ihrer grosszügigen Verschreibungspraxis als «Ritalin-Päpste» bekannt. Die Verschreibungshäufigkeit in ihren Praxen hat ungeahnte Höhen erreicht. So verschreiben zwei Kinderärzte in einer Doppelpraxis in Süddeutschland einem Viertel(!) ihrer jungen Patienten Ritalin. Dies obwohl bisher die Empfehlung galt, das Mittel nur mit grösster Zurückhaltung anzuwenden und die Verschreibung spätestens in der Pubertät zu beenden.5 Auch Elternzeitschriften propagieren Ritalin in unverantwortlicher Weise als Wundermittel gegen die «Aufmerksamkeitsdefizit-störung»: «Ehemaliger Störenfried ganz brav [seit er Ritalin nimmt]»,6 schreibt eine Elternzeitschrift zum Beispiel. Es wäre hilfreicher, sie würde den Eltern entwicklungspsychologische Kenntnisse vermitteln und ihnen so helfen, das emotionale Wechselspiel mit ihren Kindern feiner abzustimmen und eine positive Beziehung mit ihnen aufzubauen und zu gestalten.
Wirkungen von Ritalin wissenschaftlich nicht geklärt
Ritalin (Methylphenidat) ist - wie Amphetamin - ein Aufputschmittel und gehört in die Gruppe der Psychostimulanzien.7 Seine genaue biochemische Wirkungsweise im Gehirn ist bis heute nicht geklärt. Dies wurde auf Rückfrage von einem Novartis-Sprecher bestätigt. Bei vielen Medikamenten, die im Nervensystem wirken würden, sei das so. Auf der Packungsbeilage zu Ritalin fehlen denn auch die sonst üblichen Hinweise auf den Wirkmechanismus. Zugleich musste der Novartis-Sprecher aber einräumen, dass man beim Parkinson-Mittel den Wirkmechanismus genau kenne.
Ritalin wird einerseits gegen Narkolepsie (krankhafte Schlafanfälle) und andererseits zur Beruhigung «hyperkinetischer» Kinder eingesetzt. Angeblich soll Methylphenidat den Hirnstoffwechsel im Frontalhirn anregen und gewisse Synapsen (Nerven-Schaltstellen) bahnen. Warum aber Ritalin bei Narkolepsie aufweckt und bei einem Teil der «hyperkinetischen» Kinder beruhigt, ist nicht wirklich klar. Die gängige Erklärung lautet, Methylphenidat würde die Konzentrationsfähigkeit verbessern, und dadurch seien die hyperkinetischen Kinder weniger ablenkbar und deshalb ruhiger. Es kommt allerdings auch vor, dass verhaltensauffällige Kinder unter Ritalin so erregt werden, dass man das Mittel sofort absetzen muss. Bei anderen wirkt es überhaupt nicht. Auf der Packungsbeilage wird auch auf das Risiko psychotischer Reaktionen hingewiesen. Kinderärzte berichten immer wieder von Fällen, in denen Kinder unter Ritalin psychotisch wurden, Sinnestäuschungen hatten und in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden mussten. Laut einer kanadischen Studie entwickelten sechs Prozent von 98 Kindern, die durchschnittlich eindreiviertel Jahre Ritalin erhielten, Psychosen.8
Als weitere Nebenwirkungen von Ritalin können - so die Packungsbeilage - Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Traurigkeit, Ängstlichkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Hautausschläge, Haarausfall, Muskelzuckungen (Tics), Verhaltensstereotypien und unwillkürliche Gesichtsbewegungen auftreten oder bestehende Tics verstärkt werden. Ein weiteres Risiko von Ritalin ist - wie der Hersteller Novartis schreibt - sein «stark ausgeprägtes psychisches Abhängigkeitspotential bei nicht bestimmungsgemässem Gebrauch»; es müsse deshalb immer «die Möglichkeit des Arzneimittelmissbrauchs oder der Drogenabhängigkeit im Umfeld des Patienten beachtet werden».9 Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie rät von einer Ritalinverschreibung ab, «falls Medikamenten- oder Drogenmissbrauch im umittelbaren Umfeld des Kindes oder Jugendlichen oder durch den Jugendlichen selbst vorkommen oder der Verdacht besteht, dass der Jugendliche die Droge verkauft».10 In den USA wird Ritalin auf dem Schwarzmarkt gehandelt und von Drogensüchtigen intravenös gespritzt.
Ob das Mittel bei längerer Anwendung eine bleibende Schädigung des sich entwickelnden kindlichen Hirns bewirkt, ist offen. Aussagekräftige Langzeitstudien dazu fehlen noch. Auf Nachfrage konnte auch der Novartis-Sprecher keine Langzeitstudie nennen, sondern verwies an Dritte. Bekannt ist jedoch, dass negative Folgen noch nach langer Zeit auftreten können. Auch ist - so Novartis - «die klinische Bedeutung einer Verminderung des Längenwachstums und der verzögerten Gewichtszunahme bei Kindern nicht endgültig geklärt»,11 was der Novartis-Sprecher mit dem Hinweis kommentierte, alle Medikamente, auch Aspirin, hätten «die verrücktesten Nebenwirkungen». Wäre etwas mehr Verantwortungsgefühl von Novartis nicht angebracht? Immerhin geht es um die Gesundheit von Kindern.
Ritalin stört die Persönlichkeitsentwicklung langfristig
In den Fällen, in denen Kinder unter der Wirkung von Ritalin äusserlich ruhiger werden, fühlen sich die Eltern entlastet, in die Familien und Schulklassen scheint Frieden einzukehren. Doch zu welchem Preis!
Während die Frage nach den organischen Langzeitschäden des Ritalins noch offen ist, werden die psychologischen Langzeitschäden mehr und mehr bekannt. Erfahrene Kinderärzte, Kinderpsychologen und Lehrer berichten auf Grund langjähriger empirischer Beobachtung, dass die erwünschte Wirkung des Mittels, die scheinbare «Beruhigung» - falls sie überhaupt eintritt - keine wirkliche Beruhigung ist, sondern nur ein künstliches Unterdrücken der spontanen und natürlichen Gefühle und Lebensäusserungen des Kindes, ein Niederhalten der Persönlichkeit, eine «chemisch bewirkte Fügsamkeit».12
Gerade aber die sogenannte Verhaltensstörung ist oft ein Appell des Kindes an die Beziehungspersonen, sich mit ihm zu beschäftigen. Damit sich das Kind gesund entwickeln kann, dürfen diese «störenden» Verhaltensweisen keinesfalls chemisch niedergehalten werden, sondern die Beziehungspersonen müssen das Kind verstehen lernen, seine «Verhaltensauffälligkeit» richtig interpretieren und seine spontane Aktivität in gesunde Bahnen lenken. Das Kind will beachtet und geliebt werden, und es will einen positiven Beitrag zur Gemeinschaft leisten. Ritalin jedoch unterdrückt und betäubt das Gefühlsleben, wie das bei allen Drogen der Fall ist. Unter der Wirkung des Mittels kann das Kind weder lernen, seine eigenen Gefühle wahrzunehmen noch mit ihnen umzugehen. Gerade diese Fähigkeit aber ist im Sinne einer Ausgestaltung und Differenzierung der emotionalen Intelligenz von allergrösster Bedeutung.13 Ohne die Entwicklung dieser Fähigkeit - eigene Gefühle wahrzunehmen und mit ihnen umzugehen - ist eine normale Reifung und Entwicklung der Persönlichkeit nicht möglich. Das Kind bleibt emotional stehen.
Ausserdem bewirkt die Ritalin-Einnahme - wie auch schon die Diagnosestellung - eine tiefe Entmutigung und Resignation beim Kind. So erklärte ein achtjähriger «verhaltensauffälliger» Schüler seinem Lehrer: «Wissen Sie, ich muss diese Tablette nehmen, weil bei mir etwas im Kopf nicht stimmt.» Dieser Bub hatte sich damit abgefunden, dass er einen «Defekt» im Hirn habe und deshalb ein «Schwieriger» sei, sich in der Schule nicht konzentrieren könne, ständig Streit habe und seinen häufigen Wutausbrüchen (trotz Ritalin!) ohnmächtig ausgeliefert sei. Mit diesem negativen Bild über sich selbst wird der Knabe ins Leben hinausgehen.
Ein Kind, das jahrelang Ritalin genommen hat, muss - wenn das Mittel dann endlich abgesetzt wird - genau an dem Punkt wieder anfangen und sich mit genau denjenigen Problemen konfrontieren, mit denen es damals nicht fertig wurde: dieselbe Unsicherheit unter den Menschen, dieselbe nagende Eifersucht, dieselbe Entmutigung, dieselbe Ungeduld beim Lernen wie damals. Nur ist das Kind kein Kind mehr, sondern es ist inzwischen ein Jugendlicher geworden, der emotional auf der Stufe eines Kindes stehengeblieben ist. Und dieser junge Mensch muss nun - wie das vom Drogenproblem her bekannt ist - zusätzlich mit dem Problem fertig werden, dass er inzwischen von den Gleichaltrigen und Jüngeren überholt worden ist. Die Hilfe ist dadurch nicht einfacher geworden.
Eine Sonderschullehrerin schildert einen 16-jährigen Knaben, der neu in ihre Klasse gekommen ist und der schon seit Jahren Ritalin einnimmt. Als der Knabe kam, fiel ihr sofort auf, dass er emotional ganz kindlich geblieben war. Geringfügige Auseinandersetzungen mit Gleichaltrigen nahm er übermässig schwer. In Konfliktsituationen konnte er sich kaum wehren, wurde hilflos, fing an zu weinen und suchte Hilfe bei der Lehrerin oder der Mutter. Die Lehrerin versuchte dem Knaben zu vermitteln, wie er solche Situationen besser meistern könne, doch ohne Erfolg. Er verblieb in seiner kindlichen Haltung. Erst als die Eltern auf Anraten der Sonderpädagogin das Ritalin absetzten, fing der Jugendliche an, kleine Lernschritte im Sozialverhalten zu machen. Die verpassten Jahre der Entwicklung konnte die Lehrerin mit ihm jedoch nicht nachholen.
Schadenersatzklagen gegen Novartis
Immer mehr Fachleute14 warnen vor der alarmierend leichtfertigen Verschreibungspraxis von Ritalin.15 In den USA laufen erste Klagen gegen den Hersteller Novartis. Renommierte Anwaltskanzleien in Kalifornien und New Jersey werfen dem Pharmakonzern vor, er habe Psychiatrieprofessoren und Forschungsinstitute mit Geldern geködert und mit der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung konspiriert, damit sie die «Krankheit» Aufmerksamkeitsdefizitstörung (mit und ohne Hyperaktivität: ADHD und ADD) «erfanden»16. Der Novartis-Sprecher konnte dies kaum entkräften. Er hielt diese Vorwürfe zwar für absurd - zur Begründung verwies er jedoch lediglich auf die Beschreibung des Zappelphilipp im Kinderbuch «Struwwelpeter». Da dürfte die stringente Argumentation der Anwälte eher überzeugen. Die Anwälte sagen weiter, der Konzern hätte mit irreführender Werbung den Absatz des Mittels angekurbelt und dessen gravierenden Nebenwirkungen heruntergespielt. Ritalin stelle aber ein grosses Risiko dar. Obwohl der Novartis-Sprecher betonte, Novartis würde keine Werbung machen, gibt es zurzeit enorm viel Werbung für Ritalin. In Deutschland wird zum Beispiel von Frühförderstellen und gewissen Psychologen, in der Schweiz beispielsweise von «ELPOS Schweiz» (Dachverband der Vereine von Eltern mit «POS-Kindern») massiv Werbung für Ritalin gemacht.
Die Kläger gegen Novartis in den USA streben den Status von Sammelklagen an und zielen auf Schadenersatzzahlungen in Milliardenhöhe ab. Es ist durchaus denkbar, dass diese Klagen - im Gegensatz zu einem früheren Verfahren in Texas - Erfolg haben. Laut «Wall Street Journal» ist mit weiteren Klagen in anderen Bundesstaaten zu rechnen.
Modediagnose «ADD» und Ritalin-Propaganda
In den USA ist die «Aufmerksamkeitsdefizitstörung» («Attention Deficit Disorder: ADD») inzwischen zur am meisten diagnostizierten «Kinderkrankheit» geworden, Ritalin zur «Pille für das Kind».17 Sechs Millionen amerikanische Kinder bekommen Ritalin.18 In gewissen amerikanischen Schulklassen nehmen bis zu zwanzig Prozent der Schüler Ritalin. Die «School-Nurses» haben alle Hände voll zu tun, um den Kindern ihre täglichen Dosen zu verteilen. Mit der massiven Verschreibung boomen auch die Bücher und Artikel, die Ritalin als einzig wirksame Therapie für hyperaktive und unkonzentrierte Kinder propagieren. Das Mittel wird zum Teil mit anderen Psychopharmaka kombiniert (zum Beispiel mit dem Antidepressivum Prozac), und es sind auch schon Konkurrenzprodukte auf dem Markt (zum Beispiel das Stimulans «Adderall»). Längst halten die Ärzte die sogar von Norvartis selbst empfohlenen Altersgrenzen von sechs Jahren bis zur Pubertät19 nicht mehr ein. Aus Deutschland sind Fälle bekannt, wo Ärzte zweijährigen Kindern Ritalin verschrieben haben! In den USA wird das Mittel zunehmend auch an Erwachsene abgegeben, obwohl es Jugendliche und Erwachsene süchtig machen kann. Auch in Deutschland scheint diese large Verschreibungspraxis Einzug zu halten. Ein Internatsleiter aus Süddeutschland berichtet, dass die junge Mutter eines Schülers seit einem Jahr Ritalin nimmt, fünf Tabletten täglich - verschrieben vom Hausarzt; der «hyperaktive» Schüler selbst steht seit drei Jahren unter Ritalin, sechs Tabletten täglich.
Und all das, obwohl das entwicklungspsychologische, pädagogische und therapeutische Wissen vorhanden ist, um diesen Kindern und Eltern wirklich zu helfen!
Was ist der Grund für diesen Boom? Eine «Selbsthilfegruppe Aufmerksamkeitsgestörter und Hyperaktiver» namens CHADD (Children and Adults with ADHD) mit über 30 000 Mitgliedern und Hunderten von Sektionen fällt in den USA als gut organisiert, publizistisch geschickt und finanzkräftig auf. Die «Selbsthilfegruppe» propagiert Ritalin als angeblich einzig wirksame «Therapie» gegen «ADHD». «CHADD» fordert von der Invalidenversicherung finanzierten Gratisnachhilfeunterricht für «ADHD-Betroffene» sowie Prüfungserleichterungen. Zudem setzte sich die «Selbsthilfegruppe» dafür ein, dass Ritalin aus den strengen Kontrollbestimmungen für Betäubungsmittel herausgenommen und in eine leichter zugängliche Kategorie umklassifiziert werden sollte. Während des Anhörungsverfahrens wurde jedoch bekannt, dass Novartis der «Selbsthilfegruppe» 900 000 Dollar in bar bezahlt hatte!20 Das Bekanntwerden dieser skandalösen Tatsache setzte dem gefährlichen Versuch, Ritalin noch leichter zugänglich zu machen, zum Glück ein Ende. Der Novartis-Sprecher bestätigte - ohne die genaue Summe zu kennen - das Sponsoring. Das würde Novartis bei jedem Medikament so machen, hielt er fest.
Weltweit mehren sich die Stimmen, die vor der psychopharmakologischen Betäubung unzähliger Kinder durch Ritalin und verwandte Substanzen warnen. So schreibt der amerikanische Kinderarzt und Autor eines Buches über Ritalin, Lawrence H. Diller: «Europa sollte ganz genau hinsehen, was bei uns geschieht, und die USA als warnendes Beispiel nehmen.» - «Es fällt uns so viel leichter, bei einem Kind eine Störung festzustellen und ihm Tabletten zu geben als auf seine Bedürfnisse einzugehen.»21
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2 Kommentare:
ach ja, mittlerweile ist auch 7 jahre später. der Artikel aus dem Jahr 2000 ist gespickt mit alten ansichten. wer selbst kinder mit adhs hat und die 7-meilen-stiefel kennt, die ritalin der entwicklungsfähigkeit verleiht, weiss, was ich meine. selbst als erwachsener profitiere ich von ritalin. ohne die medikation hätte ich einige probleme niemals in den griff bekommen, allen voran das mobbing (!) ritalin hat seinen platz - bei kompetenter diagnose - mit sicherheit zu recht in der hausapotheke aller ad(h)s-diagnostizieren, die probleme haben, sich zu organisieren. gehen wir doch endlich verantwortlich mit dem thema um, handeln wir endlich einen gesellschaftlich anerkannten status aus. adhs ist ein anderer wahrnehmungs-, eine andere reaktionsstil. die, welche damit in ihrem leben keine probleme haben, sind die wenigsten, spätestens wenn sie dann kinder haben, fragen sie sich, wo ihre, womöglich immer vertuschte, schusseligkeit herkommt und hingeht. ad(h)s zu haben bedeutet, von seinen gefühlen getrieben zu werden. kein wunder, dass scientology ritalin am liebsten verbieten will (siehe cafeholunder vs. ingo heinemann), die ins visier des verfassungsschutzes geratene brutale sekte ist ja auch anlaufstelle von so vielen adhslern, die nicht wissen, dass sie an einer stoffwechselstörung leiden - gefundenes fressen für alle mobber.
Es ist offensichtlich, dass etwas Besonderes an den Kindern ist, die heute geboren werden: Sie sind besonders egoistisch, scharfsinnig und intelligent.
Sie wollen wissen, „warum“ sie das tun sollen, was die Erwachsenen ihnen sagen und nur dann tun sie es - vorausgesetzt sie wollen es (normalerweise nicht!). Sie sind eine vollständig neue Generation ohne Verlangen danach, „Erfolg im Leben“ zu haben, so wie wir dies normalerweise verstehen. Sie müssen sich erst selbst beweisen, dass das Leben Sinn hat.
Aber ist es andererseits nicht besser, in Drogen, verschiedene Vergnügungen und in eine eigene virtuelle Welt zu fliehen, anstatt alle möglichen Anstrengungen zu unternehmen?
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