Dienstag, 6. November 2012

Forensiker im neuen Strafrecht

Vom Schuldstrafrecht zum vorsorglichen Wegschliessen „Gemeingefährlicher“

Peter Zihlmann
November 2012
In den letzten zwanzig Jahren hat sich unser Strafjustizsystem rapid verändert, immer mehr hat es sich losgekoppelt vom System, das Freiheitsstrafe dem Täter gemäss dessen Schuld an begangener Tat zumisst. Der Massstab war seit Jahrhunderten das Verschulden des Täters, das in der Tat und aus den Motiven, weswegen es zur Tat kam, zum Ausdruck kommt. Das Gesetz gab lediglich einen weiten Strafrahmen vor. Seit dem 19. Jahrhundert ist Strafzumessung im Einzelfall verbunden mit einer Innenschau, einer Analyse der Psyche des Täters. Strafe setzte Schuld und daher auch die Schuldfähigkeit des Täters voraus. Noch immer gehört es zur richterlichen Norm, einen Psychiater im Zweifelsfall die Schuldfähigkeit eines Delinquenten vorgängig abklären zu lassen. Die Frage des Richters an den psychiatrischen Gutachter war gemäss gesetzlicher Vorgabe: Konnte der Täter das Unrecht seiner Tat einsehen und hatte er auch die Fähigkeit, gemäss dieser Einsicht zu handeln? Fehlte ihm die eine oder andere dieser Fähigkeiten, galt er als schuldunfähig und durfte nicht bestraft werden. Er wurde als Geisteskranker oder Geistesschwacher in einer Klinik behandelt, meist in einer geschlossenen Abteilung, also unter Zwang. Es gibt nach wie vor Abstufungen der Zurechnungsfähigkeit, diese kann auch bloss vermindert sein. Das hat Milderung der Strafe zur Folge.
Das oberste Prinzip des Strafrechts war die ausgleichende Gerechtigkeit, weil begangenes Unrecht ausgeglichen und die Strafe massvoll nach dem Grad des Verschuldens und der Zurechnungsfähigkeit zugeteilt werden sollte. Der Täter sollte durch die Strafe erklärtermassen nicht nur bestraft, sondern gleichzeitig auch gebessert das heisst resozialisiert werden; war er geisteskrank sollte er aufgrund angeordneter Massnahmen psychiatrisch behandelt werden.
Gegen das Ende des letzten Jahrhunderts kam durch die Entwicklung der Gesellschaft und ihrer Techniken eine neue Sicht und Idee auf. Schwere Gewalt- und Sexualstraftaten sollten nicht nur bestraft, sondern zum vorneherein durch Wegschliessung der möglichen Täter verhindert werden. Gewalt- und Sexualtaten erregten schon immer das öffentliche Interesse. Durch die Massenmedien wurde es möglich, die Angst der Bevölkerung und den Volkszorn durch die Darstellung solcher Verbrechen zu entfachen. Der Ruf nach mehr Strafverfolgung, härterem Zugriff, Ausbau des Zugriffsinstrumentariums entsprechend der technischen Entwicklung – Stichwort Lauschangriff und verdeckte Ermittlungen durch V-Personen – war die logische Folge. Zudem konnte daraus politisches Kapital geschlagen werden: der Begriff der inneren Sicherheit als Polizeiaufgabe trat in den Vordergrund. Kriminalität sollte verhindert werden. Die vorgenommene Erhöhung des Etats an Polizeieinsatzkräften allein konnte keinen durchschlagenden Erfolg bringen.
Die Idee, Verbrechen zu verhindern wurde so umgesetzt, dass der Einmal-Straffällig-Gewordene auf seine Gefährlichkeit für die Gesellschaft untersucht und bei positivem fachärztlichem Befund unabhängig von seinem Verschulden weggeschlossen werden konnte. Der Begriff der Gemeingefährlichkeit wurde in der Schweiz im Anschluss an den Mord eines im Hafturlaub Rückfälligen (sogenannter Zollikerberg-Mordfall) allgemein bekannt gemacht. Solche Täter sollten auf sehr lange Zeit verwahrt werden, möglichst für immer. Auf Bestrafung wird dennoch nicht verzichtet. Also müssen solche Täter ihre Strafe zuerst absitzen, um anschliessend zwangstherapiert oder – falls sich das als undurchführbar erweisen sollte – verwahrt zu werden. Da es nicht mehr um Schuld- und Strafzumessung geht, sondern um Wahrung der inneren Sicherheit, ist der Bezug zur Gerechtigkeit überhaupt in Frage gestellt: Der gefährliche Täter muss der Gesellschaft das Opfer seiner Freiheit bringen, damit diese sicher bleibt.
Aus solcher Praxis heraus und ohne gesetzliche Grundlagewurde eine Institution zur Bestimmung der Gemeingefährlichkeit der Delinquenten geschaffen, die sogenannte Fachkommission zur Überprüfung der Gemeingefährlichkeit von Straftätern. Darin nehmen Beamte Einsitz, die in irgendeiner Funktion mit dem bisherigen Strafvollzug zu tun haben: Gefängnisdirektoren, Staatsanwälte, Strafrechtler bis hin zu Beamten aus dem Strafvollzug. Die wichtigste Funktion in diesen Dunkelkammern übernehmen wie selbstverständlich die Psychiater. Die Fachkommissionen erteilten „unverbindliche Empfehlungen“ zuhanden der Strafrichter. Die Mitglieder dürfen den Täter weder behandelt haben noch ihn nur kennen. Es wird regelmässig aufgrund der Akten entschieden; auf Antrag kann der Betroffene ausnahmsweise von der Kommission angehört werden. Die Einbahnstrasse für Verwahrungen ist signalisiert. Der Damm der Rechtsstaatlichkeit ist gebrochen.
Die Psychiater scheinen sich nicht daran zu stossen, dass sie in den Dienst eines sich technokratisch organisierenden Polizei- und Wegsperrapparates gestellt werden. Geblendet durch die ihnen zugeteilte Macht entwickeln die besten Forensiker sogar Systeme, die künftiges, deliktisches Verhalten eines Menschen, denen sie eine Störung attestieren, angeblich voraussagen können, mit höherer Wahrscheinlichkeit als Meteorologen das Wetter. So verlieren Menschen ihre Freiheit auf Jahrzehnte. Die Forensiker scheint es nicht zu kümmern, dass sie ihrer ärztlichen Aufgabe entrückt und als Vollzugsgehilfen des Sicherungssystems eingesetzt werden; einige unter ihnen sonnen sich öffentlich in der Aura ihrer Macht und verraten so ihre eigene schwere narzisstische Persönlichkeitsstörung. Sie taxieren die ihnen vorgeführten Menschen und entscheiden über deren Freiheit aufgrund ihrer Prognose. Sie sind zu modernen Schamanen geworden. Formell geben sie nur eine Empfehlung ab, anderseits fühlt sich der Richter durch die Empfehlung gebunden und entlastet. Ein von aussen unangreifbares System. Wer keinen Charakter hat, hat wenigstens ein System.
Unabhängig und selbständig arbeitende Psychiater, die dieses System kritisieren und im Auftrag der Verurteilten abweichende Stellungnahmen im Einzelfall abgeben, werden als Nicht-Forensiker, als halbe Laien verlacht und deren Gutachten unbeachtet gelassen. Nur der Forensiker ist ein Forensiker ist ein Forensiker, andern wird kein Fachverstand zugebilligt. Ein perfektes, weil selbstreferentielles System mit Monopolcharakter. Die Forensiker sprechen nicht mehr von Geisteskranken oder Psychopathen, das ist gegen die Political Correctness. Das neue Zauberwort ist die „Persönlichkeitsstörung“, ein Begriff kühn zwischen Krankheit und Kriminalität hineingezwängt zur Sicherung der inneren Sicherheit. Das Mittel derartige Störenfriede wegzusperren ist das Gefährlichkeitsgutachten eines Forensikers. Der als mangelhaft erkannte Einzelne, der Gemeingefährliche, hat die Konsequenzen zu tragen. Ihn trifft keine Schuld, aber er hat die Tat zu verantworten und die Massnahme trifft ihn schlimmer und härter als jede Strafe. Sie ist ohne zeitliches Ende, unangemessen, unverhältnismässig zu seinem Tun, schlicht endlos und lässt ihm keine Hoffnung. Einzig die verräterische Tür zur Therapie scheint als letzter Ausweg noch offen, solange der Gutachter ihm nicht Untherapierbarkeit attestiert hat. Dem Gutachter ist „der Klient“ auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Das Machtgefälle zwischen den beiden ist kaum kleiner als jenes zwischen Herr und Knecht.
Das Massnahmenrecht wurde 1994/2007 neu konzipiert. Der Begriff der Geistesschwachen oder Geisteskranken verschwand ebenso wie jener der Psychopathen oder Gewohnheitsverbrecher alter Schule. Es gibt jetzt vor allem neu und zusätzlich Täter mit Persönlichkeitsstörungen, eingeteilt in ein Klassifikationssystem der Psychiater, das alles umfasst vom Schwachsinn bis zum Wahnsinn nach Eugen Bleuler und Ernst Kretschmer, den „Altmeistern“ der Psychiatrie. Im Einzelfall gehen die „schweren Persönlichkeitsstörungen über jeden Krankheitsbegriff weit hinaus. Die Forensiker sprechen nun nicht mehr von Patienten, sondern von Klienten. Ob krank oder nicht spielt keine Rolle mehr, Hauptsache, der als schwer gestört Taxierte kann weggesperrt werden. Diesen zynischen Zugang nennen die Forensiker „pragmatische Problemlösung“.
Das vom Strafrichter ausgesprochene Strafmass ist für die zusätzlich zu verhängende Massnahme unerheblich. Der Grundsatz der sonst so hoch gehaltenen Rechtskraft eines Urteils wird gebrochen. Der Psychiater kann aufgrund seiner Beurteilung Verwahrung empfehlen und der Richter wird sie jederzeit als „nachträgliche Verwahrung“ nach deutschem Vorbild verfügen. Jedes Strafurteil wird durch diese Öffnung zur Psychiatrie in seinem Strafmass unsicher und nach oben hin ins Unabsehbare erweitert. Es ist nur noch ein Fetzen Papier in der Hand der Psychiater und des Strafvollzugs. Die Frage an den Menschen ist nicht mehr mit nach rückwärts gewendetem Blick in die Vergangenheit an ihn selbst gestellt. Sein mögliches, wahrscheinliches Verhalten in der Zukunft wird aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur von einer Fachperson eingeschätzt. All das kann geschehen, solange der Anlasstäter im Straf- oder Massnahmenvollzug ist und – wie die Gerichtspraxis zeigt – sogar noch danach!
Das Institut der nachträglichen Verwahrung wurde aus praktischen Gründen scheinbar beiläufig eingeführt. Solange ein Täter im Straf- oder Massnahmevollzug festsitzt, kann der Richter in Abänderung seiner rechtskräftigen Urteile ohne neue Tat nachträglich Verwahrung anordnen. Die Täter sehen sich nach Ende der Strafe plötzlich und ohne jede Schuld mit einer von ihnen keineswegs verschuldeten Fortsetzung des Freiheitsentzuges – diesmal ohne Zeithorizont – konfrontiert.
Der Weg zum lebenslänglichen Weggesperrtwerden erfolgt oft zuerst unauffällig durch die richterliche Anordnung einer harmlos anmutenden ambulanten Psychotherapie.
Von Gesetzes wegen ist diese jederzeit umwandelbar in eine stationäre Therapie, wenn Probleme entstehen. Dieser Drohfinger kann vom Therapeuten gegenüber Betroffenen jederzeit erhoben werden. Die Umwandlung in eine stationäre Massnahme, jeweils um drei gegenüber Süchtigen bzw. fünf Jahre gegenüber Personen mit schwerer Persönlichkeitsstörung, wird verständlicherweise in der Praxis als „kleine Verwahrung“ bezeichnet. Eine hilfreich erscheinende, wenig einschneidende Massnahme wird nachträglich ohne neues Delikt zu einem Freiheitsentzug ohne Ende. Eine maximale Dauer, ein Ende, ist nicht festgelegt. Es gibt sie nicht.
Dies alles ist mehr als nur eine Fehlleistung des Gesetzessystems. Es ist ein epochaler Irrtum. Mir sind Fälle bekannt, wo noch nach 20 Jahren Therapien fortgeführt werden sollen (z.B. die Fälle Hugo Portmann und Hans-Peter Eggenberger). Gigantische Therapiekosten werden zulasten der Krankenkassen und Steuerzahler angehäuft.
Der Mensch wechselt so vom Strafrichter in die Gewalt der Psychiater, die sich in den Dienst des Strafvollzugs gestellt haben. Verhinderung künftiger Verbrechen ist das Ziel. Die Unschuldsvermutung ist ausser Kraft gesetzt, nicht nominell, aber im Ergebnis. Es braucht keine Schuld, sondern nur vom Gutachter attestierte „Gefährlichkeit“ des Täters. Die Rechtskraft des einmal über den Täter und seine Anlasstat ausgesprochenen Urteils lähmt den Psychiater, dieses „Vorurteil“ bei der Beurteilung der Person grundsätzlich in Frage zu stellen. Wer seine ihn angelastete Tat weiterhin leugnet, ist ein Hartgesottener, ein Widerspenstiger, ein Renegat, er ist uneinsichtig, ohne Reue und ohne Krankheitseinsicht und gilt als untherapierbar: Unschuld als Systemfehler und Restrisiko! Ihm droht Zwangsmedikation und vor allem ganz konkret Verwahrung – ihm, dem vielleicht wirklich Unschuldigen! Soweit wollen Forensiker gar nicht denken; sie dürfen es aus der Sicht des juridischen Systems auch gar nicht.
Gerade deswegen ist und bleibt das grösste Problem dieses Systems der Nicht-Geständige (vergleiche dazu „Der Fall Hassan Mansour“). Wer sich der Therapie widersetzt, namentlich weil er bestreitet, die Tat begangen zu haben, gilt bei hartnäckiger Weigerung als nicht therapierbar. Der Widerspenstige hat seine letzte Chance in den Augen des Forensikers verspielt und wird verwahrt. Das System ist logisch geschlossen und wird denn auch von sportlich-aggressiv veranlagten Forensikern durchgeboxt ohne Rücksicht auf Verhältnismässigkeit, Verlust des Augenmasses und der Mitmenschlichkeit. Das alles geht leicht von der Hand der Machthaber: Der Therapeut empfiehlt eine Massnahme, der überlastete Richter segnet sie ab und einer von ihnen unterzeichnet als erster das Urteil. Das ist noch kein fertiger Entscheid und zudem liegt eine als verbindlich empfundene Empfehlung der Fachkommission vor. Schliesslich unterzeichnen die andern Richter mit. Ein klarer Fall. Hauptsache bleibt zudem, der Störenfried wird unschädlich gemacht und es kann nichts passieren, was die Öffentlichkeit gegen das System und die Amtsträger aufbringen könnte. Es besteht immer eine geheime Verbindung zwischen Führung und Geführten, zwischen Führer und Volk.
Die Richter passten sich dem neu entstandenen Sicherheitsapparat erstaunlich widerstandlos an und dienten ihm zu und folgten ausnahmslos den Empfehlungen der Fachkommissionen und Forensiker. Allzu willfährig verhafteten sie Täter, die ihre Strafe oder Massnahme bereits abgesessen hatten oder liessen sie selbst nach Ablauf der Strafverbüssung nicht mehr in Freiheit. So scheint es nicht einmal mehr nötig zu sein, für rechtzeitige richterliche Verlängerung der Massnahmen zu sorgen. Die einmal Verurteilten werden vorsorglich in Haft behalten. Als Deckmantel diente der neu geschaffene Begriff des sogenannten „Nachverfahrens“ oder der Sicherungsmassnahme zur Durchführung einer in Zukunft zu erwartenden Massnahme. Der Erfindungsgeist der Richter war plötzlich beachtlich angeregt. Die gesetzliche Grundlage hauchdünn und der Eingriff in den Kernbereich der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen in eklatantem Widerspruch zum Grundrecht. Das Rechtsgut der Freiheit war für Einmal-Straffällig-Gewordene abgeschafft. Das Bundesgericht segnete den menschenrechtswidrigen Freiheitsentzug mutlos ab. So kam es im Jahr 2010 zur Verurteilung der Schweiz im Fall Borer durch die EMRK-Richter in Strassburg. Daraufhin stellt das Bundesgericht die Rechtswidrigkeit der Haft in solchen Fällen zwar fest. Aber es fällt niemandem auch nur im Traum ein, den Unrechtmässig-in-Haft-Behaltenen in die Freiheit zu entlassen. Einzig entscheidende Tatsache bleibt für das Gericht, dass der Verhaftete eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellt. Durch eine solche Haltung bricht jeder Rechtsschutz des Einzelnen in sich zusammen. Der Rechtsstaat Schweiz ist schwer beschädigt. Mit wenigen Ausnahmen (z.B. Günter Stratenwerth und Peter Albrecht, beide in Basel) liessen sich auch die Rechtswissenschaftler populistisch in den Dienst der Ideologien der Polizei- und Sicherheitsdepartemente stellen.
Die Medien realisierten rasch, dass die Auflagenzahl und Aufmerksamkeit des Lesers und der Öffentlichkeit besser zu steigern waren, wenn der Volkszorn, der sich gerne an schrecklichen Verbrechen entzündet, durch Darstellung der Täter als Unholde, Sexmonster und Teufel als wenn sie auf den Abbau der fundamentalen Freiheitsrechte im Rechtsstaat hingewiesen hätten. Erst wenn der Einzelne direkt oder ein naher Verwandter oder Freund von ihm von der Strafsucht oder dem Sicherheitsfanatismus der Gesellschaft erfasst wird, realisiert er, welche Schäden diese Raserei angerichtet hat. Die Medien haben ihr Wächteramt als vierte Staatsgewalt auf weiten Strecken vernachlässigt und peitschen rücksichtslos auf die Richter ein und nehmen sie in Geiselhaft, sobald ein Rückfall in die Kriminalität ruchbar wird. Die Richter, welche nicht drakonisch hart bestrafen oder auf Lebenszeit verwahren werden als lasch, mutlos oder gar als Mitschuldige angeprangert. Ihre massvollen und mit Augenmass zugemessenen Strafen werden von Journalisten gerne als „Kuscheljustiz“ verächtlich gemacht. Bei Rückfalltaten wird sogar versucht, jene, die einem Hafturlaub oder einer (meist bedingten) Entlassung zugestimmt haben, zur Verantwortung zu ziehen wegen fahrlässiger Tötung, falls es dazu gekommen ist.
Diese Schlaglichter auf die heutige Situation des Straf- und Massnahmerechts zeigen auf, dass zurzeit ein Übergang vom seit Jahrhunderten gefestigten Schuldstrafrecht zum präventiven Wegsperren als Polizeimassnahme zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit stattfindet. Die Öffentlichkeit scheint nicht bemerkt zu haben, dass es sich um einen eigentlichen Paradigmenwechsel handelt. Das Recht fragt nicht mehr danach: Was hat du getan? Wie schwer wiegt deine Schuld? Aus welchen Motiven hast du deine Tat begangen? Die neue Frage lautet: Wie gefährlich ist dieser Mensch? Die Antwort muss die Fachperson, die Kennerin der menschlichen Seele geben, der Psychiater. Vor ihm verblasst die einmal real verübte Tat des Verbrechers zur blossen Anlasstat, an die sich sein alles entscheidende Gutachten eher beiläufig anschliesst. Das hat schwerwiegende Folgen.
Wir verlieren aus den Augen, dass sich ein solches Wegschliesssystem von jenem einer Diktatur oder einem totalitären Staat nicht mehr grundlegend unterscheidet. Menschen verlieren ihre Freiheit, nicht weil sie etwas getan haben, sondern weil sie als gefährlich eingestuft werden, also weil sie in Zukunft etwas tun könnten. Das ist letztlich Gesinnungsstrafe. Und wir als Volk schlucken das alles, weil es so gut institutionalisiert im Gewand der Wissenschaftlichkeit daherkommt. Nur weil die Menschen, die in den Gefängnissen und geschlossenen Anstalten auf Vorrat in Haft gehalten und zwangstherapiert werden, keine Stimme haben, funktioniert das System nach aussen hin. Immerhin dringt durch die Gefängnisdirektion und aus deren Umfeld genügend nach draussen, damit jeder verantwortliche Mensch das Unrecht, das heute an diesen Menschen geschieht, wahrnehmen kann. Aber wen interessiert das heute? Kaum je hat sich eine Gesellschaft für das Unrecht ihrer eigenen Zeit gekümmert, während sie immer wieder sich entschuldigt für das Unrecht vergangener Generationen – ein schwacher Trost für die unter dem System Leidenden.
Damit ist eine neue Stufe der Expertokratie erreicht worden. Gleichzeitig ist es ein Rückfall in überwunden geglaubte Abgründe und Schreckenszeiten. Der Mensch wird wieder vermessen wie seinerzeit gestützt auf die Erkenntnisse durch Johann Caspar Lavater nach seiner Lehre der Physionomik von Cesare Lombroso im vorletzten und zu Beginn des letzten Jahrhunderts, der nach der Schädelform und der Ausformung von Nase und Stirn den geborenen Verbrecher zu erkennen glaubte. Die Technik erlaubt es jetzt, tiefer in den Menschen zu dringen, mit Hightech unter seine Schädeldecke zu kriechen. Gleichzeitig wird dem Volk vorgegaukelt, die Psychiatrie könne eine zuverlässige Gefährlichkeitsprognose über einen konkreten Menschen abgeben. Sie wird zur exakten Wissenschaft hochstilisiert, um zu rechtfertigen, dass Menschen aufgrund solcher Gutachten ihre Freiheit auf lange Jahre, meist für immer verlieren können. Mit Computersystemen werden Checklisten erstellt und einem pseudowissenschaftlichen Brimborium wird exaktes Wissen über zukünftiges Verhalten dieser Probanden vorgetäuscht wie z.B. mit dem Forensisch-operationalisierten-Therapierisiko-Evaluationssystem FOTRES des Frank Urbaniok in Zürich. Dabei können Prognose des menschlichen Verhaltens und die darauf fussenden Zwangsmassnahmen immer nur eines sein: Blick in die Glaskugel der Wahrsagerin oder menschliche Hybris und kaltes technokratisches Ausschalten des als minderwertig oder mangelhaft erkannten Menschenmaterials mittels der Triage. Wir haben diese Systeme in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts aufs Schaurigste erlebt. Wieder scheinen sich Viele nach dieser Scheinsicherheit einer - diesmal nicht reinrassigen – aber wenigstens von gefährlichen, gestörten Persönlichkeiten gesäuberten Gesellschaft, zurückzusehnen. Das Problem eines solchen Systems ist es nicht, dass es immer wieder in Einzelfällen zu belegbaren Justizirrtümern kommen wird. Selten wird sich das eindeutig beweisen lassen. Das Problem ist umfassender. Wir beurteilen nicht mehr die Taten, sondern wir unterziehen die Straftäter einer eigentlichen Selektion mit Blick auf ihr zukünftiges, von Forensikern eingeschätztes Verhalten. Das ist ein Rückfall in überwunden geglaubte Abgründe. Die Forensiker, die sich anheischig machen, die Wahrscheinlichkeit des Rückfalls ihrer Klienten in Delinquenz vorauszusehen, sehen nicht einmal ihren eigenen Rückfall in schlimmes, ideologisches Denken und Handeln.
Wie konnte es nur zu diesem Rückfall in die alte Barbarei kommen, zu versuchen die Bösen aus dem gesunden und guten gesellschaftlichen Körper zu entfernen?

Sonntag, 19. August 2012

Israelisch-amerikanischer Imperialismus

Israelisch-amerikanisches Drehbuch: Erst die Zerschlagung Syriens, dann die Zerschlagung des Rests

Mahdi Darius Nazemroaya

Die Entwicklungen in Syrien sind Vorboten dafür, was der gesamten Nahmittelost-Region droht. Regimewechsel ist nicht das einzige Ziel der USA und ihrer Verbündeten in Syrien. In Syrien selbst arbeitet Washington letztlich auf die Zerschlagung der Syrischen Arabischen Republik hin. Der britische Finanzdienstleister Maplecroft, der sich auf Beratung und Risikobewertung spezialisiert hat, meinte, man erlebe derzeit die Balkanisierung Syriens: »Die Kurden im Norden, die Drusen in den südlichen Bergen, die Alawiten in den Bergregionen der Nordwestküste und die sunnitische Mehrheit im ganzen Rest.« Auch andere Personen wie der Berater des Weißen Hauses Vali Nasr äußern sich nun zu diesem Thema. Die religiösen und ethnischen Enklaven lassen sich nur schwer in rein geografischer Hinsicht abgrenzen, daher könnte eine Balkanisierung Syriens eine ähnliche Entwicklung wie im Nachbarland Libanon nehmen. Dies hieße, dass Syrien möglicherweise gewaltsam entlang religiöser und ethnischer Verwerfungslinien aufgeteilt würde und mit einem politischen Stillstand konfrontiert wäre, der mit der Lage im Libanon während des dortigen Bürgerkrieges vergleichbar wäre, wobei formal der Staat erhalten bliebe. Eine solche Libanonisierung, sozusagen eine weiche Form der Balkanisierung, fand bereits im Irak mit der Einführung föderaler Strukturen statt. Die Entwicklungen in der Nahmittelost-Region sowie in Nordafrika haben auch der Entstehung von Massenbewegungen gegen lokale Machthaber wie in Bahrain, Jordanien, Marokko und Saudi-Arabien Raum gegeben, aber zugleich wirkt hier ein bösartiges Drehbuch, das auf den israelischen Yinon-Plan und dessen Nachfolger zurückgeht. Dieser Yinon-Plan und ähnliche Szenarien forcieren einen künstlichen innermuslimischen Krieg zwischen Schiiten und Sunniten, der letztlich zu Aufspaltungen und Aufteilung entlang religiöser und ethnischer Verhältnisse – in der arabischen Sprache gibt es dafür den Ausdruck »fitna« – und anhaltenden Spannungen zwischen den einzelnen Gruppen – Christen und Muslimen, Arabern und Berbern, Arabern und Iranern, Arabern und Türken sowie Iranern und Türken – führen soll. Dieser Prozess soll religiösen Hass, ethnische Spaltungen, Rassismus und Religionskriege schüren.

In allen diesen Ländern, die die USA und ihre Verbündeten derzeit destabilisieren, existieren natürliche Bruchlinien, werden dann in einem Land noch zusätzlich ethnische und religiöse Abneigungen und Feindseligkeiten zwischen den Stämmen angeheizt, kann dieser Prozess leicht auch auf andere Staaten übergreifen. Die Konflikte in Libyen haben bereits den Niger und den Tschad erreicht, und die Probleme in Syrien sind derzeit dabei, sich in die Türkei und in den Libanon auszubreiten. In Ägypten haben die revolutionären und konterrevolutionären Entwicklungen dazu geführt, dass diese arabische Großmacht weitgehend mit ihrer Innenpolitik beschäftigt ist. Und während sich Ägypten innenpolitischen Turbulenzen gegenübersieht, spielen die USA das Militär des Landes und die Muslimbrüderschaft gegeneinander aus. Und zuvor sorgten die Aufstände im Sudan dafür, dass dieses Land auch in gesamtstaatlicher Hinsicht balkanisiert wurde. Tel Aviv und Washington war es gelungen, die ethnischen und religiösen Identitäten politisch so zu manipulieren, dass es tatsächlich zur Abspaltung des Südsudan kam. Libyen wiederum wird von unterschiedlichen Gruppierungen beherrscht, die das Land teilen und sich gegenseitig in Schach halten. Auch im Irak bahnt sich, wie bereits angesprochen, mit der Bildung der Regionalregierung Kurdistan (RRK) mit ausländischer Unterstützung, insbesondere der Hilfestellung der USA, Westeuropas, Israels und der Türkei eine Libanonisierung an. Die RRK handelt immer mehr so, als handele es sich beim Nordirak oder beim irakischen Kurdistan bereits um eine vom Restirak getrennte eigenständige staatliche Einheit. Es lohnt sich, hier einmal die Ansicht des Präsidenten des Jerusalem Center for Public Affairs, Dore Gold, zu zitieren, der auch zu den Beratern des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu gehört: »Die Ereignisse in Syrien zeigen, das der Mittlere Osten dabei ist, auseinander zu brechen: Eine neue Art von Chaos ersetzt das bisherige.«

Natürlich spiegelt sich hier teilweise auch das Wunschdenken der israelischen Politiker wider, die ein Interesse daran haben, dass diese Entwicklung so eintritt. Zu Beginn der Krise in Syrien wurde diese israelische Position ignoriert, aber heute ist offensichtlich, dass Israel ein starkes Interesse daran hat, dass Syrien in viele kleine Teile zersplittert und im Zustand eines anhaltenden Bürgerkriegs gefangen bleibt. Genau diese Zielrichtung hatten der Yinon-Plan und dessen Nachfolger als strategische Ziele Israels gegenüber Syrien und dem Libanon definiert. Der kurdische Nationalismus Ähnlich wie der Irak wird Syrien allgemein als strategisch wichtiger Druckpunkt im Mittleren Osten angesehen. Turbulenzen oder Desintegrationsprozesse in diesen beiden sensiblen Gebieten können eine schwere, sich selbst verstärkende Krise in der Region als Ganzer auslösen. Als sich die Lage in Syrien immer weiter zuspitzte, gebärdete sich der alles andere als stabile Irak ebenfalls wie ein geopolitischer, kurz vor dem Ausbruch stehender Vulkan. Wenn jemand noch daran zweifelt, dass die USA bewusst Öl ins Feuer gießen, um eine allgemeine Zusammenbruchskrise in der Nahmittelost-Region auszulösen, oder dass die Ereignisse in Syrien langsam auf die Region auszustrahlen beginnen, muss nur einen Blick auf die Kurdenregion werfen. Nationalistische kurdische Kämpfer haben begonnen, sich in Syrien und in der Türkei zu mobilisieren und haben bereits türkische Truppen angegriffen. Die Regionalregierung Kurdistan hat weitreichende Schritte eingeleitet, die ihre Unabhängigkeit vom Irak deutlich machen. Im Irak selbst ist die RRK praktisch ein Staat im Staate mit einem eigenen Parlament, einer eigenen Flagge und Armee, eigenen Visaregelungen, Streitkräften, einer eigenen Polizei und eigenen Gesetzen. Unter Verletzung irakischer Gesetze hat die RRK sich bereits eigenständig mit Waffen versorgt und in eigenem Namen Erdölgeschäfte mit ausländischen Regierungen und anderen Einrichtungen abgeschlossen, ohne die Regierung in Bagdad darüber überhaupt in Kenntnis zu setzen. Darüber hinaus hinderte die RRK sogar irakische Truppen daran, sich an der Nordgrenze des Irak zu Syrien zu positionieren, um dort dem Waffenschmuggel und der Gesetzlosigkeit ein Ende zu machen. Die Türkei unterhält enge Beziehungen zur RRK und hat diese in ihrem Verhalten ermutigt. Sie behandelt die RRK wie die Regierung eines souveränen Staates und unterhält diplomatische Kontakte, ebenfalls ohne die irakische Regierung darüber zu informieren. Führende Vertreter der RRK gestatten dem israelischen Geheimdienst Mossad sogar, ihr Land als Operationsbasis gegen Syrien und den Iran zu benutzen.

Hier tritt ein bizarrer Zwiespalt zutage: Einerseits warnt die Türkei, sie werde militärisch gegen die kurdischen Separatisten in Syrien vorgehen, andererseits unterstützt sie die separatistischen Tendenzen innerhalb der RRK und die Spaltung Syriens. Dies wird nicht nur zusätzliche Spannungen zwischen den Regierungen der Türkei und des Iraks hervorrufen, sondern auch Folgen für die Türkei nach sich ziehen. Die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) hat ebenfalls eine Mobilisierung begonnen. Sie behauptet, bereits den Bezirk Şemdinli (Şemzînan) in der türkischen Provinz Hakkâri zu kontrollieren, und auch im Südosten der Türkei sind schon Kämpfe ausgebrochen. Die Opferzahlen haben bereits zugenommen, seit türkische Truppen und Sicherheitskräfte angegriffen wurden. In der Provinz Hakkâri wurde türkischen Medienberichten zufolge das Kriegsrecht ausgerufen. Die Türkei muss sich also im eigenen Lande gegen regierungsfeindliche Kräfte zur Wehr setzen und scheint Schwierigkeiten zu haben, ihr eigenes Land zu regieren. Ein türkischer Abgeordneter der oppositionellen Republikanischen Volkspartei wurde schon von der PKK entführt. Der türkische Ministerpräsident Erdoğan versuchte, Syrien für den Ausbruch von Kämpfen in den Kurdengebieten der Türkei verantwortlich zu machen, aber er verschweigt in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die Gewalt in der Türkei eine direkte Folge der türkischen Einmischung in Syrien ist. Die Waffen, die Erdoğan nach Syrien bringen lässt, werden schließlich auch ihren Weg zurück in die Türkei finden – wenn dies nicht bereits der Fall ist –, wo sie dann von regierungsfeindlichen Kräften eingesetzt werden könnten.

Will Tel Aviv im Libanon eine zweite levantinische Front eröffnen? Der Anschlag auf den israelischen Reisebus in Bulgarien lässt, gelinde gesagt, Schlimmes befürchten. Im Zusammenhang mit diesem Anschlag fällt auf, wie schnell Israel die libanesische Hisbollah und den Iran verantwortlich machte. Nicht einmal eine Stunde war seit dem Anschlag vergangen, und es hatte auch noch keine offizielle Untersuchung begonnen. Bemerkenswert ist auch, dass nur eine Woche zuvor Regierungsvertreter in Tel Aviv mit einem Angriff auf den Libanon drohten. In diesem dritten israelisch-libanesischen Krieg würden sie den Libanon dem Erdboden gleichmachen, prahlten sie. Brigadegeneral Hertzi Halevy, der Kommandeur der 91. Division in Tel Aviv, gehörte zu den Wortführern. Seine Äußerungen fielen knapp eine Woche vor den sechsten Jahrestag des Sieges der Hisbollah über Israel im Krieg zwischen Israel und dem Libanon im Jahr 2006. Halevy und andere führende Israelis haben wiederholt damit gedroht, den Libanon mit einem verheerenden Angriff »plattzumachen«. Die Verbündeten Syriens werden von verschiedensten Seiten unter Druck gesetzt. Der Iran, Russland, der Libanon, der Irak und die Palästinenser werden massiv bedrängt, ihre syrischen Verbündeten fallen zu lassen. Die israelischen Drohungen sollen den psychologischen Druck auf den Libanon und die Hisbollah weiter erhöhen, um den psychologischen, medialen, wirtschaftlichen, diplomatischen, geheimdienstlichen und politischen Belagerungsring um Syrien auf auch den Libanon auszudehnen. Die amerikanischen Sanktionen gegen Syrien beziehen bereits den Iran und die Hisbollah mit ein, und libanesische Banken waren vor kurzem Cyberangriffen und Druck von Washington und seinen Verbündeten ausgesetzt.

Ein Ausblick: Willkommen im amerikanischen Instabilitätsbogen? Die von den USA vorangetriebene Belagerung Syriens ist Teil der Versuche Amerikas, Eurasien aufzuspalten und seine Vormachtstellung als Supermacht beizubehalten. Washington kennt weder seinen Freunden noch seinen Feinden gegenüber Gnade. Länder wie die Türkei und Saudi-Arabien werden möglicherweise als Kanonenfutter verheizt. Amerikanische Strategen warnen, die Großregion, die sich von Nordafrika und die Nahmittelost-Region bis zum Kaukasus, nach Zentralasien und Indien erstreckt, werde sich ähnlich wie Brzezińskis »eurasischer Balkan« in ein Schwarzes Loch endloser Kriege verwandeln. Die Araber, der Iran und die Türkei stehen sich in Erwartung eines größeren Konflikts gegenüber, weil die Amerikaner dabei sind, ihren Status als alleinige Supermacht einzubüßen. Von diesem Supermachtstatus ist Washington längst nur noch seine Militärmacht geblieben. Auch die Sowjetunion verfügte am Ende ihrer relativ kurzen Existenz nur noch über militärische Macht und durchlebte vor ihrem Zusammenbruch soziale Unruhen und wirtschaftlichen Niedergang. Die Lage in den USA unterscheidet sich nicht grundlegend, vielleicht ist sie sogar schlimmer. Die USA sind am Ende. Die sozialen Unterschiede werden immer größer und auch die Spannungen zwischen den ethnischen Bevölkerungsgruppen nehmen zu, während der internationale Einfluss ständig schwindet. Aber die amerikanischen Eliten sind entschlossen, sich dem scheinbar unvermeidlichen Verlust des amerikanischen Supermachtstatus und ihres Empire entgegenzustemmen. Eurasien in Flammen aufgehen zu lassen und überall dort Aufruhr zu schüren, scheint das Rezept Washingtons zu sein, mit dem der eigene Untergang verhindert werden soll.

Die USA wollen in der Region von Marokko und dem Mittelmeer bis zu den Westgrenzen Chinas offenbar einen Flächenbrand entzünden. Mit der Destabilisierung von drei wichtigen Regionen – Zentralasien, dem Mittleren Osten und Nordafrika – hat dieser Prozess bereits eingesetzt. Aber die ersten Schritte, die die USA und ihre Verbündeten in der NATO und in Arabien in dieser Richtung unternahmen, richteten sich nicht gegen Syrien. In der Nahmittelost-Region begann dieser Prozess mit der Belagerung des Iraks, die dann letztlich der angloamerikanischen Invasion des Landes im Jahre 2003 den Boden bereitete. In Zentralasien wurde diese Politik mit der Destabilisierung Afghanistans während des Kalten Krieges und einer amerikanischen Unterstützung eingeleitet, die dafür sorgte, dass zwischen den einzelnen Gruppen des Landes Kämpfe ausbrachen. Aus diesen Auseinandersetzungen gingen auch die Taliban hervor. Die Anschläge vom 11. September 2001 lieferten den USA und ihren NATO-Verbündeten dann den geeigneten Vorwand für eine Invasion dieses Landes. Und in Nordafrika gelang es den USA und Israel, eine Spaltung des Landes herbeizuführen, nachdem dort jahrelang Spannungen geschürt und verdeckte Operationen durchgeführt worden waren. In den drei erwähnten Großregionen vollzieht sich gegenwärtig vor unseren Augen die zweite Welle der Destabilisierung. In Zentralasien hat die NATO den Krieg in Afghanistan bis nach Pakistan ausgeweitet. Heute wird der Kriegsschauplatz mit dem Ausdruck »AfPak« bezeichnet, womit die beiden Länder [aus amerikanischer Sicht offenbar] einen einheitlichen Kriegsraum bilden. In Nordafrika wurde Libyen 2011 von der NATO angegriffen, und die [libysche] Dschamahirija [»Volksmassenrepublik«] wurde durch die unterschiedlichen Volksgruppen aufgeteilt. Im Mittleren Osten richtet sich die zweite Welle der Destabilisierung sozusagen als Fortsetzung der Ereignisse im Irak nun gegen die Syrische Arabische Republik. Washington scheint von dem folgenden Szenario zu träumen: In Syrien, der Türkei, dem Irak und dem Iran kommt es zu einem Aufstand der Kurden; der Irak, der Libanon, Syrien, die Türkei und der Jemen zerfleischen sich in religiös motivierten Kriegen; Algerien, Ägypten, Libyen, Pakistan und der Sudan werden durch Instabilität und Kämpfe zermürbt; Berber und Araber bekämpfen sich gegenseitig in ganz Nordafrika; Zentralasien wird von Unsicherheit und politischer Instabilität heimgesucht; ein Krieg im Südkaukasus verzehrt Georgien, Armenien und die Republik Aserbaidschan; unter den Balkaren, Tschetschenen, Tscherkessen, Dagestanis, Inguscheten und anderen Kaukasusvölkern kommt es im Nordkaukasus zu Aufständen gegen die Russen; der Persische Golf wird zu einer Zone der Instabilität, und die Beziehungen Russlands zur Europäischen Union und der Türkei befinden sich auf einem Tiefpunkt.

Ein derartiger Weltenbrand wird von Washington gegenwärtig stetig geschürt und aufrechterhalten. Aber alle diese Entwicklungen bedeuten zugleich, dass einige der wichtigsten Energietransport- und Versorgungsrouten gestört und damit die massiv von Energieimporten abhängigen Volkswirtschaften Chinas, der größeren europäischen Mächte, Indiens, Japans und Südkoreas schwer beeinträchtigt werden könnten. Dies könnte dazu führen, dass die Politik der Europäischen Union gezwungenermaßen noch militärischer ausgerichtet wird, weil man verzweifelt versucht, ihre Volkswirtschaft zu retten. Ein solches Szenario birgt vor allem für die Energielieferanten wie Russland oder die OPEC große Gefahren, wären sie doch möglicherweise gezwungen, sich entweder für China oder die EU zu entscheiden, sollte es zu Rohstoff- und Energieverknappungen kommen. Ein Krieg um Rohstoffe – wie der Erste Weltkrieg – könnte als Konsequenz mit verheerenden Folgen für einen großen Teil Afrikas und praktisch alle Industrieregionen Eurasiens ausbrechen. Und während sich diese Katastrophen ereignen, könnten die USA sich all dies aus sicherer Entfernung anschauen, wie sie es schon im Ersten und Zweiten Weltkrieg taten, bevor sie dann in letzter Minute eingriffen, um die Scherben aufzusammeln und damit noch wirtschaftlichen Nutzen aus diesem verheerenden Krieg zögen.

Freitag, 27. April 2012

Weltwährung

Die Weltwährung naht: Die USA und der Griff nach der Globalherrschaft

Michael Morris

Am 27. März 2012 trafen die Verteidigungsminister der USA, Kanadas und Mexikos in Ottawa zusammen, um die Nordamerikanische Union, NAU, auf dem militärischen Sektor voranzutreiben – und so gut wie keine deutschsprachige Zeitung hat darüber berichtet. Ziel der Hintermänner der NAU ist nicht nur die Abschaffung von Grenzen und nationalen Währungen sowie die Schaffung einer gemeinsamen Armee, sondern offenbar die Herrschaft über die gesamte westliche Welt – als Vorstufe zur Weltherrschaft. Das glauben Sie nicht? Genau deswegen funktioniert das alles auch so reibungslos! Die NAU (North American Union) ist ein Zusammenschluss der drei großen nordamerikanischen Staaten nach dem Vorbild der EU. Still und heimlich werden von den Regierungen der drei Staaten immer mehr Abkommen geschlossen, die ähnlich der EU bestehendes Recht aushebeln und die Bürger und ihre (wenigstens noch teilweise) demokratisch gewählten Vertreter entmündigen.

Viele Amerikaner und Kanadier fürchten bereits seit Jahren den Verlust ihrer nationalen Selbstbestimmung und eine Finanzdiktatur à la Europäische Union. Offenbar zu Recht, denn die meisten kanadischen und US-amerikanischen Abgeordneten erfahren – ebenso wie die Bevölkerungen – nichts über die mehr oder weniger geheim stattfindenden NAU-Treffen. Seit einigen Jahren schon wird über die Schaffung einer gemeinsamen nordamerikanischen Währung verhandelt, nun scheint in den Augen der Mächtigen die Zeit für den Nordamerikanischen Dollar reif zu sein. Es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass der große Plan vorsieht, eine solche NAU-Währung später mit der EU-Währung zu verschmelzen.

Was würde eine solche westliche Einheitswährung bedeuten? Macht! Sie würde die Herrscher über den US-Dollar und über den Euro (die Besitzer der Fed, der Bank of England und der EZB) noch mächtiger machen und alle nationalen Gremien und Parlamente überflüssig machen. Daher ist es klar, dass Griechenland unter keinen Umständen aus der Euro-Zone austreten darf, denn das würde die Pläne der geheimen Weltregierung gehörig durcheinander bringen. Zahlreiche private Initiativen, aber auch ein Zusammenschluss von US-Sheriffs, geht seit kurzem resolut gegen Washington vor und versucht die Abschaffung der Demokratie und die Etablierung einer Diktatur auf amerikanischem Boden zu verhindern – jedoch bislang ohne Erfolg. Ron Paul, der einzige US-Spitzenpolitiker, der seit Jahren den Mut hat, das Bankenkartell – welches Washington DC, die Londoner City und die EU regiert – öffentlich anzuprangern, wird natürlich im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner unterliegen. Aber er hat es zumindest versucht, sich den Mächtigen in den Weg zu stellen. Das ist mehr, als die meisten von uns behaupten können. Wir Heuchler betrachten totalitäre Regime in fernen Ländern oder in unserer eigenen Vergangenheit, und wir richten über die Menschen, die nichts gegen ihre eigene Unterdrückung unternommen haben. Wir werden zu Wachsamkeit gemahnt, unser Blick auf ein paar angeblich gefährliche Extremisten gelenkt.

Die Presse schießt sich auf »gefährliche Gruppierungen« ein, die im Grunde nur noch aus Spitzeln der Geheimdienste zu bestehen scheinen. Doch während unsere Aufmerksamkeit auf einige dümmliche Schläger gelenkt wird, etabliert der wahre Feind – ohne dass wir es merken – ein Notstandsgesetz nach dem anderen und beraubt uns unserer Freiheit. Doch die Masse will es nicht wahrhaben oder es ist ihr egal – solange sie alle ihren Fernseher und ihr Handy haben... Die meisten Menschen, die in Diktaturen leben, wissen wenigstens, dass es so ist. Viele Europäer hingegen glauben immer noch, dass sie frei wären. Sie wissen nicht, dass in Deutschland in den vergangenen Jahren ein so genanntes »Anti-Terror-Gesetz« nach dem anderen erlassen wurde. Diese »Gesetze« erlauben es Behörden nach Lust und Laune, Daten über ihre Bürger zu sammeln und jeden nach Belieben zu überwachen, Bankkonten zu überprüfen, ja sogar Bankschließfächer jederzeit einfach zu öffnen. Sobald der Notstand ausgerufen wird, kann das Militär gegen das eigene Volk eingesetzt, jede Fabrik, jedes Haus, jedes Auto beschlagnahmt und jeder von uns zu »Hilfsdiensten« herangezogen werden. Das wird nicht passieren? Warum werden denn dann solche Gesetze erlassen?

Jeder unserer Schritte, jedes unserer Gespräche wird heute bereits überwacht. In den USA unterschrieb Präsident Obama Anfang 2012 – gegen seinen Willen, wie er selbst betonte – den National Defense Authorization Act (NDAA), der es fortan US-Behörden erlaubt, jedermann auf amerikanischem Boden festzunehmen und zu inhaftieren – auch ohne Prozess und ohne Angabe von Gründen! Im deutschen Bundestag soll jetzt das Rederecht für Abgeordnete abgeschafft werden. Dann darf jeder nur noch das sagen, was ihm seine Fraktion vorgibt. Damit werden künftig abweichende Meinungen, wie etwa die von Frank Schäffler, der anders als seine Partei gegen den Euro-Rettungsschirm war, einfach unterdrückt. Wir leben schon wieder in einer Diktatur, in einer Diktatur des Großkapitals. Es gibt in Europa keine Demokratien! Unsere Politiker sind Marionetten, Spielbälle einiger superreicher Familien, die nach der Weltherrschaft dürsten – und wir machen es ihnen so unvorstellbar leicht! Wir alle sehen seit Jahren zu, wie im Namen einer vermeintlich guten Sache ein Gesetz nach dem anderen gebrochen wird. Der Euro soll der Garant für »ein friedlich vereintes Europa« sein. In Wahrheit herrschen bereits in immer mehr europäischen Ländern bürgerkriegsähnliche Zustände. Wir wissen, dass wir unentwegt von Seiten der Politiker belogen und betrogen werden, und wir begehren nicht auf. Wir halten den Mund und schlucken. Nach offiziellen Angaben sollen im März 2012 etwa 25 Millionen Menschen in der Euro-Zone arbeitslos gewesen sein, in Wahrheit sind es vermutlich eher 50 Millionen – Tendenz rapide steigend.

In einem Interview sagte George Soros vergangene Woche: »Die Euro-Zone steuert meiner Ansicht nach auf eine Tragödie historischen Ausmaßes zu.« Wenn dieser EU-Diktatur nicht bald Einhalt geboten wird, dann werden die kommenden Jahre alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen. Dann werden kommende Generationen sich fassungslos an den Kopf greifen und fragen: »Wieso habt ihr das nicht verhindert? Wie konntet ihr das zulassen?« Und viele von uns werden antworten: »Wir haben es nicht kommen sehen!« Wie erbärmlich! Vielleicht aber werden kommende Generationen dann ja gar keine Fragen mehr stellen, weil sie so gut kontrolliert und »ausgebildet« sind, dass sie aufgehört haben, selbstständig zu denken. Es gibt keine Chance, sich herauszureden, denn es sind alle Informationen verfügbar.

Wie ich es mit meinem Buch getan habe und es weiter mit meinen Artikeln tue, so verbreiten Hunderte, Tausende anderer Menschen alternative Informationen zur offiziellen Propaganda. Die Wahrheit über den Zustand unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft finden Sie nicht im Fernsehen und nicht in der Massenpresse, sondern im Internet und in Büchern. Man muss nur die Augen aufmachen und selbstständig denken. Danach sollte man handeln. Es gibt keine Vergebung für diejenigen, die jetzt schweigen und tatenlos zusehen, wie all unsere sozialen und gesellschaftlichen Errungenschaften der letzten 150 Jahre innerhalb weniger Jahre zunichte gemacht werden. Unsere Eltern, Großeltern und Urgroßeltern haben dafür geschuftet, dass wir es einmal besser haben, und nun werfen wir all das achtlos weg. Sie haben sich Rechte und Freiheiten erkämpft und erstritten. Wir haben alle ihre Ideale und Werte verkauft – für ein paar Annehmlichleiten und für Unterhaltungselektronik. Eine kleine Gruppe extrem reicher Familien hat es innerhalb der letzten hundert Jahre geschafft, die USA und ganz Europa in ihre Hände zu bekommen.

Als nächstes werden sie die Nordamerikanische Union etablieren und sie dann mit der EU verschmelzen. Das soll rasch passieren, denn man muss den Chinesen zuvorkommen, die ihrerseits versuchen, den Yuan statt des US-Dollars als Weltleitwährung zu etablieren. Die Fakten liegen auf dem Tisch: Im Dezember 1913 gründeten die Herrscher über den Westen die Fed. Ich bin gespannt, ob sie im nächsten Jahr die ersten 100 Jahre ihrer heimlichen Weltherrschaft groß feiern werden, und wenn ja, wie? Es ist eine Schande, wie verantwortungslos der angeblich moderne und aufgeklärte Mensch sich verhält ­­­­− nicht nur gegenüber unserem Erbe, sondern auch gegenüber unseren Mitmenschen und gegenüber der Natur. Wir dröhnen uns mit billigem, wertlosem Müll zu, stopfen totes Zeug in uns hinein und schimpfen darüber, dass alles immer schlechter wird. Aber es wird sich nichts verbessern, wenn man diese Verbesserungen nicht mit Nachdruck einfordert. Es wird Zeit, dass wir alle vom Standby-Modus in den Wachzustand wechseln und wieder selbstständig denken und handeln. Es ist Zeit, aufzuwachen! Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!

In Griechenland greifen Armut und Elend wie die Pest um sich. Tausende schlafen auf den Straßen, weil sie in den letzten Monaten ihre Wohnungen verloren haben. Angst und Verzweiflung machen sich breit. Die Selbstmordrate explodiert. Eltern geben ihre Kinder in Heimen ab, weil sie sie nicht mehr ernähren können. Private deutsche Einrichtungen haben bereits die ersten LKW-Konvois mit Lebensmitteln und Medikamenten nach Griechenland geschickt. Solche Zustände gab es früher nur in afrikanischen Bürgerkriegsgegenden. Aber unsere staatliche Propagandapresse verschweigt solche »Details«. Griechenland ist bereits dank EU und IWF ein Dritte-Welt-Land. Portugal, Spanien und Irland sind nur noch einen kleinen Schritt davon entfernt. Auch dort grassieren Arbeitslosigkeit und Armut wie die Cholera. Cholera und Pest, das ist es, was uns die EU und der Euro gebracht haben.

All das war genauso geplant und vorprogrammiert. Und all das ist Vorbild für die Nordamerikanische Union! Nichts von dem, was gegenwärtig in Politik und Wirtschaft passiert, geschieht zufällig. Alles ist genau so gewollt und gesteuert. Ich weiß, dass viele brave Gutmenschen das nicht glauben wollen, denn man hat ihnen ja lange und konsequent ein chronisch schlechtes Gewissen antrainiert, das ihnen verbietet, schlecht über andere Menschen zu denken, oder zumindest solche Gedanken laut auszusprechen. Man kann dem gemeinen Deutschen mit dem Hammer auf den Kopf schlagen und er wird immer noch schreien: »Es war alles meine Schuld! Bitte vergib mir!« Solange man ihm sein Handy und seine EC-Karte lässt, wird er nicht aufbegehren. Die Schaffung eines westlichen Einheitsstaats und einer bargeldlosen westlichen Einheitswährung ist nur noch einen kleinen Schritt entfernt, und sie ist die Voraussetzung für den Griff nach der Weltherrschaft. Nichts Geringeres als das ist es, was die Besitzer der Großbanken und der Großkonzerne (die ein und dieselben sind) anstreben.

Ich weiß, dass die meisten Leser lieber positive Nachrichten lesen, aber ich kann sie ihnen nicht liefern. Mittlerweile sind selbst die Schmetterlinge unter den Ökonomen und Analysten, die bis vor kurzem noch schrieben, dass alles gut würde, vom Gegenteil überzeugt und sehen keinen Ausweg mehr. Die Wirtschaft, die Börsen, der Gold- und der Ölpreis werden von einigen wenigen nach deren Lust und Laune manipuliert. Als ich vor einem Jahr mein Buch Was Sie nicht wissen sollen veröffentlichte, da hielt manch einer meine darin gemachten Prognosen über die nahe Zukunft für übertrieben. Manche Leser dachten: »Mit vielem hat er zwar Recht, aber ganz so schlimm wird’s schon nicht werden!« Viele hielten mich für einen Pessimisten. Das bin ich nicht. Leider – und ich meine wirklich »leider« – hatte ich mit fast allem Recht. Es kommt sogar teilweise noch schlimmer und noch dicker als ich befürchtete! In einem Sicherheits-Strategie-Papier der EU vom 12. Dezember 2003 heißt es unter anderem: »Nie zuvor ist Europa so wohlhabend, so sicher und so frei gewesen...

Die Schaffung der Europäischen Union steht im Mittelpunkt dieser Entwicklung. Sie hat die Beziehungen zwischen unseren Ländern und das Leben unserer Bürger verändert.« Zynismus? Ignoranz? Bösartigkeit? Man kann über Diktaturen wie die DDR viel Schlechtes sagen, aber zumindest musste in der DDR niemand hungern! Das sieht in der Euro-Zone heute ganz anders aus. Die EU-Kommission wird nicht vom Volk gewählt. An der Spitze dieser totalitären Organisation stehen Marionetten, deren einzige Aufgabe es ist, das Geld der Europäer zu den Banken, also zu deren Besitzern umzuleiten. Damit soll Europa geschwächt werden, damit die EU einer Vereinigung mit der NAU nichts mehr entgegenzusetzen hat. Bargeldgeschäfte werden in der EU schrittweise verboten, in wenigen Jahren soll es überhaupt kein Bargeld mehr geben. Warum wohl? Die EZB hat in den zurückliegenden Monaten mehr als eine Billion (= 1.000 Milliarden) neuer Euros auf den Markt geworfen, was zu hoher Inflation führt und für den Anstieg der Benzinpreise und anderer steigender Verbraucherpreise verantwortlich ist. Diese Preissteigerungen werden absichtlich von der Euro-Spitze herbeigeführt. All das wird – wenn es so weitergeht – vermutlich in Chaos und Krieg enden. Und genau das soll es wohl auch.

Wäre ein Zusammenschluss der NAU und der EU ohne große Katastrophe möglich? Solange man die Menschen darüber abstimmen lässt, vermutlich nicht. Oder man macht es wie beim Euro-Beitritt der Iren: Man lässt sie so lange abstimmen, bis sie es leid sind und dafür stimmen. Man macht die Menschen solange mit widersprüchlichen und unverständlichen Aussagen mürbe, bis sie völlig resignieren und alles willenlos über sich ergehen lassen. Dann könnte man die Demokratie auch gleich offiziell abschaffen. Warum nicht? Das größte Problem für die Politiker sind doch die Wahlen. Die sind ziemlich anstrengend und am Ende weiß man nicht genau, was dabei rauskommt − zumindest in manchen Ländern. Die Abstumpfung des Wahlvolks hat ohnehin zur Folge, dass immer weniger Menschen zur Wahl gehen. Ein weiteres Argument für eine Abschaffung von Wahlen. Dann haben wir noch das Problem, dass die traditionellen Parteien immer unbeliebter werden. Nach neuesten Schätzungen könnten die PIRATEN in Deutschland auf Bundesebene momentan auf etwa zwölf Prozent kommen. Würden die etablierten Parteien das zulassen? Würden die Machthaber hinter den Parteien das zulassen? Vielleicht ja. Ich habe nichts gegen die PIRATEN, ganz und gar nicht, ich bin der Meinung, dass es niemand wirklich schlechter machen könnte als unsere etablierten Polit-Clowns, aber das Problem mit der PIRATEN-Partei ist doch, dass die jungen Damen und Herren (denen ich hehre Ideale unterstelle) überhaupt nicht wissen, woher der Wind weht, und sie daher vielleicht sogar noch leichter zu manipulieren wären als die alten Politiker. Jetzt wird der eine oder andere sich vielleicht denken: »Ja, wenn es auch keinen Sinn macht, die PIRATEN zu wählen, was sollen wir denn dann tun?« Nun, zuerst wäre es gut, wenn Sie nicht in Resignation verfallen, sondern selbst Initiative entwickeln. Revolutionen gehen nie von Politikern, sondern von den Massen aus. Natürlich b»ht auch bei Revolutionen die Gefahr, dass sie von hinten gesteuert werden. Dieser Verdacht kam in mir im vergangenen Jahr bei den Umwälzungen in diversen nordafrikanischen Staaten auf. Revolutionen, die mit physischer Gewalt einhergehen, sind gefährlich, weil das dabei entstehende Adrenalin die Sinne vernebelt und uns auf Autopilot stellt.

Eine andere Form der Revolution könnte in einer Welle an Information bestehen. Je mehr Menschen sich trauen, ihre ausgetretenen Pfade zu verlassen und hinter den Schleier zu schauen, desto schwieriger wird es, die Massen zu manipulieren. Jeder Einzelne von uns könnte viel dazu beitragen, die finsteren Pläne der so genannten »Elite« zu vereiteln. Ein wichtiger Schritt, auf den ich immer wieder hinweise, ist: Bezahlen Sie so weit wie möglich mit Bargeld! Es sind unter anderem diese dämlichen Karten, die uns steuerbar machen und uns jeden Sinn für Geld und Wert verlieren lassen. Sobald das Bargeld gänzlich abgeschafft ist, sind wir Sklaven der Zentralbanken, oder der einen »einzigen« Zentralbank, die es dann noch gibt. Bilden Sie sich, schauen Sie genau hin, denken Sie! Teilen Sie Ihr Wissen mit anderen. Konfrontieren Sie die Politiker mit Ihren Anliegen. Hören Sie auf, den Massenmedien Glauben zu schenken und unterstützen Sie diese nicht weiter mit Ihrem Geld. Füttern Sie die Banken nicht mit Ihrem Geld. Wenn nicht so viele von uns ihr Geld zu den Banken tragen und nicht so viele von uns von ihnen Kredite nehmen würden, dann wären die »feinen Herren«, die dahinter stehen, schnell machtlos. Überlegen Sie, was Sie ihren Enkeln sagen möchten, wenn die Sie in dreißig Jahren fragen: »Was hast du damals in den 2010er-Jahren getan? Warum hast du nichts gegen den ganzen Wahnsinn unternommen?« Wie gesagt: falls die dann überhaupt noch irgend etwas fragen... Wir können jederzeit alles verändern – wir müssen es nur wollen, wir müssen nur den Hintern hochkriegen. Wir müssen uns aus der Isolation lösen, in der viele von uns Menschen sich heute befinden. Dafür muss man auf andere zugehen, mit ihnen reden, ihnen zuhören. Reden bringt die Menschen zusammen und schafft Verständnis füreinander. Es war nie wichtiger als heute, sich das immer wieder in Erinnerung zu rufen. Die Zeiten und der Umgangston auf den Straßen werden rauer. Aber wir müssen zusammenhalten! Wir müssen aufhören, zu funktionieren und anfangen, selbstständig zu denken. Ach, und eins noch: Jedes Mobiltelefon hat auch eine Taste, mit der man es aus- und später wieder einschalten kann. Ich habe oft das Gefühl, dass die meisten Menschen das heute nicht mehr wissen.

Freitag, 10. Februar 2012

USA - die imperiale Macht

Nachkriegs-Verfassungen: Privatisierungen und Aufbau imperialer Strukturen

Mahdi Darius Nazemroaya

Die USA haben seit dem Zweiten Weltkrieg die Verfassungen besiegter Staaten umgeschrieben. Aber in den vergangenen beiden Jahrzehnten gelang es Washington sogar, besiegte Staaten in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht von Grund auf zu verändern und ihnen eine völlig andere Struktur zu geben, indem sie dezentralisiert und ausländische Einflussnahme auf ihre politischen Strukturen und ihre Volkswirtschaften legalisiert wurden. Vom früheren Jugoslawien bis zu Afghanistan und dem Irak ging dieser Prozess mit Krieg und einer direkten sowie anhaltenden ausländischen Militärpräsenz einher. Vor diesem Hintergrund kam den neuen Verfassungen in diesem Prozess eine besondere Bedeutung zu und öffnete der Eingliederung dieser Länder in das amerikanische Empire Tür und Tor.

Der nachfolgende Artikel Mahdi Darius Nazemroayas über die Manipulationen von Verfassungen als neokoloniales Mittel des Aufbaus moderner imperialer Strukturen wurde bereits 2011 im italienischen Journal Eurasia veröffentlicht.

Die Geografie eines Landes spiegelt sich auch in der Verfassung der entsprechenden Nation, in der in der Regel auch auf die äußeren und inneren Grenzen eingegangen wird, wider. Wenn wir dieser Beobachtung noch etwas genauer nachgehen, zeigt sich, dass Verfassungen auch missbraucht und verändert werden können, um bestimmten geopolitischen Zielen zu dienen. An dieser Stelle tritt eine wichtige geopolitische Fragestellung in den Vordergrund der Analyse, betrachtet man die Länder genauer, die sich im Krieg mit den Vereinigten Staaten und deren Verbündeten befunden haben. Wenn wir auf den Zweiten Weltkrieg [und die unmittelbare Nachkriegszeit] zurückblicken, wurden sowohl die japanische als auch die deutsche Verfassung nach ihrer Niederlage entweder direkt durch Washington oder aber unter alliierter Aufsicht verändert. Darüber hinaus errichtete das Pentagon in beiden Ländern Militärstützpunkte, was wiederum bei der sowjetischen Führung Beunruhigung auslöste.

Die verfassungsmäßige Neuausrichtung Japans und Deutschlands diente Washingtons geopolitischen Interessen. Dies zeigt sich augenfällig an der japanischen Verfassung, die vom amerikanischen Militär erstellt wurde. Artikel 9 der japanischen Verfassung versagt Japan das souveräne Recht, Krieg zu erklären oder ein ständiges Heer, eine Luftwaffe oder Marine zu besitzen. Mit dieser neuen Verfassung wurde Japan als potenzieller militärischer Konkurrent oder als potenzielle Bedrohung in Ostasien und der Pazifikregion ausgeschaltet. In den vergangenen zwei Jahrzehnten entwickelte sich ein neues tiefgreifendes Wechselspiel zwischen den neuen Verfassungen und den geopolitischen und strategischen Zielsetzungen Washingtons.

Der Aufbau und die Zerstörung von Nationen: ein wichtiges Rezept für Imperien
Man könnte sagen, dass sich die USA und ihre Verbündeten in den vergangenen 20 Jahren sehr intensiv mit der sogenannten »Nationenbildung« (dem »Nation Building«] befasst haben. Im Rahmen dieser [verschiedenen] Prozesse der Nationenbildung in den Ländern, die unter der politischen und militärischen Kontrolle Washingtons standen, wurden Verfassungen neu- und umgeschrieben. Bei dem Prozess der »Nationenbildung« handelt es sich nicht um ein wohlmeinendes [, an den Interessen der jeweiligen Nation interessiertes] Vorgehen, sondern es ist Teil einer Strategie, die Länder, die sich sozusagen im »Wiederaufbau« befinden, den Vorgaben einer weltweiten Vorherrschaft und einer »Nationenbildung« nach heutigem imperialem Verständnis zu unterwerfen. Die Verfassungen werden so umgeschrieben, dass sie 1) diese Länder zu Vasallenstaaten oder praktisch zu Kolonien machen, 2) für diese Vasallenstaaten in den weltweiten imperialen Strukturen moderner Prägung eine Nische einrichten und 3) diese Länder Washingtons geopolitischen Absichten dienen, eine weltweite Vormachtstellung einzunehmen oder diese auszubauen.

Zunächst aber muss die alte Ordnung zerstört oder zumindest grundlegend verändert werden, damit etwas Neues ihren Platz einnehmen kann. Die sogenannte »Nationenbildung« beginnt also in der Regel mit der »Nationenzerstörung«, die sich zuerst oder auch gleichzeitig vollzieht. Diesen Prozess der »Nationenzerstörung« treiben Washington und seine Verbündeten auf dreifachem Wege durch wirtschaftliche, politische oder militärische Aggressionen voran, oder sie bedienen sich dazu internationaler Institutionen und Organisationen, die von ihnen kontrolliert werden, wie etwa der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF). Mit anderen Worten kommt es im Verlauf dieser Entwicklung immer zu einer Art Kriegsführung, um 1) Druck auszuüben, 2) Angst und Schrecken zu verbreiten, 3) die Auflösung der [gesamtgesellschaftlichen] Strukturen herbeizuführen und 4) das Land, auf das man es abgesehen hat, letztendlich in die heutigen imperialen Strukturen Washingtons einzubinden. Diese Kriege können offen geführt werden, aber auch verdeckte Formen annehmen.

Oft beginnen diese aggressiven Entwicklungen verdeckt, schlagen dann aber in der Regel in einen offenen Konflikt um, wenn das betreffende Land in der Phase der verdeckten Kriegführung nicht kapituliert. Sanktionen, dämonisierende Medienkampagnen, politische Isolation, wirtschaftliche Behinderung und das Schüren innenpolitischer Unruhen gehören zu den taktischen Mitteln, die in der Anfangsphase der Unterwerfung der ins Visier geratenen Länder eingesetzt werden. Selbst Kredite und Unterstützung werden als Waffen in diesem Krieg gegen diese Länder benutzt.

Die Strukturellen Anpassungsprogramme (SAP), die [vor allem vom IWF und von der Weltbank als Vorbedingung für Finanzhilfen] in den Zielländern durchgesetzt werden, dienen dazu, die nationalen Industrien und die sich im Staatsbesitz befindenden Vermögenswerte zu privatisieren. Diese SAPs führten in der früheren Sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien zu Bürgerkrieg und ethnischen Spannungen, an denen das Land später zerbrach und in verschiedene Republiken aufgeteilt wurde. Wenn sich ein Zielland diesem Druck nicht beugt, setzt Washington auf eine wie auch immer geartete Form des »Regimewechsels«.

Ein solcher Regimewechsel kann als »farbige Revolution« [zum Beispiel »Rosenrevolution« 2003 in Georgien; »Orangene Revolution« 2004 in der Ukraine] stattfinden oder aber durch eine direkte militärische Intervention forciert werden. Ein offener Krieg führt unvermeidlich zu einem Besatzungsregime durch ausländische Truppen. Washington und seine Verbündeten stellen diese militärische Eroberung und territoriale Besetzung gerne als »Befreiung« oder Militärintervention aufgrund humanitärer Erwägungen« dar. In diesem Sinne werden dann die ausländischen Besatzungssoldaten wie im Falle Bosnien-Herzegowinas als »Friedenstruppe« oder als Teil eines »Stabilisierungseinsatzes«, wie zum Beispiel beim Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) im von der NATO besetzten Afghanistan, bezeichnet. Tatsächlich zielt die Präsenz ausländischer Soldaten darauf ab, das besetzte Land über eine »Neustrukturierung« in eine Kolonie oder ein Protektorat modernen Typs zu verwandeln, um es dann in das amerikanische Weltreich einzugliedern.

Übergangsregierungen und ein Überblick über die »befreiten« Länder

Unter dem Besatzungsregime Washingtons und seiner Verbündeten werden die politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Institutionen in den besetzten oder sogenannten »befreiten« Ländern »umgebaut«. Vom von der NATO besetzten Kosovo bis zum besetzten Irak haben das Weiße Haus und das Pentagon in den besetzten Ländern Übergangsregierungen oder -verwaltungen eingerichtet. Bei diesen Regierungen handelt es sich in Wirklichkeit um modernen Formen von Kolonialverwaltungen in den besetzten Gebieten. Der Begriff »Übergang« in diesen so bezeichneten Regierungs- und Verwaltungseinrichtungen ist äußerst irreführend, da diese Einrichtungen, wie die Übergangsregierung in Somalia zeigt, die besetzten oder zusammengebrochenen Gebiete oft viele Jahre lang regieren. (i) So regiert die Interimsverwaltungsmission der Vereinten Nationen im Kosovo (UNMIK) den Kosovo seit 1999 bis heute, während die NATO das Gebiet über die Kosovo-Streitkräfte (KFOR) militärisch kontrolliert.

Trotz der Bildung einer Regierung durch die Kosovaren untersteht der Kosovo immer noch der UNMIK, die die Interessen Washingtons und der einflussreichen Mitglieder der Europäischen Union (EU) vertritt. Mithilfe dieser neokolonialen Verwaltungen konnten sich Washington und die EU ihrer Verantwortung als Besatzungsmächte für das Wohlergehen der besetzten Länder und ihrer Bevölkerungen entziehen. Zugleich nutzen die USA und die EU diese Behörden dazu, sich der Vermögenswerte und der Rohstoffe der besetzten Länder durch umfassende Privatisierungen zu bemächtigen und öffnen über eine »Liberalisierung« der besetzten Gebiete diese Länder der [wirtschaftlichen und kulturellen] Ausplünderung.

Dabei wird die einheimische Wirtschaft weitgehend zerstört, da sie dem Wettbewerb mit ausländischen Konkurrenten nicht gewachsen ist. Auch die einheimische Agrarwirtschaft und der Finanzsektor werden auf aggressive Weise unter Druck gesetzt und anschließend übernommen. Ähnlich wie in der Kolonialzeit wird die gesamte einheimische traditionelle Landwirtschaft zerschlagen und beispielsweise durch aus dem Ausland importierte gentechnisch veränderte Organismen (GMO) in den Ruin getrieben. Auch die Wasserwirtschaft und andere der Allgemeinheit gehörende Ressourcen werden privatisiert. Dementsprechend breiten sich Hunger, Armut sowie Verbrechen und Gewalt aus, die durch diese sozialen Missstände ausgelöst werden.

Kolonisierung durch Verfassungen: Jugoslawien, der Irak und Afghanistan

Die Erarbeitung einer neuen Verfassung steht im Mittelpunkt des Restrukturierungsprozesses eines besetzten Landes. Die Verfassungen sind so etwas wie die DNS eines Landes. Sie sind grundlegende [Rechts-] Dokumente und bilden den [staats-] rechtlichen und grundrechtlichen Kern aller Gesetze, die die Regierungsarbeit, die Gewaltenteilung, die Volkswirtschaft, die auswärtigen Beziehungen, die Grundpositionen des Landes bei bilateralen und internationalen Verträgen, die verteidigungspolitischen Beziehungen, die Währungspolitik, Investitionen und den Handel festlegen und regeln. Die neuen Verfassungen der »befreiten« Länder sind darauf ausgerichtet, die Staaten politisch und wirtschaftlich zu knebeln.

Die Verfassung Bosniens ist ein gutes Beispiel für diese Vorgehensweise. Die bosnische Verfassung wurde als Teil des als »Abkommen von Dayton« bekannten umfassenden Friedensabkommens, das auf dem Luftwaffenstützpunkt Wright-Patterson in Dayton im US-Bundesstaat Ohio ausgehandelt und 1995 unterzeichnet wurde, entworfen. Das Dayton-Abkommen und die Annahme der vom Ausland konzipierten bosnischen Verfassung verwandelten Bosnien-Herzegowina in ein modernes Protektorat.

Auf der Grundlage der neuen Verfassung wurde in Bosnien-Herzegowina unter den wachsamen Augen der NATO-Soldaten ein neuer politischer und wirtschaftlicher Rahmen geschaffen. Nach der Verfassung wurde das Land rechtmäßig von Nicht-Bosniern regiert, und der eigentliche Regierungschef war nicht etwa ein bosnischer Bürger, sondern der jeweilige Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina. (ii) Dieser Hohe Repräsentant ist kein bosnischer Bürger. Er agiert praktisch wie ein kolonialer Statthalter und wird in Brüssel von der EU ernannt. Seit 2002 ist der der Hohe Repräsentant in Personalunion zugleich auch der EU-Sonderbeauftragte in Bosnien-Herzegowina. Der erste stellvertretende Hohe Repräsentant wird immer von Washington ernannt. Chef der bosnischen Zentralbank ist ebenfalls ein Ausländer, der von Brüssel, Washington und dem IWF handverlesen wird. (iii)

Die bosnische Zentralbank untersteht faktisch den Bankensystemen der USA und Westeuropas und könnte nach den Vorgaben der bosnischen Verfassung selbst keine Kredite oder eine eigene Währung ausgeben. (iv) Seit 1999 wird die Haushalts- und Wirtschaftspolitik Bosnien-Herzegowinas in Washington und Brüssel diktiert. UNMIK ging sogar soweit, den Kosovo aus der Wirtschaftsunion mit Jugoslawien herauszubrechen, indem sie den jugoslawischen Dinar am 9. September 1999 durch die Deutsche Mark ersetzte. (v) Darüber hinaus ermutigte UNMIK die bosnische Bevölkerung dazu, in verschiedenen ausländischen Währungen, einschließlich des Dollars, zu handeln, was vor allem den USA und ihren westlichen Verbündeten zugutekam. (vi) Obwohl Bosnien-Herzegowina damals offiziell noch zu Jugoslawien und Serbien gehörte, sollte der Kosovo 2002 den Euro übernehmen, und UNMIK spielte zu keinem Zeitpunkt mit dem Gedanken, der Kosovo könnte eine eigene Währung einführen. (vii)

Der Kolonisierungsprozess in Afghanistan und dem Irak unterscheidet sich nicht von dem Konzept, das im früheren Jugoslawien angewendet wurde. In allen diesen Fällen wurde nach dem Krieg oder der Invasion eine neue Regierungs- oder Verwaltungsbehörde eingesetzt, die dann die besetzten Gebiete umgestaltete und eine neue Verfassung ausarbeitete. Die Volkswirtschaften werden durch Gewalt destabilisiert und Teilungen und Spaltungen vom Ausland geschürt. Als Folge beginnen die Länder als selbstständige Einheiten auseinanderzubrechen. Schließlich werden Protektorate oder Kolonien, zu denen auch Militärgarnisonen in Form amerikanischer oder NATO-Auslandsstützpunkten gehören, errichtet. Diese militärische Infrastruktur durch Stützpunkte erinnert an die Zustände in den Grenzregionen des antiken römischen Weltreiches, des Imperium Romanum, zur Zeit seiner Ausdehnung. Im Jahr 2003 setzte das Weiße Haus im Irak für den anglo-amerikanisch besetzten Teil des Landes einen ausländischen Verwalter ein. Zunächst erhielt diese Funktion die Amtsbezeichnung Provisorischer Direktor des Büros für Wiederaufbau und humanitäre Hilfe (ORHA), aus der sich dann die Koalitionsübergangsverwaltung (CPA) entwickelte.

Für den Chef der zweiten Übergangsverwaltung im Irak kursierten viele unterschiedliche Bezeichnungen: unter anderem Sonderbeauftragter im Irak, Hoher Repräsentant im Irak, Chef der Koalitionsübergangsregierung, Gouverneur des Irak, Konsul des Irak und Prokonsul des Irak. Die beiden letzten Bezeichnungen Konsul und Prokonsul im Irak weisen einen geschichtlichen Bezug zur römischen Antike auf. [Das Konsulat war das höchste Amt der römischen Republik. Es war immer mit zwei Personen besetzt, die die höchste Staatsgewalt innehatten. Der Prokonsul, meist ein Heerführer oder ein Provinzstatthalter, wurde berufen und besaß konsularische Gewalt (»pro consule«, ohne selbst Konsul zu sein.] Der Chef der Koalitionsübergangsregierung diente ähnlichen Zwecken wie der Hohe Repräsentant für Bosnien-Herzegowina. In seiner Amtszeit wurden zahlreiche Reformen vollzogen, und 2004 wurde dem Land unter der Bezeichnung Transitional Administrative Law (TAL) eine Übergangsverfassung willkürlich übergestülpt.

Die neue Verfassung hatte für die amerikanische Regierung höchste Priorität. 2005 erklärte der irakische Abgeordnete Mahmud Othman: »Sie legten uns einen ausführlichen Entwurf, praktisch eine vollständige Verfassung, vor … Die amerikanischen Vertreter waren mehr als die Iraker selbst an der Verfassung interessiert.« (viii) Auf der Grundlage der Übergangsverfassung wurde unter erheblichem Zeitaufwand schließlich ein Entwurf erarbeitet, der 1) die Dezentralisierung des Irak, die zur Bildung eines instabilen föderalen Systems führen würde, und 2) das praktisch umgehend in Angriff genommene ausländische Privatisierungsprogramm, mit dem die Koalitionsübergangsregierung bereits 2003 mit ihrer Direktive 39 begonnen hatte, legitimieren sollte.

In Artikel 10 der afghanischen Verfassung, die 2004 erarbeitet wurde, ist ebenfalls die freie Marktwirtschaft festgeschrieben. Zwei Jahre später begann dann offiziell die Verschleuderung der afghanischen staatlichen Vermögenswerte und Ressourcen an ausländische »Investoren«. Die gleiche Vorgehensweise ist nach Ende des NATO-Krieges in Nordafrika auch für Libyen geplant. Der Nationale Übergangsrat in Bengasi, der ebenso wie die UÇK (die paramilitärische »Befreiungsarmee des Kosovo«, Ushtria Çlirimtare e Kosovës) von der NATO unterstützt wurde, hat bereits eine neue Zentralbank und einen neuen nationalen Erdölkonzern, der unter ausländischem Einfluss steht, aufgebaut. (ix)

Dezentralisierung des Staates öffnet imperialen Truppen und zukünftigen Kriegen Tür und Tor

Die neuen rechtlichen und durch die Verfassung vorgegebenen Rahmenbedingungen, die von Washington und seinen Verbündeten durchgesetzt wurden, führten dazu, dass die zentralstaatlichen Behörden und Zuständigkeiten in den besetzten Ländern systematisch abgebaut und abgeschafft wurden. Den politischen nachgeordneten Ebenen wie Städte, Landkreise, Bundesländer, Provinzen und regionale politische Gruppen wurde vor allen hinsichtlich ihrer Geschäftstätigkeiten und ihrer Beziehungen zu den Besatzungsmächten größere Autonomie eingeräumt. Auf diese Weise war es der kurdischen Regionalregierung möglich, unter Umgehung Bagdad trotz des Widerstandes des irakischen Erdölministeriums eigenständig 40 Verträge zur Erdölförderung mit ausländischen Unternehmen abzuschließen. (x)

Diese von außen aufgezwungene Schwächung der Zentralmacht in den besetzten Gebieten zieht politische, wirtschaftliche und soziologische Folgen nach sich. Die Theorie der Sozialen Desintegration kann auf mikrostruktureller und makrostruktureller Ebene erweitert werden, um diese Veränderungen und die Art und Weise, wie sie von den USA und ihren Verbündeten dazu benutzt wird, die Gesellschaften der besetzten Länder zu manipulieren und zur Umgestaltung zu bewegen, zu erklären. (xi) Aus soziologischer Sicht verändert sich das [gesellschaftliche] Gefüge der besetzten Länder.

Dies schließt Veränderungen auf den Ebenen sozialer Einheit beziehungsweise sozialer Uneinigkeit, der gesellschaftlichen Wertesysteme und der Auffassung des Konzeptes nationaler Einheit mit ein. Auf jeder Ebene wird das Gefüge der nationalen Einheit erschüttert, und in den besetzten Ländern greifen Störungen der sozialen Stabilität um sich und lassen ein soziales Chaos entstehen, in dem sich die unterschiedlichen sozialen Gruppen in den besetzten Gebieten zunehmend feindlich gegenüberstehen und sich voneinander abgrenzen.

Dies wirkt wie eine Gegenreaktion auf den inneren Widerstand gegen die Besetzung und die ausländische Bevormundung. Die früheren sozialen Werte und Regeln sind in diesen, in sozialer Hinsicht deregulierten, sozialen Milieus nicht länger wirksam. In diesem sozial durch Regelverlust gekennzeichneten Milieu ist es Washington gelungen, in der Regel durch die Betonung trennender Faktoren neue soziale Strukturen zu schaffen. Diese neuen, in sich gespaltenen Gesellschaften sind innerlich immer schwach und können daher leicht in Washingtons imperiale Strukturen eingegliedert werden. Diese immer wiederkehrende Vorgehensweise [nach der Strategie »Teile und herrsche«] wurde im großen Stil auch in Afrika angewendet und geht direkt auf die europäischen Weltreiche und den Kolonialismus zurück.

Diese besetzten Länder haben sich den geopolitischen und strategischen Zielen Washingtons und der NATO gefügt, inter anderem indem sie zuließen, dass in ihnen zahlreiche Militärbasen errichtet wurden, die durch die neuen politischen und wirtschaftlichen Strukturen und den gespaltenen oder in sich fragilen Zustand ihrer Gesellschaften unterstützt werden. Ebenso wie die neuen Verfassungen sind auch die neuen ausländischen Militärbasen Teil der Logistik des Aufbaus imperialer Strukturen und dienen als Vorposten, die die militärischen Nachschublinien, Energietransportwege und die Verkehrskorridore schützen.

Im von der NATO besetzten Kosovo liegt Camp Bondsteel ganz in der Nähe der Grenze zu Albanien und der früheren jugoslawischen Teilrepublik Mazedonien. Bondsteel wurde vom amerikanischen Verteidigungsministerium nach dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien im Jahr 1999 errichtet. Es dient als Hauptquartier des amerikanischen KFOR-Kontingents, dem Schutz der geplanten AMBO-Pipeline, die durch Albanien, Mazedonien und Bulgarien verlaufen soll, um Erdöl aus dem Kaspischen Meer unter Umgehung Russlands nach Westeuropa zu bringen, und als vorgeschobener militärischer Posten auf dem Balkan. Der Bau dieses [386 Hektar großen] Stützpunktes war Teil eines umfassenderen militärischen Vordringens in das eurasische Kerngebiet. Diese Basis wurde zusammen mit der militärischen Infrastruktur, die das Pentagon in Osteuropa aufbaute und die die militärische Infrastruktur in Deutschland ersetze, 2001 für Angriffe auf Afghanistan und zwei Jahre später für Angriffe auf den Irak genutzt.

Afghanistan und der Irak sind heute mit amerikanischen Militärbasen übersät. Der Irak hat mit den USA eine ähnliche Vereinbarung über die Stationierung amerikanischer Truppen (SOFA) wie Japan nach dem Zweiten Weltkrieg abgeschlossen. 1960 hatte Japan im Rahmen eines bilateralen Sicherheitsvertrages den USA praktisch ein Truppenstationierungsrecht eingeräumt. Die amerikanischen Militärstützpunkte im Irak befinden sich nahe der Grenze zum Irak und Syrien, während die Militärbasen wie etwa Camp Dwyer und Camp Rhino im von der NATO besetzten Afghanistan sich in enger Nachbarschaft der Grenzen zum Iran, Turkmenistans, Usbekistans, Tadschikistans, Pakistans und der Volksrepublik China befinden.

Alle diese Länder stehen im Zentrum der geopolitischen Aufmerksamkeit des Pentagon. Und so wie die neue Protektorate im früheren Jugoslawien als Sprungbrett benutzt wurden, um nach Afghanistan und in den Irak vorzudringen, sollen die neuen, noch im Aufbau befindlichen Protektorate oder Kolonien in diesen Staaten dazu dienen, im Rahmen des Strategie der weltweiten imperialen Vormachtstellung der Vereinigten Staaten von Amerika den Weg in diese eurasischen Staaten zu bahnen.

__________
Anmerkungen:

i) Die Übergangsregierung Somalias wird als Beispiel angeführt. Sie wurde mit Unterstützung der USA und der EU außerhalb Somalias in Kenia eingesetzt, um den Einfluss der USA und der EU in Somalia und dem Horn von Afrika zu erhöhen.
ii) Michel Chossudovsky, »The Globalization of Poverty and the New World Order, Québec«, in: Global Research, 2003, S. 258.
iii) Michel Chossudovsky, a.a.O., S. 258–259.
iv) Ebenda.
v) Saumya Mitra (Hrgb.), Kosovo: Economic and Social Reforms for Peace and Reconciliation, Washington, D.C.: World Bank, 2001, S. 22–23.
vi) Ebenda.
vii) Ebenda.
viii) Jonathan Finer und Omar Fekeiki, »U.S. Steps Up Role in Iraq Charter Talks: Envoy Offers Plan To Settle Dispute, Legislators Say«, in: The Washington Post, 13. August 2005.
ix) William Varner, »Libyan Rebel Council Forms Oil Company to Replace Qaddafi’s«, in: Bloomberg, 22. März 2011.
x) Aiyob Mawloodi, »Iraqi Parliament to discuss Kurdish oil contracts«, in: The Kurdish Globe, 7. Mai 2011.
xi) William Isaac Thomas und Florian Znanecki, The Polish Peasant in Europe and America, Vol. 2, New York City 1958, S.1127–1133.

Freitag, 3. Februar 2012

Europäische Integration

Die «Methode Schaffner» als ein Schlüssel zum Verständnis des Erfolgs der Schweiz

von Dr. rer. publ. Werner Wüthrich

In Teil 1 dieser Artikelfolge haben wir die «Methode Monnet» als Schlüssel zum Verständnis der Euro-Krise erkannt (Zeit-Fragen Nr. 50 vom 12.12.2011). In Teil 2 haben wir zwei unterschiedliche Vorstellungen kennengelernt, wie «Europäische Integration» aussehen könnte – auf der einen Seite das Konzept der EWG und heutigen EU und auf der andern Seite die EFTA, die europäische Freihandelsassoziation (Zeit-Fragen Nr. 3 vom 17.1.2012). Wir haben die ­Politiker kennengelernt, die dem «Modell» EFTA zum Durchbruch verhelfen wollten. In der Schweiz waren dies vor allem die beiden Bundesräte Hans Schaffner und Friedrich Traugott Wahlen, die mit ihren engsten Mitarbeitern Albert Weitnauer und Paul Jolles das «Europa-Dossier» betreuten. In der Auseinandersetzung um die beiden unterschiedlichen Konzepte fehlte es nicht an Eklats verschiedenster Art. So war die Tinte auf dem EFTA-Vertrag von 1960 noch kaum getrocknet, als Grossbritannien zur EWG hinüber wechseln wollte und die andern EFTA-Länder sich halbherzig anschickten, im Kielwasser der Grossmacht zu folgen. Heute zeigen die Dokumente, dass die US-Regierung im Hintergrund die Fäden zog. Der französische Präsident Charles de Gaulle durchkreuzte den Plan, als er am 14. Januar 1963 die Beitrittsverhandlungen von Grossbritannien mit einem «Paukenschlag» beendete. – Erst jetzt konnte die EFTA mit ihrer eigentlichen Arbeit beginnen.

Nicht nur in Europa war ein Ringen um den «richtigen» Weg der wirtschaftlichen Integration zu beobachten. Ein weiterer Schauplatz waren die Verhandlungen im GATT. Auch hier gab es verschiedene Vorstellungen, wie das Wirtschaftsleben zwischen den Ländern – weltweit – besser zu vernetzen sei. Auch hier arbeitete Hans Schaffner mit seinen Mitarbeitern an vorderster Front – waren doch 45 Prozent der Exporte der Schweiz für aussereuropäische Länder bestimmt. Auch hier kam es zu einer ähnlich paradoxen Situation wie oben geschildert. Bundesrat Hans Schaffner leitete die sogenannte Kennedy-Runde1, die wichtigste Verhandlungsrunde des GATT nach dem Zweiten Weltkrieg, obwohl die Schweiz gar nicht Mitglied des GATT war. Wie kam es zu dieser merkwürdigen Situation?

General Agreement on Tarifs and Trade (GATT)

1947 gründeten 23 Länder das GATT mit dem Ziel, weltweit die hohen Zölle und Handelsschranken schrittweise abzubauen. Die USA zum Beispiel verlangten damals für Schweizer Uhren einen Zoll von 60 Prozent. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten die hoch entwickelten Industrieländer des Westens, Agrarländer wie Australien und Brasilien, Entwicklungsländer und einige wenige kommunistische Länder. Alle Mitglieder hatten gleiche Rechte und jedes Land hatte eine Stimme. Die Verträge konnten nur geändert werden, wenn alle zustimmten.

Die Schweiz exportierte in der Nachkriegszeit – ähnlich wie heute – etwa vierzig Prozent ihrer Produkte und Dienstleistungen ins Ausland und war interessiert beizutreten. Dazu kam es nicht. 1947 hatten die Stimmbürger den neuen Wirtschaftsartikeln in der Bundesverfassung zugestimmt. Diese beauftragten den Bund, Massnahmen zu ergreifen zum Schutz eines gesunden Bauernstandes und einer leistungsfähigen Landwirtschaft (Art. 31 bis Abs. 3 BV). Das Landwirtschaftsgesetz von 1951 schützte die Existenz der einheimischen Bauern mit Zöllen und Kontingenten. Ein Beitritt war deshalb nicht möglich. Es war die Aufgabe von Hans Schaffner, damals Direktor der Handelsabteilung, die Zustimmung für eine Ausnahmeregelung zu bekommen. 1958 stand er kurz vor seinem Ziel. Fast alle Mitglieder des GATT waren einverstanden, die Schweiz mit einer Sonderregelung aufzunehmen. Fast alle – die Agrarländer Australien und Neuseeland legten das Veto ein –, und die Schweiz wurde nur als provisorisches Mitglied ohne Stimmrecht aufgenommen.

Das hinderte Hans Schaffner nicht, aktiv mitzuarbeiten. So leitete er vom 16. bis 21. Mai 1963 die Ministerkonferenz des GATT, die das Regelwerk für die sogenannte Kennedy-Runde aufstellte. Es gelang ihm, den Generaldirektor des GATT zu gewinnen, den Vollbeitritt der Schweiz mit einer Sonderregelung zu unterstützen. Am 1. April 1966 war es soweit: Alle Mitglieder des GATT stimmten zu. Hans Schaffner beschrieb diese Situation im Bundesblatt, dem Amtsblatt der Schweiz, wie folgt: «Wenn unsere Partner sich dazu bereit fanden, so geschah es zum Teil darum, weil sie einem Land von der Statur der Schweiz trotz ihrer fest gefügten Sonderart, die in kein Schema passt, den Weg zum GATT nicht versperren wollten. […] In diesem Sinn ist die Freiheit, die der Schweiz für die Fortführung ihrer Agrarpolitik eingeräumt wurde, nicht unbeschränkt. Die Schranken ergeben sich aus der Tatsache, dass unser Land keine isolierte Existenz führt, sondern mit seiner wirtschaftlichen Umwelt aufs engste verbunden ist.» (Bundesblatt 1966, S. 713)

Einige Monate später schilderte Albert Weitnauer, Leiter der Schweizer Verhandlungsdelegation, an der Botschafterkonferenz die Ereignisse im GATT noch genauer: «Das General Agreement wird in seinem Wortlaut von sozusagen niemandem voll eingehalten. In der Gewährung von Ausnahmen oder Dispensen von der Verpflichtung des GATT ist die Organisation stets nach dem Grundsatz vorgegangen, desto strenger zu sein, je stärker das betreffende Land wirtschaftlich ist. Die Entwicklungsländer geniessen ein Sonderstatut, das sie der Respektierung fast aller Vorschriften des GATT enthebt. Die hochentwickelten Länder auf der andern Seite, deren Zahlungsbilanz in Ordnung ist, haben grosse Mühe, vom GATT Dispense von ihren Verpflichtungen nach dem Accord général zugestanden zu erhalten. Wir konnten es unter diesen Umständen als Erfolg unserer Handelspolitik verbuchen, dass es uns gelang, nachdem wir uns während mehr als sieben Jahren mit dem Status eines provisorischen Mitglieds hatten begnügen müssen, durch einen Beschluss der GATT-Vertragsparteien vom 1. April dieses Jahres als Vollmitglied der Organisation aufgenommen zu werden, obwohl die schweizerische Landwirtschaftspolitik mit ihren vielfältigen Einfuhrbeschränkungen mit dem GATT-Statut keineswegs vereinbar ist.» (Botschafterkonferenz vom 1. September 1966, www.dodis.ch/30835)

Hans Schaffner und Friedich Traugott Wahlen hatten im GATT die Überzeugung vertreten, dass die Grundsätze des Freihandels nicht 1:1 auf die Landwirtschaft übertragen werden könnten, weil die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern zu gross seien und die Selbstversorgung für viele Länder existentielle Bedeutung habe könne. Die Schweiz hatte dies im Zweiten Weltkrieg hautnah erlebt. Diese Überzeugung war bereits in die Statuten der EFTA eingeflossen. Die Geschichte sollte dieser Politik Recht geben. In Wirklichkeit wurde auch im GATT der Freihandel im Bereich der Landwirtschaft nie richtig durchgeführt. Daran hat sich auch heute nichts geändert. Die WTO als Nachfolgeorganisation des GATT hat in der Doha-Runde elf Jahre lang versucht, die Regeln des globalen Freihandels auf die Landwirtschaft zu übertragen, und ist daran gescheitert. Die EFTA hält seit 1960 daran fest, die Landwirtschaftspolitik den einzelnen Mitgliedsländern zu überlassen.

Kehren wir zurück zur «Europäischen Integration». Auch in diesem Bereich hatten Hans Schaffner und seine Mitarbeiter mit ihrer Politik Erfolg. Es fällt auf, wie gewandt sie sich auf dem internationalen Parkett bewegten und das politische Geschehen als Vertreter eines neutralen Kleinstaates aktiv mitgestalteten (obwohl oder gerade weil die Schweiz damals nicht Mitglied der Uno war).

Freihandelsvertrag von 1972

Nach dem Veto des französischen Staatspräsidenten de Gaulle nahmen die sieben EFTA-Länder ihren ursprünglichen Plan wieder auf, eine grosse Freihandelszone zu schaffen, die sowohl die Länder der Europäischen Gemeinschaft wie auch der EFTA als gleichberechtigte Teilnehmer umfasste – ein Projekt, das die USA in den 1950er Jahren noch verhindert hatten. Hans Schaffner trat 1969 aus gesundheitlichen Gründen als Bundesrat zurück. Es war ihm in den letzten Jahren seiner Regierungstätigkeit noch gelungen, das Vertragswerk der EFTA zu festigen. Paul Jolles, Leiter des Integrationsbüros, war massgebend beteiligt, als 1972 der geplante Freihandelsvertrag zwischen der EG und den EFTA-Ländern abgeschlossen wurde.

Für Hans Schaffner und seine Mitarbeiter hatte der Vertrag auch eine persönliche Bedeutung: Eine relativ kleine Gruppe von Personen aus dem Bundesrat und der Verwaltung führte damals die Verhandlungen zur Europapolitik. Es war für sie deshalb eine grosse Genugtuung, als die Schweizer Stimmbürger dieser Politik zustimmten und den Freihandelsvertrag mit einem überwältigenden Mehr von 72,5 Prozent Ja-Stimmen und mit allen Ständestimmen annahmen.

Die EG und die EFTA erlebten in der Folgezeit ihre besten Jahre. Der grosse Freihandelsvertrag von 1972 wurde in den nächsten Jahren ergänzt durch zahlreiche weitere Verträge aus dem Dienstleistungsbereich – zum Beispiel mit dem grossen Versicherungsvertrag von 1989. Die Landwirtschaft blieb den einzelnen Ländern überlassen. Das Projekt, die Länder Westeuropas wirtschaftlich zu integrieren, hatte sein Ziel weitgehend erreicht. Die Vermutung aus dem Jahr 1960, Brüssel werde nun beginnen, seine Bürokratie wieder abzubauen, bewahrheitete sich allerdings nicht – ganz im Gegenteil. Es sollte ganz anders kommen.

Neuauflage des «Jean Monnet/USA-Konzepts»

Als Charles de Gaulle 1971 starb, wurde das Jean Monnet/USA-Konzept, wie es Albert Weitnauer bezeichnet hatte, wieder reaktiviert. Damit ist gemeint, dass die EFTA-Länder aus politischen Gründen – nach Anweisung der USA – nach und nach in die EWG zu integrieren seien. Im Jahr 1973 verliessen die beiden Nato-Mitglieder Grossbritannien und Dänemark die EFTA und wechselten – wie bereits 1960 geplant – zur Europäischen Gemeinschaft EG. 1995 folgten auch die beiden Neutralen Schweden und Österreich. Das Nato-Mitglied Norwegen trat zwar nicht wie geplant bei. Die Stimmbürger hatten diesen Schritt abgelehnt. Es beteiligte sich jedoch am EWR, der die automatische Übernahme von EU-Recht und eine enge Anbindung an die EU vorsah – ein Schritt, den die Stimmbürger in der Schweiz 1992 ablehnten.

Die Schweiz war deshalb Mitte der 1990er Jahre noch das letzte Gründungsmitglied der EFTA, das dem Jean Monnet/USA-Konzept nicht gefolgt war und am ursprünglichen Weg festhielt, als souveränes Land auf eine freiheitliche Art mit Gleichgesinnten zu kooperieren. – Es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass die Schweiz kurze Zeit später massiv aus den USA angegriffen wurde. Jüdische Kreise bezichtigten das Land mit einer gut orchestrierten Kampagne – tatsachenwidrig – der Kumpanei mit Hitler im Zweiten Weltkrieg. Dieser Angriff kam den «Monnet-Netzwerken» in den Schweizer Medien und unter den Politikern der Schweiz nicht ganz «ungelegen», bot er ihnen doch die Chance, das Gefühl der Eigenständigkeit und das Selbstbewusstsein der Schweizer Bürger zu untergraben, um so den Weg für einen Beitritt zu ebnen. – Funktioniert hat es nicht. Die Enttäuschung dieser Kreise dürfte gross gewesen sein, als die Stimmbürger im Jahr 2001 die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit 76 Prozent der Stimmen ablehnten – mit ungefähr dem gleichen Prozentsatz, mit dem sie 30 Jahre zuvor der grossen europäischen Freihandelszone zugestimmt hatten, die die EFTA- und die EG-Länder als gleichberechtigte Teilnehmer umfasste. – Beitrittsverhandlungen würden heute wahrscheinlich noch weit deutlicher abgelehnt werden.

Monnet-Manie

Wie oben bereits erwähnt, erlebten die Europäische Gemeinschaft und die EFTA in den Jahren nach dem Abschluss des grossen Freihandelsvertrages von 1972 ihre besten Jahre. Die offizielle Geschichtsschreibung der EU, die der Monnet-Doktrin folgt, sieht dies allerdings anders. Hier ist die Rede von 25 Jahren Euro-Skeptizismus («Euro-Sklerose»), die mit der Wahl von de Gaulle zum französischen Staatpräsidenten im Jahr 1958 begonnen habe. Erst der französische Sozialist Jacques Delors, der 1985 zum Kommissionspräsidenten ernannt wurde, habe die Gemeinschaft aus der «tiefen Krise» geführt. So steht es heute bei Wikipedia.

Delors baute die ausufernde Bürokratie nicht – wie erwartet – ab, sondern massiv aus. Im Juni 1989 legte er einen 3-Stufen-Plan zur Errichtung der Wirtschafts- und Währungsunion vor und stellte die Weichen zum Schlamassel, in dem wir heute stecken. Das Geld spielte in dieser Politik bereits früher eine grosse Rolle: Im Verlaufe der Jahrzehnte wurden – gut gemeint – insgesamt Billionen über die verschiedenen Strukturfonds und später den Kohäsionsfonds in die südlichen Länder geleitet, um «den Unternehmergeist zu stärken», wie es in den offiziellen Programmen so schön heisst. Heute wissen wir, dass das viele Geld sein Ziel nicht erreicht hat. Es hat im Gegenteil – wie wir heute sehen – die Eigenständigkeit und die Eigenverantwortung dieser Länder eher geschwächt. Ob die Gelder, die im Rahmen des EFSF und des ESM wieder in diese Länder fliessen werden, mehr Erfolg haben werden, ist zu bezweifeln.

Wir kennen alle die Entwicklungsetappen der letzten Jahre: der Vertrag von Maastricht, der EWR, die Einführung des Euro, die Verträge von Schengen und von Lissabon, die «Bilateralen Verträge I und II» mit der Schweiz, das Projekt der Fiskal- und Wirtschaftsunion, der EFSF und ESM – lauter Schritte in Richtung einer immer engeren politischen Union, wie dies bereits in der Präambel der Römischen Verträge von 1957 vorgesehen war. Aus den heute vorliegenden Dokumenten wissen wir, dass diese Entwicklung einer politischen Strategie folgt, die letztlich aus den USA stammt und ihre Begründung im kalten Krieg hat.

Jean Monnet erlebte – nach Jahren der Zurücksetzung in der Zeit de Gaulles (von 1958 bis 1969) – seine «goldenen» Jahre. Sein «Geist» und seine Netzwerke eroberten die Redaktionsstuben der meisten Medien, viele Parteizentralen, Regierungen und auch die Universitäten – auch in der Schweiz. So gibt es heute an den europäischen Universitäten etwa 200 Jean-Monnet-Lehrstühle. Die meisten Medien haben ihre Berichterstattung seit vielen Jahren einseitig ausgerichtet. Als Jean Monnet im Jahr 1979 starb, liess François Mitterand seinen Leichnam ins Panthéon überführen, wo er heute neben den Grössen der französischen Politik und des Geisteslebens ruht. Die Stiftung «Jean Monnet pour l’Europe» verleiht jedes Jahr eine Ehrenmedaille. Zu den Preisträgern gehören neben Jacques Delors und Helmut Kohl auch Mitglieder der Schweizer Regierung wie die Bundesräte Adolf Ogi und René Felber. Jakob Kellenberger, vor wenigen Jahren Verhandlungsführer der «Bilateralen I,» ist heute Vizepräsident der Stiftung «Jean-Monnet pour l’Europe».

Geringschätzung von wahrer Grösse

Hans Schaffner und seine Mitarbeiter, die das Gesicht der modernen Schweiz so stark geprägt hatten, gerieten dagegen mehr und mehr in Vergessenheit, oder die Erinnerung an ihre Politik wurde bewusst beiseite geschoben. Seine Partei, die FDP, änderte ihr Gesicht und hat heute Mühe, ihr Profil zu finden. Nach der EWR-Abstimmung nahm sie den EU-Beitritt ins Parteiprogramm auf (und strich ihn vor kurzem wieder heraus). Der heute für die Aussenpolitik zuständige Bundesrat Didier Burkhalter trat damals der Nebs bei (und später wieder aus). Der Zweck der «Neuen europäischen Bewegung Schweiz Nebs» ist der EU-Beitritt. Die Partei verlor seit ihrer «Neuorientierung» in den 90er Jahren etwa einen Viertel ihrer Wählerstimmen.

Um ihren Bundesrat Hans Schaffner wurde es still. Heute gibt es nicht einmal eine Biographie über ihn. In seinen letzten Lebensjahren wurde Hans Schaffner sogar aktiv übergangen. Die Historiker der sogenannten «Bergier-Kommission», die die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs genauer aufarbeiten sollten, vermieden es, ihn als den damaligen Leiter der Eidgenössischen Zentrale für Kriegswirtschaft überhaupt zu konsultieren. Vermutlich befürchteten sie, wie alt Staatssekretär Franz Blankart später in seinem Nachruf auf Hans Schaffner schrieb, «dass ihre Vorurteile durch sein Urteil widerlegt worden wären». («NZZ» vom 30.11.2004) Es gehörte nicht zur Art von Hans Schaffner zu resignieren, sondern er wurde – wie schon so oft – aktiv und reiste im Alter von 93 Jahren in die Höhle des Löwen nach New York. Er brachte seine Empörung über die deplazierten Angriffe in einem Artikel in der «New York Times» zum Ausdruck. Zeit-Fragen hat den Artikel übersetzt und ihn mit dem Titel «Die Wahrheit über die Schweiz» abgedruckt. (Zeit-Fragen Nr. 33 vom 12.8.2002) Die ersten Zeilen sollen einen Eindruck vermitteln:

«Erneut ist eine Debatte aufgekommen, welche Massnahmen die Schweiz ergreifen sollte, um die Forderungen der Holocaust-Opfer zu begleichen, deren Eigentum seinen Weg auf Schweizer Banken fand. Die Zahlungen, welche mein Land bis heute zur Verfügung stellte, sind weit herum nicht als ehrenwerter Akt des Mitgefühls, sondern als Ausdruck eines nationalen Schuldbewusstseins dargestellt worden. – Diese Verwirrung ist die Folge von zwei Jahren voller Anschuldigungen, die Schweiz habe während des Zweiten Weltkriegs mit Nazi-Deutschland kollaboriert, indem sie jüdisches Eigentum einbehalten und Flüchtlinge schlecht behandelt habe. Diese Anschuldigungen beruhen auf keinerlei neuen Informationen. Alle wichtigen Einzelheiten sind seit 1946 bekannt. Was neu ist, ist die Flut von Groll gegen die Schweiz und die Ignoranz, die dieser zugrunde liegt. – Da ich die Schweizer Kriegswirtschaft in den bedrohlichen Jahren des Zweiten Weltkriegs leitete, als wir Vorbereitungen gegen einen Angriff der Nazis zu treffen hatten, bin ich entsetzt zu sehen, wie durchweg falsch das Verhalten der Schweiz in der Zeit des Krieges dargestellt wird. Es ist an der Zeit, die Dinge richtigzustellen: […].

Eigenständige Bevölkerung

Die Bevölkerung der Schweiz liess sich von der Monnet-Manie nicht anstecken – trotz der permanenten Berieselung der Medien blieb sie meistens sachlich. Im Jahr 1992 lehnten die Stimmbürger den EWR ab, obwohl das Parlament das erste Mal in der Geschichte des Bundesstaates Steuergelder für eine massive Ja-Propaganda bewilligt hatte. Im Jahr 2001 lehnten sie mit 76 Prozent die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen ab. Die Stimmbürger stimmten den «Bilateralen Verträgen I und II» zu. Diese bilateralen Verträge haben jedoch eine andere Qualität als die früheren. Alt Staatsekretär Franz Blankart, der Verhandlungsführer des EWR, stellte vor kurzem fest: «Die [bilateralen] Verträge mit der EU wurden unter der impliziten Annahme ausgehandelt, dass die Schweiz in absehbarer Zeit Mitglied der EU sein werde, weshalb der gestaltenden Mitwirkung kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde.» (NZZ am Sonntag vom 25.10.2009) – Die Schweiz tut sich schwer, ihren Weg zu finden.

In den meisten Ländern wurden die Stimmbürger zur Europapolitik gar nicht gefragt, oder die Abstimmung wurde wie in neuerer Zeit auch in der Schweiz mit einer riesigen Regierungspropaganda beeinflusst.

Die «Methode Schaffner» als ein Schlüssel zum Verständnis des Erfolgs der Schweiz

Heute sieht manches wieder anders aus. Die EU ist in der Krise. Der Euro funktioniert nicht – und manches andere in der EU auch nicht. Die «Methode Monnet» ist auf dem Prüfstand. Die EFTA – heute mit noch vier Mitgliedern – setzt ihre Freihandelspolitik fort. Sie hat in den letzten Jahren eine Vielzahl von individuell ausgehandelten Freihandelsverträgen mit Staaten auf der ganzen Welt abgeschlossen, die die Besonderheiten der jeweiligen Vertragspartner berücksichtigen. Die Verhandlungen mit China sind vor kurzem abgeschlossen worden. Der Vertrag mit Indien steht vor dem Abschluss. Verhandlungen mit Russland sind im Gange. (Vergleiche auch: «Europa am Scheideweg: Mehr Eigenverantwortung und freiheitliche Zusammenarbeit zwischen souveränen Nationen» in Zeit-Fragen vom 24.10.2011).

Das grosse Netzwerk der Verträge umfasst heute den grössten Teil des Globus. Die EFTA muss deshalb auch den Vergleich mit der WTO nicht scheuen. Die Welthandelsorganisation versucht seit vielen Jahren vergeblich, den Freihandel in ein einheitliches, globales Korsett zu schnüren, das den einzelnen Mitgliedern offensichtlich nicht gerecht wird. Die «Methode Schaffner» dagegen verdient es, zur Kenntnis genommen zu werden. Sie ist heute ein Schlüssel zum Verständnis des Erfolgs der Schweiz.

Globale Herausforderung

Auch im Osten arbeiten die Länder der ASEAN auf eine ähnliche Weise wie die EFTA zusammen – mit Erfolg. Diese Länder steckten 1998 wie heute die EU in einer schweren Krise, die als Asien-Krise in die Geschichte einging. Sie haben es eigenverantwortlich geschafft, ihre ebenfalls riesigen Schuldenberge in den Griff zu bekommen, ohne zweifelhafte Instrumente wie EFSF, ESM oder Euro-Bonds einsetzen zu müssen. Die meisten sind praktisch schuldenfrei und haben in den letzten Jahren Reserven gebildet, um den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein. «Europa» wird es sich nicht leisten können, seine Augen davor zu verschliessen.

Wie die Dokumente heute zeigen, ist das «Jean Monnet/USA-Konzept» ein Produkt des kalten Krieges und zu einem erheblichen Teil von den USA fremdbestimmt. Es ist höchste Zeit, dieses Konzept kritisch zu hinterfragen, um den Herausforderungen dieses Jahrhunderts gewachsen zu sein. Der kalte Krieg ist längst Geschichte. Vielleicht braucht die Bevölkerung in der EU ähnlich wie in der DDR vor zwanzig Jahren – eine Art «Mauerfall», um sich von den einengenden Strukturen und der Fremdbestimmung zu befreien.

Oder wie es bei Voltaire oder bei Immanuel Kant so schön heisst: «Aufklärung bedeutet Aufbruch aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit.»

Im vierten und letzten Beitrag zum Thema «Europäische Integration» kehren wir wieder zurück ins Jahr 1969. Minister Albert Weitnauer, ein enger Mitarbeiter von Hans Schaffner, versammelte die Schweizer Botschafter am 5. September 1969 zu einer eigentlichen Staatskundelektion zum Thema «Europäische Integration». (dodis.ch/30861) Er warf die Grundsatzfrage auf: Gibt es in Europa genügend staatsbildende Elemente, die es erlauben, auf dem Weg zu den «Vereinigten Staaten von Europa» weiter zu schreiten? Er wies darauf hin, dass das europäische Zusammengehörigkeitsgefühl, der politische Wille der Bevölkerung, das Wirken von Führungspersönlichkeiten und ähnliches als unabdingbare Bausteine vorhanden sein müssten, um so etwas wie einen Bundesstaat aufbauen zu können. Er entwickelte vor 43 Jahren eine in der Politik seltene Weitsicht. Davon mehr im nächsten Artikel. •

1 Das GATT führte – wie heute ihre Nachfolgeorganisation WTO – in Abständen von einigen Jahren Verhandlungsrunden durch, um ihre Verträge anzupassen und weiterzuentwickeln. Die bekanntesten sind die Kennedy-Runde (1962–1967), die Uruguay-Runde (1986–1994) und heute die Doha-Runde (2001–2011).