Sonntag, 23. Dezember 2007

Wie Hollywood die Welt manipuliert

Wie man Geschichte verfälscht und zu welchen Zwecken
Mit den Mitteln der Identifikation und Minimalisierung soll der Film «300» den geplanten Krieg gegen Iran psychologisch vorbereiten helfen
von Hermann Schubart, Marburg

Jeder Film, wenn er erfolgreich sein soll, erstrebt für den Zuschauer die Möglichkeit der vollkommenen Identifikation mit den Darstellern und der Handlung. Dies geschieht zumeist durch eine Projektion von Sympathien und Antipathien, die dem Betrachter angeboten werden. Auch der Film «300», der seit Anfang des Jahres als Kassenschlager weltweit in die Kinos gekommen ist und sich zum erfolgreichsten Film 2007 zu entwickeln im Begriffe ist, soll diese Identifikation leisten. Unter der Voraussetzung, dass die meisten Filme, die von Hollywood aus in die Welt geschickt werden, eine Botschaft transportieren sollen, und sei es auch nur unterschwellig, darf man also auch bei diesem Film etwas Ähnliches erwarten.
«Er erzählt die historische Schlacht an den Thermopylen», so lautet einer der Werbesprüche. Damit ist ein Anspruch auf wahrheitsgetreue Rekonstruktion des historischen Geschehens im Jahre 480 im antiken Griechenland erhoben. Dieser Anspruch wird keineswegs auf seriöse Weise eingelöst, da der Film mit den historisch gesicherten Fakten grob fahrlässig umgeht. In der Wiedergabe der welthistorischen Auseinandersetzung zwischen den Persern und den Griechen hat der Film den heutigen Iran im Visier, und aus dem Gewande des antiken Spartas schauen überall Merkmale der USA hervor. Indem der Film alle die Identifikation störenden Elemente aus der Geschichte herauslöst, verändert, uminterpretiert oder schlichtweg verfälscht, wird der durchschnittliche und zumeist ahnungslose Filmbesucher in die Lage versetzt, sich rückhaltlos mit den Helden der Handlung zu identifizieren oder ihnen zumindest Sympathie entgegenzubringen. Besonders das US-amerikanische Publikum kann Parallelen entdecken und seine Folgerungen daraus ableiten.
Der Film enthält dermassen viele Verfälschungen, dass man gar nicht weiss, wo man anfangen soll. Das beginnt bei der doppelten Staatsführung (zwei Könige und ihre Nachfolger) und setzt sich über die Wiedergabe der Ephoren und anderer staatlicher Institutionen fort.
Unterstellt man, und viele Anzeichen sprechen dafür, dass hier der spartanische König Leonidas Assoziationen zum US-amerikanischen Präsidentenamt ermöglichen soll, so erhält der naive Filmbesucher den Eindruck von einem Mann, der die richtigen Qualitäten zur politischen Führung aufweist und als treibende Kraft alles allein und alles richtig macht. Seine Gegner im Inneren sind die bestechlichen Ephoren als Verkörperung einer verknöcherten Tradition samt Religion, die sich den aktuellen militärischen Notwendigkeiten in den Weg stellen.
Auch die Gerusia, der Rat der Alten, gehört in diesen Zusammenhang. Seine Darstellung ist geeignet, Assoziationen zum US-amerikanischen Senat zu wecken. Auch von hier werden dem König (Präsidenten) noch Knüppel zwischen die Beine geworfen. Ein Intrigant gegen seine Unterstützung ist vom Feind bestochen.
Überhaupt ist das Bild, das der Film vom Staat Sparta insgesamt deutlich werden lässt, von einer geradezu grandiosen Lückenhaftigkeit. Man könnte sich seitenlang darüber ausbreiten. Alles, was sich sperrig einer Identifikationsmöglichkeit entgegenstellt, ist aus der Geschichte getilgt. Übrig bleibt ein Staat, der sich nur durch historische Kostüme, Architektur und Technik von einem heutigen unterscheidet.
Wichtig ist auch noch die Zahl derer, die an diesem Kriegszug teilgenommen haben; damit ist auch noch die Frage nach den Verbündeten verknüpft. Der Film fokussiert den Blick des Zuschauers eindeutig auf Leonidas und seine 300 Mann, so dass der Eindruck entstehen könnte, dass nur diese wenigen den Persern entgegengetreten seien. Auch hier sieht die rekonstruierbare Wirklichkeit anders aus. Leonidas führte den Oberbefehl über eine gesamtgriechische Streitmacht von 7000 Mann und nicht nur über die spartanischen 300. Zudem will der Film anhand der Verbündeten die Botschaft transportieren, dass Verbündete mit einer Wehrpflichtarmee eigentlich nicht zu gebrauchen sind. Nur eine Berufsarmee ist angeblich den militärischen Notwendigkeiten wirkungsvoll gewachsen. Assoziationen zu den USA und ihren Nato-Verbündeten, denen indirekt etwas ins Stammbuch geschrieben wird, wird hier Raum gegeben.
Dazu passt, dass mit plakativer Rhetorik auch herausgestellt wird, wozu dieser Kampf dienen soll. Es geht um nichts Geringeres als um Freiheit und Demokratie. Nun war das aristokratisch-oligarchische Sparta keineswegs im modernen Sinne demokratisch; und wenn die Griechen sich für die Freiheit einsetzten, war in erster Linie die Freiheit der Polis gemeint. Die Filmautoren legen ihren Figuren Sätze wie die folgenden in den Mund: «Was sollte ein freier Mensch tun?» fragt die Königin Leonidas, und an anderer Stelle sagt sie: «Freiheit ist niemals umsonst, sie kostet Blut.» In ihrer Rede vor dem Rat stellt sie Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit, Gesetz, Ordnung und Hoffnung heraus. Auch Leonidas äussert sich ähnlich: «Für Freiheit und in den Tod»; sie seien freie Männer, keine Sklaven und gegen Tyrannei. Alle diese akzentuierten Aussagen werden filmisch frontal in Nahaufnahme und in Richtung Filmpublikum gesprochen. Auch der Erzähler (der Überlebende Dilios) schlägt in dieselbe Kerbe: für Ehre, Pflicht und Ruhm kämpfen sie. «Wir tun, wozu wir gezeugt, geboren und ausgebildet worden sind», das heisst, sie tun ganz einfach ihren Job. Mit dem Untergang der Spartaner ist nicht etwa alles zu Ende. Es beginnt jetzt ein «Zeitalter der Freiheit». Mit dem Appell, die Gefallenen nicht zu vergessen, schlägt er dann eine Brücke in die Zukunft («unzählige Jahrhunderte danach»), womit ein Bezug zur Gegenwart hergestellt wird. Unschwer zu erkennen, an wen er da ahnungsvoll denkt.
Die Filmautoren müssen sich angesichts dieser Freiheits- und Demokratieparolen allerdings eine unabweisbare Frage gefallen lassen. Wenn es ihnen bei der Konzeption des Filmes tatsächlich um Freiheit und Demokratie gegangen wäre, warum haben sie dann, trotz der vorhandenen Unterschiede zu heutigen Verhältnissen, nicht Athen statt Sparta genommen? Das hätte doch dann viel besser dazu gepasst. Aber nein, ihnen geht es gar nicht um Freiheit und Demokratie, es geht ihnen primär um militärische Schlagkraft und kämpferische Effektivität.
Dass dieser bedingungslose Einsatz schliesslich scheitert, liegt nicht an der militärischen Qualität der Spartaner, sondern, völlig unhistorisch, an einem Verrat eines monströs verkrüppelten Exil-Spartaners.
Die feindlichen Perser erscheinen im Film als das genaue Gegenteil der Spartaner. An ihnen ist nichts Positives zu erkennen. Dabei handelt es sich um eines der ältesten Kulturländer der Welt mit einer Jahrtausende währenden Geschichte. Vor Alexander hatten sie bereits ein Weltreich mit einer einheitlichen Verwaltung und einem einheitlichen Wirtschaftsraum geschaffen. Leistungen im Strassenbau und in der Architektur und Kunst lagen vor. Sie besassen auch eine «Religion turmhoch über den meisten Religionen des vorderen Orients» (H. Bengtson). Mit all diesen kulturhistorischen Leistungen machen die Filmautoren nicht viel Federlesens. Wenn die Perser in der Handlung erscheinen, gibt es nichts, was zur Identifikation auch nur ansatzweise geeignet wäre.
Das fängt mit dem Grosskönig an und setzt sich bei allen anderen fort. Xerxes ist hier so eine Art Love-Parade-Schwuchtel. Das ist, höflich ausgedrückt, eine Unverschämtheit und in summa eine Beleidigung des persischen Volkes und seiner Geschichte. Ihm kommt es nur auf Macht und Unterwerfung an.
Proskynese (Fussfall), Peitsche und Henkersbeile sind Attribute seiner Willkürherrschaft. Güte ist nur vorgespielt, sie steht im Dienste der Unterdrückung. In deutlicher Anspielung auf die Versuchung Jesu durch den Teufel, der ihm die Weltherrschaft anbietet, versucht auch Xerxes Leonidas auf seine Seite zu ziehen. Doch dieser bleibt standhaft. Der Gottkönig als Satan in Menschengestalt, der über zahllose Untertanen beliebig verfügt und 100 Völker in seinem Heer hat, dies ist das Bild von der Spitze dieses Reiches des Bösen, das der Film vermitteln will. Seine Kämpfer sind gesichtslose, anonyme Untermenschen aus Asien, wahre Monster sind darunter. Hier geht es nur inhuman, tyrannisch und menschenverachtend zu. Wo sie agieren, bringen sie Tod und Verderben.
Es geht hier nicht darum, berechtigte Kritik an der despotischen Herrschaft im antiken Persien kleinzureden, sondern um die Art und Weise. Kritik an Xerxes, das konnte man schon in der Antike besser. Hier ist an die Tragödie «Die Perser» des Aischylos zu erinnern, der aber auf einer allgemein-menschlichen Ebene Xerxes darstellt, ohne ihn herabzuwürdigen und ohne die eigenen Leute in Athen in den Himmel zu heben. Wenn man sich klarmacht, dass der Film auf einem Comic strip basiert, dann weiss man, auf welchem Niveau man sich hier bewegt.
Zu erinnern ist auch daran, dass Sparta in der NS-Zeit eine besondere Wertschätzung erhielt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dies als negativ bewertet. Man denke etwa an Heinrich Bölls Kurzgeschichte «Wanderer, kommst du nach Spa …». Der unbefangene Zeitgenosse lernt also: Wenn in der NS-Zeit Sparta als Vorbild genommen wird (vgl. Görings Kommentar zur Schlacht um Stalingrad), dann ist das, selbstredend, schlecht. Wenn man in den USA heute Sparta in den Dienst der aktuellen Propaganda stellt, dann ist das, selbstredend, gut.
Mit einem Minimum an historischen Fakten und einem Maximum an propagandistischer Tendenz liefert der Film Argumentationsraster für die Zukunft. Bevor geschossen und gebombt wird, wird der Feind verächtlich gemacht und die eigene Seite psychologisch aufgerüstet.
Nach der Uraufführung gab der Regisseur und Drehbuchautor Zack Snyder den Naiven. Er war «überrascht und amüsiert», als Kritik am Film laut wurde. Ob die Produzenten des Films, Frank Miller, Mark Canton, Bernie Goldman, Jeffrey Silver, Gianni Nunnari, wussten, wofür sie Geld gaben? •

Gekürzte Fassung. Die vollständige Version kann bei der Redaktion bezogen werden.

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