Ist Blocher unersetzlich?
Die Bundesratswahlen endeten mit einer Überraschung: Am Schluss wurde Bundesrat Christoph Blocher nach nur einer Legislatur endgültig abgewählt, und die Sprengkandidatin Eveline Widmer-Schlumpf ist Bundesrätin geworden. Es gab Jubel und Zorn. Nun will sie SVP in die Opposition. Als Oppositionsführer könnte Blocher Präsident der SVP werden.
Von Gisela Blau
Bundesratswahlen sind immer eine Art Spiel mit mehr oder weniger klar kalkulierten Zügen. Nicht selten schmieden Parlamentarier noch in der Nacht vor den Wahlgängen («Die Nacht der langen Messer») Pläne, die offiziellen Kandidaten für Bundesratsvakanzen mit Konkurrenten zu ersetzen, und oft genug werden diese auch gewählt, was bisher in der Schweiz einem Staatsstreich am nächsten kam, aber nie lange Wellen warf. Nachdem 1983 das Parlament den Überraschungskandidaten Otto Stich wählte und Liliane Uchtenhagen als erste Bundesrätin verhinderte, flirtete die SP mit dem Gedanken, in die Opposition zu gehen. Sie besann sich rechtzeitig eines Besseren.
Die SVP dagegen fuhr seit Monaten die gleiche Strategie wie vor vier Jahren: Blocher oder Opposition. Grosse Parteien sind seit Jahrzehnten im Bundesrat vertreten, die Oppositionsrolle ist seit Einführung der Zauberformel unbekannt. Obwohl sie selber schon manchen offiziellen Kandidaten abwählen half, strickt die SVP nun wehleidig an der Legende, die anderen Parteien, hätten sie «in die Opposition gezwungen». Ganz wohl scheint es dabei vielen jedoch nicht zu sein. Volkstribun und Partei-Ikone Christoph Blocher ereilte am Mittwoch die gleiche Demütigung, die er seiner Vorgängerin angetan hatte: Vor vier Jahren war er an die Stelle der amtierenden CVP-Justizministerin Ruth Metzler gewählt worden. Aber erst nach der Abwahl von Blocher wird von «Königsmord» gesprochen, und Nationalrat Christoph Mörgeli sagte in Schiller’schem Pathos, wenn die anstelle Blochers gewählte Eveline Widmer-Schlumpf die Wahl annehme, werde sie im Volk als die Frau gelten, die Blocher «gemeuchelt» habe.
Mit Blocher nie auf einer Linie
«Wir waren mit Bundesrat Blocher nie auf einer Linie», sagt Alfred Donath, Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG) zu tachles. «Unsere grössten Differenzen bestanden wegen seines neuen Asylgesetzes und wegen seiner Absicht, das Antirassismusgesetz abzuschaffen.» Zur neuen Situation in Bern sagt er: «Das jetzige Prozedere war ein demokratischer Vorgang. Jetzt werden wir abwarten, wie sich die Konstellationen mit der SVP in der Opposition verändern werden.» Über die ungestörte Wahl von Pascal Couchepin zum Bundespräsidenten freut sich Alfred Donath. Er bekam von Couchepin eine Einladung ihn im traditionellen Extrazug in den Heimatkanton Wallis zu begleiten, musste jedoch wegen einer SIG-Sitzung absagen.
GRA-Arbeit bleibt gleich
Ronnie Bernheim, Präsident der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) findet, eine Partei mit einem Wähleranteil von 30 Prozent, müsse ihren Platz im Bundesrat haben. Bringe sie allerdings keine mehrheitsfähigen Exponenten, müsse sie eben die Konsequenzen tragen. Ohne Blocher, vermutet Bernheim, sei der Plan zur Abschaffung der Antirassismusstrafnorm wohl vom Tisch. «Es ist unglaublich, dass die Schweiz immer ein neues Gleichgewicht findet, egal was passiert», sagt er. Überraschend findet er auch, dass die populistischen Äusserungen und die Mechanismen, welche die SVP angenommen hat, offenbar im Volk weit besser ankommen als im Parlament: «Die Nuancierung im Parlament ist besser als die populistische Resistenz der Bevölkerung.» Insgesamt ist der GRA-Präsident nicht pessimistisch: «Unsere Arbeit, ein humanistisches und demokratisches Klima weiter zu fördern und dafür einzustehen, bleibt die gleiche, unabhängig davon, ob Blocher in der Regierung sitzt oder die SVP in die Opposition zieht.»
SVP-Präsident Blocher?
SVP-Präsident Ueli Maurer hatte seinen Rückzug vom Präsidium nach den für die SVP mit fast 30 Prozent der Abstimmenden (rund die Hälfte der Stimmberechtigten) so unerhört erfolgreichen Parlamentswahlen vom 21. Oktober verkündet. Am Mittwoch sagte er am Schweizer Fernsehen, wenn Blocher abgewählt werde, sei davon auszugehen, dass er das Parteipräsidium übernehme. In seiner Rede von Donnerstagmorgen machte Blocher klar, dass er die Opposition selbst mit starker Hand anführen werde. In welcher Funktion, liess er noch offen.
Opposition ist teuer, weil Referenden und Initiativen, mit welchen die SVP die Politik zu behindern versuchen könnte, einen grossen Aufwand für die Unterschriftensammlungen benötigen. Aber Geld wäre nach Ansicht von Fachleuten wohl im Überfluss vorhanden. Kronprinz Amstutz jedenfalls schwächte bereits ab und sprach von «konstruktiver Opposition», was immer das auch sein mag. Jedenfalls würde die SVP noch stärker zur Partei getrimmt, bei der Blocher vorneweg und alle hinterher marschieren. Er ist das beherrschende Thema, eine Obsession bei Anhängern wie Gegnern und anscheinend unersetzlich.
Die Idee einer Kandidatur der angesehenen Bündner SVP-Finanzdirektorin Eveline Widmer-Schlumpf, Tochter von alt-Bundesrat Leon Schlumpf, die in ihrem Kanton eben erst die Steuern senkte und damit vollblütige SVP-Politik machte, war nicht in der «Nacht der langen Messer» plötzlich aufgetaucht. Sie war schon vorher von Politikern, aber auch in Medien als Alternative oder Sprengkandidatin genannt worden. Die Strategien für die Wahl entstanden allerdings erst am Morgen vor der Wahl. Die SVP und die SP hielten morgens um 7 Uhr je eine letzte Fraktionssitzung ab und besprachen die Schlachtpläne. Die Grünen waren am Abend eingeweiht worden. Für Donnerstagfrüh hatte mindestens die SP eine neue Fraktionssitzung anberaumt.«SVP-Opposition wird nicht viel ändern»
Daniel Jositsch, SP-Nationalrat aus Zürich und Strafrechtsprofessor, sitzt erst seit dem 3. Dezember in der Grossen Kammer. Er sagt, dass er das Szenario Widmer-Schlumpf seit November kannte. Im Bundeshaus und in der Fraktion sei mit Szenarien, Optionen und Wahrscheinlichkeiten gearbeitet worden, aber endgültig habe sich die Fraktion erst an der letzten Sitzung vor der Wahl auf eine Strategie festgelegt. «Wir sagten seit Monaten, dass wir die Konkordanz akzeptieren, Christoph Blocher aber ungeeignet für den Bundesrat finden und ihn nicht wählen würden.» Sogar er sei von SVP-Leuten angefragt worden, für Blocher zu stimmen, es würde es ja niemand merken.
Vor dem Gang der SVP in die Opposition hätte Jositsch keine Bedenken: «Sie fahren schon heute auf Oppositionskurs, es wird sich nicht viel ändern.» Natürlich reiche es nicht, einfach Blocher nicht zu wählen, es brauche eine Lösung, sagt Jositsch. Offenbar schien die Bündner Finanzdirektorin für die SP eine valable Alternative zu sein. Gewundert habe er sich, dass die Gewählte nicht sofort nach dem Entscheid der Bundesversammlung eine Erklärung veröffentlicht habe, ob sie die Wahl annehme oder nicht. Tatsächlich sass die Bundesratstochter zu jenem Zeitpunkt aber im Zug mit den zwei Bündner SVP-Spitzen, angeblich, weil sie ans Fraktionsessen in Bern eingeladen war, an dem sie jedoch nie auftauchte. In Zürich wurde sie laut «Südostschweiz» jedoch bereits als Magistratin behandelt und von der Kantonspolizei eilends nach Bern gefahren. In Zürich sagte sie, sie habe sich bereits entschieden. In Bern jedoch verlangte sie eine Bedenkfrist.
Das einzige politische Show-Element
Bundesratswahlen seien überaus spannend, er habe sie schon als Schüler verfolgt, erzählt Jositsch: «Es gibt keinen amtierenden Bundesrat, dessen Wahl ich nicht am Fernsehen gesehen hätte, aber es ist ganz anders, wenn man selber mittendrin dabei sein und hinter den Kulissen auch am Entscheidungsprozess mitwirken kann.» Von aussen habe er den Prozess einer Bundesratswahl nie recht verstanden, man begreife ihn erst von innen.
Eine Bundesratswahl sei das einzige Show-Element in der Schweizer Politik, sagt Jositsch. Bis zum Wochenende habe er den Vorgang als eher flau empfunden und die Kandidatur des Grünen Luc Recordon nicht ernst genommen. Erst als die CVP sich zu bewegen begann, habe er festgestellt, dass die SVP nervös wurde. In der letzten Nacht vor der Wahl habe es viel Bewegung gegeben. Und als die Strategie aufging und Blocher abgewählt wurde? «Da gehörte ich zu denen, die aufstanden und klatschten.»
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