Donnerstag, 30. September 2010

Die Umerziehung der Europäer

von Dr. Bruno Bandulet

zf. In seinem neuesten Buch, «Die letzten Jahre des Euro», legt Bruno Bandulet nicht nur dar, warum der Euro keine Zukunft hat. Er geht auch der Frage nach den ideologischen und machtpolitischen Hintergründen einer verfehlten Politik EU-Europas von Anfang an nach: einer Ideologie und einem Machtgefüge, die nicht den europäischen Traditionen entsprechen. Dem folgenden Buchauszug aus dem 6. Kapitel des Buches geht ein Unterkapitel mit der Überschrift «Das Machtgefüge der Europäischen Union» voraus. Dort bezieht sich Bandulet auf einen Zeitungsartikel des früheren Richters am deutschen Bundesverfassungsgericht und deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog aus dem Jahr 2008, in dem dieser Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), unter anderem zum sogenannten Diskriminierungsverbot, scharf kritisierte und als Fazit formulierte: «Die beschriebenen Fälle zeigen, dass der EuGH zentrale Grundsätze der abendländischen richterlichen Rechtsauslegung bewusst und systematisch ignoriert, Entscheidungen unsauber begründet, den Willen des Gesetzgebers übergeht oder gar in sein Gegenteil verkehrt und Rechtsgrundsätze erfindet, die er dann bei späteren Entscheidungen wieder zugrunde legen kann. Sie zeigen, dass der EuGH die Kompetenzen der Mitgliedstaaten selbst im Kernbereich nationaler Zuständigkeiten aushöhlt.» Hier knüpft der folgende Text an.

Bezeichnend war, dass bei zwei der von Herzog angeführten Beispiele das EU-Diskriminierungsverbot ins Spiel kam. Der 2009 in Kraft getretene Lissabon-Vertrag war bekanntlich zunächst als EU-Verfassung gedacht. In den Artikeln 2 und 3 kann man immer noch in die seltsamen Wertvorstellungen der EU-Eliten Einblick nehmen.
Anders als im Grundgesetz ist von Gott nirgendwo die Rede. Statt dessen wird eine kulturrevolutionäre Ersatzreligion konstruiert und an undefinierten Worthülsen wie Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz und Solidarität aufgehängt.
Die EU verpflichtet sich in Art. 3 zur «Beseitigung der Armut» nicht nur in Europa, sondern weltweit (wie soll das gehen?), und sie «bekämpft soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen». Ausdrücklich zählt sie zu ihren Werten die «Gleichheit von Frauen und Männern», nicht etwa nur die Gleichberechtigung.
Zusätzlich zum «Vertrag über die Europäische Union» (EUV) existiert ein «Vertrag über die Arbeitsweise der EU» (AEUV). In diesem sind der Gleichheitswahn und der Wille zur Umerziehung der Europäer zu volks- und geschlechtsneutralen Menschen noch schöner zu besichtigen. Laut Art. 8 wirkt die Union «bei allen ihren Tätigkeiten» darauf hin, Ungleichheiten zu «beseitigen» – als ob diese nicht den Charme Europas und die Würze des Lebens ausmachten. In gleich zwei Artikeln (10 und 19) sollen «Diskriminierungen» (immer wieder dieses Schlüsselwort!) aus Gründen der «sexuellen Ausrichtung» bekämpft werden. Die EU beseitigt die Trennung von Recht und Moral, sie bricht mit dem kulturellen Erbe Europas, sie geht den Weg in einen neuen Totalitarismus.
Hinter dem Vertrag von Lissabon, einer Art von Europa-Verfassung, kann man eine geheime Agenda vermuten, oder – das wäre die harmlosere Lesart – man sieht ihn als blosse Absurdität.
Den Lissabon-Vertrag, so vermutete Hans Magnus Enzensberger anlässlich einer Preisverleihung in Kopenhagen am 2. Februar 2010, dürfte ausser den Experten, die ihn ausgearbeitet haben, kein europäischer Bürger je studiert haben. «Das hat einen ganz einfachen Grund», fuhr Enzensberger fort, «er gleicht nämlich einem Drahtverhau. Ich vermute, dass dies ganz im Sinne seiner Urheber ist.»
Das allgemeine Desinteresse ist bedauerlich, denn Intransparenz ist ein bewährtes Herrschaftsmittel. Wir sollten schon wissen, nach welchen Rechtsgrundlagen wir regiert werden. Immerhin wurde in Brüssel längst auch ein europäischer Haftbefehl durchgesetzt, der die Auslieferung eines Bürgers an einen Fremdstaat zum Beispiel wegen miss­liebiger Meinungsäusserungen auch dann ermöglicht, wenn das Vergehen in seinem eigenen Land überhaupt nicht strafbar ist.
Lesenswert ist auch Art. 66 des AEUV, wonach der «Rat», das heisst der zuständige Ministerrat, auf Vorschlag der Kommission und nach «Anhörung» der EZB «Schutzmassnah- men» gegen «Kapitalbewegungen» nach oder aus dritten Ländern verhängen kann. Damit wird es möglich, im Falle einer schweren Währungskrise die Freiheit des Kapitalverkehrs, zum Beispiel auch Überweisungen in die Schweiz, zu unterbinden. Dann werden die Bürger und Anleger zu Gefangenen der EU-Zone. Derartige Schutzmassnahmen können für die Dauer von höchstens sechs Monaten verhängt werden, ein schwacher Trost. Sie müssten dann eben für weitere sechs Monate verlängert werden.
Diese EU ist nicht das Europa, das wir wollten. Dass es dazu keine Alternativen gäbe, ist eine Lüge und fast schon ein Denkverbot.
«Dass 40 000 Beamte samt ihren Propagandisten darüber entscheiden sollen, wer ein guter Europäer ist und wer nicht, ist eine ziemlich abstruse Vorstellung», sagte Enzensberger in seiner Kopenhagener Rede.
Da die 40 000 keine Strassen bauen, keine Schulen unterhalten, weder für die äussere noch für die innere Sicherheit sorgen und nichts produzieren, müssen sie anderweitig beschäftigt werden. Sie verteilen Geld und emittieren eine nie dagewesene Flut von Beschlüssen, Verordnungen und Direktiven, die sich inzwischen auf mindestens 150 000 Seiten stapeln. «Auf keinen Fall rechnen sie damit», sagte Enzensberger, »dass wir selbst wissen, was für uns gut ist; dazu sind wir in ihren Augen viel zu hilflos und unmündig. Deshalb müssen wir gründlich betreut und umerzogen werden.»
Weil alles unter dem Primat der Gleichheit steht, wird harmonisiert, zentralisiert und umverteilt. Dass die Freiheit, in Europa zwischen verschiedenen Währungen wählen zu können, nicht ins Konzept passte, leuchtet ein. Ad personam ist den Kommissaren und Funktionären in Brüssel nichts vorzuwerfen. Was sie tun, wird von der politischen Klasse in den Hauptstädten gewollt und geduldet. •

Auszug aus: Bandulet, Bruno. Die letzten Jahre des Euro. Ein Bericht über das Geld, das die Deutschen nicht wollten. ISBN978-3-942016-35-3

Samstag, 25. September 2010

Treu und Glauben

«Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden»

von Dr. iur. Marianne Wüthrich, Zürich

In der letzten Ausgabe von «Zeit-Fragen» (Nr. 36/2010) wurden die Bundesratskandidaten zu ihrer Einstellung als Schweizer und zu ihrem Standpunkt als Politiker befragt. Alle vier Befragten (Johann Schneider-Ammann und Karin Keller-Sutter, FDP, Brigit Wyss, GP, und Jean-François Rime, SVP) bekannten sich zum Schweizer Modell, zu einer unabhängigen, souveränen, direktdemokratischen und föderalistischen Schweiz, alle vier stellten sich hinter den Grundsatz der Neutralität, verbunden mit der humanitären Verpflichtung der Schweiz als Depositarstaat der Genfer Konventionen und zur Tradition der Guten Dienste, alle vier äusserten sich positiv zur Ernährungssouveränität und -sicherheit. Dass die beiden SP-Kandidatinnen die Fragen von «Zeit-Fragen» nicht beantworten konnten oder wollten, lässt viele Fragen offen.
Von den zukünftigen Bundesräten darf dasselbe erwartet werden wie von allen Behörden: Dass sie die Aufgabe, die ihnen vom Souverän anvertraut wurde, im ernsten und ehrlichen Bemühen um die Erhaltung des einzigartigen Schweizer Modells erfüllen, im steten und offenen Zusammenwirken mit der Bevölkerung, im Wissen, dass das Fundament der direkten Demokratie im zutiefst empfundenen Bedürfnis und dem Willen der Bürger besteht, ihren aktiven Beitrag für die Gemeinschaft zu leisten – für ihre Gemeinde, für ihren Kanton, für ihr Land und für die anderen Menschen auf der Welt.

«Demokratie ist im letzten Grunde gar nicht eine Sache der Staatsform, sondern eine Sache der Volksgesinnung.» So schrieb der Schweizer Historiker Adolf Gasser im Jahr 1947 («Gemeindefreiheit als Rettung Europas», S. 10). Heute, über 60 Jahre später, tragen die allermeisten Schweizer die demokratische Volksgesinnung immer noch im Herzen, aber bedroht wird sie von aussen: Die direktdemokratische, föderalistische, neutrale und kleinräumig organisierte Schweiz ist der zentralistischen und undemokratischen EU-Bürokratie in Brüssel ein Dorn im Auge. Seit Jahren versuchen EU-Politiker, den kleinen, aber gewichtigen Störfaktor im Binnenmarkt der Grosskonzerne zu knacken. Dabei schrecken sie nicht davor zurück, auch Schweizer Politiker zu ihren Zwecken einzuspannen, von denen einige leider das üble Spiel mitmachen, sei es aus persönlichen Machtgelüsten, sei es aus mangelnder Auseinandersetzung und fehlendem Wissen.
Es ist an der Zeit, so manchen unserer Politiker und Behördenmitglieder in die Pflicht zu nehmen und sie an die Grundsätze des Rechtsstaates zu erinnern, die einzuhalten sie anlässlich der Leistung ihres Amtseides gelobt haben. Denn die freie Willensbildung der Bürger und die darauf basierende unabhängige demokratische Entscheidung in den Volksabstimmungen setzt voraus, dass die Bevölkerung auf die Einhaltung des Rechts und auf die Redlichkeit der Behörden vertrauen kann.

Der Rechtsstaat
«Kern des Rechtsstaatsgedankens ist die Eindämmung der staatlichen Macht zugunsten der Freiheit des Einzelnen.»1 Grundlage des Rechtsstaates ist das Legalitätsprinzip, das heisst die Bindung aller staatlichen Organe an das Recht. Ein Ausfluss des Legalitätsprinzips ist der Grundsatz der Gewaltenteilung. Zweck des Rechtsstaates ist «die Sicherung der Menschenwürde und der Freiheit des Einzelnen», demgemäss will der Rechtsstaat den Einzelnen «gegen Missbrauch und Willkürakte der staatlichen Organe schützen».
Das Legalitätsprinzip beinhaltet zum Beispiel, dass der Gemeinderat (die Exekutive) seine in der Gemeindeordnung geregelten Kompetenzen weder einem Organisationsentwicklungsbüro noch einer sogenannten «Steuerungsgruppe» übertragen darf, sondern seine gesetzlichen Aufgaben selbst wahrnehmen und verantworten muss.
Das Prinzip der Gewaltenteilung, also die Aufteilung staatlicher Macht auf Legislative, Exekutive und Judikative, muss heute vom Bürger besonders sorgsam überwacht werden. Oberste Gewalt in der Demokratie ist die Legislative, in der direkten Demokratie Schweiz also das Volk, der Souverän. Unter dem Einfluss fremder Einflüsterer reissen manche Exekutiven auf allen drei Staats­ebenen jedoch unter Umgehung des Volkes – und zum Teil auch der Parlamente – immer mehr Macht an sich, indem sie ausserhalb der rechtlich festgelegten Staatsorganisation neue Institutionen nach EU-Muster kreieren, wie zum Beispiel die Konferenz der Kantonsregierungen, Agglomerationsvereine und Regionalkonferenzen oder neuerdings Metropolitankonferenzen. Die Schweizer Politlandschaft ist überflutet von derartigen unserem Staatsverständnis fremden Gebilden, die zum Teil auch Institutionen ausserhalb der Landesgrenzen einschliessen und scheinbar harmlos als privatrechtliche Vereine ohne Entscheidungsbefugnis daherkommen. Unsere Regierungs- und Gemeinderäte sowie zahlreiche Verwaltungsbeamte, die von uns gewählt wurden, um ihren verfassungsmässigen Aufgaben nachzukommen, sitzen statt dessen in solchen Clubs, zusammen mit durch unsere Steuergelder bezahlten «professionellen Experten» und legen schliesslich – wenn wir Glück haben! – den Parlamenten und dem Stimmvolk die Resultate ihrer jahrelangen «Expertenarbeit» zum Durchnicken vor. Häufig aber wird gar nicht darüber abgestimmt, weil es angeblich nicht um «Entscheide» gehe, sondern nur um einen «informellen Austausch». Keines dieser fremdartigen Gebilde wurde vom Volk konstituiert, keiner der Exekutivpolitiker oder – beamten für solches Tun gewählt.

Der Rechtsgrundsatz «Treu und Glauben»
«Als besonders folgenreich erweist sich, dass die vielen öffentlichen Lügen unserer ‹Eliten› immer mehr Vertrauen zerstört haben und der klassische Rechtsgrundsatz von ‹Treu und Glauben›, der das Zusammenleben und Zusammenwirken auf die Voraussetzung baut, dass Menschen anständig handeln, in Frage gestellt wird.» (Dr. Thomas Huber in Zeit-Fragen Nr. 36/2010).
Im Rechtsstaat sind alle Behörden durch die Verfassung auf die Wahrung von Treu und Glauben verpflichtet. In der Schweizer Bundesverfassung von 1999 steht dieser Rechtsgrundsatz ausdrücklich, vorher galt er implizit:

Bundesverfassung BV Artikel 9:
Schutz vor Willkür und Wahrung von Treu und Glauben
Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden.

Gemäss staatsrechtlicher Lehre schützt BV Art. 9 das Vertrauen von Privaten in Zusicherungen und Auskünfte der Behörden, auch verbietet Art. 9 widersprüchliches Verhalten der Behörden. Ein Klagerecht haben Bürger, die auf Grund falscher Informationen unwiderrufliche Dispositionen getroffen haben (vgl. Vorlesungsskript Prof. W. Kälin, Frühlingssemester 2010). Es liegt auf der Hand, dass falsche Zusicherungen und Auskünfte der Behörden vor einer Volksabstimmung zum Zwecke, das Abstimmungsverhalten der Stimmbürger zu beeinflussen, als klarer Verstoss gegen Treu und Glauben zu beurteilen sind – ob die Falschinformationen nun bösgläubig erfolgt sind oder nicht. Aber auch die über längere Zeit verteilte stetige Wiederholung unrichtiger Behauptungen («Legen eines Informationsteppichs») verstösst gegen Art. 9 der Bundesverfassung.

Immaterieller Schaden für direktdemokratisches Modell Schweiz
Aber der Schaden erreicht ein viel grösseres Ausmass als die Tatsache, dass der einzelne Bürger seine Stimme anders abgegeben hätte, wäre er richtig informiert worden. Materiell muss bei einer ganzen Anzahl von Volksabstimmungen der letzten Jahre befürchtet werden, dass das Abstimmungsre­sultat anders ausgefallen wäre, wenn die Exekutive richtig informiert hätte. Würde dies auch nur bei einer einzigen Abstimmung zutreffen, wäre es schon schlimm genug. Weit schwerwiegender jedoch ist der immaterielle Schaden für die direkte Demokratie als solche und für den moralisch-ethischen Zustand der Bürger. So beschreibt Adolf Gasser als Wesensmerkmal einer gesunden Demokratie, dass sie über ein «altangestammtes und äusserst lebenskräftiges Selbstverwaltungssystem ihrer kommunalen und regionalen Unterverbände» verfügt; Gasser nennt dies die «ethische Dimension der Demokratie» (vgl. Zeit-Fragen Nr. 45/2006). Es ist eine Eigenheit des direktdemokratischen Modells, dass die Bürger sich für ihr Gemeinwesen mitverantwortlich fühlen und durch ihre aktive Beteiligung und ihr emotionales Mitleben auch an Lebensqualität gewinnen. Deshalb braucht es jeden von uns, sich mit all seinen Kräften und zusammen mit allen konstruktiven Bürgern und Bürgergruppen gemeinsam für die Erhaltung des Schweizer Modells einzu-
setzen.

Verletzung von Treu und Glauben: Verhältnis der Schweiz zur EU
Ein bereits klassisches Beispiel sind die widersprüchlichen Aussagen und das intransparente Verhalten des Bundesrates in bezug auf das Verhältnis der Schweiz zur EU. Am 19. August 2010 trat Bundespräsidentin Doris Leuthard vor die Medien und erklärte nach jahrelangem Lavieren des Bundesrates, dieser sei zum Schluss gekommen, dass der bilaterale Weg nach wie vor am besten geeignet sei für die Schweiz. Gleichzeitig weigert sich der Bundesrat beharrlich, sein seit 1992 in Brüssel deponiertes EU-Beitrittsgesuch zurückzuziehen, und jedermann weiss, dass ganze Abteilungen der Bundesverwaltung mit nichts anderem beschäftigt sind, als fortlaufend EU-Recht in Schweizer Recht zu transponieren, aus eigenem Antrieb und ohne äussere Notwendigkeit. Auch verfolgt der Bundesrat nach wie vor seine verschiedenen «europapolitischen Optionen», sei dies ein Rahmenabkommen zwecks automatischer Übernahme von EU-Recht, sei dies der EWR- oder der EU-Beitritt der Schweiz. Wir fordern vom Bundesrat und insbesondere von den beiden neu zu wählenden Kandidaten, dass sie solchem vertrauensschädigenden Verhalten einen Riegel schieben und sich ab sofort an ihre verfassungsmässige Verpflichtung zum Schutz der Unabhängigkeit der Schweiz (Art. 185 Abs.1 BV) sowie an den mehrfach ausgedrückten klaren Volkswillen halten: Nein zum EWR- und zum EU-Beitritt.

Bundesrat verletzt Neutralitätsgebot
Eine zweite, nicht minder schwerwiegende Verletzung des Vertrauensschutzes ist der leichtfertige Umgang mit dem Prinzip der immerwährenden bewaffneten Neutralität, das der Schweiz seit 200 Jahren grossen Segen gebracht hat. Gleichzeitig verletzt der Bundesrat seit Jahren seine verfassungsmässige Pflicht:

BV Art. 185 Abs. 1:
Der Bundesrat trifft Massnahmen zur Wahrung der äusseren Sicherheit, der Unabhängigkeit und der Neutralität der Schweiz.

Es würde dem Bundesrat gut anstehen, gemäss der heute noch gültigen Empfehlung des Bruder Klaus «den Zaun nicht zu weit zu stecken» und sich auf die bescheidene, aber dringend notwendige Rolle des neutralen Kleinstaates Schweiz als Hüterin der Genfer Konventionen und Anbieterin humanitärer Hilfe und Guter Dienste zurückzubesinnen. Statt dessen verletzt der Bundesrat seit Jahren gegen den festen Willen einer überwältigenden Mehrheit des Volkes das Neutralitätsgebot und behauptet wider besseres Wissen, in der Neutralität schweizerischer Ausprägung habe ausser dem Nato-Vollbeitritt sozusagen alles Platz.
Die Liste der neutralitätswidrigen Handlungen und falschen Informationen der Bürger ist lang: So hat der Bundesrat hinter dem Rücken des Souveräns das Partnership for Peace-Abkommen (PfP) mit der Nato abgeschlossen, hat er unsere Armee von der verfassungsmässigen Miliz-Verteidigungsarmee in eine Nato-kompatible Truppe von Durchdienern und Berufssoldaten umfunktioniert, hat er die gesetzliche Verankerung von Auslandeinsätzen knapp durch eine Volksabstimmung gebracht, indem er dem Volk weismachte, es gehe um Friedenseinsätze. Weiter behauptet der Bundesrat fälschlicherweise, selbst ein Sitz der Schweiz im Uno-Sicherheitsrat, einem Machtinstrument par excellence, wäre nicht neutralitätswidrig. Ja, nicht einmal der EU-Beitritt der Schweiz würde nach wiederholter, aber deswegen nicht weniger falschen Aussage des Bundesrates gegen die Neutralität verstossen, obwohl jeder in der Zeitung lesen kann, dass die EU mit ihrer ESVP (Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik) an verschiedenen Orten der Welt Krieg führt. In dieses Kriegsbündnis wollte der Bundesrat vor einem Jahr die Schweizer Armee sogar einbinden mit der Beteiligung an der sogenannten Piratenbekämpfung im Golf von Somalia («Atalanta»), was glücklicherweise vom Nationalrat abgelehnt wurde.
Der Bundesrat soll endlich wieder eine Neutralitätspolitik betreiben, die diesen Namen verdient.

Rückbesinnung auf die ethischen Werte des Schweizer Modells
Für die Umsetzung dessen, was die Bundesratskandidaten im Gespräch mit Zeit-Fragen versichert haben, nämlich sich für die Erhaltung der souveränen, unabhängigen, direktdemokratischen, föderalen und neutralen Schweiz einzusetzen, wünschen wir ihnen Zuversicht und Kraft.
Zum Abschluss sei an einen grossen Bundesrat erinnert, den sich die heutige Exekutive zum Vorbild nehmen sollte:
«Die Konfrontierung unseres Landes mit dem Prozess der europäischen Integration hat unser Volk gezwungen, sich wiederum intensiver mit Werten höherer Ordnung zu befassen. Das Resultat dieser Selbstbesinnung ist ein erfreuliches. Weiteste Kreise unseres Volkes haben wiederum deutlicher den Wert unserer politischen Institutionen, des Föderalismus und der direkten Demokratie erkannt. Sie fühlen instinktiv, wie stark die Erhaltung dieser Institutionen von der konsequenten Weiterführung unserer Neutralitätspolitik abhängig ist.» (Bundesrat Friedrich Traugott Wahlen, 1963, vor dem Nationalrat) •

1 Walter Haller/Alfred Kölz, Allgemeines Staatsrecht, Zusammenfassung, Dübendorf 2002/2003, S.27f.

Montag, 20. September 2010

Ethik und Moral in der globalisierten Welt

Es gibt keine Freiheit ohne mitmenschliche Ethik und Moral

von Dr. Thomas Huber*

Ich beginne mit zwei Zitaten: einem von Benjamin Franklin, der sagte: «Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren», und mit einer zweiten Aussage des Wilhelm Freiherr von Humboldt: «Sicherheit ist die Voraussetzung für Freiheit!»
Zu Beginn meiner Ausführungen möchte ich Sicherheit und Freiheit kurz definieren.
Zunächst zur Sicherheit: Ein Individuum ist in Sicherheit, wenn es sich in einem Zustand ohne Gefährdung an Leben, Leib und Eigentum befindet, wenn rechtsstaatliche und demokratische Institutionen verlässlich und konstant funktionieren und man dabei jederzeit über einen unabhängigen und der Wahrheit verpflichteten Informationsfluss verfügt.
Als ich mich mit dem Thema auseinandersetzte, konnte ich es nicht unterlassen, den PC zu konsultieren, um mittels «Googeln» etwas Brauchbares herauszuholen! Die Übung war von kurzer Dauer: Weit mehr als zigtausend Einträge befassten sich mit dem Thema Sicherheit – es scheint eines der nachhaltigsten Probleme des modernen Menschen zu sein, «Sicherheit» in allen Lebenslagen und zu jedem Preis zu erlangen, auch wenn dadurch andere Werte verlorengehen!
Zur Freiheit: Nach Kant ist die Würde des Menschen die Autonomie seines Willens, dessen Freiheit. Diese Freiheit ist die Grundlage jeder menschheitlichen Verfassung und damit des demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzips. Die äussere Freiheit ist die Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür, von dessen Zwang. Die innere Freiheit gründet in der Sittlichkeit, die ohne Moral nicht zu erreichen ist.

Verlust der Verhältnismässigkeit
Es wurde mir aber auch klar, dass in allen unseren Lebensbereichen die Verhältnismässigkeit verlorengegangen ist. Wenn Herr Ospel als oberster Banker der UBS 800mal mehr verdient als die Putzfrau – bei der man übrigens schon am ersten Tag merkt, wenn sie nicht da war, während das bei der Geschäftsleitung äusserst unwahrscheinlich ist – ist das ein Zeichen dafür, dass der Weg der Mitte verlorengegangen ist. Es fehlen die grauen Töne. In vielen Bereichen gibt es nur noch schwarz oder weiss, in der Politik die Polarisierung in links und rechts – es existiert kein fruchtbarer Dialog, sondern nur noch ein Dafür oder Dagegen. Das Vertreten von Partikularinteressen in jeder Form verhindert eine fortschrittliche Entwicklung unserer Gesellschaft.
Der Verlust der Balance, die Beliebigkeit, das kurzfristige Gewinnstreben, die Gier und das Herausschleichen aus jeglicher Verantwortung sind wesentliche Merkmale unser zeitgenössischen Situation. Dass sich besonders unsere Eliten aller Couleur in dieser verwerflichen Haltung profilieren, spricht Bände.
Gestatten Sie mir einige kurze Betrachtungen vor dem Hintergrund der Aussage im 2. Mose, Exodus 24: «Auge um Auge, Zahn um Zahn» – eine Aussage, die im Grunde genommen die Balance, die Verhältnismässigkeit anmahnte, die wir auch im Umgang mit unseren Widersachern bewahren sollten. Erst der Beginn einer verbindlichen Rechtssprechung auf dem Sinai durch Moses gab dem Volk die Sicherheit, in Freiheit leben zu können.
Ich beziehe mich bei diesen Betrachtungen auf von mir selbst Erlebtes und auf Dinge, die sich in den letzten paar Jahren vor den Augen der Welt abgespielt haben.
Während meines Einsatzes als IKRK-Delegierter in Libanon anfangs der 70er Jahre war ich Verantwortlicher für ein Flüchtlingslager von etwa 10 000 Flüchtlingen, vor allem Palästinensern. Die Menschen aus dem Lager haben gestohlen und der örtlichen ­Polizei Probleme gemacht. Der Grund waren der Hunger und der Verlust von Heimat und Freiheit – im benachbarten Deutschland existierte nach dem Krieg ein geflügeltes Wort: «Mundraub ist gestattet». Die Reaktionen der Israeli waren in jeder Beziehung unverhältnismässig. Um mehr Sicherheit für sich zu erlangen, schränkten sie die Freiheit der Lager­insassen massiv, zum Teil völkerrechtswidrig ein. Dazu kamen weitere Restriktionen wie Einschränkungen bezüglich Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten. Damit war die Gewaltspirale eröffnet: Es folgten Sprengstoffanschläge der Palästinenser und wiederum das 10fache Zurückschlagen der israelischen Armee. Heute haben wir in Gaza eine Sicherheitsmauer und eine Sperranlage, die der ehemaligen Mauer an der Grenze der DDR in nichts nachsteht und mit der das grösste Gefängnis auf diesem Planeten installiert worden ist. Der Preis für die Sicherheit auf der einen Seite ist der totale Verlust von Freiheit auf der anderen Seite.
Der elfte September ist – unabhängig davon, wie man ihn beurteilt, ob als von Amerikanern selbst für die Legitimation eines Präventivkrieges durchgeführt oder als Attentat der al-Kaida – ist wohl das eklatanteste Beispiel, was Menschen bereit sind zu investieren, wenn es um vermeintliche Sicherheit geht: nämlich den Tod Hunderttausender unschuldiger Menschen. Besonders dramatisch ist es, wenn Gott im Namen eines Kreuzzugs gegen das Böse für ein Verbrechen an der Menschheit instrumentalisiert wird. Der Einsatz von Uran-Munition im grossen Stil und damit die Inkaufnahme Zehntausender genetisch geschädigter Kinder ist ein weiteres Merkmal dieses unglaublichen Verlustes an Verhältnismässigkeit.
Die Organisation Afghanistan Schweiz, der ich als Präsident vorstand, und die mit Spendengeldern und Geldern der DEZA, des Departementes für Entwicklung und Zusammenarbeit des Bundes, landwirtschaftliche Projekte in Afghanistan verwirklichen wollte, musste das Projekt unter anderem auch aus Sicherheitsgründen abbrechen: Vor Ort wurden die Schulen, vor allem der Mädchen, von Taliban zerstört und die Lehrer erschossen, und Vertrauenspersonen entpuppten sich als CIA-Agenten. Damit wurde ein in Freiheit zu realisierendes Projekt Landwirtschaft für den Frieden verunmöglicht.
Im folgenden sollen – ohne Anspruch auf Systematik und bei weitem nicht auf Vollständigkeit bedacht – einige Punkte der aus dem Ruder gelaufenen Balance vor dem Hintergrund von Freiheit und Sicherheit erwähnt werden:
Zunächst zum Sicherheitsbericht des Bundes: Die Frage müsste heissen: Wieviel Sicherheit braucht das Volk, um sich weiterhin in Frieden und Freiheit entwickeln zu können? Ist ein Alleingang vertretbar? Gibt es einen Mittelweg? Oder braucht es einen Anschluss an ein Bündnis im Rahmen der EU, der Nato oder der Uno? Soll die Schweiz tatsächlich – wie es die GSOA, die Gesellschaft Schweiz ohne Armee, will – demilitarisiert werden? Kann sie noch glaubwürdig behaupten, neutral zu sein, wenn dann die Nato die Sicherheit garantieren muss!? Soll die Schweiz tatsächlich ein «free-riding» auf Kosten von Allianzen anstreben, zu denen sie politisch nicht gehören will?
Die Politik ist schwer kalkulierbar geworden, weil es zu einer Polarisierung von links und rechts gekommen ist und die Mitte Mühe hat, einen Ausgleich zu schaffen. Die Kalkulierbarkeit ist unter die Räder gekommen.
Die Gesellschaft, die sich auf einen ausgeprägt starken Mittelstand berufen konnte, der Gewähr war für die Sicherheit, kommt immer mehr unter Druck, weil der Mittelstand die Lasten der Staatsökonomie tragen muss.
Im übrigen hat Luther in seiner Schrift über die Freiheit eines Christenmenschen darauf hingewiesen, dass die Sicherheit im Glauben eine elementare Voraussetzung für das Vertrauen in die Wahrheit ist!
Auch der heutige Strafvollzug ist ein exemplarisches Beispiel fehlender Verhältnismässigkeit: Wo beginnt, wo endet der Freiheitsanspruch eines Strafgefangenen, und wo hat die Sicherheit der Bevölkerung einen höheren Stellenwert?
Die Liste wäre beliebig weiterzuführen. Doch was ist der Grund, dass wir praktisch in allen Lebensbereichen und Disziplinen das Mass der Dinge verloren haben?

Mangel an Moralität
Die These ist, dass die menschliche Entwicklung durch einen Mangel «an Liebe und Wahrheit», durch einen Mangel an Moralität, behindert wird. Und in der Tat: Viele der heutigen Übel haben etwas mit einem Mangel an konsequentem ethischen Durchdringen des eigenen Fühlens, Denkens und Handelns zu tun. Dies liegt aber nicht so sehr daran, dass ethische Grundlagen fehlen, sondern wohl mehr noch daran, dass solche Grundlagen zu wenig beachtet werden – was einige Fragen aufwirft, zum Beispiel:
Warum werden diese Grundlagen nicht beachtet?
Warum wird die Beachtung dieser Grundlagen zu wenig eingefordert?
Was ist nötig, damit diese Grundlagen nicht nur geschrieben stehen, sondern auch in einem Masse Beachtung finden, dass sie unser Zusammenleben prägen?
Nur allein schon diese drei Fragen zu beantworten ist eine Menschheitsaufgabe. Aber diese Aufgabe muss dringend angegangen werden. Denn die Menschheit sieht sich mehr und mehr mit der Tatsache konfrontiert, dass nur noch kriminell zu nennende Gesinnungen und Handlungen nicht nur im vom Staat verfolgten kriminellen Milieu zu finden sind und sonst die Ausnahme bilden, sondern dass auch sehr einflussreiche Teile unserer «Eliten» in Politik, Wirtschafts- und Finanzwelt, in Militär, Medien und Kultur, zu – wie der Kirchenvater Augustinus sagen würde – «Räuberbanden» verkommen sind, welche die Gerechtigkeit mit Füssen treten, ohne vom Staat belangt zu werden.
Die masslose Verschwendung von Steuergeldern in der EU, deren Günstlingskultur, die Meinungsmanipulationen, die völlig intransparenten Geschäftsabläufe und die absolut undemokratischen Entscheidungsprozesse – Beispiele dazu sind zuhauf nachzulesen im Buch «Die Europafalle» von Hans-Peter Martin – oder das zweifelhafte Engagement im Rahmen der Nato am Hindukusch – all das sind Aspekte des Zeitgeschehens, die dem Bürger die Sicherheit nehmen, in einem demokratischen Staat in Freiheit zu leben!
Als besonders folgenreich erweist sich dabei, dass die vielen öffentlichen Lügen unserer «Eliten» immer mehr Vertrauen zerstört haben und der klassische Rechtsgrundsatz von «Treu und Glauben», der das Zusammenleben und Zusammenwirken auf die Voraussetzung baut, dass Menschen anständig und redlich handeln, in Frage gestellt wird.
Aber alle die Varianten von «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser» bis hin zum «Tugend-Terror» sind keine Perspektiven, und sie stellen auch keine überzeugenden Alternativen zum einmal zerstörten Vertrauen dar. Eine Wende zu Besserem fordert mit Sicherheit eine innere Orientierung an einer mitmenschlichen Ethik.

Mitmenschliche Ethik
Was für Voraussetzungen sollten einen Umschwung sicherstellen?
Eine humanistische Bildung ist nötiger denn je, denn die Frage kann nicht lauten: Goethe oder Googeln? Wer soll den Schülern unsere Zukunft, die Welt erklären? Zwar ist es selbstverständlich, dass die Schule praktische Fertigkeiten vermitteln soll: Lesen, Schreiben, Rechnen, Googeln (ein neues Verb, das sich durchsetzen wird), den Umgang mit PC und Internet. Entscheidend aber ist, dass die Schule Ideale und Sinnzusammenhänge zu vermitteln hat, die allem praktischen individuellen Nutzen vorausgehen. Vor allem ist die Kultur als ein Gewebe zu erkennen, in dem alles zusammenhängt. Motive der griechischen Mythologie oder der Bibel zum Beispiel begegnen uns in der Literatur, in der Oper, im Theater, im Museum, aber auch in tausend Alltagsdingen. Dem, der sie entziffert, zeigt sich die Welt als vielschichtig lesbares Buch. Und damit erlebt er ein Glück der Erkenntnis, das über jeden materiellen Nutzen hinausgeht.
Was benötigen wir? Unsere Zeit ist gekennzeichnet vom Pendelschlag zwischen Erwartung und Enttäuschung, immer von einem Extrem zum anderen. Die grossen Hoffnungen, die wir uns machen, zerplatzen an den scharfen Kanten der Realität.

Treu und Glauben müssen wieder gelten
Der Schriftsteller und Pionier des Journalismus, Matthias Claudius, hat also recht: Etwas Festes muss der Mensch haben. Die Höhenflüge seiner Lebensziele kann man nicht auf Sand bauen.
Wir brauchen Leute, auf die man sich verlassen kann. Die sich nicht versprechen, wenn sie etwas versprechen. Propheten, die gegen den Strom der Zeit predigen. Leute mit Voraussicht, Perspektiven und Lebenszielen. Menschen, denen man vertrauen kann. Keine Angst- und Panikmacher, sondern Mutmacher. Keine Pessimisten, sondern Hoffnungsträger. Vermutlich brauchen wir in allen Bereichen wieder mehr Leadership als Management.
Der wieder erstarkte Glaube an eine umfassende Schöpfung ist zwar keine Leidverhinderungsversicherung, keine Schutzimpfung gegen Not und Sorgen des Alltags. Und doch setzt sie Kräfte frei, mit dem Leid fertig zu werden, bevor es uns überwältigt und wir an der Theodizeefrage zerbrechen.
Gott ist weder ein Garant der Moral noch ist die Religion Lieferantin einer Weltanschauung. Vielmehr sind Moral und Weltanschauung eine Sache der Rationalität des Menschen, und damit ein Erweis seines Erwachsenseins.
Eines sollten wir uns vor Augen halten: Das Glück, das wir alle suchen, ist alles andere als selbstverständlich. Wenn das Glück nicht in Erfüllung geht, fühlen sich die Menschen betrogen und suchen nach einem Schuldigen.
Der französische Soziologe Pascal Bruckner äusserte sich in der Zeitung «Le Temps» sinngemäss wie folgt: Unsere Gesellschaften leben seit den sechziger Jahren im Zeitalter der «Suche nach dem Glück». Dieses Glück wird als ein bei der Geburt erworbenes Recht betrachtet. Wenn es aber nicht in Erfüllung geht, fühlen sich die Menschen betrogen und suchen deshalb nach einem Schuldigen. Die Risiken des Lebens sind in der Tat mit dem Glück unvereinbar. Wenn also der Ernstfall eintritt, hat jemand zwangsläufig das Glück vereitelt oder das Unglück provoziert. Das Leiden, der Tod, die Risiken des Lebens sind unannehmbar. Den Opfern wird ein sakraler Charakter verliehen. Auf Grund dieser Viktimisierung wird ein neuer Sozialvertrag geschlossen, aus dem eine Entschädigungskultur hervorgeht, die dem Staat eine fast göttliche Funktion zuweist, besonders in einer Gesellschaft, die jeden religiösen Akt beiseite zu schieben versucht.

Greifbar in der Verantwortung
Als Letztes eine Offenbarung unseres Nationalheiligen – für mich einer der grössten Schweizer, wenn nicht der Grösste, ohne den wir kaum hier in dieser Form versammelt wären: Bruder Klaus. Sein Rat «Steckt den Zaun nicht zu weit» ermöglichte das Stanser Verkommnis und rettete damit die alte Eidgenossenschaft. Die Botschaft ist aber eine allgemeine. Sie heisst, etwas anders formuliert: Bleibt klein, für eure Landsleute kalkulier-, mess-, durchschaubar, solidarisch und greifbar in der Verantwortung! Das ist mit Sicherheit die Garantie für die Freiheit. •

Vortrag, gehalten am XVIII. Kongress «Mut zur Ethik» zum Thema «Direkte Demokratie – ein redlicher Weg statt ‹Social Engineering› in Feldkirch vom 3.-5.9.2010

*Dr. dipl. Ing.-Agr. ETH Thomas Huber ist Oberst, Instruktor der Gebirgskampftruppen a.D. Er war zwölf Jahre Schulkommandant der Train-Rekrutenschulen in Luzisteig. Heute unterrichtet er Ethik und Religionslehre in Chur.

Dienstag, 14. September 2010

Die Manipulations-Strategien des Gregory Bateson

Metalog-Technik, Zukunftswerkstätten und Pseudowertschätzung «indigener» Kulturen
ts.

Der US-Amerikaner Gregory Bateson, von der europäischen Zukunftswerkstättlerszene hochgepriesener Guru, entwickelte in einem Kreis von «Auserwählten», der Gruppe von Palo Alto, militärisch nutzbare kommunikationstheoretische Denkmodelle, deren zivile Abfallprodukte heute zum Teil in den Alltagswortschatz eingesickert sind, so etwa die Begriffe der «Metakommunikation» und des «double bind». Auch der Begriff «Metalog», den die Strategen der «Zukunftswerkstätten» verwenden, stammt von Bateson und bedeute etwas so Harmloses, wie dass der Inhalt eines Gesprächs immer auch mit der Form des Gesprächs verbunden sein solle. Bateson war unter anderem in der Erforschung und Therapie von Schizophrenie tätig. Er zeigte auf, unter welchen Bedingungen Menschen schizophren werden können, also geistig so verwirrt werden, dass sie in eine Psychose abgleiten und den Lebensalltag nicht mehr zu bewältigen in der Lage sind. In der Mainstream-Literatur zu Bateson wird diese seine Arbeit hochgelobt als zum Wohle von Menschen ausgeübt, insbesondere von psychisch Erkrankten. Auch die Arbeit im kalifornischen Esalen habe ihn nicht zum Esoteriker werden lassen, sondern seine Kenntnisse von Gruppendynamik und Grossgruppensteuerung vertieft, heisst es mainstreammässig über ihn. So weit, so gut.

Schizophrenieforschung – wozu?
Liest man aber den nebenstehenden Text von David H. Price über die Aktivitäten von Bate­son für den OSS (Vorläufer der CIA) während des Zweiten Weltkrieges und seine Vorschläge, wie auch nach dem Krieg die Kolonialvölker besser unten zu halten seien, als dies die Briten und die Holländer je geschafft hätten, kommen einem so gelinde Zweifel auch ob der Integrität des Forschers Bateson im Gebiete der Psychologie. War es militärisch nicht interessant, die Ergebnisse der Schizophrenieforschung zu verwenden, um zum Beispiel Kriegsgefangene zu zerrütten und in den Wahn zu treiben, um sie dann wieder neu aufzubauen – oder ganze Bevölkerungsgruppen in «Feindstaaten», ja, auch im eigenen Land? So wie Bateson seine anthropologischen Kenntnisse nicht für, sondern gegen die Menschen verwendete, muss angenommen werden, dass im kalten Krieg und wohl auch heute noch Machtstrategen die Erkenntnisse seiner Schizophrenie- bzw. Zerrüttungsforschung gegen die Menschen einsetzen. Zum Beispiel in Europa, wo sich Angriffe mit Kampfbombern definitiv nicht eignen, um die Herrschaft von Uncle Sam zu festigen. Aber Aspekte des «Psywar», der psychologischen Kriegsführung, der Manipulation und Steuerung von Menschengruppen in die Richtung, welche sich der Usurpator wünscht, sind zu erwarten.

Unerwartete Ehrfurcht vor Traditionen
Haben das die PR-Berater und Spin-doctors etwa eines Steinbrücks in den USA gelernt? Dass man zum Beispiel der Schweiz nicht mit der Kavallerie drohen darf, weil sich dann die Reihen schliessen, sondern der Aggressor «smarter» vorgehen soll? Eben über «Zukunftswerkstätten», aber auch über die Unterstützung des einheimischen Brauchtums? Gregory Bateson hätte seine liebe Freude an dieser plötzlich scheinbar wie natürlich aufkeimenden «Hochachtung» und «Wertschätzung» der Gebräuche und Feste der «Eingeborenen», so wie er in seinem Paper für den OSS ja auf das Beispiel der Sowjets und ihrer sibirischen Untertanen verweist, wo gerade wegen des Zulassens ­indigenen Brauchtums keine Aufstände zu verzeichnen gewesen seien.

Bateson-Strategie statt Frankfurter Schule?
Die Sache ist zweischneidig: Natürlich freut es einen, wenn wir Schweizer stolz auf unsere Geschichte und Tradition auch unsere Feste feiern können, vor allem nach all den Jahren der Angriffe, zuerst von der US-Ostküste und Tel Aviv her, dann von der eigenen 5. Kolonne um den zweifelhaften Professor Bergier, erneut wieder von der City of London und der Wallstreet, wiederum sekundiert durch etwas, was sich Schweizer Linke schimpft. Links und urban, heute offensichtlich synonym mit «Lakaien der Hochfinanz». Und auch in Deutschland werde im SWR-Radio nun neu wieder den deutschen Volksliedern in ihrer ursprünglichen Form Senderaum gewährt. Offensichtlich hat der Ansatz von Bateson jenen der Frankfurter Schule mit ihrer Verächtlichmachung von europäischen Werten als angeblichen ­Sekundärtugenden des Faschismus, worunter auch das Singen von Volksliedern zählte, abgelöst. Genauso wie in Afghanistan der neue Oberbefehlshaber General David H. Petraeus eine Kampagne zur Gewinnung von «Hearts and Minds» der weiterhin zu Unterdrückenden gestartet hat – und dies kurz nach der sogenannt «überraschenden» Entdeckung der immensen Bodenschätze in diesem kriegsgeschundenen Land. In seiner Ansprache an die Militärangehörigen vom 27. Juli 2010 mit dem Titel «COMISAF’s Counterinsurgency Guidance»1 befiehlt der General unter anderem etwa, die Soldaten sollten doch bitte die Sonnenbrille abnehmen, wenn sie mit der Bevölkerung sprächen, sich wie gute Gäste benehmen, und die eigenen Aktionen immer mit den Augen der Afghanen zu sehen – also ganz nach dem Motto von Gregory Bateson’s Aufruf zur «berechnenden Empathie» …

Um was geht es wirklich?
Und was in der Schweiz weckt die Gier der Machtstrategen? Das Wasserschloss Gotthard? Die schöne Landschaft als Ferienressort? Immobilien? Transportkorridore? Die Alpen als Übungskulisse für die Hindukusch-Krieger? Die «archaischen Sennen» als Kanonenfutter im weltweiten Krieg um Ressourcen? Wie einst unter Napoleon? Oder soll die Schweiz schlicht und einfach als angelsächsischer Stützpunkt in einem EU-Europa dienen, von dem man nie weiss, ob es vielleicht doch mal mit Russland Freundschaft schliessen wird? Was das Ende der Wahnidee von Geostrategen à la Mackinder und Brzezinski bedeuten würde, die Welt sei nur zu beherrschen, wenn man die Weltinsel Eurasien beherrsche, und die beherrsche man nur, wenn man einen Keil zwischen Russland und Europa treibe und Europa als Vasall im Griff halte.

Nein zur Visionitis – Ja zur direkten Demokratie
Aber genauso wie sich Napoleon verrechnet hatte und 1803 dank des Widerstandes vor allem der Innerschweizer Kantone, also der ländlichen Schweiz, mit der Mediationsakte zurückbuchstabieren, den Zentralismus aufgeben und den Föderalismus zulassen musste; genauso wie Hitler mit einem Blutzoll von 700 000 toten Wehrmachtsoldaten rechnen musste, um die Operation Tannenbaum, die Eroberung der Schweiz, in Angriff zu nehmen – was ihn zurückschrecken liess –; genauso wie die Schweizer Bevölkerung sich von den Apokalyptikern bezüglich EWR-Nein nicht aus der Ruhe bringen liess und sich auch heute partout nicht in den Moloch EU pressen lassen will; – genau so wird der Schweizer Souverän in Kenntnis der Hintergründe und der Dunkelmänner sich vom grossen Geld nicht kaufen lassen und ein dreifaches Nein aussprechen: ein Nein zur Fusionitis, ein Nein zur Agglomeritis und ein Nein zur Visionitis, den sogenannten Zukunftswerkstätten! Dagegen zu halten ist ein dreifaches Ja: ein Ja zur direkten Demokratie als Friedensmodell und Modell des sozialen Ausgleiches, ein Ja zur immerwährenden bewaffneten Neutralität und ein Ja zur humanitären Schweiz als Depositarstaat der Genfer Konventionen und zu den Guten Diensten!

1 www.isaf.nato.int/article/news/isaf-scr-weekly-operational-update-highlights-comisafs-coin-guidance.html

Zukunftswerkstättler preist Manipulationstechnik von OSS-Agent Gregory Bateson
ts. Christoph Mandl, europäische Referenzfigur der Zukunftswerkstättler, verweist in seinen Schriften nicht nur auf den Eugeniker, Neo-Malthusianer und Tiefenökologen Garrett Hardin, sondern auch auf Gregory Bateson, ehemaliger OSS-Agent (Vorläufer der CIA) und das Mastermind der Grossgruppenführungstechnik.
So schreibt Mandl schon im Jahr 2000 über Batesons Manipulationsstrategie des sogenannten «Metalogs»:
«Die Definition des Metalogs von Gregory Bateson passte perfekt: ‹Ein Metalog ist ein Gespräch über ein problematisches Thema. In diesem Gespräch sollten die Teilnehmer nicht nur das Problem diskutieren, sondern die Struktur des Gesprächs als Ganzes sollte auch für eben dieses Thema relevant sein.›»

Quelle: Christoph Mandl, Mandl Lüthi & Partner, und Josef M. Weber, Attems & Weber.
Metalog-Konferenzen – eine Innovation aus Österreich. In: TRAiNiNG Nr.1/Feb. 00’, Seite 33. www.metalogikon.com/files/pdf/metalogkonferenz_magazintraining.pdf

Donnerstag, 9. September 2010

Die Implementierung von antidemokratischen Strukturen

Zukunftswerkstätten und ihre ideologischen Dunkelmänner

Neo-Malthusianer, Chicago Boys und der tiefenökologische Krieg gegen die Armen
von Tobias Salander

Seit geraumer Zeit schiessen sie überall in Europa wie Pilze aus dem Boden. Jeder Staatsbürger, der mit wachen Augen durchs eigene Land und die Länder Europas reist, stellt mit Erstaunen und wachsender Irritation fest: Fast flächendeckend bilden sich in vielen Kommunen, seien es nun ländliche Gemeinden oder Städte, neue Gebilde, die mit den demokratisch verankerten und auf dem Boden der Volkssouveränität ruhenden bewährten Strukturen, Institutionen und Verfahrensabläufen nichts mehr gemein haben. Die Rede ist von den sogenannten «Zukunftswerkstätten». In auffallend uniformer Gestalt sind sie nach einem Strickmuster gewirkt, welches jedem demokratisch reifen und insbesondere dem direktdemokratisch versierten Mitbürger spanisch vorkommen muss – oder besser gesagt eben gerade nicht spanisch, sondern dem europäischen, der Aufklärung verpflichteten Demokratieprinzip fremd: Es riecht nach angelsächsischem Utilitarismus, wenn nicht gar nach elitärem Auserwählt­heitsfanatismus und mörderischem Ökonomismus – dem aber mit einem bewährten Mittel entgegengewirkt werden kann: mit wachem Bürgersinn und der direkten Demokratie!

«Zukunftswerkstätten» – was auf den ersten Blick aus der Alltagshektik heraus unproblematisch erscheinen mag – wer macht sich schon nicht Gedanken über die Zukunft? –, erweist sich bereits bei näherem Hinschauen als abgefeimte «Top-down»-Strategie, die sich aber tückisch als «Bottom-up»-Ansatz verkaufen will. Wie sich eine handverlesene Gruppe, gecoacht von privaten, grossgruppengeschulten Sozialingenieuren, an den demokratisch gewachsenen je ortsüblichen Institutionen vorbei als Lenkungsgruppe aufzuschwingen anmasst, wurde in dieser Zeitung bereits eingehend beschrieben. (Vgl. Zeit-Fragen Nr. 32 vom 9.8.2010)

Zentral gesteuertes Etwas
Dass hier Akteure am Werk sind, die von Demokratie keine Ahnung haben, ist offensichtlich, aber wohl zu naiv betrachtet. Geht man den Personen nach, die sich ihr Geld mit der Organisation von «Zukunftswerkstätten» verdienen, Bücher herausgeben und Werbung für ihr Tun betreiben, wird man nachdenklicher. Insbesondere wenn man den Fussnoten in besagten Büchern nachgeht, stutzt man und kann sich nach einiger Recherchierarbeit des Eindrucks nicht erwehren, ein wohlorganisiertes grösseres Etwas vor sich zu haben. Was einen anfänglich in der eigenen Kommune so nebenbei streift und einen unangenehmen Eindruck hinterlässt, weil es auf den ersten Blick fremd und dann vor allem voraufklärerisch wirkt, den Errungenschaften der Volkssouveränität und des Repräsentativprinzips, der Gewaltenteilung und des Öffentlichkeitsprinzips Hohn spricht, wird bei intensiverer Beschäftigung mit der windigen und fischigen Materie zu einem weit verzweigten Ganzen. So wie der Daumen und der Zeigefinger, sähe man nur die jeweiligen Fingerkuppen, noch lange nicht auf die dahinterliegende Hand schliessen lassen müssen, oder der Tentakel einer Krake, einzeln gefühlt und in dunkler Meerestiefe, noch nicht auf einen Körper und den Kopf schliessen lassen, so steht man bei der Zukunftswerkstatt vor unzähligen Wurmfortsätzen, die bei näherem Herantreten im Hintergrund in ein Ding münden, welches offensichtlich auch eine Steuerungszentrale besitzt – mag die auch selbst wieder sehr vielfältig sein und wiederum einen innersten Kern von selbst­ernannten Auserwählten besitzen.

Weltbevölkerung dezimieren
Um die Katze aus dem Sack zu lassen: Die Referenzfiguren der selbsternannten Sozial­ingenieure der Zukunftswerkstätten sind letzten Endes im grossen Pool der angelsächsischen Utilitaristen mit Auserwähltheitsglauben zu finden: Neoliberale Apologetiker des «homo oeconomicus» gehen da Hand in Hand mit Verfechtern der Deregulierung, Marktliberalisierung und Privatisierung, aber auch mit Anhängern von Malthus, welche die Weltbevölkerung mittels Krieg, Seuchen, Hungersnöten, Erdbeben oder aufoktroyierter Bevölkerungskontrolle dezimieren wollen und vehement gegen die Uno und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Front machen. Vorbei soll es sein mit individuellen Freiheitsrechten, mit demokratischen Strukturen, mit genossenschaftlichen Ansätzen: an deren Stelle soll der Zwang treten, die absolute Privatisierung aller Güter, die Abschottung der reichen Länder gegen die ärmeren, der nackte Egoismus und ein primitives Revival des Sozialdarwinismus. Alles schön verpackt in wohlklingenden Begriffen wie «Umgang mit knapper werdenden Ressourcen», «Erhalt der Biodiversität», «Rettung des Planeten vor dem Raubtier Mensch» oder kurz: «Die Tragik der Allmende».

Revival der «Chicago Boys»
Der geneigte Leser sei eingeladen, zwei der von den «Zukunftswerkstatt»-Strategen selbst angeführten Theoretiker anhand ihrer eigenen Schriften genauer unter die Lupe zu nehmen.
So findet sich im Buch «Aufgabe Zukunft: Versäumen, planen, ermöglichen …»1 nebst vielen einfach gewirkten Textversuchen von Möchtegern-«Zukunftswerkstätten»-Lokalgrössen, beispielsweise der aufhorchen lassende Text eines gewissen Christoph Mandl mit dem Titel «Gewissheit, Risiko und Neues» (S. 261–270). Mandl, der im Buch u.a. vorgestellt wird als Unternehmensberater, Professor an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der Uni Wien und geschäftsführender Partner der Firma «metalogikon», stimmt in seinem Aufsatz ein Loblied an auf die EU, die Privatisierung des Service public, ja, die Unterstellung der gesamten Wirtschaft unter das Dogma der «Chicago Boys», gleichzeitig fordert er die Leser auch auf, die bewährten demokratischen Strukturen zu negieren, sie zu umgehen und etwas Neues an deren Stelle zu setzen. Sein Vorschlag lautet, natürlich mit beschönigenden Formulierungen ins Positive gedreht, Menschen mit Methoden der Psychotechnik um ihre Gewiss­heiten zu bringen, um sie so von einer von ihm subtil geschürten Zukunftsangst her besser steuern zu können.

Verachtung des Rechtsstaates
Indem er eine Verknappung der Ressourcen herbeiredet und von einem reduktionistischen, primitiv-ökonomistischen Menschenbild ausgeht, ruft er die Menschen dazu auf, ihre Entscheidungen und Handlungen von den Einflüssen von Regeln, Zielen und Normen und damit von der Vorhersagbarkeit zu lösen. Dies führe in die Unsicherheit, in das Risiko – und, indem er die Menschen infantilisiert, fordert er, und nota bene, der Mann spricht von der Zerstörung unseres demokratischen Rechtsstaates, man solle so leben, «wie wir wohl alle als Kinder gelebt haben: mit Neugierde Sachen ausprobierend, staunend, welches die Folgen eigener Handlungen sind und mitunter weinend vor Schmerz». (S. 270) Das Zeitalter der Gewissheit nähere sich so dem Ende. Mandl begrüsst uns in seinem «Zeit­alter des Risikos». Ganz so, als gäbe es keine gewachsene Kultur, keine Tradition, keine Rechtsprechung, keine klar geregelten demokratischen Abläufe. Für mündige Bürger des 21. Jahrhunderts, vertraut mit den Regeln der Demokratie, sind solche Vorschläge nichts als Hohn und Spott, die Verächtlichmachung des Rechtsstaates, der Rechtssicherheit, des Minderheitenschutzes etc. etc.

Gegen Befunde des Weltagrarberichtes
Dass man bei der Interpretation des zum Teil verklausuliert daherkommenden Textes aus einer der Bibeln der Zukunftswerkstättler leider absolut ins Schwarze getroffen hat, zeigt sich bei der Konsultierung der von Mandl zitierten Referenzfiguren. So stützt er seine Forderung nach der Privatisierung des Service public, welche er mit «Die Tragik der Allmende» übertitelt, auf die Schriften eines Garrett Hardin, welcher 1968 in der Zeitschrift Science unter dem gleichen Titel2 und in ungezählten anderen Traktaten zum Sturmangriff gegen die soziale Marktwirtschaft, das Genossenschaftsprinzip und das Gemeineigentum, aber auch gegen die Uno-Menschenrechtserklärung blies und sich als bekennender Verfechter der menschenverachtenden Ideologie eines Thomas Robert Malthus (1766–1834) outete. Malthus, anglikanischer Pfarrer und Professor für Geschichte und politische Ökonomie in England, wurde berühmt-berüchtigt durch seine menschenverachtende, offen rassistische Bevölkerungstheorie. In seinem «Essay on the Principle of Population» von 1798 stellte er eine Behauptung auf, die seither mehrmals und zuletzt durch den Weltagrarbericht3 endgültig widerlegt wurde.
Hat der Weltagrarbericht herausgearbeitet, dass die Menschheit sehr wohl zu ernähren sei und auch in viel grösserer Zahl, und am besten durch kleine landwirtschaftliche Familienbetriebe in der Region, und wurde auch schon zur Zeit von Malthus, etwa von William Godwin, darauf verwiesen, dass die Produktivität sich durch technischen Fortschritt ständig verbessere, Malthus’ Ansatz also wissenschaftlichen Kriterien nie standhalten könne und reine Ideologie sei, und zwar eine mörderische; – auch wenn der sogenannte Neo-Malthusianismus also längst als Instrument totalitär vorgehender Strategen enttarnt ist, verwendet ihn der oben genannte, von Zukunftswerkstättlern hochgejubelte Garrett Hardin nichtsdestotrotz und mit Inbrunst und einer unglaublichen Chuzpe als zentrale Referenzfigur für die Lösung von Problemen des 21. Jahrhunderts.

Malthus und der Krieg gegen die Armen
Unter dem bereits genannten Titel «The Tragedy of the Commons» und aktueller in einem Aufsatz von 1998 mit dem Titel «The Feast of Malthus – Living within Limits» (Das Gastmahl von Malthus – Leben innerhalb von Grenzen)4 rehabilitiert Hardin, (1915–2003), Professor für Humanökologie, die völkermörderische, rassistische Ideologie von Malthus aus dem 18. Jahrhundert und preist sie als Allerheilmittel für die Menschheit des 21. Jahrhunderts – als hätte es nie einen Nationalsozialismus mit all seinen Begleiterscheinungen wie Eugenik, Euthanasie und Genozid gegeben. Das menschliche Geschlecht, so der berühmt-berüchtigte Irrtum von Malthus, gehorche blind dem Gesetz der unbegrenzten Vermehrung, und zwar nehme die Anzahl der Menschen in geometrischer Progression zu (2, 4, 8, 16 …), die der Lebensmittel aber bloss in arithmetischer (1, 2, 3, 4, …). Was bedeuten würde, dass die Vorräte nicht für die Erdbevölkerung ausreichten und es «Korrektive» brauche wie Krankheiten, Krieg, Naturkatastrophen, also Elend und Tod, um das Gleichgewicht wieder herzustellen. Folgende Textpassage, die Malthus selbst zwar später in seinen Werken getilgt hatte, greift Hardin speziell heraus, um sie als Grundlage seines menschenverachtenden Denkens zu definieren. Malthus schrieb:
«Ein Mensch, sagte er, der in einer schon occupirten Welt geboren wird, wenn seine Familie nicht die Mittel hat, ihn zu ernähren oder wenn die Gesellschaft seine Arbeit nicht nötig hat, dieser Mensch hat nicht das mindeste Recht, irgend einen Teil von Nahrung zu verlangen, und er ist wirklich zu viel auf der Erde. Bei dem grossen Gastmahle der Natur ist durchaus kein Gedecke für ihn gelegt. Die Natur gebietet ihm abzutreten, und sie säumt nicht, selbst diesen Befehl zur Ausführung zu bringen.»5

Genetische Rassenunterschiede?
Diese Auffassung wird von Hardin, dieser zwischenzeitlich verstorbenen Galionsfigur der Zukunftswerkstättler, vollumfänglich unterstützt, nur würde er den Begriff des «Gastmahles» durch die Metapher des «Rettungsbootes» ersetzen. Es gehe um das, was in der Militärmedizin «Triage» genannt werde, also Selektion von Menschen auf Grund angeblich fehlender Ressourcen. Hardin geht von genetischen Rassenunterschieden unter den Menschen aus, fordert für die heutige Welt Geburtenkontrolle, welche aber nur unter Zwang durchzusetzen sei. Privatisierung aller gemeinsamen Güter tue Not, und auch müsse man sich von der «dominierenden Religion der letzten 300 Jahre» abwenden, dem Individualismus eines John Locke. Das Individuum müsse seine Freiheit zugunsten der Gemeinschaft aufgeben (Feast of Malthus, S. 185 ff.).

Gegen Uno-Menschenrechtserklärung
Was heute anstehe, so Hardin, sei eine soziale Revolution, oder eher eine Konterrevolution, da sie sich von früheren Idealen leiten lasse. Heute brauche es viele Experimente, und deswegen müsse unsere Spezies auch in vielen Nationen getrennt bleiben. Nur so könnten verschiedene Experimente durchgeführt werden, die in gewissen Staaten nie toleriert würden. Was er damit meint, wird klar: Das «hohle Gerede von allgemeinen Menschenrechten» müsse aufhören. Diese infame Frontalattacke gegen die Uno und die Uno-Menschenrechtserklärung ritt Hardin schon in seinem Aufsatz «The Tragedy of the Commons» von 1968. Dort schreibt er, es sei zwar schmerzhaft, das Recht der Familie als Keimzelle der Gesellschaft zu negieren, aber es müsse sein. Man fühle sich aber genauso unwohl, wie ein Einwohner von Salem, Massachusetts, welcher im 17. Jahrhundert die Existenz von Hexen verneint habe. Gerade wenn man die Wahrheit liebe, müsse man die Gültigkeit der universalen Erklärung der Menschenrechte verneinen, auch wenn diese von der Uno unterstützt werde. Ja, man hat richtig gelesen: Menschenrechte seien nichts anderes als ein Wahngebilde, so wie es der Hexenwahn gewesen sei!6 Man mag gar nicht weiter in den Schriften dieses Garrett Hardins lesen – so menschenverachtend ist seine Argumentation!

Tiefenökologie und Council on Foreign Relations
Aber Zufall oder nicht: In Foreign Affairs vom November/Dezember 1995, herausgegeben vom Council on Foreign Relations (CFR), wird unter dem Titel «The Rights of Nature: Has Deep Ecology Gone Too Far?»7 eben dieser Garrett Hardin mit der Tiefenökologie in Zusammenhang gebracht, aber als «unbedenklich» eingestuft. Wen wundert’s, gehört doch das CFR gerade zu jenen Kreisen, die schon seit längerem ebenfalls klandestin und mit finstersten Methoden auf eine Dezimierung der Erdbevölkerung hinarbeiten und dem Neoliberalismus das Wort reden – oder auch mal Bomben oder anderes auf Länder niederregnen lassen, die sich dieser «brave new world» nicht zu fügen gewillt sind.
Das sind also die Hintermänner und Hintergrundstrategen derjenigen, die derzeit die demokratischen Strukturen mit ihren obskuren «Zukunftswerkstätten» auszuhebeln versuchen. Mit primitivstem ökonomistischem Reduktionismus, der den Krieg gegen die Armut in den Krieg gegen die Armen verwandelt, Milliarden von Menschen für schlicht überflüssig erklärt, mit Zwang und Gewalt, wenn nötig aber auch mit Krieg und selbst herbeigeführten Katastrophen die Menschheit reduzieren will – so wie dies der französische Arzt und ehemalige Botschafter in Senegal Jean-Christophe Rufin in seinem Tatsachenroman «100 Stunden»8 eindringlich und warnend dargestellt hat: Geisteskranke Tiefenökologen, welche dem Menschen alles absprechen, was ihn zum Menschen macht, und ihn zu einer Spezies unter vielen degradieren, zu einem Krebsgeschwür, welches einige selbsternannte Auserwählte mit absichtlich verbreiteten Seuchen millionenfach dezimieren wollen. Ein Vorgang, im Vergleich zu welchem die Nazis als stümperhafte Anfänger erscheinen müssen.

Kleinräumige Landwirtschaft und Genossenschaften als einzig gangbarer Weg
Während man die einen mit soft power und social engineering manipuliert, bombardiert man die anderen und die dritten überzieht man mit von der Uno verbotenen klimaverändernden Waffen, wie die russische Nachrichtenagentur Ria Novosti kürzlich thematisierte (Vgl. Zeit-Fragen Nr. 33 vom 17. August), und auch die Uno geht ja von zusammenhängenden Phänomenen aus, was die Flutkatastrophe in Pakistan und die Brände in Russland betrifft.
Wahrlich, weit haben wir Menschen es gebracht! Und dennoch will die Mehrheit der Menschen diesen Wahnsinn nicht. Die Kräfte derer, die an den Menschenrechten festhalten wollen, am Lebensrecht aller Menschen, sind stark genug. Der Weltagrarbericht legt beredtes Zeugnis davon ab, auch die Verleihung des Wirtschaftsnobelpreises an Elinor Ostrom für ihre Arbeit zu den Allmenden. Explizit widerlegt Ostrom in ihren Schriften die kranken Ansichten eines Hardins, insbesondere im Buch «Governing the Commons: The Evolution of Institutions for Collective Action» von 1990.9 Ihr Befund: Eine angemessene und nachhaltige Bewirtschaftung von lokalen Allmenderessourcen durch eine institutionalisierte lokale Kooperation der Betroffenen ist in der Regel einer zentralistisch staatlichen Kontrolle als auch Privatisierungen überlegen.
Und effektiv: Der Weltagrarbericht hat es gezeigt: Eine kleinräumige Landwirtschaft, gestützt auf Familienbetriebe, ist in der Lage, eine noch viel grössere Weltbevölkerung zu ernähren als heute. Hungersnöte sind kein Naturgesetz, wie Malthus und seine Jünger Hardin und Mandl bis hinunter in die lokal aufgestülpte «Zukunftswerkstätte» glauben machen wollen. Die Neuzeit bis heute kennt keine einzige Hungerkatastrophe, die durch Überbevölkerung verursacht worden wäre. Stets waren es Diktatoren wie Stalin und Mao Zedong, die eiskalt geplant Millionen Menschen in den Hungertod schickten.
Es gibt also keine gültige Malthus’sche Formel und deswegen auch keine Berechtigung zur erzwungenen Bevölkerungsreduktion. Ebensowenig gibt es eine «Tragik» der Allmende, ganz im Gegenteil ist das Genossenschaftsprizip eine Erfolgsgeschichte, die gerade in der Schweiz auch Grundlage für den demokratischen Staatsaufbau von unten nach oben und der direktdemokratischen Rechte war. Ergo fallen auch die Begründungen für die «Zukunftswerkstätten» in sich zusammen. Es verstösst gegen die Verfassung eines jeden Rechtsstaates, die Menschen von einer willkürlich herbeigeredeten Zukunftsangst her manipulieren und die demokratischen Abläufe und Strukturen aushebeln zu wollen. Dies wäre ein Schritt zurück hinter die Aufklärung, hinter das Prinzip der Rechtsgleichheit und die Menschenwürde und würde so längerfristig Tür und Tor für einen tiefenökologischen Genozid nie gesehenen Ausmasses öffnen. Nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges und der unzähligen bisher geführten Kriege sollte die Menschheit weiser geworden sein und den Fehler, zuzuschauen, wie sich einige wenige Menschen über die anderen stellen wollten, nicht mehr begehen. Nicht ein zweites Mal.

1 Aufgabe Zukunft: Versäumen, planen, ermöglichen … Christoph Mandl/Kuno Sohm (Hrsg.) 2006. ISBN 978-3-03909-045-7
2 www.garretthardinsociety.org/articles/art_tragedy_of_the_commons.html
3 hup.sub.uni-hamburg.de/products-page/publikationen/78/
4 www.garretthardinsociety.org/articles_pdf/feast_of_malthus.pdf
5 zit. nach Adolph Blanqui: Geschichte der politischen Ökonomie in Europa. Zweiter Band. Verlag Detlev Auvermann KG: Glashütten im Taunus 1971
6 www.garretthardinsociety.org/articles/art_tragedy_of_the_commons.html
7 www.foreignaffairs.com/articles/51614/donald-worster/the-rights-of-nature-has-deep-ecology-gone-too-far?page=show
8 Jean-Christophe Rufin. 100 Stunden. ZEIT WISSEN. Der Biologie-Krimi. ISBN-10:3-941378-56-2
9 Elinor Ostrom. Governing the Commons: The Evolution of Institutions for Collective Action. Cambridge University Press, Cambridge 1990, ISBN 0-521-40599-8. Deutsche Übersetzung: Die Verfassung der Allmende. Mohr, Tübingen 1999, ISBN 3-16-146916-X