Samstag, 1. Dezember 2007

Behördenpropaganda

Staatsinformation oder Behördenpropaganda?
Direkte Demokratie / Démocratie directe / Democrazia direttavon Hansjörg Seiler, Professor für öffentliches Recht an der Universität Luzern

In früheren Zeiten überliessen die Behörden die Willensbildung dem freien Spiel der politischen Kräfte. Seit der EWR-Abstimmung von 1992 änderte sich das: Der Bundesrat versuchte damals mit einer wahren Propagandakampagne, das Volk zur Annahme der Vorlage zu bewegen.
Seither hat der Bundesrat regelmässig im Vorfeld von Volksabstimmungen Propagandakampagnen geführt oder unterstützt, um die Stimmenden zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten zu bewegen.

Meist keine triftigen Gründe
Art. 34 Abs. 2 der Bundesverfassung (BV) garantiert bei Volksabstimmungen die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe. Nach der Praxis des Bundesgerichts sollen die Behörden grundsätzlich nicht in den Abstimmungskampf eingreifen, sondern nur dann, wenn dafür triftige Gründe vorliegen. Kein triftiger Grund ist die Absicht, die Stimmbürger zur Annahme einer Abstimmungsvorlage zu bewegen. Im Vorfeld einer Volksabstimmung müssen die Behörden jegliche Beeinflussung unterlassen, um der Bevölkerung eine unabhängige Entscheidung zu ermöglichen. Allerdings kann das Bundesgericht bisher nur das Verhalten kantonaler Behörden überprüfen. Für den Bundesrat müssen aber die gleichen Regeln gelten. Art. 34 BV gilt für Bund und Kantone gleichermassen.
Die Demokratie basiert auf der Volkssouveränität. Das Volk ist der Regierung übergeordnet. Die Aufgabe der Regierung besteht nicht darin, die Gesellschaft auf ein bestimmtes Ziel hin zu führen und dafür zu sorgen, dass in Volksabstimmungen das «richtige» Ergebnis zustande kommt. In einer Demokratie sind nämlich alle Menschen gleichberechtigt und deshalb alle Meinungen gleichwertig. Es gibt nicht «richtige» und «falsche», sondern einfach unterschiedliche politische Meinungen. Die Auffassung, die Meinung der Regierung sei die richtige und es gehe in der Volksabstimmung nur noch darum, dieser Meinung zum Durchbruch zu verhelfen, ist im Ansatz undemokratisch. Sie stellt das Verhältnis zwischen Volk und Regierung auf den Kopf und entspricht einem autoritären Führerstaat.

Vom Volk gefällte Entscheide
Wenn der Bundesrat im Abstimmungskampf als Partei auftritt und für die seines Erachtens «richtige» Meinung kämpft, dann wird die Volksabstimmung zwangsläufig zu einem Plebiszit für oder gegen den Bundesrat. Dies entspricht nicht unserem staatsrechtlichen System. In einer Volksabstimmung geht es nicht um Sieg oder Niederlage für die Regierung, sondern um Sachentscheide. Der schweizerische Bundesrat ist nicht eine parlamentarische Regierung, die zurücktritt, wenn sie das Vertrauen des Volkes verloren hat. Er ist auf eine feste Amtszeit gewählt und muss die vom Volk gefällten Entscheide durchführen, egal ob sie ihm persönlich behagen oder nicht. Hat er nun im Abstimmungskampf für diejenige Seite Partei ergriffen, welche in der Abstimmung verliert, so kann er nicht glaubhaft und mit der nötigen Autorität den Volksbeschluss vollziehen. Jedenfalls wird die obsiegende Mehrheit kein Vertrauen haben, dass der Bundesrat verfassungsgetreu das Abstimmungsresultat respektieren und durchsetzen wird. Dadurch sinkt generell das Vertrauen in den Bundesrat.

In die Opposition gedrängt
Zudem gibt es im schweizerischen Konkordanzsystem nicht ein Regierungslager, welches eine einheitliche Politik vertritt. Sachfragen sind von der Frage der Regierungszusammensetzung gelöst. Es ist deshalb systemfremd, den Abstimmungskampf als Kampf des Regierungslagers gegen die « Opposition » zu betrachten. Die vermehrte Propagandatätigkeit des Bundesrates führt jedoch dazu, dass diejenigen, die anderer Meinung sind als der Bundesrat, ausgegrenzt und in eine Oppositionsrolle gedrängt werden, die es in einem Konkordanzsystem eigentlich gar nicht gibt. Damit entsteht ein Stil der politischen Auseinandersetzung, der nicht zu einem Konkordanzmodell passt.
Als Folgerung ergibt sich: Der Bundesrat hat in Volksabstimmungen nicht seine eigenen politischen Ziele gegenüber dem Volk durchzusetzen, sondern er muss möglichst faire Rahmenbedingungen schaffen, damit eine freie, unverfälschte Willenskundgabe der Bürger möglich ist. Er darf sich deshalb nicht als Partei im Abstimmungskampf sehen, sondern soll objektiv und unvoreingenommen die möglichen Alternativen und deren Vor- und Nachteile darstellen. Gleichzeitig darf er keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass alle Meinungen gleichermassen legitim sind und dass er den Entscheid des Volkes – egal wie er ausfällt – unbedingt akzeptieren und bestmöglich durchsetzen wird.

Kurzportrait
Hansjörg Seiler, Prof. Dr. iur., Fürsprecher, Jahrgang 1955, verheiratet, 2 Töchter. Jus-Studium in Bern, 1986 Dr. iur., 1993 Habilitation in Staats- und Verwaltungsrecht, Tätigkeit in der Bundesverwaltung und an der ETH Zürich. Seit 2001, nebenamtlicher Professor für öffentliches Recht an der Universität Luzern.

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