Samstag, 8. Dezember 2007

Gender Mainstreaming - eine totalitäre Ideologie

Der Feminismus ist zur totalitären Ideologie geworden. Der Publizist Arne Hoffmann über Gender Mainstreaming
Moritz Schwarz

Herr Hoffmann, „Gender Mainstreaming“, darunter stellt man sich unwillkürlich so was wie Frauenförderung vor.

Hoffmann: Das führt in die Irre. Gender Mainstreaming ist ein milliardenschweres Programm – in den letzten Jahren hat es die Steuerzahler 1,1 Milliarden Euro gekostet – mit dem vermessenen Ziel, einen „neuen Menschen“ zu schaffen. Es geht nämlich nicht simpel um Förderung des weiblichen Geschlechts, sondern um die gesellschaftliche Etablierung der Vorstellung, es gebe gar keine biologisch determinierte Geschlechts-identität und es sei sinnvoll, hier von außen steuernd einzugreifen. Während der klassische Feminismus sich mit der Verteufelung des männlichen Geschlechts „begnügte“, geht es nun darum, Männern bzw. möglichst schon kleinen Jungen klarzumachen, daß ihr Selbstverständnis als männliche Wesen eine Einbildung ist. Dabei soll durch staatlichen Druck eine gigantische ideologische Umerziehung stattfinden. Das ist nichts weniger als totalitär.

Totalitär?

Hoffmann: Vorkämpfer des Projekts wie zum Beispiel das Berliner Beratungs-, Bildungs- und Forschungsinstitut Dissens e.V., das Aufträge von der Bundesregierung, dem Land Berlin und der EU-Kommission bekommt, traktieren männliche Schüler in Projektwochen tatsächlich mit so absurden und doch verstörenden Lehrsätzen wie: Sie bildeten sich ihr Jungensein nur ein und hätten „in Wirklichkeit eine Scheide“. Der Bremer Soziologe Gerhard Amendt stellt treffend fest, daß Dissens offenbar auf die „Zerstörung von Identität“ aus ist. Amendt qualifiziert das mit den Worten: „Wer Identitäten zerstört, zerstört Menschen ... Identitätszerstörung und -verwirrung führen zu pathologischen Zuständen, die als leidvoll und desorientierend erlebt werden.“ Implementiert wird das alles durch ein System von linientreuen Kadern – bei uns „Beauftragte“, etwa „Gleichstellungsbeauftragte“, genannt – wie Volker Zastrow es in der FAZ unlängst treffend beschrieben hat. Der totalitäre Aspekt des Gender Mainstreaming wurde allerdings schon lange zuvor von dem Mainzer Soziologie-Professor Michael Bock klar benannt. Bezeichnenderweise durfte dessen Analyse auf den Internetseiten der Johannes-Gutenberg-Universität nicht lange stehenbleiben.

Wo endet nun die klassische Gleichstellung? Wo beginnt „Gender Mainstreaming“?

Hoffmann: Ihre Fragestellung impliziert, das ideologische Projekt der „Gleichstellung“ sei harmlos. Deshalb möchte ich vorweg daran erinnern, daß auch dieses Konzept bereits dem liberalen Freiheitsgedanken widerspricht. Gender Mainstreaming nun bedeutet die Steigerung dieses Konzeptes ins Monströse. Hierbei soll jeder einzelne gesellschaftliche Aspekt danach untersucht werden, wie frauenfreundlich er ist. In Anbetracht dieses totalen gesellschaftlichen Ansatzes ist es fast schon Nebensache, daß Gender Mainstreaming, verkauft als lediglich neues Wort für Frauenförderung, auch noch eine Mogelpackung ist. Die Geschlechterforscherin Sabine Hark, Soziologin an der Universität Potsdam, war immerhin so ehrlich, offen zu erklären, Gender Mainstreaming solle „die Privilegien von Männern als sozialer Gruppe in Frage stellen“. „Privilegien“ wie die Wehrpflicht, ein sieben Jahre kürzeres Leben, die weit überwiegende Mehrheit unter Selbstmördern, Drogentoten, Haupt- und Sonderschülern, Obdach- und Arbeitslosen und viele weitere Aspekte, die bei Gender Mainstreaming auffällig unsichtbar bleiben.

Sie haben 2001 eine Studie über unser politisch korrektes Frauen- (und Männer-)bild unter dem provokativen Titel „Sind Frauen bessere Menschen?“ veröffentlicht. Steht die dort festgestellte Tendenz in Zusammenhang mit dem Phänomen „Gender Mainstreaming“?

Hoffmann: Ich habe dort erläutert, wie sich im Feminismus aus der sinnvollen Emanzipation der Frau und dem Einsatz für Gleichberechtigung allmählich ein „samtener Totalitarismus“ entwickelt hat. Das Buch untersucht auch, wie das „Feindbild Mann“ entstanden ist und inwiefern die Medien ihre Wächterfunktion als vierte Gewalt aufgegeben haben, weil insbesondere viele linke Journalisten sich offenbar als Anwälte „der Frauen“ gegen einen patriarchalen Staat verstanden haben und noch nicht sahen, inwiefern feministische Ideologie und Staat selbst längst miteinander verwoben waren. Gender Mainstreaming ist das logische Resultat dieser Entwicklung. Darauf komme ich in meinem Nachfolgewerk „Männerbeben“ zu sprechen, für das ich aber noch einen Verlag suche.

„Gender Mainstreaming“ ist nicht das politische Randprojekt linker Soziologen und grüner Politiker, sondern offizielles gesellschaftspolitisches Ziel der CDU-geführten Bundesregierung, wie man auf der vom Bundesfamilienministerium betriebenen Internetseite www.gender-mainstreaming.net nachlesen kann.

Hoffmann: Gender Mainstreaming hat das Etikett „frauenfreundlich“ aufgeprägt bekommen, und kein Politiker welcher Partei auch immer kann es sich leisten, gegen eine solchermaßen bezeichnete Maßnahme Stellung zu beziehen. Politiker aller Parteien versuchen, damit zu punkten, was sie alles für Frauen erreichen werden – kaum einer damit, was er für Männer erreichen will. Die feministische Ideologie durchwuchert mittlerweile sämtliche Parteien gleichermaßen. Dasselbe gilt für die führenden Medien: Die sonst übliche öffentlich-rechtliche Ausgewogenheit gibt es bei diesem Thema nicht. Mit der akademischen Forschung sieht es ähnlich aus: Es gibt rund 100 Lehrstühle für Frauenforschung, aber keinen einzigen für Männerforschung. Männerpolitik findet de facto nicht statt; Genderpolitik ist wie selbstverständlich Frauenpolitik. Auch hier zeigt sich übrigens der totalitäre Aspekt: Es fehlt beinahe jegliche Opposition.

Auf der vom Bundesfamilienministeriums betriebenen Internetseite klingt „Gender Mainstreaming“ harmlos. Es gebe, heißt es dort, keine „geschlechtsneutrale Wirklichkeit“. „Gender Mainstreaming“ solle dem Rechnung tragen, also den Bedürfnissen der Geschlechter entgegenkommen. Das klingt sehr positiv: als ob die Geschlechterrollen gestärkt werden sollen.

Hoffmann: Dabei geht es ja genau um das Gegenteil: nämlich, wie gesagt, die Auflösung der Geschlechtsidentität, vornehmlich der männlichen. Oder nennen Sie mir einen einzigen Gender Mainstreaming-Ansatz, der den Bedürfnissen des männlichen Geschlechts entgegenkommen soll. Der Mediziner Bruno Köhler von der kleinen, aber engagierten Männerrechtlergruppe MANNdat hat in einer auf der MANNdat-Internetseite hinterlegten 30-Punkte-Analyse genauestens dargelegt, daß hier alles Männliche schlicht ausgeblendet wird. Etwa: Frauengesundheitsbericht ja, Männergesundheitsbericht nein. Das ist Regierungspolitik über alle Parteien hinweg. Was nicht wundert: Das Bundesfamilienministerium ist ja auch über alle Parteien hinweg ein Frauenministerium: „Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend“. Daß Männer in seinem Namen nicht vorkommen, ist kein Zufall.

Warum wird das wahre Wesen des „Gender Mainstreaming“ auf der Seite des Familienministeriums nicht angesprochen?

Hoffmann: Wenn es eine öffentliche Debatte pro und contra Gender Mainstreaming gegegeben hätte, wäre seine Einführung gescheitert. Das Frauenministerium betreibt hier reine Lobbypolitik. Feministinnen haben eine starke Lobby, Männerrechtler nicht. Aber es gibt ja auch pragmatische Erwägungen: Wir brauchen mehr Frauen in der Arbeitswelt, insbesondere in qualifizierten Positionen, auch weil jetzt die geburtenschwachen Jahrgänge auf uns zukommen. Sehr viele Frauen lassen sich aber weit weniger gern für 70-Stunden-Wochen einspannen als Männer. Also versucht man sie zu umhätscheln, wo es nur geht. Und übersieht dabei völlig, daß sich inzwischen die Männer allmählich aus dem Erwerbsleben verabschieden und man für dieses Geschlecht auch etwas tun sollte.

Eine Familienpolitik, die sogar die Wochenzeitung „Die Zeit“ als „feministisch“ bezeichnet. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), vormals „Antidiskriminierungsgesetz“, gesellschaftspolitisches Lieblingsprojekt der Grünen. Und nun: „Gender Mainstreaming“. Was ist bloß los mit der „bürgerlichen“ CDU?

Hoffmann: Man muß leider feststellen, daß die Union bei der Sicherung unserer gesellschaftlichen Freiheit völlig versagt. Die CDU läßt sich von Ideologen der Linken am Nasenring durch die Manege führen. Deshalb hat Professor Amendt die CDU auch aufgefordert, zu erklären, ob die Ziele der von ihr verfolgten Politik tatsächlich ihrem „Verständnis von den zukünftigen Beziehungen von Männern und Frauen entsprechen“. Manchmal scheint es auch Lichtblicke zu geben: So hatte vor kurzem der CDU-Europaabgeordnete Daniel Caspary angemerkt, es gebe bei der Förderpolitik eine Schieflage zu Lasten der Männer. Als ich Herrn Caspary daraufhin um ein Interview bat, verweigerte er das. Ich gewann aus der Formulierung seiner Absage den deutlichen Eindruck, daß er Angst hatte, schon für ein bloßes Interview von feministischen Lobbygruppen unter Beschuß genommen zu werden.

Wie wird die Gesellschaft aussehen, die „gender-mäßig“ auf Linie gebracht worden ist?

Hoffmann: Gender Mainstreaming ist nicht der einzige Einflußfaktor auf unsere Gesellschaft. Sobald es eine massive Bedrohung durch Wirtschaftskrise, Krieg, Terrorismus oder Naturkatastrophen gäbe, stünde Männlichkeit wieder hoch im Kurs. Die Feuerwehrleute, die nach dem 11. September 2001 am World Trade Center ihr Leben riskierten, waren fast alle Männer. So ganz ohne EQ, social skills und vernetztes Denken. – Aber Sarkasmus beiseite: Auch ohne Katastrophen sind wir Menschen ja doch lernfähig. Im Oktober letzten Jahres hat etwa die Weltbank ihre Förderpolitik zugunsten von Männern geändert. Auslöser war eine neue Studie mit dem Titel „The Other Half of Gender“, der zufolge ohne die Berücksichtigung von Männern keine Geschlechtergleichheit erreicht werden könne. Die dualistische Einstellung „Frauen als Opfer, Männer als Problem“, die in den letzten Jahrzehnten die Debatten geprägt habe, müsse überwunden werden. Noch immer seien mit dem Begriff „Gender“ ausschließlich Frauen gemeint. Ich hoffe, irgendwann kommen diese Erkenntnisse auch in Deutschland an.

Welche Zukunft hat in einer „Gender Mainstreaming“-Gesellschaft noch der Mann ... pardon, der biologisch männliche, Y-Chromosom-Bürger?

Hoffmann: Es wird sich die Entwicklung fortsetzen, die sich schon seit einigen Jahren abzeichnet. Männer werden sich massiv aus dem Arbeitsmarkt zurückziehen, sie werden sich aus dem Partnermarkt zurückziehen, und sie werden in virtuelle Welten abtauchen. Ab und zu wird einer Amok laufen. Was einigen „IdeologInnen“ wieder beweisen wird, daß Männlichkeit böse ist und ausgemerzt gehört. Diese Entwicklung liegt natürlich nicht allein an Gender Mainstreaming, es ist nur ein Teil des Problems.

Den meisten Bürgern geht es zu weit, wenn man warnt, die Bundesrepublik könnte sich zu einer „Erziehungsdiktatur light“ wandeln.

Hoffmann: Wir haben doch jetzt schon eine „Erziehungsdiktatur light“. Haben Sie beispielsweise einmal mit Lehrern, Schuldirektoren oder anderen Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes über die Macht von Gleichstellungsbeauftragten gesprochen? Jeder macht über diese Frauen Witze, aber jeder weiß auch, daß sie in Streitfragen das letzte Wort behalten werden. Und sobald Sie das problematisieren, gelten Sie als frauenfeindlich. Wer immer sich der feministischen Ideologie widersetzt, muß Sanktionen wie die Kürzung von Fördermitteln, weniger öffentliche Aufträge oder andere „Strafmaßnahmen“ befürchten.

In Wien findet derzeit eine PR-Offensive für „Gender Mainstreaming“ statt. Hinweisschilder mit den bekannten Personen-Piktogrammen werden durch solche ersetzt, die eindeutig weibliche Merkmale zeigen.

Hoffmann: Eigentlich verschleiert die Kampagne wiedermal vor allem, worum es wirklich geht: Die Auflösung der (männlichen) Geschlechtsidentität. Sie kommt eher im Stil der bisher bekannten „Gleichstellung“ daher. Wir alle kennen das Hinweisschild „Notausgang“: Eine geschlechtslose Figur rennt auf eine Tür zu. Jetzt wird das Geschlecht durch hochhackige Stiefel und langes Haar erst hereingebracht. Absurd! Zur anvisierten Auflösung der Geschlechterrollen werden Piktogramme verwendet, die erst explizit mit geschlechtsspezifischen Signalen und Klischees arbeiten! Einen ähnlichen Irrwitz gibt es längst bei uns, denken Sie an die Ampelmädchen in Städten wie Zwickau und Dresden. Da haben die bisherigen ostdeutschen Ampelmännchen unter dem großen Applaus von Gleichstellungsbeauftragten ein weibliches Gegenstück verpaßt bekommen. Dadurch zeige sich, daß auch Frauen sehr wohl in der Lage seien, Führungspositionen auszuüben, lobte das Projekt etwa die Sozialministerin Helma Orosz – ein Mitglied der CDU. In solche Dinge gehen inzwischen die Gelder für den Aufbau Ost.

Was kann der Einzelne überhaupt noch unternehmen?

Hoffmann: Er kann sich mit anderen Menschen, die dieses Problem erkannt haben, vernetzen und in Organisationen wie MANNdat mit eigener Lobbyarbeit gegensteuern. Im Dezember letzten Jahres wurde sogar eine Männerpartei gegründet, weil die Anliegen der Hälfte der Bevölkerung derzeit bei den Parteien unberücksichtigt bleiben. Hier ist noch einiges zu tun.



Arne Hoffmann: Der Publizist und Medienwissenschaftler hat sich in verschiedenen Büchern mit dem Phänomen der politischen Normierung der Gesellschaft beschäftigt. 2001 erschien seine Studie zum Thema Feminismus: „Sind Frauen bessere Menschen?“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf). Hoffmann, geboren 1969 in Wiesbaden, zählt außerdem zu den bekanntesten Sprechern der Männerrechts-bewegung in Deutschland. Monatlich erscheint in der libertären Zeitschrift eigentümlich frei seine Kolumne „Feminismus oder Freiheit“.



MANNdat e.V.: Die „geschlechtspolitische Initiative“ MANNdat ist eine der wenigen Männerrechtsgruppen in Deutschland. Ihr Ziel ist es, „gesetzliche Benachteiligungen und öffentliche Diskriminierungen von Männern zu beseitigen“. Kontakt: Senefelderstraße 71B, 70176 Stuttgart, Telefon: 0 62 33 / 239 00 43, Internet: www.manndat.de.



Stichwort „Gender Mainstreaming“:

Das Grundkonzept des Gender Mainstreaming (GM) stammt aus der „schwul-lesbischen Bewegung“. Die Konstruktion einer „sozial erlernten“ Geschlechtsidentität (englisch: „gender“) wird der biologischen (englisch: „sex“) gegenübergestellt, mit der Absicht, letztere zu leugnen. Die Ursache dafür sehen Soziologen in dem Wunsch „randständiger sexueller Identitäten, sich vom Druck der Abweichung befreien zu wollen“. Damit ist GM die Unterwerfung der Geschlechtsidentität der Normalen unter die der Randgruppen.

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