Mittwoch, 30. April 2008

Der Agrarfreihandel - der Ruin der Landwirtschaft!

Vom Nutzen einer Zollmauer

Von Mathias Binswanger

Der Bundesrat will den Agrarfreihandel, aber was soll die Zwängerei? Am Ende wäre die Landwirtschaft ruiniert. Der allgemeine Wohlstand stiege trotzdem kaum.

Der Zeitpunkt sei noch nie so günstig gewesen, schrieb Kurt Schildknecht jüngst in der Weltwoche, um den Agrarprotektionismus in der Schweiz zu eliminieren. Da hat er zweifellos recht. Das vom Bundesrat geplante Agrarfreihandelsabkommen mit der EU bietet eine einmalige Chance, die Zahl der Bauern erheblich zu senken. Diese sind den Befürwortern des Freihandels nämlich schon lange ein Dorn im Auge: Schweizerinnen und Schweizer sollen gefälligst bei Banken oder in der Pharmaindustrie arbeiten, wo die Wertschöpfung pro Arbeitnehmer etwa das Zehnfache der Wertschöpfung in der Landwirtschaft beträgt. Und wenn man für die Freihandelsidee ein paar Bauernopfer bringen muss, dann ist das eben der Preis des Fortschritts. Was bei einem vollständigen Wegfall des Agrarprotektionismus noch bleiben wird, sind neben einigen Grossbetrieben ein paar kleinere Hersteller von lokalen Spezialitäten wie Appenzeller Käse oder Bündnerfleisch, die zusammen mit Alphornbläsern und Jodlerinnen zum Heidiland-Image der Schweiz beitragen. Will man den Bauernstand jedoch flächendeckend erhalten, dann funktioniert das bei vollständig liberalisierten Agrarmärkten nur mit immer höheren Zahlungen an die Bauern, da diese dann durch den Verkauf ihrer Produkte nicht einmal mehr ihre Herstellungskosten decken können. Also wird man die Produktion nach und nach einstellen, aus Landwirten werden vom Staat bezahlte Landschaftsgärtner und Wiesenpfleger. Von der in der Verfassung vorgeschriebenen «sicheren Versorgung der Bevölkerung» wäre keine Rede

Konsumenten zahlen dennoch mehr. Ausser in Neuseeland und Australien (bis zur einsetzenden Dürre 2001), wo so viel landwirtschaftlich nutzbare Fläche vorhanden ist, dass praktisch alle Bauern unter die Kategorie Grossbauern fallen, schaffen es die Bauern in keinem Industrieland, ohne staatliche Unterstützung zu überleben. Das gilt auch für den weltweit grössten Agrar-Exporteur, die USA, welcher die Subventionen in den letzten Jahren nochmals massiv ausgebaut hat. Die Landwirtschaft hat nämlich ein entscheidendes Handicap: Ihr wichtigster Produktionsfaktor, der Boden, lässt sich nicht beliebig vermehren. Zwar versuchen die Bauern seit Jahrhunderten, ihre Böden immer intensiver zu bewirtschaften, doch damit gerieten sie nur in die sogenannte landwirtschaftliche Tretmühle. Diese Tretmühle funktioniert so: Der einzelne Bauer hat unter heutigen Bedingungen kaum eine Möglichkeit, seine Produkte zu differenzieren und sich von seinen Konkurrenten abzuheben. Lebensmittelhersteller wie Emmi oder Migros, welche den Bauern ihre Produkte abkaufen, wollen homogene Produkte (z. B. Rohmilch, Weizen), bei denen es nicht darauf ankommt, ob sie von Bauer A oder von Bauer B stammen. Also kann sich Bauer A nur von Bauer B abheben, indem er billiger produziert; er muss seine Arbeitsproduktivität durch den Kauf von immer mehr Maschinen oder durch die Anpflanzung ertragreicherer Sorten erhöhen. Dies führt zu einem Verdrängungswettbewerb, bei dem immer weniger Bauern immer mehr Lebensmittel produzieren, aber gleichzeitig die Preise fallen.Genau das kann man auch in der Schweiz beobachten. So sind die Preise, welche die Bauern für ihre Erzeugnisse erhalten, von 1994 bis 2005 um rund ein Viertel geschrumpft. Die von den Konsumenten bezahlten Preise für Lebensmittel sind jedoch zugleich um etwa zehn Prozent gestiegen. Profitiert haben somit die Lebensmittelhersteller, die zum Beispiel Milch immer billiger einkaufen konnten und mit einem hochdiversifizierten Angebot an Milchprodukten ihren Umsatz steigerten. Diese Entwicklung wird sich bei der Einführung des Agrarfreihandels noch erheblich beschleunigen, da die Lebensmittelhersteller den Schweizer Bauern dann aufgrund der ausländischen Konkurrenz immer geringere Preise zahlen werden.Warum aber die Zwängerei des Bundesrates in Sachen Agrarfreihandel? Sie liesse sich noch verstehen, wenn die weitgehende Vernichtung der Landwirtschaft an anderer Stelle zu erheblichen Wohlstandsgewinnen führen würde. Aber nach diesen sucht man selbst im Informationsblatt des Bundesrates vergeblich. Die Rede ist von einer Erhöhung des BIP um ein halbes Prozent (wirklich grossartig!) und von sinkenden Lebensmittelkosten für Konsumenten und besserer Konkurrenzfähigkeit für die Nahrungsmittelindustrie und den Tourismus. Aber eben: Die Entwicklung der Lebensmittelpreise hat kaum etwas mit den an die Bauern bezahlten Preisen für Rohstoffe zu tun; sinkende Kosten für Konsumenten und bessere Konkurrenzfähigkeit entfallen somit als Argument. Und dass der Tourismus in der Schweiz wegen sinkender Agrarpreise wachsen wird, kann selbst der Bundesrat nicht im Ernst glauben. Im Unterschied zu vielen andern Branchen führt mehr Freihandel in der Landwirtschaft nicht zu mehr Wohlstand, sondern verursacht stattdessen erheblichen Schaden.

Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaft an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten.
Im Mai erscheint von ihm das Buch «Globalisierung und Landwirtschaft – Mehr Wohlstand durch weniger Freihandel» (Picus-Verlag, Wien).


Nehmen Sie an unserer wöchentlichen Umfrage teil.
Frage: Sind Sie für den Agrarfreihandel mit der EU?

Quelle: www.weltwoche.ch

Sonntag, 27. April 2008

Die Verunglimpfung der SVP

Revolver-Journalismus gegen die SVP

von Yves Bichsel, Generalsekretär SVP Schweiz

„Alle Schläge sind erlaubt.“ Unter diesem Motto scheinen gewisse Kreise vorzugehen, wenn es darum geht, die SVP zu verunglimpfen. Neustes Beispiel: Verschiedene Journalisten ziehen die SVP wegen angeblicher Fehler in ihren Inseraten zur Einbürgerungsinitiative in den Dreck. Die Vorwürfe sind unhaltbar, von seriöser journalistischer Arbeit besteht keine Spur.

Am 1. Juni stimmt das Schweizer Volk über die Einbürgerungs-Initiative der SVP ab. Sie fordert, dass Ausländern, deren Einbürgerungsgesuch von der zuständigen Gemeindebehörde abgelehnt wurde, künftig keine Beschwerde mehr vor Gericht erheben können. Weiter gibt die SVP-Initiative den Gemeinden das Recht zurück, das zuständige Organ zur Erteilung des Gemeindebürgerrechts frei und ohne Einschränkungen der Gerichte zu bestimmen. Damit schafft die Einbürgerungs-Initiative die notwendigen Voraussetzungen zur Eindämmung von Masseneinbürgerungen.

Dass in der Schweiz massenhaft eingebürgert wird, geht aus den entsprechenden Statistiken rasch einmal hervor. Erstens zählte man in der Schweiz im vergangenen Jahr über 45'000 Einbürgerungen. Diese Zahl kann beispielsweise mit der Zahl von gut 54’000 Geburten von Schweizer Kindern im Jahr 2006 verglichen werden. Es gibt also nur unwesentlich mehr Geburten von Schweizer Kindern als Personen, die durch Einbürgerungen Schweizer werden. Zweitens ist die Anzahl Einbürgerungen in der Schweiz mit der Anzahl Einbürgerungen in anderen Ländern zu vergleichen. So wurden im Jahr 2006 in Deutschland knapp 125'000 Personen eingebürgert. Ein Land, das rund zehn Mal mehr Einwohner zählt als die Schweiz, bürgert nicht einmal drei Mal mehr ein als wir. Unser südliches Nachbarland Italien mit einer rund acht Mal grösseren Bevölkerung bürgert pro Jahr gar nur gut 13'000 Personen ein (Quelle: epp.eurostat.ec.europa.eu).

Diesen Sachverhalt legt die SVP in einem Inserat dar. „Kein anderes Land bürgert mehr ein als die Schweiz“, hält die SVP dabei fest. In einem Diagramm wird aufgezeigt, wie hoch die Anzahl Einbürgerungen im Verhältnis zur Anzahl Einwohner in verschiedenen europäischen Ländern ist. Diverse Journalisten scheinen sich daran zu stören, dass die SVP diese Zahlen aufdeckt. Stefan Schmid von „St. Galler Tagblatt“ unterstellt der SVP, „falsche Statistiken“ zu verwenden. Dieser schweren Anschuldigung wird eine Definition eines Bundesamtes zugrunde gelegt, wonach die Einbürgerungen im Verhältnis zur Anzahl Ausländer in einem Land zu setzen seien. Daraus wird scheinbar ein Verbot abgeleitet, Einbürgerungen ins Verhältnis zur Gesamtbevölkerung eines Landes zu setzen. Auch im Ringier-Blatt „heute“ wird von einem anonym bleibenden Journalisten mit der gleichen Begründung behauptet, die von der SVP verwendete Statistik sei falsch.

Von falschen Statistiken kann keine Rede sein. Sämtliche von der SVP verwendeten Zahlen sind korrekt. Sie wurden mehrmals überprüft und mit Quellenangaben unterlegt. Besonders betrüblich am Vorgehen der erwähnten Medien ist, dass die Urheber dieses Revolver-Journalismus sich nicht einmal die Mühe nehmen, die SVP mit ihren absurden Vorwürfen zu konfrontieren. Ungeprüft werden schwere Anschuldigungen in die Welt posaunt. Von Fairness keine Spur.

Sind die Gegner der Einbürgerungs-Initiative bereits so nervös, dass sie derartige Attacken reiten, um die SVP zu verunglimpfen? Die bestehenden Missstände im Bereich der Einbürgerungen sowie die überzeugenden Antworten der SVP geben ihnen ganz offensichtlich allen Grund dazu.

Donnerstag, 24. April 2008

Public-Relations, Propaganda und Lügen

Verdrehen und Lügen von Anfang an
von Karin Wild

Über die «Meinungsmacher» schrieb Rainer Fabian im Jahre 1970, um seine Zeitgenossen aufzuwecken. Es lohnt sich, das Buch zur politischen Willensbildung noch einmal hervorzuholen und über Public-Relations-Aktivitäten generell nachzudenken.

Steht es in den deutschen Geschichtsbüchern? Der Staatssekretär im Reichsmarineamt, Alfred von Tirpitz, hatte 1894 das Ziel, den Auf- und Ausbau der deutschen Kriegsmarine dem Volk schmackhaft zu machen. Ohne wirkliche Diskussion mit dem Bürger, nur mit Propaganda und subtiler Einflussnahme. Die schwächsten Glieder in der Gesellschaft, die Kinder, waren dafür nicht zu schade. In dieser Zeit begann auf der anderen Seite Bertha von Suttner die europäische Welt vor einem grossen Krieg zu warnen.
Tirpitz setzte darüber hinaus auf jedem neuen grösseren Kriegsschiff einen Presseoffizier ein, der die Öffentlichkeit «informieren» sollte. In den Schulbüchern erschienen auf einmal Bilder von Marineschiffen, der Matrosenanzug wurde Mode, Flottenkalender gelangten in die deutschen Haushalte und noch vieles andere mehr…
Also schon vor mehr als 100 Jahren ein Beispiel, wie PR-Arbeit dem zukünftigen Krieg dienen soll. Und wie PR-Arbeit dazu dient, am Volk, das im Grunde seines Herzens den Frieden will, vorbei zu regieren.
Fabian erwähnt aus der Geschichte dieser Zeit weitere interessante Details. Etwa zur gleichen Zeit war das Ansehen vieler Gross­konzerne in den USA auf dem Nullpunkt angelangt. Sklavenartige Arbeitsverhältnisse plagten Hunderttausende von Arbeitern. Upton Sinclair machte sie zum Thema mit seinen sozialkritischen Romanen wie «Am Fliessband. Mister Ford und sein Knecht Shutt». Die Bücher verfehlten nicht ihre Wirkung.
«Mistharken» nannte John D. Rockefeller die unbequemen Schriftstellerintellektuellen. Was tun? Viele Unternehmen setzten PR-Firmen zum ersten Mal ein, um das ramponierte Bild ihrer Firma in der Öffentlichkeit zu ­polieren, während die realen Verhältnisse eher schlimmer wurden.
Wenige Jahre später, 1917, wurde in den USA erstmals vom Militär ein Propagandabüro eingerichtet, um die bisher eher pazifistische und neutrale US-Bevölkerung umzuerziehen und auf den grossen Krieg vorzubereiten: das «US-Commitee of Public Information». Edward L. Bernays, der Neffe von Sigmund Freud, war der Urvater der PR-Propaganda. «Information, Überzeugung, Anpassung», so definierte Bernays die Ziele der PR-Propaganda. 52 Jahre später, 1969, gibt es in den USA schon 200 Universitäten, an denen man PR-Arbeit studieren konnte. 250 000 professionelle Berater zählen die USA schon zu diesem Zeitpunkt!
Was ist das Ziel solcher PR-Arbeit? Sogar öffentliche Einrichtungen wie unsere Bundesbehörden haben bekanntlich solche PR-Abteilungen, um in Abstimmungskämpfen lenkend einzugreifen.
Von Anfang an verdrehte Wahrheit, Lüge

Aus der Geschichte der PR geht hervor, dass sie dazu da ist, die Wahrheit zu verdrehen, zu vertuschen, zu beschönigen, «anzupassen» – ohne dass es der Betroffene merkt. PR zerstört also im Kern die Grundlagen einer demokratischen Öffentlichkeit, die auf ein ehrliches Miteinander aller Bürger angewiesen ist. Die Wahrheit ist auf einmal nicht mehr wichtig. Es zählt nur, wie man dasteht, nicht, was real ist.
Vorgehen

Umfrage- und Analyseinstitute belauschen die Bürger, um dann auf die da festgestellte Meinung indirekt oder direkt Einfluss zu nehmen, diese störende Meinung zu manipulieren und umzubiegen. Nicht nur die Bilder, die vermittelt oder angehängt werden, sind manipulativ, sondern auch die Wortwahl, die Begriffe.
PR hat nichts mit ehrlichem Journalismus zu tun

Ein PR-Mann oder eine PR-Frau unterscheidet sich von einem ehrlichen Journalisten, weil sie grundsätzlich die Wahrheit im Dienste der Auftraggeber verändern und falsch darstellen wollen. Statt dass der deutsche Kaiser damals dem Volk offen die Karten auf den Tisch gelegt und seine Kriegspläne offen diskutiert hat, wird die ganze Bevölkerung schon Jahre vor dem grossen Krieg, der vielen grosse Profite bringt, mit Psycho-Tricks hinters Licht geführt. Ein Detail der Geschichte: Von den Jahrgängen 1892–1895, also von denen, die als Kinder im Deutschen Reich Opfer der genannten Regierungs-PR-Massnahmen wurden, starben mehr als ein Drittel im Ersten Weltkrieg im Schützengraben oder auf «hoher See» …
Krieg mit anderen Waffen

Der Propagandakrieg ist ein Krieg mit anderen, feineren Waffen, der in den Herzen und Köpfen der Menschen heimtückisch ansetzt und unmerklich die Voraussetzung für die Zustimmung zu Dingen schafft, die eigentlich von der Bevölkerung abgelehnt werden. Ein Alltagsbeispiel ist die Werbung für «gesunde» und «leichte» Zigaretten. Man kennt den Wunsch nach Gesundheit in der Bevölkerung. Gerade dort setzt man an und verdreht dann die Tatsachen. Es wird für diese Zielgruppe, vor allem für Frauen, eine «gesündere» Zigarette angeboten, die in Wirklichkeit genauso wenig gesund ist wie andere auch. Junge, gesund aussehende junge Frauen rauchen auf den Werbebildern.
Kriegspropaganda mit irreführenden Worten

Nehmen wir den breiten Widerstand der europäischen Bevölkerung gegen den Kosovo-Krieg, den Irak-Krieg, den Afghanistan-Krieg. Deshalb ändert man, um die Bevölkerung für den Krieg zu gewinnen, die Begriffe: Statt von «Krieg» sprach man von «friedenserzwingenden» oder von «humanitären» Einsätzen. Statt von unschuldigen Opfern von «Kollateralschäden» usw. Im zweiten Irak-Krieg sprach man von «chirurgischen» Schlägen, als ob hier jemand Krankes durch eine Operation wieder gesund gemacht werden sollte. In Wahrheit handelte es sich hierbei um völkerrechtswidrige Bombardements mit Uranwaffen, die die Zivilbevölkerung töteten und eine jahrtausendealte Kultur zerstörten.
In Diensten der Regierung und der EU

In den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts überlegte das deutsche Bundespresseamt, wie man die umstrittenen «Notstandsgesetze» dem Volk besser schmackhaft machen könnte. Die vom Volk selbst bezahlten Damen und Herren entwickelten statt dessen den Begriff «Vorsorgegesetze». Staatssekretär Diehl gelang es indessen nicht, das manipulative Wort gegen die Verwaltung durchzusetzen.
Wie viele Bürger beklagen die mangelnde Bürgernähe und das riesige Demokratiedefizit der EU! PR-Agenturen raten Politikern, darauf «einzugehen» und so etwas öffentlich einzufordern. Der Bürger fühlt sich dadurch verstanden. In Tat und Wahrheit aber ändert kein hochrangiger Politiker in Deutschland oder anderswo in der EU etwas am Kerninhalt und am undemokratischen Verfahren bei der Verabschiedung der EU-Verträge. Der portugiesische Ministerpräsident wurde kürzlich sogar innenpolitisch wortbrüchig und verzichtete auf ein Referendum über den neuen Vertrag. Mit ein wenig Abänderungen wurden die Verträge in Lissabon abgenickt. Auch Frankreich unter dem schillernden Medienprofi Sarkozy wollte keine Volksabstimmung mehr zulassen.
Wahrheitsverdrehende PR-Arbeit ist es sicher auch, wenn einer der grössten Kriegstreiber des völkerrechtswidrigen Kosovo-Krieges, der ehemalige deutsche Aussenminister Josef Fischer, in der Taschenbuchausgabe von «Widerstand des Herzens» von Nathan Stoltzfus ein Vorwort schreiben darf. Es handelt sich um die Dokumentation über die mutigen Frauen der Rosenstrasse, die ihre jüdischen Männer 1943 retten konnten. Das Beispiel zeigt, wie vergiftend die PR-Arbeit in alle Fasern einer Gesellschaft eingreift.
Wir-Gefühl erzeugen

Die PR-Agenturen wissen, wie wichtig ein künstlich erzeugtes Gemeinschaftsgefühl für eine positive Einstellung der Menschen zu einer Sache ist. Man hat im Zweiten Weltkrieg bei den US-Truppen festgestellt, dass 23% der kämpfenden Soldaten aus psychischen Gründen kampfuntauglich wurden. Es war zu wenig, wenn die Militärführung nur an die Vaterlandsehre usw. appellierte. Ein Wir-Gefühl musste erzeugt werden, das der Propaganda einen emotionalen Boden gibt. Konsequenterweise legten die US-Militärs im Vietnam-Krieg viel Wert auf eine «wohltuende» gemeinschaftliche Atmosphäre unter den kämpfenden Truppen: Man schuf identitätsstiftende Symbole für die kämpfenden Einheiten. Man förderte die Rivalität unter ihnen. Man gab den Soldaten – wie im Irak heute – komfortable Rückzugsräume, «rest and recreation», im Soldatenjargon «love and liquor» genannt. Nur noch 5% statt 23% der Soldaten fielen aus. PR-Agenten im Dienste des Pentagons hatten das Militär umstrukturiert.
Künstlich Vertrauen schaffen

In dem Begriff der PR steckt das Wort «Beziehung». So ist es auch gemeint: Es soll immer eine positive und «vertrauensvolle» Verbindung mit dem durch die moderne PR angesprochenen (und manipulierten) «Opfer» der PR-Arbeit hergestellt werden. PR braucht Vertrauen. Deshalb versucht PR immer eine vertrauensvolle Atmosphäre herzustellen.
Man kann den jüngsten Wechsel in der Kriegstaktik der USA weg vom groben Klotz Bush zu einem «sanfteren» Präsidenten auch so interpretieren, dass wieder «Vertrauen» in die USA hergestellt werden muss. Mit einer Charmeoffensive? Der Krieg allerdings geht in anderer Form weiter. Kein Wort hört man bei allen Präsidentschaftskandidaten von einer wirklichen Rückkehr zu ehrlicher und gerechter Politik, von einer Wiedergutmachung für die zahlreichen Opfer der US-Angriffskriege. Kein Versprechen, auch nur eine Militärbasis aufzugeben, die unter Bush offensiv eingerichtet wurde, viele davon in Osteuropa.
PR für den Krieg

Fabians Buch ist 37 Jahre alt. In welchen Dimensionen heute PR-Manipulation für den Krieg eingesetzt wird, zeigt das bestens dokumentierte Werk von Jörg Becker und Mira Beham «Operation Balkan: Werbung für Krieg und Tod». Die Untersuchung lässt eindrücklich nachvollziehen, wie vor dem Jugoslawien-Krieg Regierungen – vor allem Kroatiens – Beratungsverträge mit US-PR-Firmen abschlossen, um den Krieg vorzubereiten und in die «Köpfe und Herzen» der Menschen zu bringen. Die Autoren wiesen darauf hin, dass in den USA die PR-Branche heute mehr Mitarbeiter als alle US-Medien zusammen beschäftigt. Das Pentagon gab im Jahre 2005 300 Millionen Dollar an PR-Firmen aus, um den gescheiterten Irak-Krieg besser zu verkaufen. Die Clinton-Regierung tat Ähnliches im Kosovo-Krieg.
Verschweigen und Aussitzen

Es ist auch sehr verwunderlich, dass um die sechs am Jungfraujoch verunfallten jungen Schweizer Soldaten in den sonst so geschwätzigen Medien so wenig Aufhebens gemacht wird. Ex-Nato-General Gerhard Schmückle berichtete in seinen Erinnerungen, dass 1957 in dem Fluss Iller (Süddeutschland) 15 Wehrpflichtige, durch die Fahrlässigkeit der Vorgesetzten bewirkt, ums Leben kamen. Die reissende Strömung des Flusses wurde unterschätzt. Die Medien reagierten hier prompt und deutlich. Die Affäre kam bis vor das Parlament. Schmückle schreibt: «Das Parlament wurde zum Tribunal. Angeklagt waren Konrad Adenauer (der damalige Bundeskanzler) und Franz-Josef Strauss (der damalige Verteidigungsminister). Anklagepunkt: Das Iller-Unglück.» Ein Aufschrei des Entsetzens und der Empörung ging damals durchs ganze Land.
Wiederaufbauarbeit ist nötig

In den vergangenen 37 Jahren ist also das Problem der korrumpierten PR-Arbeit eher grösser geworden. Die Menschheit hat die Zeit der Beendigung des kalten Krieges bisher nicht genützt, um wieder eine Kultur der Aufrichtigkeit und Wahrheit durchzusetzen, auch in den Medien und in der Öffentlichkeitsarbeit. Das Problem liegt sicher noch tiefer. Albert Schweitzer stellte 1923 nach dem Desaster des Ersten Weltkriegs in «Kultur und Ethik» fest: «Wir stehen im Zeichen des Niedergangs der Kultur. Der Krieg hat diese Situation nicht geschaffen. Er selber ist nur eine Erscheinung davon. Was geistig gegeben war, hat sich in Tatsachen umgesetzt […]. Wir kamen von der Kultur ab, weil kein Nachdenken über Kultur unter uns vorhanden war.»
Wo sind heute Intellektuelle wie Upton Sinclair, die das Elend der globalisierten Wirtschaft auf dem sogenannten «freien Markt» dokumentieren, anstatt die neuen Kriege einfach fatalistisch hinzunehmen oder sogar zu begrüssen?
Noch eine PR-Lüge? Der Klimawandel

Noch ein Blick in die Gegenwart: Cui bono, wenn man auf allen Kanälen über den Klimawandel aufgeklärt wird? Um die Menschen als «Hauptverursacher» in eine defensive passive und ängstliche Haltung zu bringen, die sie weitere erklärte oder unerklärte Kriege um die Ressourcen dieser Welt hinnehmen lässt? Um die Menschheit auf eine falsche Fährte zu locken, anstatt dass wirkliche Friedensarbeit endlich Einzug hält in die Agenda der Völker? Ist der Klimawandel eine PR-Lüge? Der renommierte Zoologe Josef Reichholf schreibt: «Das Klima war nie wirklich stabil. Zu raschen Veränderungen kam es immer wieder.»
Zukünftige Propagandafelder

Was ist im Hinblick auf das Bild vom Islam zu befürchten? Einer seit langem anerkannten Weltreligion mit Milliarden von Mitgliedern? Welche schmutzigen Verdrehungen fallen den PR-Strategen hier ein, um der Öffentlichkeit weiszumachen, dass man die vielen ehrbaren Anhänger dieser Religion – die zufällig in vielen rohstoffreichen Gebieten der Erde wohnen – zu potentiellen Terroristen zu machen? Das erinnert an die Zeit der Kreuzzüge.
Propaganda durchschauen und ehrlich kommunizieren

Als Bürger haben wir die Möglichkeit, die wahrheitsverdrehende PR-Masche zu durchschauen, indem wir uns breit informieren und überall, wo wir können, Stellung nehmen. Wenn wir widerstehen, wenn Propaganda von Staats wegen oder von Unternehmen getrieben wird, um die Fakten zu verdrehen. Wenn wir uns untereinander ehrlich austauschen. Ein türkisches Sprichwort heisst: «Die ausgesprochene Wahrheit kann einen Wildbach aufhalten.» •

Rainer Fabian, Die Meinungsmacher. Eine heimliche Grossmacht, Hamburg 1970
Gerhard Schmückle, Ohne Pauken und Trompeten. Erinnerungen an Krieg und Frieden, München, 1984
Michael Jürgs, Der kleine Frieden im Grossen Krieg, 2003
Josef H. Reichholf, Die Zukunft hat längst begonnen, «NZZ» vom 16.2.2007

Dienstag, 22. April 2008

Mann und Frau sind trotz "Gender" verschieden

Jeder setzt sich selbst die Grenzen
von Gerhard Amendt
21.04.2008 - 16.00 Uhr

Im Gegensatz zu Simone de Beauvoir gilt, dass man als Mann und als Frau geboren wird. Aber, und da hatte sie recht, sie werden auch dazu gemacht. Sigmund Freud hat aus dem Unterschied des anatomischen Geschlechts die psychischen Eigenschaften und sozialen Präferenzen von Mann und Frau im Detail verfolgt. Die kleinen Unterschiede symbolisierten Vielfältiges. Fortschritte in Medizin- und Naturwissenschaften haben weitere Unterschiede zum Vorschein gebracht, die sich hinter dem sichtbaren Unterschied verbergen. Dass Mann und Frau verschieden sind, bedarf der Betonung, weil der 68er-Bewegung der Versuch folgte, das Offenbare zu leugnen. Dabei war die Gleichmacherei gut gemeint und sollte Frauen ermutigen.

Deshalb durfte es keine Zeichen geben, die den Wunsch von Frauen nach gleichen Chancen und gleichem Erfolg im außerfamiliären Leben hätten entmutigen können. Weil es solche Zeichen aber gibt, durften sie immer nur außerhalb, niemals in den Frauen liegen. Ebenso sollten die Erfolge der Männer nicht von deren Geschlecht, sondern ebenso nur von äußeren Verhältnissen abhängig sein. Wie jeder weiß, reimte sich die Erklärung der äußeren Hindernisse bis zum heutigen Tag auf „patriarchalische Selbstbereicherung der Männer“ zulasten der Frauen.
Nun sind heute besonders gut ausgebildete Frauen mehr denn je von vielfältigen Begünstigungen umgeben. Jenseits ihrer eigenen Anstrengungen werden sie vielfältig gefördert und von Bevorzugungen umgarnt, von denen männliche wie weibliche Jugendliche aus den unteren Schichten heute und das alte Proletariat vor langen Zeiten nur hatten träumen können. Aber die größten Anstrengungen kommen von den Frauen doch meistens selber. Sie bewähren sich, wo immer sie es wollen, aber doch allzu oft in „Frauenfächern“ oder solchen mit dem Charakter von ausgelagerter Familienorientierung. Die Distanz zum Unerschlossenen, der Technik und den Naturwissenschaften ist weiterhin überwältigend und wird – trotz Girls’ Day und Ähnlichem – nur selten überbrückt. Die strikte Trennung von Beruf und Familie, die für Männer so charakteristisch wie schwierig ist, wenn sie von der Berufsrolle in die zu Hause täglich schlüpfen müssen, lässt sich für Frauen mit familienanaloger Erwerbstätigkeit mildern. Dazu gibt es kaum Forschung, denn die letzten 20 Jahre haben wir darauf verschwendet, Erlösungsfantasien zu verbreiten, wonach einmal Frauen an der Macht den Frieden auf Erden und Befreiung von allen Übeln uns bescheren werden.

Und jetzt treten Fragen nach den widersprüchlichen Interessen von Frauen im Arbeitsprozess von einem Tag zum anderen in den Vordergrund. Das Geraune von weiblichen Opfern und Zukurzgekommenen und seinem Gegenstück von männlichen Tätern und Kriegsgewinnlern im Geschlechterkampf scheint erstorben. Frauen beginnen sich zu fragen, warum ihre Erfolge begrenzt scheinen, und nicht mehr, welcher Mann sie am Erfolg gehindert und welche Institution ihnen ein Bein gestellt oder warum der Sozialstaat ihnen das Problem nicht schon längst aus dem Wege geräumt hat. Wie in guten Tagen der Frauenbewegung wird wieder gefragt, was hat es mit mir selber zu tun. Trotzdem wird die Frage nach der eigenen Verantwortung nur schrittweise der Suche nach Sündenböcken weichen. Je näher Frauen der feministischen Ideologie stehen, umso zäher suchen sie nach Sündenböcken. Daran wird sich so schnell nichts ändern, denn wir leben in einer Kultur, in der die Selbstverantwortung gegen den bevormundenden Versorgerstaat leidenschaftlich gern ausgespielt wird. 20 Jahre Propaganda für Frauen als Opfer braucht seine Zeit, um aus dem weiblichen wie männlichen Mentalitätsgewebe ausgeschieden zu werden.

Aber gleichzeitig beschwören wir den Individualismus, der jeden als Eigenanfertigung ausweisen soll, andererseits jedoch reden wir von Frauen wie von einem einförmigen Kollektiv, so als seien sie durch Sexualanatomie und andere Unabänderlichkeiten von der Individualisierung ausgeschlossen. Aber Frauen geht es nicht anders als Männern. Sie werden als Frau geboren, aber wie bei Männern wird ihr Leben von ihrer Klassenherkunft, dem Erziehungsstil ihrer Familie, ihrer Ausbildung, ihrem persönlichen Willen und kulturellen Einbettung hervorgebracht. Wer deshalb die Frau wie Natur behandelt, setzt sich dem Verdacht aus, deren Teilhabe am außerfamiliären Leben aus konkurrenzbegeisterten Stücken und schierer Lust an der außerhäuslichen Macht verleugnen zu wollen. Und wo die Frau Natur, ist auch der Mann nur Natur. Dann sind wir zur Romantik eines Friedrich Schlegel zurückgekehrt, der den Mann gesellschaftlich definierte. Aus der Frau jedoch eine neue symbolische Ordnung von Weiblichkeit und göttlicher Natur bilden wollte. Nur hat das, wie die Neuauflage durch Margarete Mitscherlich zeigte, weder Männer noch Frauen weitergebracht. Daraus sind pseudomoralische Überlegenheiten hervorgegangen, die ein Passstück zur feministischen Opfermentalität bilden. Die hat Männern unter der Hand allmächtige Verantwortung für die ganze Menschheitsgeschichte angedichtet. Denn je ohnmächtiger die Frauen gedacht werden, umso stärker treten die Männer hervor. Diese Wechselwirkung hat beide Geschlechter noch immer im Griff.

Weil Männer anders als Frauen sind, prüfen sie etwa ihr Studienfach darauf, ob es eine familiengründende Potenz enthält. Ertragsschwache Fächer nehmen sie intuitiv früh wahr und lassen sie links liegen. Frauen scheinen auf diese Männer zu bauen und passen sich ihnen an. Man kann deshalb von einer Entscheidung ohne viele Worte im Sinne traditioneller Arrangements zwischen Männern und Frauen sprechen. Frauen wählen die versorgungs- und zukunftsschwachen Fächer, weil sie sich auf versorgungsstarke und -willige Männer verlassen. Und von denen gibt es zahllose Varianten am Beziehungsmarkt. Diese verkappte Dynamik dürfte nicht wenige Frauen gerade mit hohem akademischem Niveau an familiären Orientierungen festhalten lassen.

Genaueres darüber zu wissen würde sich lohnen. Denn die erste lebensgestalterische Präferenz von mehr als 60 Prozent aller Frauen bleibt die Arbeit in der Familie, mit der die männliche außer Haus harmonisch sich ergänzt. Das könnte den mangelnden Biss der Frauen außer Haus erklären. Sie vermeiden unbearbeitetes Terrain, das nur mit abenteuerlicher Mentalität sich erobern lässt. Eben, was Männer eher mögen. Dort aber entstehen die kleinen und großen und vor allem die herausragenden Erfolge und die Zukunftsperspektiven. Aber nicht immer geht das gut aus. Unabdingbar gehört das Scheitern dazu. Das beschämt und macht Männer für Frauen weniger attraktiv. Aber solch narzisstischer Absturz gehört zum Alltag der Abenteurer. Erfolg macht Männer zwar begehrenswert, so wie Macht geil macht, und das bereits in kleinen Dosen. Nur, der Misserfolg zerstört das wieder ebenso schnell. Selbstwertverlust setzt dann ein, nicht erst beim großen Manager, sondern bereits sehr viel weiter unten. Männer sind narzisstisch extrem verletzlich, aber vielleicht sind Frauen es auf andere Weise. Vielleicht vermeiden sie solche Kränkungen, indem sie sich der scharfen Konkurrenz entziehen und stattdessen Berufe mit familienähnlichen Abläufen bevorzugen. Vielleicht ist die Arbeit in Kindergärten, Grundschulen, der Pädagogik, der Weiterbildung, der Psychotherapie deshalb anziehender für sie, wie die Funktion der Pressesprecherin, der Personalmanagerin reizvoller ist, oder der Talkmasterin, die keinen Streit in ihrem Wohnzimmer duldet (oder die Kunstgeschichte als Wissenschaft und zugleich Heimverschönerung, wenn „Brigitte“-Ratschläge zu farblos werden). Das sind Vermutungen, für die die ersten Bestätigungen aus der Forschung bereits verfügbar sind. Sie deuten die innere Gespaltenheit vieler Frauen gegenüber der außerhäuslichen Welt nur an. Nochmals anders stellt sich das in den unteren Schichten dar.

Das narzisstische Verletzungsrisiko, dem sich Männer mit abenteuerlichen Erschließungen von Berufsfeldern und gefühlter Alleinzuständigkeit fürs tägliche Brot aussetzen, wird gern übersehen. Einfach ist der Grund dafür. Ihre Welt wird idealistisch überhöht. Das fördert nicht nur Neid, weil alles so einfach scheint, sondern ebenso Fantasien von unbegrenzter Macht. Deshalb sind ihre Erfolge öffentlich, ihr Scheitern aber ist privat.

Selbst äußerst erfolgreiche Frauen sind anders. Kürzlich gratulierte ich einer brillanten Frau zu ihrer Beförderung bis kurz unter die „gläserne Decke“. Ich prophezeite ihr den CEO für die nahe Zukunft, worauf ich unverblümt hörte: „Ach, darauf bin ich gar nicht scharf!“ Das erinnert mich an eine amerikanische Arbeitsmarktexpertin, die in ihren Statistiken für New Yorks erfolgreiche Frauen eine erstaunliche Tendenz aufspürte. Deren Zahl sinkt, obwohl die Ostküste ein Hort einkommensstarker Frauen ist. Gründe dafür vermutete sie in der Kultur. Frauen möchten vielleicht nur das Erlebnis des Erfolges, um mit dem Wissen davon in die Familie zurückzukehren, weil ihnen das reicht. Aber es ist daran geknüpft, dass männliche Risikobereitschaft so zwanghaft fortgeführt wird wie bisher. Das bringt Männer in ein Dilemma. Wenn die Entschiedenheit der Frau nicht gesichert ist, wie sollen sie dann angstfrei mit alternativen, familiennahen Gedanken spielen? Alleinzuständigkeit schwebt über ihrem Haupt, und erst recht beherrscht sie ihre Seelen. Sie fühlen sich gezwungen zu tun, was ihre Väter taten. Für die Familie letztverantwortlich zu sorgen.

Aber was Männer und Frauen unterscheidet, zieht sie zugleich auch an. Wenn darüber ohne Klischees vom guten und vom bösen Geschlecht diskutiert würde, hätten Männer weniger Anlass, Misserfolge von Frauen als eigenes Verschulden zu erleben. Noch ist das aber Standard in unserer Kultur. Frei sind Frauen und Männer eigentlich erst, wenn sie aushandeln können, wer was tut, weil es dem einen lieber ist als dem anderen, obwohl beide es tun könnten, es ihnen aber unterschiedlich schwerfällt.

Montag, 21. April 2008

Das Antirassismusgesetz - Wächter der richtigen Gesinnung

Anti-Rassismus-Gesetz
Wächter der richtigen Gesinnung
Von Alex Baur

Was gut gemeint war, kommt nicht gut: Das Anti-Rassismus-Gesetz ist zu einem Instrument der Abstrafung politischer Gegner und ungewollter Meinungen geworden. Medien und Justiz spielen willig mit. Echte Rassisten trifft die Strafnorm kaum.

Am 7. Juni 2007 wurde Josef Kobler auf den lokalen Polizeiposten zitiert. Der Rentner, der sein Leben lang nie ein Problem mit der Justiz gehabt hatte, glaubte an ein Missverständnis, das sich klären würde. Erst als ihm ein Polizist seine Rechte vorlas («Sie können die Aussage verweigern, Ihre Aussagen können als Beweismittel gegen Sie verwendet werden, Sie können jederzeit eine Verteidigung bestellen»), begriff Kober, dass er ein ernsthaftes Problem hatte.

Nach Aufnahme der Personalien wollte der Verhörbeamte von Kobler wissen, wie er zum Islam stehe, was er von den Ausländern denke, wie er sich zur SVP stelle. Den Fragenkatalog hatte die Staatsanwaltschaft vorbereitet. Sodann las ihm der Polizist folgenden Satz vor: «Für seinen Hass ist man selber verantwortlich. In der Zivilisation zählt er zu den Todsünden, im Islam zum Programm.» Josef Kobler erinnerte sich schemenhaft: Ja, es sei möglich, dass er vor einem halben Jahr etwas Derartiges ins Internet-Diskussionsforum der SVP geschrieben habe, an dem er sich gelegentlich beteilige. Dass er sich strafbar machen könnte, weil er seine Meinung kundtat, wonach Hass beim Islam «zum Programm» gehört, wäre ihm nicht im Traum eingefallen. Doch wegen dieser Aussage ermittelte die Zürcher Staatsanwaltschaft acht Monate lang. Der Verdacht: Verstoss gegen Artikel 261bis StGB, besser bekannt als Anti-Rassismus-Gesetz (ARG).

Strafanzeigen ab Fliessband

Am 16. August 2007 wurde das Verfahren gegen Kobler eingestellt. Der Angeschuldigte habe sich «zwar durchaus muslimkritisch geäussert», tadelte Staatsanwalt Dr. iur. Thomas Brändli. Die vorgängige Relativierung – «für seinen Hass ist man selber verantwortlich» – bewahrte ihn vor einer Strafe. Immerhin, so kombinierte Brändli, habe Kobler auch den Muslimen einen freien Willen zugebilligt, eine rassistische Gesinnung sei mithin nicht nachzuweisen. Eine Entschädigung für seine Umtriebe erhielt Kobler trotzdem nie. Der Rentner reklamierte auch nicht, er war heilfroh, als die Affäre erledigt war.

Josef Kobler ist einer von mindestens sieben Besuchern des SVP-Internetforums, die sich im letzten Jahr mit einem Rassismus-Strafverfahren herumschlagen mussten. Einige von ihnen hatten sich auf Diskussionen mit einem angeblichen Muslim namens «Ahmed» eingelassen. Ob es sich dabei um einen Agent Provocateur handelte, der die politisch korrekte Gesinnung der Bürger testete, ist unklar. Klar ist bloss, dass hinter allen Strafanzeigen der Burgdorfer Rechtsanwalt und grüne Lokalpolitiker Daniel Kettiger steht. Kettiger erklärte auf Anfrage, insgesamt rund fünfzehn ARG-Anzeigen «im Auftrag von Mandanten» erstattet zu haben, die anonym bleiben möchten. Mehr wollte der Advokat, der als Spezialist für öffentliches Verwaltungsrecht sein Geld vor allem beim Staat verdient, nicht preisgeben.

Weniger Glück hatte Donato Mastroianni*. Ein derber Witz im SVP-Forum kam ihn teuer zu stehen. «Das Minarett ist ein Kamin. Es wird als Abzug der Flatulenzen benutzt, die Musels absondern, während sie auf dem Teppich herumkriechen. Das Minarett muss behandelt werden wie eine Sonderdeponie», hatte der 66-jährige Musiker geschrieben. Der Hintergrund: In einem baurechtlichen Entscheid war das Minarett mit einem Fabrikkamin gleichgesetzt worden.

Mastroianni wollte seine Zote um die «Flatulenzen», die in der Moschee übrigens eine nicht unerhebliche Rolle spielen (ein Gebet, das durch entweichende Blähungen gestört wird, muss integral wiederholt werden), satirisch verstanden wissen. Den Vorwurf der rassistischen Hetze wies der Musiker weit von sich. Doch die Zürcher Staatsanwaltschaft verstand keinen Spass. Im letzten Februar verurteilte sie Mastroianni – auch er war bislang unbescholten – zu einer Geldstrafe von 5500 Franken plus 900 Franken Verfahrenskosten. Der Musiker zahlte zähneknirschend. Eine Anfechtung des Urteils hätte selbst bei einem (ungewissen) Freispruch unter dem Strich erhebliche Kosten verursacht. Heute macht auch er einen Bogen um Diskussionsforen.

Staatsanwältin beurteilt Stilfragen

Die meisten von Kettiger angezettelten Rassismusverfahren wurden zwar eingestellt. Doch unangenehm ist eine Strafklage allemal. Zumal wenn der vermeintliche Wortsünder je nach Kanton von der Polizei wie ein Verbrecher erkennungsdienstlich erfasst wird (Abnahme von Fingerabdrücken, Foto fürs «Verbrecheralbum»). Dies widerfuhr Ida Dreyfuss* in Basel. Im Lauf des Verfahrens wurde sogar ihr Computer vorübergehend konfisziert.

«Der Koran ist ein Handbuch des Terrors, das den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt», hatte die 68-jährige jüdische Akademikerin, die sich selber als Feministin bezeichnet, ins Forum geschrieben. Und: «Den Protest dagegen als Hetze zu bezeichnen, gehört eben zu diesem System des Terrors, der keinen Widerspruch zu seinen totalitären Regeln duldet und Kritiker diffamiert und liquidiert, sobald er die Macht dazu hat.» Auf den Punkt gebracht: Dreyfuss bezeichnet den Islam als Religion, die Terror und Intoleranz in ihrem Fundament trage. Für die Basler Staatsanwältin Eva Eichenberger war dies Grund genug, ein Rassismus-Verfahren zu eröffnen.

Auch Ida Dreyfuss wurde einem Verhör zu ihrer politischen und ideologischen Gesinnung unterzogen. Zwar verzichtete die Staatsanwältin auf eine Bestrafung. Einerseits, so Eichenberger, sei es «zweifelhaft, ob eine zweimalige Verlautbarung in einem Diskussionsforum als Ideologie im Rechtssinne bezeichnet werden kann». Andererseits sei aus früheren Texten von Dreyfuss herauszulesen, dass sie eine Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus mache, mithin nicht die Religion an sich kritisiere. Die Untersuchungsrichterin beliess es bei einer Art mündlicher Rüge in der Einstellungsverfügung: «Die Angeschuldigte muss sich den Vorwurf gefallen lassen, ihrer Kritik durch eine unnötig drastische Wortwahl Ausdruck gegeben zu haben.»

Der Satz lässt aufhorchen: Staatsanwältin Eichenberger richtet nicht bloss über Recht und Unrecht – sie nimmt sich überdies die Befugnis heraus, über Fragen des Stils zu moralisieren. Diese Anmassung passt ins Bild einer Politjustiz, die zusehends hemmungslos nach ideologischer oder religiöser Gesinnung forscht. Dies wiederum liegt auch im Wesen des Rassismus-Paragrafen begründet, der diese bis anhin verpönte Komponente ins Strafrecht eingebracht hat. Entscheidend ist nämlich nicht nur, ob ein Spruch objektiv rassistisch wirkt, sondern ob er so gemeint ist. Der Richter muss von Amtes wegen nach dem Motiv fahnden. Und bei einem Meinungsäusserungsdelikt liegt dies naturgemäss in der Gesinnung.

Gemessen an den rassistischen Thesen, die im Internet problemlos und legal – die meisten Länder der Welt kennen nach wie vor keine Rassismus-Strafnorm – heruntergeladen werden können, muten die Sätze harmlos an, die Rechtsanwalt Kettiger der Justiz zur Zensur vorgelegt hat. Der Vorwurf der Hetze ist schon deshalb absurd, weil sie im Zuge kontroverser Debatten geäussert wurden. Es ist trotzdem kein Zufall, dass sich Kettiger (oder wer sich hinter ihm versteckt) just den SVP-Blog vorknöpfte. Denn die Anzeigen richten sich immer auch explizit gegen die Betreiberin des Internetforums, die nach Kettigers Meinung haftbar ist für die Voten ihrer Gäste.

Wie bei den meisten Blogs erfolgten die Wortmeldungen anonym. Die Verzeigten hatten sich zuvor aber meist mit ihrem richtigen Namen und Mail-Adresse registriert. So war es ein Leichtes, die Urheber zu identifizieren. Die SVP spielte mit und gab die Adressen der Verdächtigten auf richterlichen Befehl heraus.

Wie Roman Jäggi, der für den Blog zuständige Administrator, erklärte, wollte sich die SVP nicht auf einen Rechtshändel einlassen. Der Aufwand wäre zu gross gewesen. Man fürchtete sich auch davor, umgehend als Komplizin von Rassisten angeprangert zu werden. Allerdings habe man sich schon überlegt, das Forum auf einen Server im Ausland zu verlegen, um den lästigen ARG-Anzeigen auszuweichen. In den USA etwa würde die Justiz einer Herausgabe der Adressen von politisch unkorrekten Blog-Usern niemals zustimmen.

Seit Jahren machen sich linke Politiker einen Sport daraus, der Volkspartei und ihren Exponenten über ARG-klagen den Ruch krimineller Machenschaften oder zumindest ein Rassisten-Etikett anzuhängen. So verfasste Rechtsanwalt Kettiger bereits im Herbst 2004 eine Strafanzeige gegen Mitglieder eines Komitees, das die damals aktuelle Vorlage zur erleichterten Einbürgerung bekämpfte. In einem Inserat rechnete das Komitee vor, dass die Muslime, wenn sie sich im bisherigen Mass vermehrten, in zwanzig Jahren die Mehrheit der Schweizer stellen würden.

Viele Journalisten berichteten damals über die Strafanzeige und rückten die Person von Nationalrat Ulrich Schlüer (SVP) in den Mittelpunkt. Schlüer erfuhr erst über die Presse von der Anzeige. Die Identität des Anzeige-Erstatters Kettiger wurde dagegen verheimlicht. Der Blick erklärte, warum: «Der Berner Anwalt will namentlich nicht genannt werden, da er keine Angriffe von ‹rechtsextremer Seite› riskieren wolle.» Damit wurde Schlüer auch noch gleich eine Nähe zu Gewalttätern angedichtet. Als die Zürcher Staatsanwaltschaft ein Jahr später feststellte, die Hochrechnung sei nicht rassistisch, kümmerte sich kein Mensch mehr darum. Die Abstimmung war vorbei.

Als das Anti-Rassismus-Gesetz 1994 dem Souverän vorgelegt wurde, pries der Bundesrat die Vorlage als Waffe gegen Neonazis und Schoah-Leugner an. Die freie Meinungsäusserung, so wurde dem Volk vorgegaukelt, werde dadurch nicht tangiert. Als Beispiel wurde immer wieder der unbedachte Stammtisch-Spruch bemüht, der nicht vom Gesetz tangiert werde. Zwölf Jahre nach der Einführung des ARG straft die Realität alle Versprechungen Lügen.

Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) hat 431 ARG-Urteile zusammengetragen, die seit der Einführung der Strafnorm gefällt wurden. Die Zahl der Prozesse gegen Neonazis lässt sich an einer Hand abzählen. In den allermeisten Fällen urteilten die Richter über allenfalls geschmacklose, aber harmlose Äusserungen – oder über gezielte Attacken gegen politische Gegner.

Rund die Hälfte der Anti-Rassismus-Verfahren wurde eingestellt, ohne dass es zu einer Anklage kam. Von den Angeklagten wurden zwanzig Prozent freigesprochen. Fast zwei Drittel der Anzeigen waren mithin unbegründet. Verurteilungen werden nur selten angefochten, das Bundesgericht hatte bislang über lediglich 24 ARG-Fälle zu entscheiden. Offenbar ziehen es die Verurteilten vor, die Busse zu zahlen und die Faust im Sack zu machen.

Die Statistik entlarvt die Strafnorm als Instrument der Zensur. Nicht die Verurteilung von Straftätern steht im Vordergrund. Das Verfahren an sich und die damit verbundenen Schikanen erfüllen, unbesehen von der Schuldfrage, den erzieherischen Zweck vollauf: Jedermann soll sich genau überlegen, was er sagt – und im Zweifelsfall schweigen. Denn nicht die Strafe und nicht die Einsicht, sondern die Selbstzensur ist das Endziel jeder Zensur.

Willkür zwecks Volkserziehung

Zur Verunsicherung trägt auch die Widersprüchlichkeit der ARG-Urteile bei. Der englische Begriff «Nigger» etwa ist verboten, das deutsche Pendant «Neger» (vorläufig noch) erlaubt. «Scheiss-Schweizer» darf in Zürich (anders als im Kanton Zug) nicht gesagt werden, die Aussage «Ich traue grundsätzlich keinem Schweizer» (geäussert von einem jüdischen Mitarbeiter der Bergier-Kommission) dagegen wird toleriert. Das heisst aber nicht, dass dieselbe Aussage über Muslime straffrei wäre. Jeder Fall ist für sich zu beurteilen, eine klare Linie ist nirgends erkennbar.

Die Willkür bei der Anwendung des Zensurparagrafen illustrieren zwei Strafanzeigen, die Anwalt Daniel Kettiger während eines lokalen Wahlkampfs im Sommer 2005 gegen die Grenchner SVP-Politiker Heinz Müller und Gabriela Rauber lancierte. Die beiden hatten in fast identischen Verlautbarungen behauptet, Kosovo-Albaner würden zu einer erhöhten Gewaltbereitschaft neigen.

Die Solothurner Staatsanwaltschaft bestrafte die beiden Grenchner Politiker für diese Aussage mit je 200 Franken Busse (die SP forderte sie daraufhin zum Rücktritt auf). Die Verurteilten fochten das Urteil an. Das Amtsgericht sprach Heinz Müller frei. Er hatte gesagt: «Kosovo-Albaner legen eine Gewaltbereitschaft an den Tag, die uns fremd ist.» Gabriela Rauber dagegen hatte geäussert: «Die Kosovo-Albaner nehmen sich nicht die Mühe, sich anzupassen, sie wollen uns ihre Gewaltbereitschaft aufzwingen.» Das war nach Ansicht derselben Richter zu «krass» formuliert und deshalb mit 500 Franken zu büssen. Vor Obergericht wurde später auch Gabriela Rauber freigesprochen.

Rechtsanwalt Roland Bühler, der die beiden SVP-Politiker verteidigte, schätzt die Verfahrenskosten auf total 30000 Franken. Die Entschädigung von 10000 Franken, die ihm aus der Staatskasse zugesprochen wurde, deckt seinen Aufwand nur teilweise. Hätte sich Bühler nicht bereit erklärt, für Rauber einen reduzierten Tarif anzuwenden, hätte sie die Busse akzeptiert – obwohl sie, wie sich später herausstellte, unschuldig war. Für ihre politischen Gegner war die Strafanzeige gleichwohl ein voller Erfolg. Gabriela Rauber ist mittlerweile als Präsidentin der SVP Grenchen zurückgetreten. Nach dem Prozess hatte sie die Nase voll von der Politik.

*Namen aus den Prozessakten von der Redaktion geändert

Volkssouveränität statt Behördenpropaganda

«Volkssouveränität statt Behördenpropaganda» soll PR-Lawine des Bundes eindämmen

Eidgenössische Volksinitiative
von Dr. phil. Judith Barben, Psychologin

Am 1. Juni werden Volk und Stände über die eidgenössische Volksinitiative «Volkssouveränität statt Behördenpropaganda» abstimmen. Die Initiative fordert, dass der Bundesrat sich wieder an geltendes Recht und direktdemokratische Grundsätze hält und die Bürger objektiv und neutral über Abstimmungsvorlagen informiert.
Früher hielt sich der Bundesrat weitgehend an seine verfassungsmässige Neutralitätsverpflichtung und überliess den Abstimmungskampf dem freien Austausch der Standpunkte und Meinungen unter den Stimmberechtigten und Interessengruppen. Ordnungsgemäss orientierte er nach Abschluss der parlamentarischen Beratungen die Öffentlichkeit über die Abstimmungsvorlagen und versandte das «Abstimmungsbüchlein», in welchem er den Stimmberechtigten die Vorlagen erläuterte.
Doch seit einiger Zeit kümmert sich unsere oberste Exekutive kaum noch um diese direktdemokratischen Grundregeln. Mit zunehmender Unverfrorenheit führen der Bundesrat und seine Ämter mit Hilfe von Werbe- und Kommunikationsagenturen regelrechte Abstimmungskampagnen. Ausgefeilte Strategien und Methoden dienen dazu, unpopuläre «Reformpakete» wie die Privatisierung von Post und Nationalstrassen, die Entmachtung der Kantone oder die Abschaffung der freien Arztwahl «am Volk vorbei» zu schmuggeln.
Ungebremste PR-Lawine des Bundes?

Diese Propagandatätigkeit des Bundesrates hat solche Ausmasse angenommen, dass auch die «Neue Zürcher Zeitung» am 23. April 2004 von einer «ungebremsten PR-Lawine des Bundes» spricht und der «Tages-Anzeiger» das Bundeshaus die «grösste PR-Agentur der Schweiz» nennt (26. April 2001). Auch Facts stellt fest: «Was sich in den angelsächsischen Ländern unter dem Spottnamen Spin doctors längst in der Politik eingenistet hat, greift zunehmend auch in die eidgenössische Politmaschinerie ein. Spin doctors […] sind Bestandteil des immens gewachsenen Informationsapparates des Bundes» geworden (24. Dezember 1996). Die Volksinitiative ist also von grosser Bedeutung.
Nicht nur die Stimmberechtigten, sondern auch das Parlament wird mit Public-Relations- und Spin-doctor-Methoden manipuliert und in seiner Meinungsbildung gelenkt. Ein Beispiel ist der Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) an die private Zürcher Public-Relations-Agentur Richterich & Partner. Das Werbebüro sollte dem BAG helfen, noch vor der Behandlung im Parlament (!) gegen die eidgenössische Volksinitiative «Ja zur Komplementärmedizin» Stimmung zu machen. Die Initiative war im September 2005 eingereicht worden und Bundesrat Couchepin befürchtete, sie könnte angenommen werden. Um dies zu verhindern, wurde heimlich ein «Kommunikations»-Budget von 300 000 Franken eingesetzt und der Werbeagentur der genannte Auftrag erteilt. «Eine professionelle Begleitung des Projekts im Bereich Kommunikation (war) unabdingbar», rechtfertigte sich das Bundesamt, denn das Thema Komplementärmedizin sei heikel.
Als Dank die Kündigung

Als das skandalöse Vorgehen bekannt wurde, stoppte das BAG den PR-Auftrag. Bundesrat Couchepin behauptete, er habe von allem nichts gewusst, ausserdem hätte es sich nur um 30 000 Franken gehandelt. Doch schon am nächsten Tag musste BAG-Direktor Thomas Zeltner zugeben, dass es doch 300 000 Franken gewesen waren («Tages-Anzeiger» vom 26. Juni 2006). Die Ständerätliche Geschäftsprüfungskommission rügte das Bundesamt, es sei «in einem ganz sensiblen Bereich, nämlich dem Einsatz von Steuergeldern im Vorfeld eines Abstimmungskampfes, zuweit gegangen». Die Mitarbeiterin, die das verfassungswidrige Vorgehen aufgedeckt hatte, meinte empört: «Das Volk hat ein Recht zu wissen, was mit seinen Steuergeldern passiert.» Als Quittung erhielt sie die Kündigung. So sind die Zustände in Bundesbern.
Auch die Staatspolitische Kommission des Nationalrates zeigte sich am 17. November 2006 befremdet darüber, wie anmassend sich der Bundesrat über die Verfassung und das Parlament hinwegsetzt. Die Kommission erklärte in ihrer Medienmitteilung vom 17. November 2006: «Mit grossem Erstaunen nahm die Kommission davon Kenntnis, dass sich der Bundesrat vorbehalten will, in Zukunft auch eine von der Parlamentsmehrheit abweichende Abstimmungsempfehlung abzugeben. […] Es ist mit der schweizerischen Demokratiekonzeption unverträglich, dass die Exekutive sich ‹à la de Gaulle› unter Umgehung der gewählten Volksvertretung direkt an das Volk wendet […]. Um so notwendiger ist es, bei dieser Gelegenheit die geltende Verfassungsordnung in Erinnerung zu rufen.»
Die Initiative verlangt nicht mehr als die Einhaltung der Verfassung

Die Volksinitiative «Volkssouveränität statt Behördenpropaganda» greift somit ein dringendes Erfordernis der Zeit auf, indem sie den Bundesrat auf seine verfassungsmässige Rolle bei Abstimmungen verpflichtet. Denn schon heute gilt laut Bundesverfassung: «Die Garantie der politischen Rechte schützt die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimm­abgabe.» (Art. 34 Abs. 2 bisher). Das Bundesgericht legt diesen Verfassungsartikel wie folgt aus: «Die Freiheit der Meinungsbildung schliesst grundsätzlich jede direkte Einfluss­nahme der Behörden aus, welche geeignet wäre, die freie Willensbildung der Stimmbürger im Vorfeld von Wahlen und Abstimmungen zu verfälschen.» (BGE 114 1a 427). Zudem ist laut Bundesgericht jede «Irreführung des Stimmberechtigten» oder «behördliche Propaganda» verboten.* Da es aber bisher keinen Rechtsweg gibt, diesen Anspruch auch auf Bundesebene durchzusetzen, ergänzt und verdeutlicht die Volksinitiative den geltenden Verfassungstext (siehe Kasten).
Die Initiative verhindert, dass unser direkt-demokratisches Staatswesen schleichend demontiert wird. Die überwiegende Mehrzahl der Schweizer Stimmberechtigten steht zum Modell der direkten Demokratie und will ihm Sorge tragen. Deshalb wird die Initiative «Volkssouveränität statt Behördenpropaganda von so vielen begrüsst und unterstützt. •

* Schweizerische Bundesverfassung, Europäische Menschenrechtskonvention, Uno-Menschenrechtspakte. Herausgegeben und erläutert von Prof. Dr. iur. Ivo Schwander, Universität St. Gallen 1999, S. 127.
Initiativtext

Eidgenössische Volksinitiative «Volkssouveränität statt Behördenpropaganda»

(Bestehend) Art. 34 Abs. 2
Die Garantie der politischen Rechte schützt die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe.
Die Volksinitiative lautet:
Die Bundesverfassung vom 18. April 1999 wird wie folgt geändert:

(Neu) Art. 34 Abs. 3 (neu) und 4
Mit Abschluss der parlamentarischen Beratungen werden die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe insbesondere wie folgt garantiert:
a. Der Bundesrat, die Angehörigen des obersten Kaders der Bundesverwaltung und die Bundesämter enthalten sich der Informations- und Propagandatätigkeit. Sie enthalten sich insbesondere der Medienauftritte sowie der Teilnahme an Informations- und Abstimmungsveranstaltungen. Davon ausgenommen ist eine einmalige kurze Information an die Bevölkerung durch die Vorsteherin oder den Vorsteher des zuständigen Departements.
b. Der Bund enthält sich jeder Finanzierung, Durchführung und Unterstützung von Informationskampagnen und Abstimmungspropaganda sowie der Produktion, Publikation und Finanzierung von Informations- und Propagandamaterial. Davon ausgenommen ist eine sachliche Broschüre mit den Erläuterungen des Bundesrates an die Stimmberechtigten. Darin sind die befürwortenden und ablehnenden Argumente ausgewogen zu berücksichtigen.
c. Der Abstimmungstermin wird mindestens sechs Monate im voraus publiziert.
d. Den Stimmberechtigten werden die Abstimmungsvorlagen zusammen mit dem geltenden Text unentgeltlich zur Verfügung gestellt.
Abs. 4 Das Gesetz ordnet innert zwei Jahren Sanktionen bei Verletzung der politischen Rechte an.

Sonntag, 20. April 2008

Vom Globalismus zum System-Kollaps

Grübel: «Scharf am System-Kollaps vorbeigeschlittert»

Zürich - Der frühere Chef der Credit Suisse vergleicht die gegenwärtige Finanzkrise mit der Kuba-Krise von 1962. Wie die Welt damals «haarscharf an einem Atomkrieg vorbeigegangen» sei, sei sie nun «haarscharf an einem System-Kollaps vorbeigeschlittert».

smw / Quelle: sda / Sonntag, 20. April 2008 / 11:17 h

«Eine Bank reicht, um das ganze System zum Stillstand zu bringen», sagte Oswald J. Grübel in einem Interview mit dem «SonntagsBlick». Er verwies auf den Notverkauf von Bear Stearns an JP Morgan: Bei einem Zusammenbruch der US-Investmentbank wäre die Situation ausser Kontrolle geraten. Das Bankgeschäft wäre gelähmt gewesen. In jener März-Woche, als JP Morgen mit Hilfe der US-Notenbank Fed die am Abgrund stehende Bear Stearns übernommen habe, sei die Situation am gefährlichsten gewesen. Die Notenbanken hätten «zum Glück» erkannt, dass sie «den Interbankmarkt ersetzen müssen, weil sich die Banken untereinander nicht mehr vertrauten», so Grübel. Der 64-Jährige rechnet mit nachhaltigen Folgen der Finanzkrise, insbesondere mit einer strengeren Kreditvergabe: «In Zukunft werden die Banken weltweit viel weniger Kredit gewähren. Dabei geht es um Billionen. Das wird das Wirtschaftswachstum in den nächsten Jahren überwall gewaltig bremsen.» Zentralbanken und Aufsichtsbehörden müssten die Lehren aus der Krise ziehen. Die Behörden benötigten Mittel, um Spezialisten zu beschäftigen, die die Märkte besser verstehen. «Es kann doch nicht sein, dass keiner merkt, wenn einzelne Banken Risiken eingehen, mit denen sie beinahe ihr ganzes Kapital aufs Spiel setzen», so Grübel.

Donnerstag, 17. April 2008

Eveline Widmer-Schlumpf und die Medien

Medien
Szenen einer harmonischen Beziehung

Von Philipp Gut und Andreas Kunz

Wie kritisch und objektiv berichten die Medien über Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf? Die Widersprüche ihrer Wahl werden beschwiegen, unangenehme Fragen vermieden. Selten war die politische Einseitigkeit der Branche offenkundiger.

Die Pressekonferenz von Eveline Widmer-Schlumpf am vergangenen Freitag war ein Ereignis. Bemerkenswert war nicht, was die fraktionslose SVP-Bundesrätin sagte, sondern was sie nicht sagte – und worüber sie nicht gefragt wurde. Die Szene hatte etwas Irreales: Obwohl der grosse Andrang und die Gespräche unter den Journalisten keinen Zweifel offenliessen, was das brennende Thema sei, hielten sich die Pressevertreter an die Vorgabe des bundesrätlichen Mediensprechers, nur über «Sachthemen» zu reden. Aussen vor blieb die Frage, die die Schweiz derzeit umtreibt: diejenige nach den dubiosen Umständen der Wahl und dem Verhältnis der Bundesrätin zu ihrer Partei – hinter deren Rücken sie sich von den politischen Gegnern ins Amt hieven liess.

Diese neue Form der Hofberichterstattung führte dazu, dass praktisch keine kritischen Fragen gestellt wurden. «Ihr habt den Gottesdienst gestört», sagte nach der Pressekonferenz ein Reporter ironisch. Zu den merkwürdigen Vorkommnissen dieses «Gottesdienstes» gehörte die offenkundige Sympathie für Widmer-Schlumpf – selbst wenn sie Positionen vertrat, für die ihr ausgebooteter Vorgänger Christoph Blocher mit Pech und Schwefel übergossen worden war. Als die Bundesrätin die «Sippenhaft» für die Angehörigen schwerkrimineller jugendlicher Straftäter verteidigte, nickte die fragende Journalistin bei jedem Satz, auf dem Gesicht ein verzücktes Lächeln.

Die seltsamen Rituale dieser Pressekonferenz sind symptomatisch für den Zustand des Schweizer Journalismus. Die nach wie vor bestehenden Ungereimtheiten rund um die Wahl von Widmer-Schlumpf werden verschwiegen. Aus politischen Motiven – der verbreiteten Abneigung gegen die SVP – verzichtet die Branche auf spannende und relevante Geschichten.

Einzig die Sonntagszeitung zeigte mit einem spannenden Blick in das Medienarchiv, wie parteiisch die aktuelle Berichterstattung über die SVP ist. Dieselben Journalisten und Zeitungen, die heute die SVP für ihre Sanktion der abtrünnigen Bundesrätin geisseln, forderten 1993 von der SP ein unbarmherziges Vorgehen in einem ganz ähnlichen Fall. Damals, am 3. März 1993, wählte die Bundesversammlung nicht die offizielle SP-Kandidatin Christiane Brunner, sondern Francis Matthey (der Neuenburger lehnte die Wahl schliesslich auf massiven Druck seiner Partei ab, in den Bundesrat zog Ruth Dreifuss ein). Mattheys Situation entsprach exakt derjenigen von Widmer-Schlumpf: Beide sind von den politischen Gegnern und gegen den Willen der eigenen Partei gewählt worden.

In einem Kommentar in der Sonntagszeitung monierte Roger de Weck kürzlich, die SVP habe «nichts Wichtigeres zu tun, als eine tadellos arbeitende Bundesrätin zur Demission aufzufordern und im Stil und Ton kommunistischer Parteien mit nicht ganz linientreuen Mitgliedern abzurechnen». Der Anspruch der SVP, ihr genehme Bundesräte zu stellen, ziele auf «Parteienherrschaft».

Abenteuerliche Beweisführungen

1993 schrieb der flexible Meinungsmacher de Weck, damals Chefredaktor beim Tages-Anzeiger, mit ähnlicher Wucht das Gegenteil: Der von den SP-Gegnern gewählte Matthey dürfe «die Wahl nicht annehmen»: «Eine Partei, die sich dermassen malträtieren liesse, gehört nicht mehr in den Bundesrat.» Die SVP fand das im letzten Herbst auch, aber offensichtlich gelten für sie andere Massstäbe. Dass sie sich nicht «malträtieren» lässt, macht sie für de Weck zur «schlechten Verliererin».

In der Tribune de Genève konnte man vor 15 Jahren lesen, die «classe politique» verliere jede Glaubwürdigkeit, wenn sie nicht die offizielle SP-Kandidatin wähle. Es sei traurig, schrieb der Nouveau Quotidien, wie sich Sprengkandidat Matthey für das «Manöver» hergegeben habe. Wenn er die Würde seiner Partei bewahren wolle, müsse er sich zurückziehen. SP-Parteipräsident Hubacher liess im Sonntagsblick verlauten, die Partei werde «dieses Diktat nicht annehmen». Falls Matthey sich widersetze, sei er «nicht mehr offizieller SP-Bundesrat». Ebenso zahlreich waren die Stimmen, die der SP den Gang in die «Opposition» empfahlen, falls die offizielle Kandidatin scheitere.

Ganz anders sah es schon damals die Weltwoche. Bundeshausredaktor Urs Paul Engeler schrieb ein flammendes Plädoyer für die offizielle SP-Kandidatin Brunner. Der Entscheid der bürgerlichen Mehrheit sei eine «schallende Ohrfeige für das Volk» und kompromittiere «die Zukunft unseres Regierungssystems».

Die Einschätzung hat Bestand, und sie ist heute so aktuell wie damals. Wer nicht mit zwei Ellen misst, muss bei den Bundesratswahlen 2007 zu denselben Resultaten kommen wie 1993.

Doch dies ist nicht der Fall. Wie schief die Lage der Schlumpf-Akklamatoren ist, zeigte das Medienereignis des Wochenendes: die -Demonstration am vergangenen Freitag auf dem Bundesplatz. Die Rede war von «Zerstörung der politischen Kultur» oder «fehlendem Respekt vor den politischen Institutionen» vonseiten der SVP. Die Medien, die von «Hetzjagd», «Trommelfeuer» oder «Geiselhaft für Widmer-Schlumpf» sprachen, schaufelten über das Wochenende seitenweise Platz frei für die abstrusesten Nazi-Vergleiche.

Kein einziger Journalist interessierte sich in den zahlreichen Interviews mit Widmer-Schlumpf für die offenen Fragen und Widersprüche. Dafür durfte die neue Volksheldin ausführlich die «absurde Verschwörungsthese» des Dok-Films des Schweizer Fernsehens beklagen. Den Autor des Films rückte die NZZ am Sonntag mit einer abenteuerlichen Beweisführung in die Nähe «rechtsbürgerlichen» Gedankenguts (die Höchststrafe im medialen Mainstream), machte ihn verantwortlich für die «Hetze gegen Widmer-Schlumpf» und mokierte sich, dass er «jetzt den Unschuldigen mimt».

Doch bis heute bestehen massive Widersprüche in drei entscheidenden Punkten. Erstens: Warum waren die politischen Gegner der SVP sicher, dass Widmer-Schlumpf die Wahl annehmen würde, wenn doch die Bundesrätin beteuert, nie eine Zusage gemacht zu haben?

CVP-Präsident Christoph Darbellay sprach im Dok-Film von «soliden Garantien» für die Annahme der Wahl, und im gleichen Anflug von Eitelkeit machte SP-Fraktionschefin Ursula Wyss klar, dass sie über die Absichten von Widmer-Schlumpf besser informiert gewesen war als SVP-Parteipräsident Ueli Maurer. Als dieser am Abend vor der Wahl Eveline Widmer-Schlumpf anrief, sagte sie ihm, er müsse «überhaupt keine Angst haben, dass sie so eine Wahl annehmen würde».

Offensichtlich getäuscht

Am selben Abend wusste SP-Fraktionschefin Wyss von diesem Telefonat. Das lässt nur den Schluss zu, dass Widmer-Schlumpf die SP-Strategen, die mit Blochers Abwahl der SVP Schaden zufügen wollten, umgehend benachrichtigte. Offensichtlich täuschte Widmer-Schlumpf ihren eigenen Parteipräsidenten, während sie mit dem politischen Gegner kooperierte. Dies belegt eine Aussage von Drahtzieher Andrea Hämmerle in einem Interview mit dem österreichischen Magazin Der Standard. Auf die Frage, ob es schwer gewesen sei, Widmer-Schlumpf zur Wahl zu überreden, sagte der SP-Nationalrat: «Ich habe sie nicht überreden müssen, sondern ihr lediglich vorgeschlagen, zu kandidieren. Sie hat sich selbst entschlossen, es zu versuchen.» Diesen Entschluss stellte Widmer-Schlumpf gegenüber ihrem Parteipräsidenten Ueli Maurer in Abrede. Auch Toni Brunner und Christoph Mörgeli sagte sie gemäss «Rundschau» des Schweizer Fernsehens, «sie werde das nicht annehmen, es komme für sie nicht in Frage, Bundesrätin zu sein».

Der zweite Widerspruch: Wie konnte Widmer-Schlumpf davon ausgehen, dass sie die einzige fraktionslose SVP-Vertreterin im Bundesrat sein würde, wo doch Samuel Schmid dieselbe Sanktion drohte? Widmer-Schlumpf erzählte, sie sei am Wahltag in Schmids Büro gegangen und habe überraschend erfahren, dass Schmid aus der Fraktion ausgeschlossen worden sei. In der Südostschweiz sagte sie am 16. Dezember 2007: «Ich dachte, nur ich wäre fraktionslos. So ergab sich eine neue Ausgangssituation. Es wäre unmöglich gewesen, wenn von zwei SVP-Bundesräten nur einer zur Fraktion gehört hätte. Insofern hat Samuel Schmid meinen Entscheid beeinflusst.»

Tatsache ist, dass seit Monaten der Entscheid der SVP für den nun eingetretenen Fall einer Abwahl Blochers vorlag, auch Schmid aus der Fraktion auszuschliessen. Zudem wurde Widmer-Schlumpf einige Tage vor der Wahl noch einmal schriftlich über die Beschlüsse der Partei informiert.

Der dritte Widerspruch: Widmer-Schlumpf und Hämmerle sprechen von einer unterschiedlichen Anzahl von Kontakten, die sich überdies stetig vergrössert hat.

Zuerst berichtete die Bundesrätin von je einem persönlichen Treffen, einem kurzen Telefongespräch und einem SMS von Hämmerle. Dieser hingegen erwähnte in einem Interview mit der NZZ am Sonntag fünf Kontakte.

Widmer-Schlumpf hätte die Möglichkeit gehabt, auf dem «heissen Stuhl» der «Rundschau» beim Autor des Dok-Films Klarheit zu schaffen. Stattdessen wich sie der Auseinandersetzung aus und ging zum Tessiner Fernsehen, wo sie ohne kritische Gegenfrage über ihre angebliche Unschuld und ihren Durchhaltewillen referieren durfte. Doch auch hierbei verstrickte sie sich weiter. Sie erwähnte ein zusätzliches, bisher unbekanntes Telefonat mit Hämmerle am Dienstagabend vor der Wahl. Überdies unterstellte sie Parteipräsident Maurer, er habe zwei Gespräche mit ihr verschwiegen. Auch dies stimmt nachweislich nicht: Im SF-Dokumentarfilm redet Maurer von beiden.

Das Fazit bleibt unbefriedigend. Aus dem Labyrinth von Falschaussagen, mit denen sie Parteikollegen und Öffentlichkeit täuschte, hat die Bundesrätin bis heute keinen Ausgang gefunden. Angesichts der fortgesetzten Unwahrheiten und des Umstands, dass sei ihre eigene Partei getäuscht hat, ist es eine der grossen Ironien der Saison, wenn Widmer-Schlumpf derzeit als Schutzheilige des «Anstandes» und der «politischen Kultur» angerufen wird. Die medialen Sympathien sind klar und unverrückbar verteilt. Heilige Einfalt.

Whistleblower leben gefährlich

Arbeitsplatz
Wer Courage zeigt, gilt oft als Verräter

Text: David Lier
Bild: Martin Guggisberg

Ein Mitarbeiter eines Jugendheims meldet Gesetzesverstösse seines Vorgesetzten. Dieser kommt ungeschoren davon, der angebliche Nestbeschmutzer hingegen wird rausgeekelt: In der Schweiz leider kein Einzelfall, sondern die Regel.
In diesem Zürcher Jugendheim kam es zu Gesetzesverstössen.
Wer Missstände in seinem Arbeitsumfeld aufdeckt, setzt sich hierzulande einigem Risiko aus: Die sogenannten Whistleblower, zu Deutsch Hinweisgeber, müssen mit Schikanen bis hin zur Entlassung rechnen. Gesetzliche Regelungen, die einen wirksamen Schutz garantieren, fehlen in der Schweiz - im Gegensatz zu den USA oder Grossbritannien - praktisch vollständig.

Markus Kuster (Name geändert) musste das am eigenen Leib erfahren. Er war Leiter einer Autowerkstatt in einem Heim der Stiftung Zürcher Kinder- und Jugendheime (ZKJ), wo straffällige Jugendliche eine Berufsausbildung machen können. Im Dezember 2005 meldete Markus Kuster dem ZKJ-Geschäftsführer Franz Schaub (Name geändert), dass der Heimleiter in der Ausbildungswerkstatt Privatautos schwarz reparieren lässt. Seit er und sein Mitarbeiter den Heimleiter darauf angesprochen hätten und sich weigerten mitzumachen, würden sie von der Heimleitung «systematisch gemobbt».

Geschäftsführer Schaub beauftragte in der Folge einen externen Rechtsanwalt mit einer Untersuchung. Ergebnis: Der Stiftungsrat erstattete im Februar 2006 Strafanzeige gegen den Heimleiter wegen Betrugs, Anstiftung zur Urkundenfälschung und ungetreuer Geschäftsführung.

Trotz der Anzeige blieb der Heimleiter im Amt - und holte zum Gegenangriff aus. Im März 2006 unterzeichnete er einen Verweis gegen den Mitarbeiter, der zusammen mit Markus Kuster die Strafanzeige gegen ihn ins Rollen gebracht hatte. Vier Monate später wurde derselbe Mitarbeiter vom Geschäftsführer entlassen. Kuster selber erhielt im Juli 2006 - nach sieben Jahren tadelloser Arbeit und einem ausgezeichneten Zwischenzeugnis - unter Androhung «weiterer arbeitsrechtlicher Massnahmen» aus heiterem Himmel einen Verweis.

Schweigen ist Gold
Dass bei betriebsinternen Missständen die Überbringer der Nachricht als Sündenböcke herhalten müssen, ist ein durchaus typischer Reflex. Gemäss Transparency International Schweiz, einer Organisation mit Sitz in Bern, die sich für die Einhaltung von Grundsätzen und Regelungen im Kampf gegen Korruption einsetzt, zeigen Beispiele aus der Praxis, dass Whistleblower oft als Nestbeschmutzer abgestempelt, entlassen und beruflich ruiniert werden. Dies obwohl die Hinweisgeber in den meisten Fällen im langfristigen Interesse einer breiten Öffentlichkeit und auch ihres eigenen Arbeitgebers handeln.

Whistleblowing ist häufig der einzige Weg, um illegale Praktiken aufzudecken, und gilt deshalb als präventives Mittel im Kampf gegen Korruption. Laut Transparency wage es aus Angst vor Repressalien aber nur etwa die Hälfte jener Mitarbeiter, die in ihrem Betrieb Unregelmässigkeiten entdecken, ihre Beobachtungen zu melden. Das kommt nicht von ungefähr: Eine US-amerikanische Studie hat 223 Whistleblowing-Fälle untersucht. Ergebnis: 90 Prozent der Whistleblower verloren ihre Stelle, 26 Prozent mussten sich aufgrund erlittener Schikanen gar in ärztliche Behandlung begeben.

Auch Markus Kuster wurde psychisch krank und musste sich behandeln lassen. Im August 2006 wandte er sich an die Präsidentin des ZKJ-Stiftungsrats, Monika Weber, ehemalige Zürcher Stadträtin, und beklagte, das Mobbing gegen ihn habe sich angesichts der Verweise und der Entlassung seines Mitarbeiters verschärft. Ohne Erfolg - im Gegenteil: Einen Monat später stellte ihn Geschäftsführer Schaub von der Arbeit frei und legte ihm die Kündigung nahe. Daniel Krapf, damals Präsident der Personalkommission, protestierte heftig: «Wir stören uns enorm daran, dass die beiden Personen, die die Zivilcourage hatten, Missstände im Jugendheim transparent zu machen, dafür bestraft werden und massivem Mobbing ausgesetzt sind.»

Der Protest verpuffte wirkungslos. Aufgrund seiner schlechten psychischen Verfassung löste Markus Kuster sein Arbeitsverhältnis per Ende November 2006 auf. Zwei Monate später verkündete Franz Schaub, die Staatsanwaltschaft habe die Strafanzeige gegen den Heimleiter fallengelassen. Die Gründe sind Kuster und seinem Anwalt nicht bekannt, da ihnen unter Berufung auf Persönlichkeitsschutz die Einsicht in die Einstellungsverfügung bis heute verwehrt blieb. Der Heimleiter seinerseits ging per Ende November 2007 «auf eigenen Wunsch» in Frührente. Und mit seinem Abtreten wurde die Akte bei der ZKJ geschlossen.

Den Heimleiter «wegpensioniert»
Daniel Krapf ist als Präsident der Personalkommission zurückgetreten. Heute sagt er: «Wir haben uns an alle Instanzen gewandt. Dass bis nach ganz oben nichts passiert ist, empfand ich als enorm stossend.» Schliesslich habe man den Leiter «wegpensioniert», damit im Heim endlich Ruhe einkehre. Auch Jürg Leimbacher, Markus Kusters Rechtsanwalt, vertritt eine klare Position: «Ich halte es für einen Skandal, dass eine Person, gegen die Strafanzeige eingereicht wurde, nicht einmal freigestellt wird.» Das habe er Monika Weber, der Präsidentin des Stiftungsrats, schriftlich mitgeteilt.

Auf Seiten der Heimleitung und der Stiftung will man alles richtig gemacht haben. Der Ex-Heimleiter meint: «Ich weise den Vorwurf des Mobbings ganz klar zurück.» Den Verweis gegen Kusters Mitarbeiter zu unterzeichnen sei damals seine Pflicht gewesen. Und Franz Schaub wie auch Monika Weber betonen, Kusters Freistellung sei «zu seinem eigenen Schutz» erfolgt. Seine «sehr eigenwillige Wahrnehmung von Vorgängen und Verhalten von Menschen um ihn herum» hätten ihn für Argumente nicht mehr zugänglich gemacht.

«Beruflicher Selbstmord»
Markus Kuster und seine Familie leiden noch heute unter den damaligen Vorkommnissen, die Stellensuche ist schwierig. Nach seinem Weggang vom Jugendheim wurde Kuster ein miserables Arbeitszeugnis ausgestellt. Er musste über seinen Anwalt intervenieren, um ein seiner Leistung entsprechendes Zeugnis zu erhalten. Eine in Aussicht stehende Stelle erhielt er nach anfänglicher Zusage doch nicht, weil der neue Arbeitgeber plötzlich «einiges von ihm gehört» habe.

«In der Schweiz ist Whistleblowing oft mit beruflichem Selbstmord gleichzusetzen», schreibt Zora Ledergerber, Autorin des Buchs «Whistleblowing unter dem Aspekt der Korruptionsbekämpfung». Es sei schwierig, in der kleinräumigen Schweiz wieder eine Anstellung zu finden, wenn jemand einmal als «Verräter» innerhalb der Branche Aufsehen erregte. Um das zu ändern, haben SP-Nationalrat Remo Gysin und FDP-Ständerat Dick Marty bereits 2003 in ihren jeweiligen Räten eine Motion eingereicht, die den Bundesrat auffordert, Whistleblowern auf Gesetzesebene einen wirkungsvollen Schutz zu garantieren. National- und Ständerat haben die Motion mittlerweile angenommen. Die entsprechende Gesetzesrevision befindet sich in der Ausarbeitung. Der Bundesrat wird in der zweiten Hälfte 2008 einen Vorentwurf zur Vernehmlassung präsentieren.

Für Markus Kuster kommt das zu spät. Nicht aber für Personen, die sich in einer vergleichbaren Lage befinden: Auf der Whistleblowing-Hotline von Transparency International Schweiz melden sich jede Woche ein bis zwei Betroffene, die sich aus Angst vor Repressalien anonym beraten lassen.

Weitere Infos
Transparency International Schweiz: www.transparency.ch;
Whistleblowing-Hotline: 031 382 50 44

Demokratie in Deutschland

Hans Hermann Hoppe: Demokratie. Der Gott, der keiner ist
Edition Sonderwege bei Manuscriptum
Rezensiert von Florian Felix Weyh

Beginnen wir mal so: Der repräsentative Parlamentarismus hat seine Mängel. Man muss nur Radio und Fernseher einschalten und denjenigen lauschen, auf deren schwachen Schultern unser Gemeinwohl lastet. Wird eine gute Idee des politischen Gegners nicht gleich als Blödsinn abgekanzelt, sondern verstohlen dem eigenen Programm zugefügt, kann man schon rechtschaffen froh sein. Mehr ist kaum zu erwarten in einem System der Führungsauslese, das auf permanentem Wahlkampf basiert. Aber deswegen gleich solche Geschütze auffahren?

Angesichts von Massenwahlen werden insbesondere jene Mitglieder der Gesellschaft mit geringen oder keinen moralischen Hemmungen gegen das Nehmen von Fremdeigentum, d. i. habituelle Amoralisten, die am talentiertesten sind, aus einer Vielfalt moralisch ungehemmter und miteinander unvereinbarer populärer Forderungen Stimmenmehrheiten zusammenzuzimmern - effiziente Demagogen -, bevorzugt Zugang zur Regierung erlangen und bis an ihre Spitze aufsteigen.

Willkommen beim furiosesten Pamphlet antiparlamentarischer, antidemokratischer, ja antistaatlicher Ideologie seit Carl Schmitt. Wie immer - Tradition verpflichtet! - aus deutscher Feder, diesmal von einem US-Exilanten, dem nach Las Vegas ausgewanderten Volkswirtschaftler und Monarchiefreund Hans Hermann Hoppe. Das ist nicht ohne Pikanterie, denn während Europa einmal von Königen beherrscht wurde, steht Hoppes Gastland USA für den totalen Triumph der demokratischen Idee. Von der aus geht nichts mehr weiter, weil nichts darüber hinausgeht - doch gerade diese "Ende-der-Geschichte"-Haltung im Sinne von Francis Fukuyama ist Hoppe ein Dorn im Auge. Der Fortschritt, sagt er, war zwar ein Schritt - aber in die falsche Richtung:

Vom Standpunkt derjenigen, die weniger gegenüber mehr Ausbeutung bevorzugen und die Weitblick und individuelle Verantwortung höher bewerten als Kurzsichtigkeit und Verantwortungslosigkeit, repräsentiert der historische Übergang von der Monarchie zur Demokratie nicht Fortschritt, sondern zivilisatorischen Niedergang.

Denn der König - der absolute Herrscher, nicht sein konstitutionell verwässerter Nachfahr - denkt wie ein Unternehmer. Ihm gehört das Land, er will es vererben. Also behandelt er es pfleglich, mit langem Zeithorizont. Die Besteuerung wird mäßig bleiben; niemand hinterlässt seinen Kindern gern ausgeblutete Landschaften. Ganz im Gegensatz dazu der auf Zeit gewählte Herrscher:

Ihm gehört die laufende Verwendung der Regierungsressourcen (Nießbrauch), aber nicht ihr Kapitalwert. In deutlichem Unterschied zu einem König wird ein Präsident nicht den Gesamtwert des Regierungsvermögens (Kapitalwerte und laufendes Einkommen) maximieren wollen, sondern das laufende Einkommen. (...) Anstatt den Wert des Regierungseigentums zu erhalten oder gar zu mehren, wie es ein König tun würde, wird ein Präsident (der vorübergehende Verwalter oder Beauftragte der Regierung) die Regierungsressourcen so schnell wie möglich verbrauchen, denn was er nicht jetzt verbraucht, wird er womöglich niemals verbrauchen können.

Selbst wenn die maximierte Entnahme nicht auf finanziellen Eigennutz zielt, sondern nur dazu dient, Wahlgeschenke zu verteilen (wie jedwede Art von Sozialausgaben nach Hoppes Meinung), bleibt sie doch ein bedenklicher Vorgang, weil ständig die Zukunft beliehen wird. Doch auch der "vernünftige Unternehmermonarch" ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Noch lieber will der Volkswirtschaftler zur "natürlichen Ordnung" zurück, wahlweise auch genannt "Anarchokapitalismus", "Privatrechtsgesellschaft" oder "reiner Kapitalismus":

In einer natürlichen Ordnung sind sämtliche Güter im Privateigentum einzelner Personen oder Personengruppen. (...) Es gibt keinen Staat, keine Steuern, kein Gerichtsmonopol und kein "öffentliches Eigentum". Sicherheit (...) wird, wie andere Güter und Dienstleistungen auch, in Eigenleistung, in nachbarschaftlicher Kooperation und durch frei finanzierte Spezialunternehmen erbracht. Neben Eigen- und Nachbarschaftsleistungen (...) werden vertraglich vereinbarte Sicherheitsleistungen aller Art vor allem von frei konkurrierenden (unregulierten) Eigentums- und Lebensversicherern angeboten und erbracht, die ihrerseits in regelmäßiger Zusammenarbeit mit unabhängigen und miteinander konkurrierenden Schlichtern bzw. Vermittlern und selbständigen oder angegliederten polizeilichen Vollzugsorganen stehen. Als Ergebnis (in komplettem Gegensatz zum unter staatlichen Bedingungen erzielten Resultat) fällt der Preis für Sicherheit, während die Qualität steigt.

Klingt wie der Alptraum aller Globalisierungsgegner, denen multinationale Versicherungskonzerne jetzt schon zu mächtig sind. Andererseits schimmern auch wohlbekannte Träume linker Anarchisten durch. Staatenlosigkeit, ob rechts oder links imaginiert, umfasst immer die Utopie der Selbstverwaltung. Fragt sich nur, wer zum "Selbst" dazugehört und wie man mit dem "Nicht-Selbst" umgeht? Hoppe knüpft da an eine verdrängte - vielmehr: blutig aus dem Feld geschlagene - amerikanische Tradition an und empfiehlt die Sezession: Austritt aus bestehenden Territorialverbünden und Rückbesinnung auf kleine, ja kleinste Einheiten, in denen beispielsweise der Pater familias die oberste Autorität verkörpert:

Haushalte müssen zu exterritorialen Gebieten erklärt werden, wie ausländische Botschaften.

Sezession kann freiwillig geschehen, indem sich ideologisch homogene Einheiten abspalten; sie kann allerdings auch verfügt werden. Dann heißt sie Diskriminierung, ja Apartheid - absolute Unworte der Demokratie, und darum vom reaktionären Romantiker Hoppe mit besonderer Provokationslust verwendet:

Freiwillige räumliche Trennung und Diskriminierung müssen als nicht schlechte, sondern gute Dinge erkannt werden, die die friedliche Kooperation zwischen verschiedenen ethnischen und rassischen Gruppen ermöglichen.

Und weiter an anderer Stelle:

Erzwungene Integration (das Resultat aller nichtdiskriminierenden Politik) züchtet schlechtes Benehmen und schlechten Charakter. In einer zivilisierten Gesellschaft ist der höchste zu zahlende Preis für schlechtes Benehmen der Ausschluss, und rundum schlechterzogene oder üble Charaktere (selbst wenn sie nicht kriminell sind) werden sich schnell von allem und jedem ausgeschlossen finden und zu Ausgestoßenen werden, physisch entfernt von der Zivilisation.

Was mag dem Autor in Las Vegas nur alles zugestoßen sein, fragt man sich besorgt. Gerade in den heiklen Bereichen der Integrations- beziehungsweise Desintegrationspolitik entgleist Hoppes Sprache völlig. "Unproduktive Schmarotzer, Gammler und Kriminelle" besiedeln das Feld - ein Duktus, der an unverdaute 68er-Frustrationen gemahnt, als sich der Autor ganz offensichtlich auf der Seite der Unterlegenen befand. Das Wort "Gammler" hört man seit Jahrzehnten nicht mehr, es klingt unfreiwillig komisch. Nicht mehr komisch allerdings die Aufkündigung gesellschaftlicher Toleranz:

In einer libertären Sozialordnung kann es keine Toleranz gegenüber Demokraten und Kommunisten geben. Sie müssen aus der Gesellschaft physisch entfernt und ausgewiesen werden.

Aber, würde Hoppe spitzfindig entgegnen, das mache nichts, denn "die Gesellschaft" gäbe es ja dann nicht mehr, sondern nur noch einzelne autonome Inseln. Was fängt man mit einem Buch an, das mit dem unschuldigen Blick des reinen Toren daherkommt, dabei aber Ressentiments gegen so gut wie alle modernen Politmodelle bedient, vom Kommunismus bis hin zu Amerikas Ultrarechten um Pat Buchanan, die Hoppe als National-Sozialisten beschimpft. (Die Invektive liegt natürlich auf dem zweiten Teil des Begriffs.) Das voller unerhörter Fantasien strotzt und sich weder um political correctness kümmert noch um deutsche Empfindlichkeiten?

- Man liest es wie ein Stück politischer Pornographie. Wie ein obszönes Szenarium, in dem die Starken den Schwachen Mitleid zusichern, aber keine Rechte mehr; in dem die Klugen und Gebildeten den anstrengenden Diskurs mit den Dummen und Ungebildeten aufkündigen, um mit ihnen nicht mehr um gemeinschaftliche Entscheidung ringen zu müssen. Das Schmittsche Freund-Feind-Denken feiert hier fröhliche Urstände, allerdings in einer unkriegerischen Variante.

Man will das Fremde nicht besiegen, gar unterwerfen - das bedeutete ja wieder Integrationsverpflichtungen -, sondern von ihm unbehelligt bleiben. Ein ziemlicher Unfug, denn Völker verändern sich, indem sie Mitglieder aufnehmen und abgeben, während ein Sezessionsmodell "Reinheit" in Kultur, Herkunft oder Denken voraussetzt, was die angestrebte Anarchie sofort in eine Diktatur umschlagen ließe, denn Reinheit muss ständig überwacht und bewahrt werden.

Auch der ökonomisch begründete Vorrang der Monarchie vor der Demokratie krankt an einer verkürzten Prämisse: Wie alle Theoretiker der Volkswirtschaft lässt sich Hoppe vom Trugbild des nüchtern kalkulierenden homo oeconomicus leiten, den es nie gegeben hat, weder in Privathaushalten noch auf Königsthronen. Die Motivlage von Machthabern ist viel zu diffizil, um sich einer solch simplen Dualität von Besitz vs. Nießbrauch zu beugen. Aber Pornographie muss nicht logisch sein. Sie muss erregen, nicht beweisen; die Erregung allein ist der Beweis ihrer Wirksamkeit.

In diesem Sinne gehört Hans Hermann Hoppes Buch zum Schärfsten, was auf dem Markt politischer Stimulanzien derzeit zu haben ist, auch wenn es - wie alle Pornographie - wenige Schlüsselreize in endloser Litanei wiederholt. In Einzelteilen enthält die Suada erhellende Passagen über unleugbare Mängel der Demokratie, und Kritik ist Demokraten stets willkommen. Diese Annahme freilich muss der Rezensent gegen den Autor verteidigen, denn der eröffnet sein Buch mit einem prinzipiellen Verdikt:

Deutschland ist kein freies Land. Es gibt in Deutschland nicht einmal Redefreiheit. Wer hier bestimmten regierungsamtlich verkündeten Aussagen öffentlich widerspricht, wird eingekerkert. Und wer sich "politisch unkorrekt" äußert, wird kaltgestellt und mundtot gemacht.

So einfach macht es die Demokratie ihren Bezweiflern nicht. Aber es gibt Etliche, die es sich gerne so einfach machen würden. Um ihnen das Handwerk zu erschweren, ist eine breite öffentliche Debatte des provokanten Buches unabdingbar.

Dienstag, 15. April 2008

Psychiatrie und Faschismus

Notizen über den Psychiatrischen Faschismus
von Don Weitz, Toronto, Ontario

Fast 150 Jahre lang hat sich die Psychiatrie als eine medizinische Wissenschaft verkleidet, und als einen Zweig der Medizin. Das ist sie nicht, und sie war nie eine Wissenschaft oder eine Form der Heilbehandlung. Die moderne Psychiatrie basiert auf unbewiesenen empirischen Annahmen, medizinischen Vorurteilen und pseudo-wissenschaftlichen Meinungen. Es gibt keine wissenschaftlich gesicherten, unabhängig nachgewiesenen Fakten in der Psychiatrie. Tatsächlich hat die Psychiatrie keine Gesetze oder nachprüfbare Hypothesen und keine zusammenhängende und in sich schlüssige Theorie. Es ist kaum zu übersehen, daß es der Psychiatrie an einem wissenschaftlichen Beweis oder einem Beleg fehlt, der ihre von den News-Medien nachgeplapperten Behauptungen von der Existenz "geistiger Krankheiten" oder "Störungen" stützen würde.

Nach siebzig Jahren psychiatrischer Praxis und Forschung gibt es immer noch keinen diagnostischen Test für Schizophrenie oder irgendeine der anderen dreihundert sogenannten geistigen Störungen, die in der aktuellen Ausgabe des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM), aufgelistet sind. Es handelt sich dabei im Grunde um eine Liste von klassifizierten moralischen Urteilen über angeblich unnormale Verhaltensweisen, die die American Psychiatric Association veröffentlicht hat und für die sie Propaganda macht. Das DSM ist die offizielle Bibel der organisierten Psychiatrie. Das DSM ist das Ebenbild des mittelalterlichen Malleus Maleficarum, das spanische Inquisitoren benutzten, um Hexen und Ketzer zu identifizieren, zur Zielscheibe zu machen, zu stigmatisieren und zu verbrennen. Die Hexen und Ketzer und Sündenböcke unserer Tage werden mit dem Etikett geisteskrank oder schizophren versehen.

Die klinische Psychiatrie kümmert sich in erster Linie um die Kontrolle des Verhaltens ihrer Insassen mit Hilfe von Änderungsprogrammen, die hohe Risiken bergen, biologischen "Behandlungen", körperliche und mechanische Fesselung, geschlossene Türen und Stationen, und Absonderungs- / Isolier-Räume, haben immer einige faschistische Elemente sichtbar werden lassen. Ich möchte drei davon besonders hervorheben:
Angst, Gewalt und Irreführung.

Dies sind die üblichen Prinzipien und Strategien, um Bürger und Bevölkerungsgruppen zu kontrollieren, die in den Augen von Staatsführern, anderen Autoritäten und der sogenannten Fachleute für geistige Gesundheit, als dissident, problematisch oder schwierig zu kontrollieren beurteilt werden. Die Klinische Psychiatrie ist dem Gefängnissystem sehr ähnlich. Im Gefängnis oder im System zur Verhaltenskorrektur wurden Psychiater als Beratungspersonen eingesetzt, um gefährliche, unethische Verhaltensänderungsprogramme zu entwerfen und um an den Häftlingen hochriskante Medikamentenversuche durchzuführen. Sowohl das psychiatrische System als auch das Gefängnissystem benutzen systematisch Angst, Gewalt und Irreführung zum Zwecke der sozialen Kontrolle und zur Bestrafung - nicht zu Zwecken der Behandlung oder Rehabilitation, was beides ein Euphemismus (Schönfärberei) ist. So gut wie alle Behandlungen in psychiatrischen Einrichtungen werden erzwungen oder sie werden ohne die erforderliche informierte Einwilligung durchgeführt. Sie werden gegen den Willen des "Patienten" (des Gefangenen) durchgeführt, oder mit einem Einverständnis, das dadurch erreicht wird, daß dem "Patienten" mit negativen Konsequenzen gedroht wird, oder mit einem Einverständnis, wo dem "Patienten" wichtige Informationen über ernste Risiken und über Alternativen vorenthalten wurden. Informierte Einwilligung in der Psychiatrie ist eine grausame Farce. Es gibt sie nicht.

Angst/Terror - "Terror hat große Wirkung auf den Körper durch das Medium des Geistes und sollte angewendet werden, um die Verrücktheit zu heilen. Angst in Begleitung von Schmerzen und einem Gefühl von Scham hat manchmal die Krankheit geheilt". Das wurde vor fast 2 Jahrhunderten, im Jahr 1818 von Dr. Benjamin Rush geschrieben, dem Vater der amerikanischen Psychiatrie, und dem ersten Präsidenten der APA, dessen Gesicht immer noch auf dem offiziellen Siegel der Americam Psychiatric Association erscheint. Dr. Rush befürwortete und praktizierte Terror, indem er die Zwangsjacke erfand und anwendete, ebenso wie den Beruhigungsstuhl und "Todesangst" bei zahlreichen Insassen von Irrenanstalten des 19.Jahrhunderts. Schließlich hat Rush seinen Sohn in einer Irrenanstalt eingeschlossen - was für ein Vater!

Angst ist ein mächtiges Erziehungsmittel, um Anpassung und Gehorsam zu erzwingen, um die Leute dazu zu bringen, daß sie sich Autoritäten unterwerfen. In der Geschichte war das Auslösen und Manipulieren mit Angst oder verstecktem Terror stets eine Schlüssel-Strategie und -Praxis aller faschistischen Regime, in Italien unter Mussolini ebenso wie in Nazi-Deutschland unter Hitler, der Sowjetunion unter Stalin - faktisch in jeder Diktatur. Die Androhung von Strafe, Folter und die Drohung, man werde getötet, reicht aus, um Angst, Schrecken und Panik in den meisten von uns auszulösen. Wir tun, was man uns sagt, andernfalls.

Die in der Psychiatrie angewandeten Formen von Angst und Terror sind spezieller, aber sie sind weitverbreitet und effektiv. Die Institution Psychiatrie nimmt häufig Zuflucht zu erpresserischen Mitteln, um den sehr "unkontrollierbaren" und schwierigen Patienten, also den Patienten mit geringer "Compliance", unter Kontrolle zu bekommen. Psychiater und andere Therapeuten drohen ihren Patienten mit verlängerter Haftdauer, höheren Dosen der zwangsverabreichten Neuroleptika oder "Antidepressiva", und/oder mit der gefürchteten Verlegung in noch schlimmere Hochsicherheitsabteilungen, falls diese nicht tun, was man von ihnen verlangt, wenn sie ihre "Medikamente" nicht nehmen, wenn sie sich nicht an die Anstaltsregeln halten, oder wenn sie ihre Wärter (Pfleger) in anderer Weise ärgern.
Auch die Bedrohung von Patienten mit körperlicher Fesselung oder Einzelhaft ist außerordentlich effektiv, um Angst oder Panik bei den Patienten auszulösen. In so gut wie jeder psychiatrischen Station oder Abteilung gibt es einen Ort, den man euphemistisch den "Ruheraum" nennt, einen kargen, verbotenen, Zellen-ähnlichen Raum, mit einer Matratze oder Waschbecken, gewöhnlich gibt es keine Toilette und keine Bettdecke. Während sie im Ruheraum dahinsiechen, sind die Patienten oft noch zusätzlich gefesselt mit Ledermanschetten, Zweipunkt- und Vierpunkt-Fesseln, stramm um ihre Handgelenke und/oder Fußgelenke gespannt, so daß sie sich kaum bewegen können, so liegen sie da mehrere Stunden lang. Die pure Androhung von Freiheitsentzug, unfreiwilliger Inhaftierung oder daß man in einer psychiatrischen Station oder Anstalt gegen seinen Willen eingeschlossen wird, ohne ein Gerichtsverfahren oder eine öffentliche Anhörung, genügt, um die meisten von uns Furcht und Schrecken einzujagen. In so gut wie jeder Provinz und Gegend von Kanada sind dies die hauptsächlichen Kriterien oder Gründe, um in einer psychiatrischen Anstalt eingeschlossen oder inhaftiert zu werden: die Ansicht, jemand hätte eine geistige Krankheit oder Störung, die Ansicht, daß man befürchten müsse, daß jemand sich selbst oder eine andere Person schädigen könnte, die Ansicht, daß jemand nicht in der Lage sei, für sich selbst zu sorgen. Beachten Sie, daß es sich bei diesen Kriterien um subjektive moralische Urteile über ein unangepasstes Verhalten handelt, nicht um medizinische oder wissenschaftliche Fakten. Trotz der Tatsache, daß geistige Krankheit oder geistige Störung, welche in meinen Augen eine Metapher sind für unangepasstes Verhalten, das noch niemals offiziell als medizinische Krankheit oder Leiden klassifiziert worden ist, haben nur Mediziner die gesetzliche Erlaubnis, solche nicht-medizinischen und schicksalsbestimmenden Urteile zu fällen.

In Ontario kann jeder Arzt ein Einlieferungsformular ausstellen, das eine Person dazu zwingt, für die ersten 72 Stunden zu Überwachungs- und Bewertungszwecken in einer psychiatrischen Anstalt eingeschlossen zu werden. Zwei weitere Ärzte können ein Formular ausstellen, das dazu berechtigt, die Person weitere 2-4 Wochen gefangenzuhalten. Während der letzten Jahre wurden von den Tausenden von Menschen, die in den 9 psychiatrischen Kliniken behandelt wurden, ca. 50% gegen ihren Willen zwangsbehandelt.

Die Androhung oder die Tatsache, seine Freiheit zu verlieren und in einer psychiatrischen Anstalt für Tage oder Monate eingeschlossen zu werden, ist furchterregend. Der minimale oder völlig fehlende Rechtsbeistand, der gegenwärtig in Ontario existiert, macht das Recht auf Berufung oder Protest zur Farce, und das führt zu einer noch verzweifelteren Furcht und Verzweiflung der Leute. Allein schon die Drohung einer erzwungenen psychiatrischen Behandlung kann, ebenso wie die Behandlung selber, entsetzlich sein - z.B. Elektroschock, auch als Elektrokonvulsions-Therapie (EKT) bezeichnet, von Schock-Überlebenden und -Kritikern wie Leonard Frank treffender Elektrokonvulsions-Gehirnwäsche genannt. Mein guter Freund Mel hat mir erzählt, wie er mit diversen Hilfsmitteln durch den Gang zum Schockraum der Klinik geschleift wurde. Ich kann mir seine Panik vorstellen und die Panik der anderen, denen das selbe Schicksal zuteil wurde. Ein ähnlich schreckliches Erlebnis hatte ich, als ich zwangsweise über 50 Subkoma Insulinschocks in den 1959ern erhielt. Zum großen Erstaunen vieler Leute existieren diese barbarischen gehirnschädigenden und die Erinnerung zerstörenden Behandlungsformen nicht nur, sondern sie werden heute in Kanada und den U.S.A. vermehrt angewendet. Hauptsächlich werden sie bei Frauen und bei älteren Leuten angewandt, insbesondere bei älteren Frauen.

Dann gibt es da noch die Drohung mit Psychopharmaka, die man euphemistisch "Medikamente" nennt. Diese Chemikalien wie Tranquilizer, Antidepressiva und die Antipsychotika wie Haldol, Modicate, Thorazin, und der sogenannte Mood Modifier Lithium sind keine natürlichen Substanzen, sondern sie sind künstlich hergestellte Gifte. Der Psychiater und Psychiatrie-Kritiker Peter Breggin nennt sie in verschiedenen seiner Bücher Neurotoxine (Nervengifte), ebenso Joseph Glenmullen, ein klinischer Ausbilder in Psychiatrie an der Harvard Medical School in seinem Buch Prozac Backlash. Diese Chemikalien haben keinen wissenschaftlich bewiesenen medizinischen Wert oder Nutzen. Ihre Wirkung besteht darin, daß sie jegliche Art problematischen oder störenden Verhaltens, Stimmungslagen und Gefühle unterdrücken. Diese Gifte, insbesondere Neuroleptika wie Haldol, Modicate, Chlorpromazin, wirken sich so hemmend, mächtig und furchterregend aus, daß viele Psychiatrie-Überlebende und andere Kritiker sie als chemische Lobotomie oder chemische Zwangsjacke bezeichnen. Diese Medikamente haben viele ernste und schädigende Effekte, Nebenwirkungen genannt, um zu verniedlichen, wie sie sich tatsächlich äußern, sei es in Zittern, unkontrollierbaren Schüttelbewegungen oder Bewegung der Hände oder anderer Körperteile (wie sie auch bei neurologischen Störungen wie Parkinsonismus oder tardiver Dyskinesie vorkommen), starke Muskelkrämpfe, verschwommenes Sehen, rastloses Hin- und Hergehen, Alpträume, plötzliche Wutanfälle, Aufgeregtheit, Gedächtnisverlust, Schwächeanfälle, Blutbildveränderungen, Schlaganfälle und plötzlicher Tod. Diese sogenannten Nebenwirkungen sind die erwünschten Wirkungen der Medikamente. Diese Furcht vor psychiatrischen Medikamenten wird noch verschlimmert durch Ignoranz und Unsicherheit, da die Psychiater und andere Ärzte ihrer Pflicht nicht nachkommen, die Patienten über die schrecklichen Medikamentenwirkungen zu informieren.

Ohne die Anwendung oder Androhung von Gewalt könnte Faschismus nicht existieren. Machiavelli, Mussolini und Hitler wußten das. Alle Diktatoren, Möchtegern-Diktatoren und Tyrannen sind sich dieser grundlegenden Tatsache bewußt. Dasselbe gilt für die Psychiatrie. Ohne die Anwendung und Androhung von Gewalt könnte die Institution Psychiatrie nicht überleben. Eine Menge von Psychiatern stünden ohne Job da. Ich wünschte, dies würde geschehen! Die Psychiatrie erhält ihre Autorität und Macht zum Zwang, zur Gefangenhaltung, zu unfreiwilliger Verpflichtung und Zwangsbehandlung vom Staat.

Die Gesetzgebung der Psychiatrie gibt den Psychiatern und anderen Ärzten die Macht, jede Person zwangseinzuweisen, von der sie "glauben", und dies nach einer Untersuchung, die nur wenige Minuten dauert, daß sie gefährlich für sich selbst oder für andere sein könnte. Das ist problematisch. Der Mental Health Act geht fälschlich davon aus, daß Ärzte gefährliches und gewalttätiges Verhalten vorhersehen können. Das können sie natürlich nicht. Wir legen Wert darauf, noch einmal hervorzuheben, daß der Mental Health Act von Ontario, wie andere mental health acts in ganz Kanada und den U.S.A, die Anwendung von Gewalt zum Zwecke der Festnahme oder Gefangennahme von Menschen für Tage, Wochen oder Monate rechtlich sanktioniert. Unglücklicherweise gab es nie einen öffentlichen Aufschrei oder Protest angesichts der Tatsache, daß Leute, von denen man annimmt oder denen unterstellt wird, sie seien verrückt oder gefährlich, die aber keinerlei Gesetzeswidrigkeit begangen haben, daß solche Leute trotz allem eingesperrt werden dürfen, ohne eine Gerichtsverhandlung und ohne die Rechte, die sogar Mördern und Vergewaltigern zugestanden werden. Das ist Präventiv-Arrest, etwas, was in Kanada und in anderen sogenannten demokratischen Staaten illegal ist. Allerdings ist es legal und gängige Praxis in allen Polizeistaaten und totalitären Ländern.

Es gibt jetzt den unwiderlegbaren, dokumentierten Nachweis, daß es die deutschen Psychiater waren, insbesondere prominente Psychiatrie-Professoren und Leiter von Psychiatrie-Fakultäten, die hauptverantwortlich waren für die Einleitung und Durchführung des T4 Programms, für den Massenmord von über 200.000 Psychiatriepatienten und Tausenden von kranken und behinderten Kindern und Erwachsenen während des Holocaust. Die Begriffe Euthanasie und Gnadentod als Umschreibung des mörderischen Programms ist ein grausiger Euphemismus.

Vieles der biologischen Psychiatrie, die in weiten Teilen auf unbewiesenen Annahmen über die biologischen und genetischen Ursachen der Schizophrenie und anderer geistiger Störungen basiert, kann auf den in Nazi-Deutschland tätigen, rassistischen und Eugenik-begeisterten Psychiater Ernst Rudin zurückgeführt werden. Dieser propagierte den Mythos, daß Schizophrenie eine erbliche Krankheit sei. Er wird, zusammen mit Hunderten anderer Psychiater des T4-Programms des Massenmords an Psychiatriepatienten, immer noch in einigen Artikeln in psychiatrischen Fachjournalen zitiert, wie der Forscher und Aktivist Lenny Lapon in seinem brillianten Buch Mass Murderers in White Coats: Psychiatric Genocide in Nazi Germany [Massenmörder in weißen Kitteln: psychiatrischer Genozid in Nazi-Deutschland] nachweist. Er stellt fest, daß verschiedene deutsche Psychiater der Nazi-Ära in die U.S.A. und nach Kanada emigriert sind, und daß es ihnen gelungen ist, viele seiner Kollegen mit seinen biologischen, genetischen und rassistischen Theorien der geistigen Krankheit zu indoktrinieren. Heinz Layman, der im Jahr 1937 nach Kanada emigrierte, ist hauptverantwortlich für die Einführung von Thorazin oder Chlorpromazin, und er propagierte die Anwendung von Psychopharmaka in Kanada.

Wir haben heute eine Epidemie von Gehirnschäden, die durch Psychopharmaka verursacht sind, zum Teil dank Layman und all den anderen Ärzten, die er unterrichtete. In einem Zeitschriftenartikel von 1954 gab Layman zu, daß Thorazin ein "pharmakologischer Ersatz für die Lobotomie" sei. Trotz dem öffentlichen Eingeständnis dieser alarmierenden Tatsache sah Layman keinen Hinderungsgrund, es auch weiterhin bei vielen "schizophrenen" Patienten im Douglas Hospital in Montreal anzuwenden. Layman hat auch Ewen Cameron dazu gebracht, Chlorpromazin und viele andere Psychopharmaka und massive Anwendungen von Elektroschocks zu verabreichen. Chlorpromazin, zur damaligen Zeit als experimentelle Droge angesehen, wurde während Cameron's infamen Gehirnwäsche-Experimenten am Allan Memorial Institute in den 1950ern und 1960ern in großem Stil an viele Patienten verabreicht.

Es gab damals keine informierte Einwilligung, genau wie es heute keine gibt. Während der Nazi-Jahre suchten die Ärzte keine Einwilligung. Gemäß der Nazi-Ideologie handelte es sich um "nutzlose Esser", "Untermenschen". Das ist eine Denkweise, die noch immer die biologische Psychiatrie überall in Nordamerika beherrscht. Ein anderes Erbe der Psychiatrie von Nazi-Deutschland ist die weitverbreitete Akzeptanz und Rechtfertigung von entwürdigenden Maßnahmen, um den Willen von unwilligen oder rebellischen Patienten zu brechen. Körperliche oder mechanische Fesseln wie z.B. Gurte, Seile, Gürtel, Handschellen und Einzelarrest werden in psychiatrischen Anstalten nicht zum Zweck der Behandlung oder des Schutzes eingesetzt, sondern um Leute für unangepaßtes oder rebellisches Verhalten zu bestrafen. Es ist diese nackte Demonstration von Gewalt und Bedrohung, die das Klinikpersonal gegen Patienten anwendet, die so sehr an die grausame Brutalität des deutschen Psychiatrie-Personals während des Holocaust erinnert.

Irreführung: Viele der Etiketten und Diagnosen, die von Psychiatern benutzt werden, haben keinen Bezug zu realen psychiatrischen Problemen oder zu tatsächlich vorhandenen Krankheiten. Es gibt eine Geheimsprache, die heutzutage in der biologischen Psychiatrie verwendet wird. So helfen z.B. Anti-Depressiva den Leuten nicht dabei, Depressionen zu überwinden oder an die Ursache der Depression zu gelangen. Die Bezeichnung "Ruheraum" ist ein hinterhältiger Code für Einzelarrest. Das Wort "Medikament" ist ebenso ein irreführender Euphemismus und eine unrichtige Bezeichnung für giftige Substanzen, denen viele von uns ausgesetzt wurden.

Ich habe versucht zu zeigen, daß die institutionelle Zwangspsychiatrie eine faschistische Geschichte hat, und daß die biologische Psychiatrie, wie sie heute in psychiatrischen Anstalten in Kanada und den U.S.A. praktiziert wird, noch immer auf Angst, Gewalt und Irreführung basiert. Die Psychiatrie verdient nicht die Unterstützung durch die Gesellschaft oder den Staat. Wir müssen darauf hinarbeiten, daß die Psychiatrie abgeschafft wird. Wir müssen weiterhin daran arbeiten, Selbsthilfegruppen zu gründen, mehr Beratungsstellen und mehr erschwingliche, unterstützende Unterkünfte in unseren Kommunen. Wir müssen unsere eigenen Alternativen zu dem monströsen und unheilvollen Mental Health-System schaffen. Indem wir das tun, werden wir unsere Kraft und unsere Rechte zurückerlangen. Das ist unsere Arbeit, unsere Herausforderung und unsere Hoffnung.

Copyright 2001 by Don Weitz - used by permission

DER AUTOR Don Weitz ist ein Psychiatrie-Überlebender und antipsychiatrischer Aktivist, er engagiert sich seit 24 Jahren im Psychiatric Survivor Liberation Mouvement.