Montag, 24. Dezember 2007

Mobbing gegen Lehrer

CYBER-MOBBING GEGEN LEHRER
Von Schülern verhöhnt - und die ganze Welt sieht zu
Von Barbara Hans
Schüler filmen das Dekolleté ihrer Lehrerin, ziehen ihrem Lehrer die Hose runter - und kurz darauf stehen die Videos im Internet. Cyber-Bullying heißt dieser neue Trend aus Großbritannien: Handys und das Netz machen Pädagogen zum Gespött der ganzen Welt.
Er steht mit dem Rücken zur Klasse, beugt sich vor, schreibt etwas an die Tafel. Wie ein Pfeil schießt ein Junge von seinem Platz in der hinteren Ecke des Raumes nach vorn. Er nähert sich dem Mann, umgreift seine Hüften - und zieht ihm die Hose runter. Nach einer Schrecksekunde bückt sich der Lehrer, zieht seine Hose wieder über die Unterhose und stürzt quer durch die Klasse auf den Übeltäter zu.
Mit einem Handy gefilmt, gelangten die Bilder auf die Internetplattform YouTube. Laut Beschreibung des Videos verantwortet ein Schüler aus Cumbernauld nahe Glasgow in Schottland den Streich.
Der Fall hat in Großbritannien Aufsehen erregt. Lehrerverbände diskutieren über das sogenannte Cyber-Bullying - eine Form von Mobbing, bei der technische Geräte wie Handys oder Computer zum Einsatz kommen. Laut der Lehrervereinigung ATL hat diese Form der Belästigung in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen.
"Das Cyber-Bullying hebt eine jahrhundertealte Angelegenheit auf eine neue Ebene", sagt Mary Bousted, die Vorsitzende der Vereinigung. Und das Problem verschärfe sich.
Ein Blick in das Dekolleté der Lehrerin - für jeden sichtbar
Immer häufiger werden Belästigungen von Lehrern mit dem Handy aufgezeichnet und dann im Internet veröffentlicht. Der Einzelne wird dadurch vor einem potentiellen Milliardenpublikum bloßgestellt - weltweit. Und der Schaden für die Betroffenen wächst mit der Zahl der Betrachter.
Manche Aufnahmen gewähren einen Blick in das Dekolleté einer Lehrerin - oder unter ihren Rock. In Extremfällen werden Lehrer per Montage kurzerhand zu Hauptdarstellern in Pornofilmen.
Cyber-Bullying ist vielfältig: Anrufer legen wortlos auf. Pöbler schicken obszöne, einschüchternde SMS oder beleidigende E-Mails, diffamieren ihre Opfer in Chatrooms. Andere machen eben bloßstellende Aufnahmen mit dem Handy. Der Schulstreich mag so alt sein wie die Schule selbst - aber die Technik verändert seinen Charakter und vor allem seine Reichweite. War der Schabernack früher hauptsächlich auf Klassenraum und Schulhof begrenzt, ermöglichen Handy und Computer ein zeit- und grenzenloses Piesacken der Lehrer.
Bei allen Vorteilen der neuen Technik: Die Folgen für die belästigten Lehrer seien verheerend, sagt Lehrervertreterin Bousted. "Sie werden öffentlich gedemütigt. Ihr Ruf wird beschädigt, der berufliche Stolz und das Selbstvertrauen leiden stark." Das Problem mache längst "nicht am Schultor halt". Eine Untersuchung des Verbands ergab, dass 17 Prozent der befragten britischen Lehrer schon einmal mit Hilfe von Handy oder E-Mail belästigt wurden.
Ein überraschendes Ergebnis ist allerdings: Nur ein Drittel der Befragten macht Schüler für die Belästigungen verantwortlich. Weitere Übeltäter sind Kollegen, Vorgesetzte oder gar die Eltern von Schülern. Beim Cyber-Bullying gibt es demnach auch einen breiteren Täterkreis als beim gewöhnlichen Streichespielen.
"Die Forschung steht noch ganz am Anfang"
In Deutschland ist das Thema noch weitgehend unbekannt - zumindest statistisch gesehen. Eine Auflistung solcher Fälle gibt es nicht, entsprechende Informationen müssen nicht gemeldet werden.
Ein europäisches Pilotprojekt soll nun Fakten sammeln. "Teachers in bullying situations" heißt die Teilstudie eines europäischen Kooperationsprojektes, zu der an der Universität Lüneburg geforscht wird. Lehrern werden für die Untersuchung Fallbeispiele vorgelegt und ihre Reaktionen untersucht.
"Dieses Thema ist bislang national wie international kaum bearbeitet", sagt Heinz Witteriede, der das Projekt in Lüneburg als wissenschaftlicher Mitarbeiter koordiniert. Bullying oder Mobbing seien vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sie über einen längeren Zeitraum erfolgen. "Wenn es sich um einen einzelnen Vorfall handelt, würde ich nicht davon sprechen." Mobbing zu beweisen ist allerdings schwierig. Es dreht sich um eine schwer objektivierbare Größe: die Wahrnehmung des Einzelnen.
Wenn der Job zur Qual wird
In der Parkklinik Heiligenfeld in Bad Kissingen suchen Pädagogen Hilfe, die die Probleme im Schulalltag nicht mehr ohne professionelle Unterstützung bewältigen können. Chefarzt Erwin Schmitt sagt: "Entscheidend für die Entstehung von chronischem Stress ist das Gefühl, von außen beeinflusst oder gar fremdbestimmt zu werden." Die Arbeit wird dann häufig als Schikane empfunden, der Job zur Qual. "Die Patienten haben das Gefühl, die Situation nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Sie sehen keinen Sinn mehr in dem, was sie tun."
Die Gründe für die Belastungen sind zahlreich: Die Klassen werden immer größer, die Eltern immer kritischer, zugleich erziehen sie ihre Kinder immer weniger, und die Kultusbürokratie erlässt immer mehr Auflagen.
Ein Großteil der Lehrer in der Parkklinik leidet unter einer sogenannten Burnout-Depression. "Die Erkrankung wird in den meisten Fällen durch starken beruflichen Stress und nicht durch Veranlagung ausgelöst", sagt Schmitt. Ein konkreter Anlass - wie der Vorfall in der schottischen Schule - sei dann nur noch der Auslöser.
Bei einem Patienten wurde ein Schneeball zum Sinnbild der eigenen Ohnmacht - den hatte ein Schüler dem Lehrer an den Kopf geworfen.
Doch die Lehrer, die sich in Behandlung begeben, haben gute Chancen. In der Therapie werden die Gründe für die Probleme erforscht und praktischer Rat gegeben. "Ein Großteil der Patienten geht wieder zurück in den Schuldienst", sagt Schmitt.
In Großbritannien diskutiert man derweil darüber, wie der Missbrauch technischer Geräte künftig zu verhindern ist. Die "Vereinigung von Lehrern und Dozenten" hat die Betreiber von Internetplattformen dazu aufgerufen, diffamierendes Material umgehend von den Seiten zu entfernen.
Im Fall des entblößten Lehrers aus Schottland funktionierte das, die erste Version wurde von YouTube entfernt - aber erst, nachdem die Bilder um alle Welt gingen. Und in Kopien ist das Video dort immer noch zu finden.

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