Dienstag, 1. Januar 2008

"Die Matrix" - Teil 4


Das neue offizielle Bild des Bundesrates soll insinuieren, dass der Bundesrat die Nähe des Volkes suche. Das Gegenteil ist der Fall. Die Bundesräte und Bundesrätinnen haben auf dem Bild keinen Augenkontakt zum Volk. Sie schauen direkt in die Kamera, die von oben das Volk kontrolliert. Das Volk merkt nicht, dass es überwacht wird. Nur die Mitglieder der Regierung wissen, wie das Kontrollsystem funktioniert, sie dürfen aber nichts darüber verraten, weil sie dem sog. Amtsgeheimnis unterstellt sind. Die "Wirklichkeit" wird von den Massenmedien erzeugt. Die Systemwächter manipulieren das Volk und verkünden in eine Art Dauergehirnwäsche den Menschen, was die "Wahrheit" sein soll. Politologen, Soziologen, Staatsrechtler, Bundesrichter, Psychologen, Psychiater, Mediatoren, Juristen, Heilpädagogen, Supervisoren und Journalisten geben den Nichteingeweihten vor, was diese zu denken haben. "Poltical correctness" heisst das Programm, mit dem die Menschen in das System der "Matrix" eingepasst werden sollen. Wer nicht kooperiert, wird zwangspsychiatrisiert oder mit Rufmord durch die Medien gesellschaftlich erledigt. Das System funktioniert auf der ganzen Welt. Der Film "Matrix" ist eine Allegorie zu dieser Thematik.

"The matrix has you"

Ich glaube, dass der Film noch eine weitere Sinn-Ebene hat, die ihn zu einem subersiven Meisterstück der SF macht und ihn in seiner radikalen Gesellschaftskritik in eine Reihe stellt mit John Carpenters "Sie leben !" (1988) und John Boormans "Zardoz" (1973). Als reinen SF-Film betrachtet, hat er seine konzeptionellen Probleme. Er funktioniert viel überzeugender als Allegorie auf das Stadium des High-Tech-Kapitalismus im Zeitalter seiner Globalisierung. Niemand kann der "Matrix", dem System der Macht, das die Gesellschaft durchzieht und sich in vielfältigen Netzen verzweigt, entkommen.

"Politisch" ist der Film auf der Oberfläche, indem er einen Befreiungskampf zeigt. Er gibt seinen Figuren einen melancholischen Anstrich und vermittelt ein Gefühl der Entfremdung. Morpheus spricht von dieser Ahnung, dass irgendetwas mit der Welt nicht stimme. Die Partisanentruppe lebt im Untergrund und führt einen schwierigen Kampf gegen einen übermächtigen Gegner. Die Erschütterung des Bewußtseins angesichts der Wahrheit wird als menschlicher Konflikt beschrieben, den Cypher nicht länger auszuhalten vermag.

Ich will die Beziehung der Allegorie nicht überstrapazieren, aber ich finde es bemerkenswert, wie in dem Film über "Kontrolle" und "System" geredet wird, so dass sich der Sinn unmöglich in einer SF-Handlung erschöpfen kann. In einer Schlüsselszene erklärt Morpheus Neo, dass die Matrix überall um sie herum sei, dass man sie sehen könne, im Fernsehen, dass man sie fühlen könne, wenn man zur Arbeit oder in die Kirche geht oder wenn man seine Steuern zahlt. Die Matrix sei eine "Scheinwelt", die die Leute davon abhalte, die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind. In der Matrix seien alle von einem unsichtbaren Gefängnis umgeben, einem "Gefängnis für den Verstand". In einer früheren Drehbuchversion, die auf dem Internet kursiert, sollte zu Beginn des Films offenbar eine Hackerdiskussion auf Neos Bildschirm zu sehen sein, die in der jetzigen Filmfassung nicht mehr vorkommt. Ein Hacker meint da, dass die Matrix ein Euphemismus für die Regierung sei, ein anderer, daß sie das System sei, das unser Leben kontrolliere. "Unser Feind ist das System", wie Morpheus an einer Stelle meint. "Die Matrix hat dich", muß Neo im Film auf seinem Monitor lesen.

Insofern ist der Film auch nicht nur etwas für die Leser von Baudrillard, der in der früheren Fassung namentlich auftaucht, sondern auch für die von Michel Foucault, der in seinen Arbeiten die "großen geheimen Mechanismen" der Macht analysiert hat. Das globale System der kapitalistischen Macht wird über ein sich bis auf die Mikroebene wirkendes "institutionelles Informationsnetz" aufrechterhalten und erfaßt das Bewußtsein samt dem Körper. Die Kontrolle kann verschiedene Formen annehmen: vom repressiven Apparat bis hin zu Konsumzwängen. Die Menschen werden über die Verhältnisse normalisiert, das heißt, an die ideologische "Matrix" gekoppelt und in ihren Verhaltensweisen geprägt. Eine Wirkung, die im Film angesprochen wird, ist, dass sie zu angepaßt seien, als dass sie etwas von ihren Positionen aufgeben wollten.

Am Ende, wenn Neo sich befreit, sieht er die Matrix als Code, er gewinnt also eine "strukturelle Sicht" auf die Macht. Der Film läßt offen, was im Zuge dieser "Revolution" passieren wird, die Neo auslöst. Neo spricht von einer "Welt ohne Gesetze, ohne Kontrollen, ohne Grenzen", in der alles möglich sei. Die Autoren wenden hier die Matrix in einen utopischen Raum, der umgestaltet werden kann. Neben seinen tricktechnischen Schauwerten und seinem Spiel mit Medienerfahrungen sind es möglicherweise diese Sinnsplitter, die "The Matrix" zu einem nachhaltigen Eindruck bei den Zuschauern verhelfen.

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