Mittwoch, 30. Januar 2008

Die NATO und der totale Krieg

Will die Nato den totalen Krieg?
Ehemalige Nato-Generäle fordern Möglichkeit des präemptiven Atomkriegs

km. Fünf ehemalige höchste Militärs aus den Nato-Staaten USA, Grossbritannien, Frankreich, Deutschland und den Niederlanden haben nach einem Bericht der britischen Tageszeitung «The Guardian» vom 22. Januar («Preemptive nuclear strike a key option, Nato told») ein 150 Seiten umfassendes Manifest verfasst und dieses während der vergangenen 10 Tage sowohl dem Pentagon in Washington als auch dem Generalsekretär der Nato vorgelegt und präsentiert.
Die fünf Militärs sind:
• John Shalikashvili (USA), ehemaliger Nato-Kommandeur in Europa und von 1993 bis 1997 Vorsitzender des US-Generalstabs;
• Klaus Naumann (Deutschland), Kommandeur der deutschen Streitkräfte von 1991 bis 1996 und ehemaliger Vorsitzender des Militärausschusses der Nato;
• Peter Inge (Grossbritannien), britischer Feldmarschall, Leiter des Generalstabes von 1992–94 und Leiter des Verteidigungsausschusses von 1994–97;
• Henk van den Breemen (Niederlande), ehemaliger niederländischer Generalstabs­chef;
• Jacques Lanxade (Frankreich), ehemaliger Chef der französischen Seestreitkräfte und Leiter des französischen Verteidigungsausschusses.
Diese ehemaligen Militärs malen ein düsteres Bedrohungsszenario für die «westlichen Werte» und die «westliche Lebensart», das den «Westen» als Opfer finsterster Kräfte darstellt, ignorieren aber vollkommen die finstere Rolle eben dieses «Westens» in der heutigen Welt und fordern mit ihrem Manifest das Erstschlagsrecht der Nato mit Atomwaffen, auch gegen Nicht-Atomwaffenstaaten, sowie eine grundlegende Neuausrichtung der Nato. Ein neues «Direktorium» aus US-amerikanischen, europäischen und Nato-Führern soll die Nato führen, um schnell auf Krisen zu reagieren, eine «Obstruktion» der EU soll künftig verhindert werden. Die Nato soll nicht mehr wie bislang einstimmig über ihre Einsätze entscheiden, sondern mit Mehrheitsbeschlüssen. Nationale Vorbehalte wie zum Beispiel beim Nato-Einsatz in Afghanistan soll es zukünftig nicht mehr geben dürfen, und Nato-Staaten, die sich nicht direkt an künftigen Nato-Kriegen beteiligen, sollen innerhalb der Nato hierbei auch kein Mit­entscheidungsrecht mehr haben. Auch ohne Mandat der Vereinten Nationen soll die Nato künftig Kriege beginnen können, und zwar nicht nur im Verteidigungsfall.
Die Vorschläge des Manifestes sollen bei der kommenden Nato-Tagung in Bukarest im April diskutiert werden.

* * *

Ziemlich genau 65 Jahre sind es her, dass der deutsche Propagandaminister Joseph Goeb­bels nach der verlorenen Schlacht um Stalingrad im Berliner Sportpalast den «totalen Krieg» und den unbedingten Gehorsam zum «Führer» forderte. Auch um die westliche Führungsmacht und ihre bisherige Weltmachtpolitik ist es immer schlechter bestellt. Die eigene Kriegswirtschaft steuert auf einen Bankrott zu. Der weltweite aktive Widerstand gegen die Ausbeutungs-, Macht- und Kriegspolitik der US-Regierung und der Globalisierungsprofiteure wächst. Und selbst in Europa wird allmählich erkannt, auf welch katastrophalen Kurs man sich eingelassen hat. Das macht Washington, die Wall Street und London City nervös. Die Fratzen der Herrschaft und des Krieges bekommen noch deutlichere Konturen. «Die Glaubwürdigkeit der Nato steht in Afghanistan auf dem Spiel», sagt der Niederländer van den Breemen, anstatt den Rückzug der Nato aus diesem brutalen Besatzungskrieg zu fordern. Der deutsche General Naumann kritisiert die eigene Regierung, weil sie noch immer auf Sonderbedingungen für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan besteht. Jetzt, wo es ums Ganze geht, soll der Krieg total werden, zumindest soll der totale Krieg angedroht werden. Da stören Diskussionen und Widersprüche. Jetzt soll «geführt» (befohlen) und «gefolgt» (gehorcht) werden.
Nach der Rede von Joseph Goebbels im Sportpalast begann in der Tat der «totale Krieg». Obwohl der Krieg schon verloren war, mussten noch zig Millionen Menschen ihr Leben lassen, erreichte das Ausmass an Zerstörung nochmals neue Dimensionen, wurden die Menschen für immer mehr Rüstung und Krieg bis aufs Blut ausgepresst.
Die USA haben dasselbe in Vietnam seit Mitte der 60er Jahre getan. Alle wussten, dass der Krieg für die USA schon längst verloren war. Trotzdem hat man weitergemacht, weiter gelogen, weiter ein anderes Land zerstört, weiter gemordet.
Und heute? Soll dieser Wahnsinn noch einmal wiederholt werden? Sollen alle «Verbündeten» so an die Kandare genommen und den US-Plänen unterworfen werden, dass am Ende nur noch die totale Katastrophe stehen kann? Die fünf ehemaligen Militärs müssen eine passende Antwort erhalten: Nicht noch einmal lassen wir es zu, dass die Welt auf die Schlachtbank geführt wird! •
Wir warnen vor einem schleichenden Übergang vom Aufbaumandat zur Kriegspraxis in Afghanistan

Erklärung von Dr. Reinhard J. Voss, Generalsekretär der deutschen Sektion von Pax Christi
Der Einsatz der Bundeswehr im Norden Afghanistans steht vor einer Wende. Ab Sommer könnten rund 250 deutsche Soldaten der Internationalen Afghanistan-Schutztruppe (Isaf) nicht nur Aufbauarbeit leisten, sondern erstmals gezielt in Kampfeinsätze geschickt werden. Die Nato hat Deutschland und andere Truppen stellende Isaf-Nationen angefragt, ob sie ab dem Sommer eine Eingreifreserve im Norden Afghanistans stellen könnten. Im Laufe des Januars werde eine Antwort erwartet.
Mit den Beschlüssen zur Weiterführung der drei Mandate 2007 haben sich Regierung und Parlament über den mehrheitlichen Willen der Bevölkerung hinweggesetzt. Nun sehen wir die Folgen: Es gibt kein Halten mehr in Richtung Kampftruppen; es gibt keine erkennbare politische Strategie und kein Ausstiegsszenario. Es kommt einer Kapitulation von Politik gleich, immer mehr auf die Stärkung des Militärs zu setzen. Statt dessen sollte die Bundesregierung innerhalb der Nato endlich eine Debatte über den Strategiewechsel anstossen.*
Angesichts des schleichenden Übergangs von einem Aufbaumandat zur offenen Kriegs­praxis erneuert Pax Christi ihre Forderung nach einem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Wir fordern die Rückkehr zur Politik und nicht den planlosen reaktiven Ausbau von Militär, d.h. einen neuen Dialog aller Konfliktparteien, eine konsequente Unterstützung von Alternativen der Konfliktregelung und des zivilen Aufbaus sowie eine ökonomische und entwicklungspolitische Zusammenarbeit, die dem Land Hilfen gibt beim Umstieg vom Drogen fördernden Mohnanbau zu einer nachhaltigen Wirtschaft.
Wir sehen immer deutlicher, dass der Truppeneinsatz der USA, ihrer Verbündeten und der Nato in Afghanistan sowie die Truppenstationierungen in anderen Ländern Mittelasiens strategisch begründet sind: Es geht um Geo- und Ressourcenpolitik. Die Rechtfertigung als «Bekämpfung des Terrorismus» dient – nicht nur hier – zur Legitimation von kriegerischer Intervention und machtpolitischer Dominanz.
Bad Vilbel, den 17. Januar 2008

*zf. Im April 1999, mitten im völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Serbien, haben die Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten das strategische Konzept der Nato grundlegend geändert – ohne dass danach irgendein Parlament eines Nato-Staates darüber abgestimmt hat. Das neue strategische Konzept verlangt den Nato-Staaten auch eine Beteiligung an völkerrechtswidrigen Angriffskriegen ab. Mit dem Nato-Gipfel in Riga im November 2006 wurde zudem das Einsatzgebiet der Nato auf die ganze Welt ausgedehnt. Auch dies wieder ohne öffentliche Diskussion. Heute ist die Nato ein völkerrechtswidriges Kriegsbündnis für weltweite Kriegseinsätze. Eine intensive Debatte hierüber ist sehr dringend geboten.

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