Rufmord
Freigesprochen und kaltgestellt
Von Andreas Kunz
Ein ehemaliger ETH-Assistenzprofessor wehrt sich gegen Rassismus-Vorwürfe. Vor Gericht wird er freigesprochen. Doch seine Karriere ist ruiniert.
Für sieben Jahre Kampf gegen Rassismus-Vorwürfe, Verleumdung und falsche Gerichtsurteile verlangte der ehemalige ETH-Assistenzprofessor Martin Stricker 3,8 Millionen Franken Entschädigung. Dem Zürcher Obergericht genügten 190 000 Franken. Eine bescheidene Abfindung für eine zerstörte Akademikerkarriere und einen verlorenen Ruf.
Vor acht Jahren war der damals 37-jährige Informatiker auf dem Weg nach oben. Mit einem Abschluss an einer amerikanischen Elite-Universität und besten Referenzen machte sich Stricker berechtigte Hoffnungen auf eine Professur an der ETH Zürich. Vier Jahre hatte er dort bereits als Assistenz-Professor gearbeitet. Dann aber startete er sein verhängnisvolles Projekt.
Als Mitglied einer Arbeitsgruppe beschäftigte sich Stricker mit der Frage, was bei der Internetnutzung legal und was illegal sein soll. Um die Diskussion zu veranschaulichen, platzierte er auf seiner Homepage einen Link zu einer antirassistischen, amerikanischen Homepage, von der aus man mit weiteren Links zu Dutzenden von hetzerischen Seiten gelangen konnte. Ein anderer Link führte zu Seiten mit pornografischen Inhalten. Zweieinhalb Jahre lang war die Website im Internet aufgeschaltet, ohne Konsequenzen. Bis im Februar 2000 der damalige NZZ-Journalist Pascal Krauthammer darauf stiess. Er beauftragte seine Mutter, die Präsidentin der jüdischen Familienvorsorge, mit einer Anzeige gegen Stricker wegen Verstosses gegen das Antirassismusgesetz. Wenige Tage später erschien in der NZZ Krauthammers grosse Story: «ETH-Assistenzprofessor unter Verdacht». Dass der Journalist, der für eine Stellungnahme nicht erreichbar war, im Verfahren eine aktive Rolle spielte, wurde nicht deklariert.
Von der ETH im Stich gelassen
Im aufkommenden Internetzeitalter und kurz nach Einführung der Antirassismusstrafnorm schlug die Story voll ein. Der Tages-Anzeiger zog nach, 20 Minuten brachte Strickers Foto auf der Titelseite. Die ETH versandte schleunigst eine Presseerklärung. Präsident Olaf Kübler versprach schonungslose Aufklärung. Und fiel Stricker – ohne vorige Anhörung – in den Rücken: Er habe der ETH geschadet, man prüfe rechtliche und disziplinarische Schritte bis hin zur Entlassung.
Stricker wehrte sich und erstattete Anzeige gegen Krauthammer wegen Ehrverletzung. Doch der Sohn verwies auf seine Mutter. Das Verfahren wurde verzögert und schliesslich eingestellt.
Vor den Richtern erscheinen musste hingegen Martin Stricker. Dort kämpfte er nicht nur um seinen Ruf, sondern auch um die Freiheit des Internets. Strafrechtsprofessor Marcel Niggli amtierte als Rassismus-Experte und schrieb in seinem Gutachten, der Förderungstatbestand von Rassismus sei erfüllt. Obwohl Strickers Website auf eine antirassistische Seite hinweise, seien rassistische Inhalte damit leichter zu finden als ohne. Das Obergericht zeigte sich befremdet. Es konnte das Vorgehen der Bezirksanwältin und Nigglis Argumentation nicht nachvollziehen. Der Fall sei ungeeignet, um ein Exempel zu statuieren. Die Anklage hätte nie erhoben werden dürfen. Martin Stricker wurde vollumfänglich freigesprochen.
Doch der Kampf fing erst richtig an. An der ETH lief ein Disziplinarverfahren und die jungen Kollegen, die auf seinen Stuhl drängten, fragten bereits nach seinen Utensilien. Seine Karriere sei ja beendet, er werde entlassen. Andere Professoren zeigten Verständnis und würdigten sein Projekt, mit dem er die Forschung über Rassismus im Internet erfolgreich beschleunigt habe. Mit den Links zu den pornografischen Seiten habe er die Professorenwürde aber schwer verletzt.
2002 lief Strickers Amtsperiode als Assistenz-Professor aus. Die ETH wählte ihn nicht zum ausserordentlichen Professor, womit er seinen Professorentitel verlor. Doch dem hochqualifizierten Stricker, als Computer-Architekt ein gefragter Mann, lagen zahlreiche Angebote aus dem Ausland vor. Er entschied sich für die Universität Dresden und unterschrieb einen Vertrag als ordentlicher Professor. Plötzlich aber kamen aus Dresden Bedenken. Der sächsische Ministerpräsident verweigerte seine Unterschrift. Denn in Dresden, wo Neonazis regelmässig randalieren, könne man sich einen Professor mit einer Rassismusanklage nicht erlauben. Dass er freigesprochen worden sei, spiele dabei keine Rolle.
Es begann eine Odyssee mit 45 erfolglosen akademischen Bewerbungen. Zu einer Anstellung ist es nie gekommen. Viele seiner Referenzen stammten von der ETH Zürich. Und sie waren alle nicht wohlwollend. Auch in der Privatwirtschaft blitzte Stricker ab. Das «Reputationsrisiko» sei den Firmen zu hoch, beschieden ihm die Stellenvermittler. Ohne Anstellung und Bezahlung arbeitete Stricker ein weiteres Jahr an der ETH Zürich. Er betreute erfolgreich seine vier Doktoranden, betrieb Forschung und schrieb Gutachten. Nach 18 Monaten ohne Lohn fand er 2003 eine Stelle als Software-Ingenieur bei Google. Doch Stricker, der sein Leben der Forschung gewidmet hatte und schon als 18-Jähriger bei «Jugend forscht» einen Preis gewann, wurde als Programmierer im amerikanischen Grossbetrieb nicht glücklich. Das Arbeitsverhältnis endete per Ende März 2006. Dank Googles Börsengang hatte Stricker immerhin wirtschaftlich ausgesorgt.
Mit seiner Entschädigungsklage vor dem Zürcher Obergericht erhält Stricker 190 000 Franken zugesprochen. In einem ersten Urteil hatte es die Bezahlung noch verweigert. Stricker ging ans Kassationsgericht, das ihm recht gab. Inzwischen urteilte auch das Obergericht, «dass die Beendigung der beruflichen Karriere mit hoher Wahrscheinlichkeit in ursächlichem Zusammenhang mit dem gegen ihn eingeleiteten Strafverfahren steht».
Heute vergleicht Stricker seine Geschichte mit einem Roman von Kafka. Von juristischen Spitzfindigkeiten habe er genug. «Ich würde das Problem gerne mit der ETH nach ethischen Gesichtspunkten besprechen », sagt Stricker. Doch die Hochschule gibt sich zugeknöpft. «Dieser Fall liegt einige Jahre zurück. In der Zwischenzeit sind neue Verantwortliche am Ruder, die nicht darin involviert sind. In der Sache haben die Gerichte entschieden», sagt Sprecher Norbert Staub.
Eine neue Anstellung fand Stricker bisher nicht. Seit einem Monat ist er ausgesteuert. 2007 startete er ein Studium an der HSG St. Gallen. Das Zürcher Amt für Arbeit und Wirtschaft droht aber bereits mit Sanktionen. Als künftiger Sozialfall sei ein solches Studium nicht möglich.
Quelle: www.weltwoche.ch
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