Donnerstag, 24. Januar 2008

Das Antirassismusgesetz - ein politisches Kampfinstrument

Antirassismusgesetz
«Das ist Chabis»

Von Alex Baur und Andreas Kunz

Die Weltwoche wird wegen eines Verstosses gegen das Antirassismusgesetz angeklagt. Daniel Jositsch, Strafrechtsprofessor und SP-Politiker, beobachtet kritisch, wie sich die Strafnorm zum politischen Kampfinstrument entwickelt hat.

«Auch die Ehrverletzung ist eine Eingrenzung der freien Rede»: Jurist und Nationalrat Jositsch.

Herr Jositsch, in der Debatte um den Völkermord an den Armeniern hat die Weltwoche neben der Genozid-Version einen Essay des vormaligen Oxford-Professors Norman Stone veröffentlicht, der die gegenteilige Ansicht der Türkei darlegt. Jetzt läuft ein Strafverfahren gegen unser Blatt wegen Verstoss gegen das Antirassismusgesetz (ARG). Was halten Sie davon?
Ich glaube nicht, dass das Vorgehen der Weltwoche tatsächlich strafbar ist. Strafbar ist das Leugnen von Völkermord.
Eine sachliche Berichterstattung über Ereignisse muss selbstverständlich möglich sein. Es kann nicht sein, dass man etwas faktisch nicht erwähnen darf. Das ARG muss sehr zurückhaltend angewendet werden, das war auch die ursprüngliche Idee des Gesetzgebers. Mir gefällt nicht, dass es sich in gewissen Kreisen zu einem politischen Kampfinstrument entwickelt hat.

Das ARG ist in seinem Wesen eine politische Strafnorm, die letztlich auf die Meinungsäusserungsfreiheit zielt.
Die Meinungsäusserungsfreiheit war bereits vorher nicht grenzenlos. Sie hört dort auf, wo der andere betroffen ist. Auch die Ehrverletzung ist eine Eingrenzung der freien Rede.

Der Vergleich hinkt. Ehrverletzung geschieht zwischen zwei Individuen, dahinter steckt ein Rechtsempfinden, das sich über Jahrhunderte entwickelt hat. Das ARG stellt die abstrakten Diffamierungen eines Kollektivs unter Strafe. Das ist eine völlig neue Dimension in unserem Rechtssystem.
Auch im ARG geht es um betroffene Individuen eines Kollektivs, die von rassistischen Äusserungen betroffen sind. Das Ziel des ARG war nie, den Rassismus aus der Welt zu schaffen. Es geht darum, das Ausmass einzuschränken und die öffentlichen Äusserungen zu verbieten, die eine gewisse Gefahr in sich bergen. Das wird auch von den Gerichten so angewendet. Das Problem ist, dass es sehr viel mehr Anklagen gibt als letztlich Verurteilungen, weil es Leute gibt, die das ARG gezielt missbrauchen.

Alle Experten bescheinigten der Weltwoche bislang, dass sie sich nicht strafbar gemacht habe. Doch allein die Tatsache, dass ein Verfahren läuft, stellt einen enormen Schaden dar, nicht zuletzt auch finanzieller Natur – die Verteidigung kostet Zeit und Geld.
Das sind genau diese Fälle, die gezielt lanciert werden und am Schluss nichts bringen. Deshalb plädiere ich ja dafür, dass vor der Eröffnung eines Verfahrens eine Vorprüfung stattfindet, um die politische Komponente herauszunehmen und solche Fälle zu verhindern. Eine Untersuchung wie jene gegen die Weltwoche bringt letztlich nach meiner Einschätzung das ganze Gesetz in Verruf.

Weil es ein gefährliches und nutzloses Gesetz ist. Auch wenn die Weltwoche vom Vorwurf entlastet werden sollte, ist es laut Bundesgericht immer noch verboten, den Völkermord an den Armeniern in Frage zu stellen. Aber es ist doch nicht Aufgabe der Justiz, über die Geschichtsschreibung zu urteilen, das sollten wir den Historikern überlassen.
Die Gerichtsurteile basieren auf Fakten der Historiker. Genozid ist genau definiert nach einer internationalen Konvention.
Mit Ausnahme von Armenien gibt es dabei keine Zweifel, weder beim Holocaust, in Ruanda, Jugoslawien ...

In der Geschichtsschreibung herrscht freier Wettbewerb, sie wird permanent revidiert, und wenn keine Erkenntnis mehr radikal hinterfragt werden darf, so ist dies das Ende der Geschichtsschreibung. Wenn die Armenierfrage nicht mehr gestellt werden darf, wird jede Forschung sinnlos – dann ist der Genozid keine historische Erkenntnis mehr, sondern ein Dogma.
Forschen und hinterfragen dürfen Sie weiterhin. Ihre öffentlichen Äusserungen müssen sich einfach auf Tatsachen abstützen.

Die Tatsachen, das Massaker an vielen Armeniern durch die Osmanen, ist ja unbestritten. Die Diskussion dreht sich um die Zahl der Toten, die Umstände und vor allem das Ziel und die Beweggründe der Osmanen.
Völkermord ist im Strafgesetzbuch definiert als Vorgehensweise, die darauf zielt, einer Bevölkerungsgruppe physisch die Existenzgrundlage zu entziehen. Das Gericht sieht sich nun die Fakten an und entscheidet, ob diese Definition zutrifft. Falls ja, darf dies nicht mehr geleugnet werden. Ob es jetzt 300 000 oder eine Million tote Armenier gibt, ist – auch wenn es zynisch tönt – für diese Frage unerheblich. Es geht um das Motiv.

Genau, darum geht es – und wenn türkische Historiker oder eben Stone behaupten, die Ausrottung der Armenier sei gar nicht das Ziel der Osmanen gewesen, handelt es sich um eine historische Einschätzung, nicht um ein Faktum.
Ich bin kein Historiker. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob das Bundesgericht bei seiner Einschätzung des Völkermords an den Armeniern zu einem richtigen oder falschen Urteil gekommen ist. Ich kann nur erklären, wie es zum Urteil kommt. Es hat historische Fakten eingeschätzt und ein Urteil gesprochen. Das war die Aufgabe des Bundesgerichts. Auch bei klassischen Völkermorden wie im Zweiten Weltkrieg sind viele Hintergründe umstritten. Dass der Völkermord an sich stattgefunden hat, dürfen Sie aber nicht leugnen.

Es gibt zahlreiche Völkermorde und, wie bei jedem historischen Vorgang, viele Interpretationen. Nehmen wir zum Beispiel die Indianer. Der Schweizer Historiker Urs Bitterli kam zum Schluss, dass die Indianer vor allem durch Seuchen zugrunde gegangen und namentlich von den Spaniern relativ pfleglich behandelt worden seien. In Amerika ist dagegen die Meinung weitverbreitet, die Ausrottung der Indianer sei der grösste Genozid der Menschheitsgeschichte. Vielleicht muss das Bezirksgericht Lenzburg dereinst entscheiden, wer recht hat und wer was sagen darf.
Das ist jetzt sehr theoretisch. Es geht nicht um historische Diskussionen, sondern um Tatsachen, die von der Faktenlage her unbestritten sind. Nochmals, der Klassiker sind die Konzentrationslager im Zweiten Weltkrieg. Kein vernünftiger Mensch bestreitet diesen Völkermord. Ein Leugnen wäre eine Beleidigung der jüdischen Bevölkerung und birgt eine Gefahr für eine Legitimation extremistischer Gruppen und ihrer Ansichten.

Das Gesetz beschränkt sich nicht auf den Holocaust. Ein anderes Beispiel: Die Bombardierungen von Hiroshima oder Dresden, wo das Ziel die Vernichtung einer ganzen Stadt und ihrer Bevölkerung war – muss man da nicht auch von Genozid reden?
Nein, denn es fehlte an der Absicht, einen Völkermord zu begehen.

Jetzt kommt vielleicht irgendein Staatsanwalt und ist der Meinung, dass es doch ein Genozid war – und dass der Jositsch nun bestraft werden muss. Sie haben ein Verfahren am Hals und gelten bis zum Beweis des Gegenteils als Rassist.
Aber ich werde freigesprochen. Natürlich würde mich das Verfahren stören und mir vielleicht schlaflose Nächte bereiten. Wie gesagt: Das Gesetz muss zurückhaltend angewendet werden. Aber dafür kann ich natürlich keine Garantie abgeben. Jeder ist frei, eine Anzeige zu machen.

In der Türkei ist es den Historikern verboten, von einem Genozid an den Armeniern zu reden; und in der Schweiz ist es bei Strafe verboten, den Genozid zu verneinen. Ein Historiker wird je nachdem unter Strafandrohung verpflichtet, das eine oder das andere zu behaupten, und beide Seiten sind völlig überzeugt, recht zu haben. Das ist nicht nur absurd, das ist finsteres Mittelalter.
Ich bin kein Historiker und beurteile diesen Fall nicht. Die Justiz darf einen Fall nur beurteilen, wenn die Fakten ausser Frage stehen.

Wenn bei uns Politik und die Justiz festlegen, was historisch korrekt ist, dann machen wir genau das, was wir der Türkei vorwerfen.
Es gibt kein Land, wo Sie alles behaupten dürfen. Durch die Ehrverletzung wird die Redefreiheit bereits eingeschränkt.

Nach wie vor stellen weltweit nur wenige Länder das Verneinen eines Genozids unter Strafe, im angelsächsischen Raum wären solche Redeverbote schlicht undenkbar und im Internet sowieso.
Jeder Mensch und jede Gruppe hat das Recht, vor Meinungsäusserungen geschützt zu werden, die falsch und verletzend sind. Es gibt kein Recht auf Diffamierung.

Wenn wir eine Meinung nicht hören wollen, müssen wir nicht hinhören. Das Verbieten einer Überzeugung ist immer schlimmer als die Überzeugung an sich, und mag sie noch so idiotisch sein.
Ich kann mich nur wiederholen: Man muss das Verbot auf Extremfälle beschränken. Die Schwäche des ARG liegt in seiner Anwendung. Es werden Leute in Verfahren gezogen, die nicht dahin gehören, wie zum Beispiel nach meiner Einschätzung die Weltwoche. Das ist Chabis.

Wir haben uns alle 350 ARG-Anzeigen angeschaut, die in der Schweiz in den letzten zehn Jahren eingereicht wurden. In den meisten Fällen geht es um Lappalien – eine Schnitzelbank, ein mehrdeutiger Spruch in einer Politkampagne oder darum, ob ein Ausländer «Scheissschweizer» sagen darf (es gibt dazu zwei widersprüchliche Urteile). Es gibt lediglich ein halbes Dutzend Fälle, bei denen es um schwerwiegende Dinge wie eben Genozid geht. Die Relationen stimmen nicht.
Ich bekomme effektiv viele Mails von Leuten, die mir Beispiele von möglichen Verletzungen des ARG durch die üblichen rassistischen Beschimpfungen berichten. Ich rate den Leuten dann, die Sache fallenzulassen. Schwere Fälle sind tatsächlich selten, das stimmt, aber das ist ja gut so.

Und dafür soll die Weltwoche nun in Kauf nehmen, missbräuchlich des Rassismus bezichtigt zu werden, bloss weil wir in der Armenier-Debatte die offiziöse Position der Türkei neben der offiziösen Position der Schweiz dargestellt haben – damit die Leute wenigstens wissen, worüber gestritten wird. Tausende von Staatsanwälten hätten gegen uns ermitteln können, einer hat es nun getan – das ist doch reine Willkür.
Das ist selbstverständlich nicht das Ziel des ARG. Die Frage ist nun, wie wir das lösen wollen. Wenn im Keller ein Problem ist, sollten wir nicht das ganze Haus abbrechen. Das Problem ist nicht das Gesetz, sondern die vielen diffamierenden und letztlich erfolglosen Anklagen, denen man einen Riegel schieben muss.

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