Auf der Seite des Volkes
Referat von Christoph Blocher, abgew. Bundesrat,
anlässlich der 20. Albisgüetli-Tagung am Freitag, 18. Januar 2008
Viele Bürger haben auch Erbarmen mit mir persönlich. Ich danke, aber dies ist wirklich nicht nötig. Sie wissen gar nicht, was für Vorteile mir als ehemaligem Mitglied des Bundesrates zustehen.
So wird mir zum Beispiel von der Bundesverwaltung Trost spendend mitgeteilt, dass - sollte ich als ehemaliges Mitglied des Bundesrates einmal sterben - ich das Anrecht habe, dass mindestens zwei Mitglieder des Bundesrates an meiner Beerdigung teilnehmen werden - mit zwei Weibeln. (Sie verstehen, dass ich unter diesen Umständen alles daran setzen werde, sicher erst nach dem Rücktritt der heutigen sieben Bundesräte zu sterben!)
Sollte meine Frau einmal sterben - wird mir weiter mitgeteilt - so wird bei der Abdankung meiner Frau ein Bundesrat teilnehmen - allerdings ohne Weibel. Sie sehen, wir können unserer Beerdigung getrost entgegen sehen.
Auch steht mir als abgewähltem Bundesrat gemäss Reglement ein Geschenk im Wert von 10'000 Franken zu. Ich dürfte - so liess man verlauten - auch ein Geschenk aus dem Magazin auslesen, wo die Gaben der ausländischen Staatschefs an die Eidgenossenschaft eingelagert sind. So habe ich mir überlegt, ich könnte mir beispielsweise das letzte Geschenk von China aussuchen und es dann Bundespräsident Couchepin - für die hohe Ehre des Präsidialamtes - als mein persönliches Geschenk überreichen. Weil er so gerne reist, wird er dieses Jahr sicher auch irgendwann in China aufkreuzen und könnte so das Geschenk den Chinesen zurückschenken, damit die Chinesen beim nächsten Staatsbesuch wiederum ihr Geschenk der Schweiz überreichen könnten. Viele könnten so schenken, alle haben eine grosse Freude und dieses "Perpetuum mobile" würde niemanden etwas kosten. Das wäre dann mein letzter direkter Beitrag zum Abbau von Kosten als Bundesrat gewesen.
Volkes Stimme nicht mehr im Bundesrat
Das Volk habe man aus dem Bundesrat geworfen. Volkes Seele sei tief verletzt, schreibt mir ein Sekundarlehrer aus dem Kanton Graubünden. Das Parlament habe sich vor laufender Kamera selbst entwürdigt, obwohl das gleiche Parlament bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit die "Würde des Parlamentes" und die "Würde der Institutionen" hochleben Hesse - schreibt eine Mutter mit fünf Kindern!
Wenn ich die zahllosen empörten Briefe aus der Bevölkerung lese, sehe ich die Leute vor mir, wie sie über die Festtage an ihren Stuben- und Küchentischen sitzen. Auch viele einfache Leute sind darunter! Sie schreiben - zwei-, dreiseitige Briefe. Viele von Hand. Mit tiefen und erwägenswerten Gedanken über unser Land - schöne Gedanken. Über die Politiker - weniger schöne Gedanken. Die Leute schämen sich über die Parlamentarier. Sie haben die Abwahl am Fernsehen mitverfolgen können. Hinterhältigkeit, Neid und Hass seien aus den Gesichtern der Parlamentarier gequollen.
Die Bürger merkten offenbar, dass es bei dieser Abwahl weder um das Volkswohl noch um das Wohl des Landes ging. Von der Leistung gar nicht zu reden.
Sieg oder Niederlage?
Mit steigender Abscheu gegenüber der Classe politique steigt die Sympathie gegenüber der Schweizerischen Volkspartei. Man wollte ja mit dieser Wegwahl nicht nur meine Person, sondern auch die erfolgreiche SVP abstrafen. Bis zehntausend Bürgerinnen und Bürger spontan einer Partei beitreten wollen, braucht es viel - aber das ist jetzt geschehen. Nun weiss ich plötzlich nicht mehr, ob die Wegwahl eine Niederlage oder einen Sieg bedeutet.
Es ist wieder fast wie vor den Wahlen: Unsere Gegner "sind Teil von jener Kraft, die stets das Böse will, und doch das Gute schafft!"
Die Mitte-Links-Regierung als Faktum
Damit ist die SVP - notabene die einzige bedeutende Kraft, welche sich für die Unabhängigkeit des Landes, für die dauernde Neutralität, gegen den EU-Beitritt, für Steuersenkungen, für sparsames Haushalten, gegen die Ausuferung des Staates, gegen die Missbräuche im Asylbereich, gegen die Jugend- und Ausländerkriminalität einsetzt - nicht mehr im Bundesrat vertreten. Also verfolgen wir diese Politik anderswo: Gezwungenermassen ausserhalb der Regierung! Eben in der Opposition.
Dauernd wird gefragt, ob die SVP in die Opposition gehen solle oder nicht. Nein, meine Damen und Herren, die SVP geht nicht in die Opposition. Die SVP ist seit dem 12. Dezember 2007 in der Opposition. Sie wurde von den verbliebenen drei Regierungsparteien in die Opposition gedrängt. Sie hat keine andere Wahl.
Die SVP muss so lange in der Opposition bleiben, bis das Parlament die von der SVP vorgeschlagenen und ihr genehmen Vertreter in die Regierung wählt. Die eigenen Vertreter kann man nur selbst bestimmen.
Die SVP in der Opposition
Opposition hat eine grosse Bedeutung: Wo alle miteinander regieren, ist die Gefahr gross, dass niemand mehr Licht in das Dunkel der Unfähigkeit und Misswirtschaft bringt. Wo dieses Licht fehlt, entsteht Vetternwirtschaft, Sauhäfeli-Saudeckeli-Mentalität, Misswirtschaft, Korruption.
Auch Opposition geht immer vom Auftrag aus. Auch die Oppositionsarbeit dient zu dessen Erfüllung.
Für eine unabhängige Schweiz
Wir wollen eine unabhängige Schweiz. Von einem grossen Teil des Parlamentes, von den heutigen Regierungsmitgliedern und von der Verwaltung wird die Unabhängigkeit missachtet oder nicht ernst genommen. Nicht mehr die Schweizer sollen ihre Zukunft selbst bestimmen können, sondern andere bestimmen, was in unserem Lande gelten soll.
Nein: Es ist dem Trend Einhalt zu gebieten, dass ausländische Staaten, ausländische Organisationen oder irgendwelche internationale Gremien - und seien sie noch so prominent bestückt - das Sagen haben. Es muss wieder klargestellt werden, wer eigentlich der Gesetzgeber ist in diesem Land: nämlich das Volk, wir, die Bürgerinnen und Bürger. Wir opponieren gegenüber allen Bestrebungen, welche dieser Selbstbestimmung zuwider laufen.
Die SVP in der Opposition hat diesen Kampf noch energischer als bisher zu führen.
Auch bei den bilateralen Verträgen lohnt es sich - angesichts des Geschwätzes und angesichts des hohen Liedes über den Bilateralismus - wieder einmal das Grundsätzliche zu sehen: Für die gegenwärtigen Beziehungen der Schweiz zur Europäischen Union sind insbesondere folgende Elemente von Bedeutung:
Eine erste Feststellung
Nach dem Nein zum EWR im Jahre 1992 wurde mit dem Volk der bilaterale Weg beschritten, so wie wir Gegner das damals vorgeschlagen haben. Die Abschlüsse verschiedenster Verträge mit der EU haben es sowohl der EU als auch der Schweiz ermöglicht, die wichtigsten Punkte zu regeln. Eine gründliche Analyse zeigt mir: Für die Wahrung der wesentlichen Interessen der Schweiz bestehen keine offenen Fragen mehr. Ein weiterer Handlungsbedarf zur Wahrung der schweizerischen Interessen ist nicht gegeben.
Eine zweite Feststellung
Keines der zurzeit in Verhandlung stehenden oder zur Verhandlung anstehenden Dossiers ist von grosser vitaler Bedeutung für unser Land. Es gibt gewisse angestrebte Abkommen, die sind vielleicht sowohl für die Schweiz als auch für die EU nützlich, aber nicht entscheidend oder zwingend.
Sie sind "nice to have". Doch gibt es eine Reihe von ausstehenden Abkommen, die vielleicht für die EU nützlich sind, für die Schweiz aber eher nachteilig.
Eine dritte Feststellung
Bei wichtigen Dossiers ist die Interessenlage klar und eindeutig zugunsten der EU. Die Verwaltung würde sagen: Die EU ist der "Demandeur". Sagen wir es deutsch und deutlich: In drei Fragen klopft die EU als Bittsteller an unsere Tür. Es sind dies: Das Abkommen über die Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Mitglieder Rumänien und Bulgarien; das Abkommen für die Ausrichtung von finanziellen Leistungen an Rumänien und Bulgarien (sog. "Kohäsionszahlungen"); das bilaterale Abkommen im Elektrizitätsbereich.
Diese drei Abkommen braucht die EU. Nicht aber unbedingt die Schweiz. Doch, meine Damen und Herren, diese Dossiers stehen nicht im luftleeren Raum: Zusätzlich fordert die EU nämlich von der Schweiz, das heisst von einem unabhängigen, ausserhalb der EU liegenden Staat, in unanständiger und gefährlicher Weise die Änderung unserer innerstaatlichen Steuergesetze! Und da - meine Damen und Herren - gilt es endlich für die Schweiz hinzustehen und zu handeln und dies zu vermeiden.
Eine vierte Feststellung
Mit der Forderung der EU, der Schweiz und ihren Kantonen die volle Steuersouveränität abzusprechen, hat die EU eine ernsthafte und gefährliche Situation für die Schweiz geschaffen. Zwar stehen die EU-Länder nicht einstimmig hinter der Strategie der EU-Kommission, doch hat bisher kein Land gegen das Verhandlungsmandat gestimmt. Die Position der EU ist rechtlich unhaltbar. (Auch das Freihandelsabkommen ist keine juristische Grundlage). Trotzdem ist der politische Druck der EU hoch und die allfälligen wirtschaftlichen Folgen wären gravierend. Zudem ist der Konflikt grundsätzlicher Natur: Die Schweiz kann es nie zulassen, dass man jetzt auch noch ausserhalb der bilateralen Verträge in ihre Hoheit eingreift.
Wie der Bundesrat diesem Druck begegnen will, ist zurzeit völlig offen. Die jetzigen Kontakte zur EU in dieser Sache werden offiziell nicht als Verhandlungen bezeichnet. Der Bundesrat legt Wert darauf, dass es nur Konsultationen bzw. Gespräche, aber nicht Verhandlungen seien. Ich hoffe, jedermann kenne diesen Unterschied, vor allem auch die EU!
Dabei kann nicht genug betont werden: Im Interesse der Schweiz dürfen keine Kompromisse eingegangen werden. Diese Haltung hat der Bundesrat auch vor den Eidgenössischen Wahlen 2007 klar vertreten, weil er wohl erkannt hat, dass dies auch der Meinung der Bevölkerung entspricht.
Eine fünfte Feststellung
Im Kampf um ihre Steuersouveränität wird die Schweiz Druck auf die EU ausüben müssen, damit sie zu einem befriedigenden Ergebnis kommt. Wie dargelegt, liegen drei Dossiers vor, in denen die EU unbedingt ein Abkommen will, die für die Schweiz aber nicht lebensnotwendig sind, sondern eindeutig im Interesse der EU liegen.
Sowohl das Elektrizitätsabkommen als auch das Personenfreizügigkeitsabkommen werden verhandelt, ohne diese mit den Steuerverhandlungen zu verknüpfen. Das ist schlecht.
Auch bei den Kohäsionszahlungen für Rumänien und Bulgarien sind im Hintergrund Diskussionen im Gange, ohne dass bis jetzt Bedingungen zu den erhobenen Steuerforderungen gestellt wurden.
Bedingungen
Darum hat die SVP jetzt einzugreifen. Denn ohne Zustimmung - notfalls durch den Souverän - können die Verträge nicht in Kraft gesetzt werden. Die SVP wird das erweiterte Personenfreizügigkeitsabkommen auf jeden Fall bekämpfen, wenn nicht folgende klare Bedingungen erfüllt sind:
1. Für das Personenfreizügigkeitsabkommen mit Rumänien und Bulgarien ist die verlängerte Übergangsfrist von zusätzlich fünf Jahren unabdingbar.
2. In Bezug auf die Rücknahme krimineller oder illegal anwesender Staatsbürger, ist mit Rumänien und Bulgarien eine Regelung zu vereinbaren. Das gilt insbesondere für die rumänischen Roma, die zurzeit in Italien grosse Probleme bereiten. Dies muss auch für die Zeit nach der Übergangsfrist gelten.
3. Es werden keine weiteren Einschränkungen der schweizerischen Arbeitsmarktbedingungen hingenommen (sog. flankierende Massnahmen) wie dies die Gewerkschaften verlangen. Die freiheitlichen Arbeitsbedingungen in der Schweiz stellen einen grossen wirtschaftlichen Vorteil dar und sind dank fairer Arbeitgeber sozial. Eine Verrechtlichung will niemand. Lediglich bei den Gewerkschaften scheint es Missstände zu geben. Sonst wäre es nicht zu erklären, dass drei leitende Gewerkschaftsbosse der Unia wegen Mobbing verurteilt werden mussten! (Wegen Mobbing wird sehr selten jemand verurteilt!)
4. Als entscheidende Bedingung - auch wenn die Detailbedingungen zum Freizügigkeitsabkommen erfüllt sind - gilt aber:
Weder das Personen- noch das Elektrizitätsabkommen dürfen genehmigt werden, falls bis dann die EU nicht auf ihre Forderungen gegenüber der Schweiz betreffend die Änderungen unserer innerstaatlichen Steuergesetze ein für alle Mal verzichtet. Die schweizerische Steuerhoheit ist ein für alle Mal zu gewährleisten.
Ohne definitive Beseitigung der unhaltbaren Steuerforderungen wird die SVP sowohl das erweiterte Personenfreizügigkeitsabkommen als auch das Elektrizitätsabkommen parlamentarisch bekämpfen, das Referendum ergreifen, und in der Volksabstimmung gegen die beiden bilateralen Abkommen antreten.
Sie sehen, über Opposition schwadroniert man nicht. Man macht sie.
Auf der Seite des Volkes
Es liegt in der Natur der Sache, dass es beachtliche Interessensgegensätze zwischen den Interessen der Bürger und den direkten Interessen der Politiker gibt.
Politiker wollen Geld. Mit Geld können sie Tätigkeiten entfalten, Macht ausüben, sich die Bürger abhängig machen, eigenverantwortliche Bürger entmündigen, strafen und schwächen.
Höhere Geldmittel haben für die Politiker einen Doppeleffekt: Einerseits nimmt man dem Bürger das Geld. Damit wird der Bürger geschwächt. Der Politiker wird dagegen gestärkt. Andererseits verteilt der Politiker dieses Geld, so wird der Bürger vom Politiker abhängig. Die Bürger werden zu Untertanen. Sie werden geschwächt. Die Politiker werden gestärkt.
Aber auch beim EU-Beitritt klaffen Bürger- und Politikerinteressen weit auseinander. Politiker, die als Hauptinteresse nur ihr gut bezahltes Amt sehen, Politiker - und auch von diesen gibt es mehr als genug - die nur darauf aus sind, ihren Einfluss zu sichern, wollen mit aller Macht in die EU. Dort sind alle für alles verantwortlich, aber keiner für etwas. Die Entschädigungen sind fürstlich und das lästige Wahlvolk lässt diese Politiker in Ruhe. Die Bürger haben aber genau das gegenteilige Interesse. Die Bürger wollen ihre Zukunft selber bestimmen und nicht einen grossen teuren Apparat bezahlen.
Sie sehen, meine Damen und Herren, als Opposition kommen wir gar nicht in Versuchung, die Interessen der Classe politique zu vertreten. Es sind nicht die unsrigen. Wir stehen unzweifelhaft bei den Bürgern. Den Versuchungen der Classe politique können wir als Nichtregierungspartei auch leichter widerstehen.
Wir machen weiter. Die gleiche Politik. Einfach an einem anderen Ort. Und mit anderen Mitteln. Aber unsere politischen Ziele bleiben die gleichen. Der Vertrag mit dem Volk gilt.
Wir sind nicht aus Prinzip gegen alles. Aber wir werden aus Prinzip gegen alles Falsche sein.
Christoph Blocher
Freitag, 25. Januar 2008
Blochers Kampf gegen die Zerstörung der Schweiz
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