Grosspapa, warum verkauft die Nationalbank so viel Gold?
Zu den aggressiven Goldverkäufen der Schweizerischen Nationalbank, zur Finanzkrise – und zur direkten Demokratie
Gespräch mit Enkelin Nicole
von Dr. rer. publ. Werner Wüthrich, Zürich
Nicole: Grosspapa, Charlies Vater hat gesagt, die Schweizerische Nationalbank will noch mehr Gold verkaufen.
Grossvater: Das ist richtig. Vor kurzem besass unsere Notenbank noch 2600 Tonnen Gold. Davon hat sie bereits die Hälfte verkauft. Nun hat sie begonnen, noch mehr Gold zu verkaufen. Bis im September sollen noch weitere 250 Tonnen Gold verkauft sein. Sie besitzt dann weniger als 40 Prozent des ursprünglichen Bestandes. Weitere Verkäufe sind durchaus möglich.
Weshalb hat die Nationalbank überhaupt so viel Gold?
Unsere Eltern und Grosseltern haben das veranlasst. 1951 – nach dem Zweiten Weltkrieg – hat eine Volksabstimmung stattgefunden. Es ging um folgendes: In der Bundesverfassung sollte die Bestimmung verankert werden, dass der Schweizer Franken künftig mit Gold und mit kurzfristigen Forderungen gedeckt sein solle. Das Volk und alle Kantone stimmten mit einer überwältigenden Mehrheit zu – mit über 70 Prozent Ja-Stimmen. Es ging damals nicht nur darum, den Wert, die Stabilität und die Unabhängigkeit des Schweizer Frankens zu sichern. Es ging auch darum, grössere Goldreserven anzulegen – quasi als Versicherung für Notzeiten. Damals tobte ein schrecklicher Krieg in Korea. Für Krisen- und Kriegszeiten – welcher Art auch immer – sollte eine grössere Notreserve geschaffen werden, auf die auch künftige Generationen zurückgreifen können. Man kann das heute alles in den Protokollen unseres Parlamentes nachlesen. Unsere Grosseltern haben es nicht nur mit dem Gold so gemacht, sondern auch mit Öl und anderen Rohstoffen. – So wollten es unsere Eltern und Grosseltern. Heute bist du so eine «künftige» Generation.
Weshalb ist Gold überhaupt so wichtig für das Land?
Es hat sich in der Kulturgeschichte der Menschheit vor etwa zweieinhalbtausend Jahren herausgebildet, dass das Gold in sich einen Wert hat – nicht nur als Schmuck, sondern auch als Geld. Dieser Wert ist unabhängig von Gesetz und Politik. Niemand hat das so erfunden oder gar befohlen. Es hat sich so herausgebildet und gilt noch heute. Die Banknoten und heute auch das elektronische Geld haben dagegen ihre Tücken – vor allem dann, wenn zuviel davon in Umlauf gelangt. Das ist ganz einfach. Orell Füssli und andere Druckereien liefern sie ganz billig. Vor allem kann man leere Staatskassen damit füllen, um teure Kriege zu finanzieren. So verliert das Geld allmählich seinen Wert, und kein Gesetz kann dies verhindern. Du hast gestern im Fernsehen den Spielfilm gesehen, der vor etwas mehr als 100 Jahren in den USA spielt. Die Familie mit den zwei Kindern hat ein Pferd für 5 Dollar gekauft. Letzte Woche warst Du in New York und hast selbst erlebt, was man heute noch für 5 Dollar kaufen kann. Dazwischen liegen 100 Jahre amerikanische Geschichte. Auch wir Europäer könnten einiges dazu erzählen.
Was für eine Rolle spielt das Gold heute für die Notenbanken?
Die Notenbanken besitzen neben dem Gold auch Dollars, Euro und andere Währungen. Sie besitzen auch viele Wertpapiere. Wie sicher vermeintlich sichere Wertpapiere sind, haben in diesen Wochen die UBS und viele andere Banken erlebt. Das einzige Zahlungsmittel, das über Jahrhunderte seinen Wert behalten hat, ist das Gold. Das Gold ist ein ganz besonderer Wert, auch wenn es seit etwas mehr als 70 Jahren kein Zahlungsmittel mehr ist. Es ist nach wie vor Geld, auch wenn es manche nicht wahrhaben wollen. Die Banker können dies an ihren Bildschirmen genau beobachten. Sobald der Dollar wieder etwas schwächer wird, steigt innert Minuten der Goldpreis. Das heisst jedoch nicht, dass das Gold deshalb mehr Wert ist. Sondern es bedeutet, dass man für das wertstabile Gold mehr Dollars bezahlen muss, die wieder ein bisschen an Wert verloren haben. Deshalb hat das Gold in unserer unsicheren Welt auch für die Notenbanken nach wie vor eine besondere Bedeutung.
Das ist spannend, Grosspapa. Erzähl weiter. Was ist nach der Abstimmung von 1951 in der Schweiz geschehen?
In etwas mehr als zehn Jahren hat die Schweizerische Nationalbank die Goldreserven von etwa 800 Tonnen (Stand nach dem Zweiten Weltkrieg) massiv auf 2600 Tonnen aufgestockt. Du kannst das in den Monatsberichten der Nationalbank nachlesen. Das kam aber nicht einfach so. Unsere Eltern und Grosseltern haben viel dafür gearbeitet – auch am Samstag, und sie hatten viel weniger Ferien als heute.
Dieses Gold war in den folgenden Jahrzehnten für die Politik «heilig», das heisst alle Politiker und auch die Führung der Nationalbank haben den Willen und die Arbeit unserer Grosseltern respektiert und das Gold nicht angerührt. Das Gold basierte auf einer nationalen Übereinkunft und war auch für kommende Generationen eine Versicherung für den Notfall. Es hat auch zum guten Ruf des Schweizer Frankens in der ganzen Welt beigetragen. Er war so gut wie Gold.
Waren das dieselben Grosseltern, von denen im Fernsehen immer wieder gesagt wird, sie hätten im Zweiten Weltkrieg schlimme Fehler gemacht – wegen der Flüchtlinge und so?
Ja.
Komisch – es ist doch toll, dass unseren Grosseltern das Wohl von uns Enkeln so am Herzen lag. Ich finde es nicht richtig, abschätzig Geschichten über sie zu erzählen.
Ich denke auch. Wer für seine Nachkommen auf eine so vorbildliche Art sorgt, achtet auch seine Mitmenschen.
Grosspapa, warum will die Nationalbank dieses Gold heute unbedingt loswerden? Ist denn die heutige Zeit sicherer als die damalige? Brauchen wir heute keine Versicherung mehr?
Es gibt heute Kriege und Krisen – genauso wie damals. Vielleicht ist die Weltlage sogar noch gefährlicher, weil noch nie so viel Geld für Waffen ausgegeben wurde wie heute und die sichere Versorgung mit Öl und anderen Rohstoffen bald einmal in Frage gestellt sein könnte. Streit und Krieg um Öl könnten durchaus eskalieren.
Weshalb will denn die Nationalbank die Goldreserven verscherbeln, für die unsere Grosseltern so hart gearbeitet haben? Und was ist mit den riesigen Schulden, die heutige Politiker angehäuft haben?
Sie erwarten wohl, dass wir sie zurückzahlen. Und die Vorsorge, auf die wir in Notzeiten einmal zurückgreifen können sollten, verkaufen sie.
Da sind mir doch unsere Grosseltern viel sympathischer. Es ist keine Kunst, Schulden zu machen und im grossen Stil das Gold zu verkaufen, für das andere gearbeitet haben. – Da stimmt doch etwas nicht.
Hmh …
Was erhält die Nationalbank für das Gold, das sie verkauft?
Die 250 Tonnen Gold, die heute zum Verkauf anstehen, sollen gegen US-Dollars verkauft werden.
Was? Gegen US-Dollars? Grosspapa, höre ich richtig? – Charlies Vater hat gesagt, dass die USA Tag für Tag viele Dollarnoten drucken oder Dollars elektronisch herstellen, um ihre Kriege im Irak und in Afghanistan zu finanzieren. Sie hätten dies schon in Vietnam so gemacht. Deshalb sei der Dollar heute nur noch einen Bruchteil von damals wert. Charlies Vater sagt, dass die Schulden der Amerikaner heute so riesig seien, dass sie gar nicht mehr zurückbezahlt werden könnten. Zudem könnten die Amerikaner sowieso nicht sparen. – Wenn das so ist, dann können doch Dollars nicht so sicher sein wie Gold.
Hmh – ich denke, du hast recht. Dazu kommt, dass die Notenbanken heute riesige Mengen neues Geld in das Finanzsystem pumpen, um zahlreichen unvorsichtigen Banken, die sich verspekuliert haben, aus der Patsche zu helfen. Auf jeden Fall wissen die Amerikaner sicher am besten, warum sie von ihren eigenen Goldreserven kein einziges Kilogramm verkaufen. Es gibt auch Länder, die begonnen haben, ihre Dollars in Gold umzutauschen – die Russen und Chinesen zum Beispiel. Oder sie kaufen sich damit in westliche Firmen ein – in der Schweiz zum Beispiel in die UBS, wie man hört. Singapur macht es ebenso. Dieses kleine Land wird bald 10 Prozent der UBS besitzen.
Charlies Vater hat gesagt, die Goldreserven in der Schweiz seien Volksvermögen und könnten nur mit einer neuen Volksabstimmung verkauft werden. 1951 hat das Volk in einer Abstimmung beschlossen, vorausschauend grosse Goldreserven anzulegen. Also hätte heute auch der Verkauf dieser Reserven wieder auf die gleiche Weise entschieden werden müssen. So ist das in der direkten Demokratie. Das gilt um so mehr, als unsere Grosseltern diesen Beschluss in einem Verfassungsartikel verankert haben.
Das ist richtig. Politische Führungsgremien in der Schweiz sind lediglich Verwalter und dürfen das ihnen anvertraute Volksvermögen nicht einfach verkaufen.
Ja, das Volk ist Eigentümer und muss gefragt werden. Wir sind doch keine Bananenrepublik! – Hat eine Volksabstimmung über den Verkauf des Goldes stattgefunden?
Nein – eine solche hat nicht stattgefunden. Vor wenigen Jahren haben der Bundesrat und auch die Führung der Nationalbank behauptet, die Hälfte des Goldes sei überflüssig und könnte verkauft werden. Das ist inzwischen auch geschehen, und zwar ohne die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger zu fragen. Der Erlös ist bereits verteilt. Ein grosser Teil des Geldes ging an die Kantone, die oft auch die Gemeinden teilhaben liessen. Die Gemeinde Buchberg am Rhein, die wir am Sonntag besucht haben, hat zum Beispiel 200 000 Franken bekommen. Sie will damit den Platz vor dem Gemeindehaus neu gestalten. Einige haben auch Schulden zurückbezahlt. Der reiche Kanton Zürich hat die vielen Millionen mit den normalen Staatsausgaben einfach verbraucht. Heute verkauft die Nationalbank weitere 250 Tonnen Gold. Der Wert des Goldes sei gestiegen, also bräuchten wir weniger Gold, sagen die Verantwortlichen. Eine merkwürdige Logik: Bevor das Gold in einer Krise gebraucht wird, wird es verkauft.
Wie konnte und wie kann das nur geschehen?
Das alles war nur möglich, weil unsere Politiker in der neuen Bundesverfassung den Artikel herausgenommen haben, dem unsere Grosseltern 1951 mit überwältigendem Mehr zugestimmt haben und der vorschrieb, dass unsere Landeswährung zu einem grossen Teil mit Gold gedeckt sein müsse. Dieser Artikel war auch in der heutigen Währungsordnung mit flexiblen Wechselkursen keineswegs veraltet, weil er die Art und Methode der Golddeckung offenliess. – Mit seiner Beseitigung jedoch war der Weg frei für die Goldverkäufe, wie wir sie heute erleben, und deren Sinn eigentlich niemand so richtig versteht. So munkelt man hinter vorgehaltener Hand, die Amerikaner würden Druck machen. Eine nationale, stabile und zu einem grossen Teil mit Gold gedeckte Währung würde heute stören. Schliesslich leben wir in einer globalen Welt, in der Tag für Tag – aus dem Nichts – riesige Mengen neues Geld in Umlauf gebracht werden, um Börsen zu beruhigen, Banken zu helfen, die Konjunktur anzukurbeln, Kriege zu finanzieren und manches mehr. – Die Frage bleibt: Musste deshalb die Übereinkunft gebrochen werden, die unsere Grosseltern eingegangen sind und für die sie hart gearbeitet haben?
Weshalb haben die Stimmbürger die neue Bundesverfassung nicht einfach abgelehnt?
Weil sie nicht richtig informiert wurden. Der Bundesrat hat vor der Abstimmung im Radio und am Fernsehen gesagt, die neue Bundesverfassung enthalte nichts Neues und sei lediglich sprachlich und vom Aufbau her überarbeitet und modernisiert worden. Heute wissen wir, dass das nicht stimmt. Das ist ein Beispiel von irreführender Behördenpropaganda.
Grosspapa, das ist ja ein richtiger Skandal! Und so war das nicht gewollt. Die verkaufen das Gold, das eigentlich für uns Junge bestimmt war, und das uns in einer Notlage einmal helfen sollte. Das ist ungetreue Geschäftsführung, wofür man eigentlich ins Gefängnis kommt. Für unsere Kinder existiert das Gold wohl nur noch in den Geschichtsbüchern. Ich möchte nicht wissen, wie sie einmal über uns reden werden. Ist doch wahr.
Nicole – jetzt aber Schluss.
Kommentar
Es stimmt nicht ganz, dass in der Sache «Gold» die direkte Demokratie ganz ausgehebelt wurde. Es hat zahlreiche Goldabstimmungen gegeben. Bereits 1949 konnte das Volk über einen Währungsartikel abstimmen, der dem Bund freie Hand gegeben hätte, über die Zusammensetzung der Währungsreserven zu bestimmen («Der Bund bestimmt Art und Umfang der Deckung»). Der US-Dollar (damals bewertet zu Fr. 4.37) galt als absolut sicher und bot sich als Devisenreserve an. Bundesrat, Parlament und die Nationalbank waren dafür. Die Stimmbürger dagegen sagten nein – mit über 60 Prozent der Stimmen. Das war ein deutlicher Fingerzeig – zum Glück. 1951 wurde ein Artikel angenommen, der den Satz enthielt: «Die ausgegebenen Banknoten müssen durch Gold und kurzfristige Guthaben gedeckt sein.» Dieser Artikel wurde im Jahr 2000 – 49 Jahre später – in der neuen Bundesverfassung ersetzt durch einen Artikel, der den Weg für die Goldverkäufe freimachte.
In neuerer Zeit kam es zu weiteren Volksabstimmungen. Im Jahr 2002 wurde darüber abgestimmt, wie der Erlös aus den Goldverkäufen zu verwenden sei. Es lagen zwei Vorschläge auf dem Tisch: Geld für den Bund, die Kantone und die sogenannte Solidaritätsstiftung oder alles Geld für die AHV. Das Volk sagte zweimal nein. Danach hat der Bundesrat den Erlös an den Bund und die Kantone verteilt, ohne eine weitere Volksabstimmung durchzuführen. In meinen Augen kam im Stimmverhalten der Bürgerinnen und Bürger die Enttäuschung und der Protest gegen eine politische Elite zum Ausdruck, die sie in der zentralen Frage «Goldverkauf ja oder nein» übergangen hat. Das «überschüssige» Gold war nicht einfach ein Haufen Edelmetall, von dem niemand weiss, wo er sich befindet, und den man irgendwann als überflüssig «entsorgen» kann. Das Gold war ein gemeinsames Projekt, an dem eine ganze Generation mitüberlegt, mitdiskutiert, mitentschieden und vor allem mitgearbeitet hat.
Heute sind Fragen offen. Manches im Verhalten der Verantwortlichen ist nur schwer verständlich. Warum fährt die Nationalbank nach der umstrittenen Halbierung der Goldreserven mit den Verkäufen einfach weiter, als ob nichts geschehen wäre? Obwohl sowohl der Bundesrat wie auch die Nationalbank erklärt hatten, es werde kein weiteres Gold verkauft. – Es gibt Indizien, dass eine Grossmacht Druck ausgeübt hat und immer noch ausübt. Oder erfolgen die Goldverkäufe im Hinblick auf eine weitere Annäherung an die EU oder gar im Hinblick auf einen Beitritt? Die Mitglieder der EU haben die Verantwortung über ihre Goldreserven dem Direktorium der Europäischen Zentralbank übergeben (Amsterdamer Vertrag, Kapitel 2 Art. 105 Abs. 2).
Es drängen sich Parallelen zum Zweiten Weltkrieg auf. Auch damals hat eine Grossmacht Druck auf die kleine Schweiz ausgeübt. Nationalrat Stamm hat am 5. Oktober 2007 ein Postulat mit folgendem Inhalt eingereicht: «Der Bundesrat wird ersucht, dem Parlament einen Bericht über die Hintergründe des Goldverkaufs der Nationalbank vorzulegen. Wer hat wann aus welchen Gründen die verschiedenen Goldverkäufe vorgeschlagen? Im speziellen ist die Frage zu beantworten, ob es Abmachungen mit ausländischen Nationalbanken zum koordinierten Verkauf von Gold gibt.»
Man kann nur hoffen, dass nicht wieder 50 Jahre vergehen müssen, bis die Bevölkerung Antwort auf diese Fragen erhält. Direkte Demokratie, offene und ehrliche Information sind das beste Mittel gegen Druckversuche aller Art. Diese Weisheit gilt sicher auch für das Verhältnis zur EU.
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