Wenn der Chef einen Scherz macht
Von Markus Somm
Mengele, Mörgele und der Duce: Bundespräsident Pascal Couchepin meint wohl wirklich, was er sagt. Im Freisinn hat er jeden Rückhalt verloren.
Hätte sich Christoph Blocher als Bundesrat erlaubt, was sich Bundespräsident Pascal Couchepin leistete, als er die Namen Mörgeli und Mengele durcheinanderbrachte: Blocher hätte es politisch nicht überlebt. Obschon von wenigen offen ausgesprochen, dampft im Hintergrund das Wissen, dass es allein darum geht. Vor wenigen Monaten hat man einen Bundesrat aus dem Amt entfernt, weil dessen «Stil» nicht goutiert wurde, heute nennt der freisinnige Bundespräsident einen gewählten Parlamentarier einen Nazi – oder lässt zumindest diesen Eindruck aufkommen. Dass es der gleiche Bundespräsident ist, der Anfang Jahr in Le Temps den Niedergang der «politischen Kultur» beklagte, macht die Sache vollends grotesk. Die Revolution frisst ihre Kinder. Jahrelang haben die Gegner der SVP dieser Partei vorgeworfen, die politische Kultur zu zerstören. Nun werfen die gleichen Leute mit Stinkbomben. Betreten schweigen die Spezialisten für Stilfragen.
Wer das Protokoll studiert, das SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli anhand der Tonbandaufnahmen angefertigt hat, kann schwer nachvollziehen, dass es sich hier um einen Versprecher gehandelt haben soll, wie Couchepin beteuert. In einer Sitzung der Wissenschaftskommission des Nationalrates – man behandelte den Verfassungsartikel über die Forschung am Menschen – sagte Couchepin: «Es gibt doch noch Dinge, die zu tun man kein Recht hat. Nicht wahr? [Pause] Sonst kommt man zur Forschung des Doktors???... äh?... Ich musste mich nach seinem Namen erkundigen, weil ich glaubte, dass es Doktor Mörgele war, aber es war Mengele [teilweise grosse Heiterkeit].» Besonders herzhaft lachten offenbar die Beamten, die Couchepin mitgebracht hatte, unter anderem der Direktor des Bundesamtes für Gesundheit, Thomas Zeltner. Wenn der Chef einen Scherz macht, lacht der gute Angestellte. Aber auch Parlamentarier stimmten ins Gelächter ein. «Ich gebe zu: Ich lachte mit», sagt ein Teilnehmer, «aber nicht, weil ich es lustig fand, sondern vor Schreck. Es war, wie wenn jemand etwas ganz Peinliches tut.» Wie ein schlüpfriger Witz am falschen Anlass.
Es war nicht Couchepins Tag. Die Sitzung begann um acht Uhr früh am Freitagmorgen. Er wirkte ungeduldig und schlecht gelaunt. Im Glauben, seine Vorschläge ohne Verzug durch die Kommission bringen zu können, zeigte er sich irritiert, als die Parlamentarier Bedenken äusserten. Besonders die Bürgerlichen machten Einwände, nur die Grünen waren begeistert. Aus liberaler Sicht schien er die Forschungsfreiheit zu sehr beschneiden zu wollen. Im Kern ging es aber nicht um viel. «Es war bloss ein Pfusch», sagt ein Nationalrat. «Wir verlangten eine Überarbeitung.» Viel Zeit verliert Couchepin deshalb nicht. Dennoch, so berichten Beobachter übereinstimmend, war ihm anzumerken, dass er die Kritik schlecht vertrug. Er argumentierte fahrig, neigte zu Sarkasmus. Als Couchepin der fatale Mörgeli-Mengele-Vergleich unterlief, hatte Mörgeli den Raum bereits verlassen. Hätte Couchepin das Gleiche gesagt, wenn der Zürcher noch anwesend gewesen wäre? Das weiss nur Couchepin selbst. Noch in der Sitzung erhob Mörgelis Parteikollege Oskar Freysinger Einspruch. Kein anderer Parlamentarier intervenierte. Nach der Sitzung, die kurz nach elf endete, strebten alle auseinander. «Wir redeten nicht mehr darüber. Und ich hoffte, dass bloss die Medien nichts davon erfahren», sagt ein Freisinniger.
Üble Ausdünstungen
Ob Witz oder Versprecher, ob Lüge oder Unwahrheit: Couchepins Aussetzer sind berüchtigt. Wenn Parteifreunde nicht so stimmen, wie er es will, schreckt er vor Beschimpfungen nicht zurück: «Idioten, Dummköpfe!» Was ihn auszeichnet: Die Freude am politischen Pulverdampf, der Mut, eine Attacke zu reiten, der durchaus gute Humor (ab und zu), kurz sein Temperament – es ist auch eine grosse Schwäche. Couchepin neigt zur Disziplinlosigkeit. Zwar betont er oft, wie sehr er die Politik liebe, so sehr, dass er sich offenbar nie vorstellen kann, sein Amt als Bundesrat abzugeben. Man fragt sich, welche Politik er meint. «Das langsame Bohren harter Bretter», wie der deutsche Soziologe und Protestant Max Weber es beschrieb, ist nicht die Sache des Walliser Katholiken. «Couchepin interessiert sich nur für die Tagespolitik», sagt ein einflussreicher FDP-Wirtschaftspolitiker: «Strategische Fragen kann man mit ihm nicht diskutieren. Ich habe es aufgegeben.»
Dieser kurzsichtige Blick mag Couchepin dazu verleitet haben, das Phänomen SVP gründlich misszuverstehen. Selbst wenn es ein Versprecher war: Im Grunde seines Herzens hält Couchepin Blochers SVP für eine Bedrohung der Demokratie, wie er sie definiert. Wahrscheinlich meint Couchepin wirklich, was er unbedacht, aber glasklar sagt, um es hinterher zur Unverständlichkeit zu entstellen. Was ihm bei der SVP in die Nase sticht, hält er für ein faschistisches Gerüchlein. Anders kann man nicht erklären, warum Couchepin dauernd mit Nazi-Metaphern hantiert. Dass er schon im vergangenen Herbst Blocher mit dem Duce, also Mussolini, verglich, ist kein Zufall. Fragt man nach, entwindet sich Couchepin. Er habe Blocher nicht direkt als Duce bezeichnet, redete er sich heraus. Nur das «politische Klima» erinnere ihn an die dreissiger Jahre. Die Meinung der SVP, ohne Blocher gehe die Schweiz unter, entspreche den Behauptungen der italienischen Faschisten. Es sind dies Sophistereien eines guten Advokaten. Alle, ob Freunde oder Feinde, wissen, was Couchepin meint.
Couchepin ist klug genug, Blocher nicht offen als Hitler zu bezeichnen, aber gerne deutet er es an: «Die stärkste Partei könnte den Staat führen, indem sie das Volk bei den Emotionen packt», sagte er 2004, knapp ein Jahr nach Blochers Wahl in den Bundesrat, in der NZZ am Sonntag: «Manchmal habe ich den Eindruck, gewisse SVP-Leute glauben, die Regierung müsste mit dem Volk paktieren. Dann könne man das Parlament, das ihnen lästig erscheint, ausschalten. Solche Ideen sind in der Geschichte nicht neu – und sehr gefährlich.» Eine merkwürdige Sorge: Die direkte Demokratie ermöglicht es dem Volk, so gut wie jeden Beschluss des Parlaments in einer Abstimmung rückgängig zu machen, das Parlament auszuschalten. Das ist nicht Faschismus, wie Couchepin warnt, sondern unsere Verfassung. «Ja, ich glaube, dass Christoph Blochers Haltung gefährlich für unsere Demokratie ist», sagte er im gleichen Interview. Was hat Blocher getan? Das Parlament aufgelöst, einen Volksentscheid kassiert, einen Bundesrat geohrfeigt? Blocher hat sich geweigert, nach der Abstimmung über die erleichterte Einbürgerung, die das Volk gegen den Wunsch von Bundesrat und Parlament verworfen hatte, dies zu kommentieren. Das Volk sei der Souverän, sagte Blocher. Faschismus? Auch diese laut Couchepin «gefährliche» Vorstellung steht in unserer Verfassung.
Seit dem Aufstieg Mussolinis in den zwanziger Jahren gehört es zu den bevorzugten Methoden der Linken, die Bürgerlichen, die Konservativen und die Liberalen als «Faschisten» zu verleumden. Ursprünglich von Stalin erfunden und zeitweise selbst auf die Sozialdemokraten angewandt («Sozialfaschisten»), stellte sich dieser Vorwurf besonders nach dem Holocaust als Wunderwaffe der Kommunisten heraus. Zum einen vermochten sie damit elegant von den irritierenden Ähnlichkeiten des Sozialismus mit dem Faschismus und Nationalsozialismus abzulenken, zum anderen war es ein moralisch derart gewichtiger Verdacht, dass die so Kritisierten sich sofort von sich selbst distanzierten und die Fahne strichen. Bald war alles faschistisch, was nicht links war. Sich als «rechts» zu bezeichnen, roch bereits nach Hitler. Nirgendwo war die Linke erfolgreicher als in der Schweiz: Nach der harten Auseinandersetzung um den EWR und der bitteren Niederlage gegen Blocher übernahmen auch Bürgerliche den linken Kampfbegriff, um damit die bürgerliche Konkurrenz der SVP zu bekämpfen. Couchepin steht nicht allein. Schon Franz Steinegger, der jahrelange Präsident der FDP, schlug mit der Faschismus-Keule auf die Blocher-Partei ein. Was einst ausschliesslich eine rhetorische Waffe der Linken war, kam dank Steinegger und Couchepin im staatstragenden Freisinn an.
Besonders für die FDP war es eine grosse Versuchung. Sie schützte vor Selbstkritik. Nicht aus politischen Gründen hatte man Wähler verloren, lautete die tröstliche Erkenntnis, sondern die SVP spielte mit gezinkten Karten. Sie überzeugte die Leute nicht, sondern Blocher, der «Führer», verführte sie. Politische Magie. Dass die FDP damit einen grossen Teil der eigenen ehemaligen rechtsbürgerlichen Wähler für unzurechnungsfähig, ja «faschistisch» erklärte, nahm sie in Kauf. Gewiss kann man für unsympathisch halten, dass Blocher die SVP straff führt, dass er Fremdenfeinde anzieht und Paläokonservative. Aber das tat de Gaulle genauso oder Reagan oder Thatcher. Dafür pilgerte die Linke bis weit in die achtziger Jahre nach Ostberlin und Nicaragua. Niemand glaubt ernsthaft, dass die SVP eine faschistische Partei ist. Man zieht es vor, mit dem Verdacht zu spielen. Darauf angesprochen, weicht man aus, weil es unmöglich ist, den Beweis zu führen.
Die Aussitzung
«Wir müssen ihm dankbar sein», lobte SP-Nationalrat Andreas Gross den Bundespräsidenten in der Berner Zeitung: «Unbewusst brachte Couchepin auch zum Ausdruck, was ihn beschäftigt und Teil der Wahrheit ist.» Ob Gross Couchepin hilft, ist fraglich. Je mehr Linke ihn preisen, desto schlimmer für die FDP. Im Deutschschweizer Freisinn hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass diese permanente «Weltkriegs-Rhetorik» nichts bringt, sondern eigene Wähler der SVP zutreibt. Seit wann sind tiefe Steuern faschistisch? «Nicht schon wieder!», klagen die meisten freisinnigen Gesprächspartner. Niemand will zitiert werden. Die meisten Zitate sind ohnehin nicht zitierbar. Auch im finanzkräftigen Klub der Freunde der FDP kam Unruhe auf. Einflussreiche Mitglieder forderten, dass Couchepin endlich gehe. Man hat die Bocksprünge des Wallisers satt. Sein Rückhalt ist verdampft. Würde Couchepin erfahren, was die Parteifreunde hinter vorgehaltener Hand über ihn sagen: Er würde aus der Partei austreten. Am Dienstagabend traf man sich zur Aussprache in der FDP-Geschäftsleitung. Vermutlich ergebnislos: Couchepin kann sich nicht mehr entschuldigen, und die FDP kann ihn nicht aus dem Amt drängen, weil die CVP wohl den Sitz erbt. Es bleibt die Hoffnung auf das Verrinnen der Zeit.
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