Mittwoch, 20. Februar 2008

Der Kosovo und die Machtpolitik der USA

Die Kosovo-Politik des EDA:* Quo vadis?
von Prof. Albert A. Stahel, Institut für Strategische Studien, Wädenswil, Schweiz

Beim Ausbruch des Nato-Luftschlages gegen das damalige Rumpf-Jugoslawien betonten alle Medien in der Schweiz die Grausamkeiten der serbischen Armee gegen die Albaner des Kosovo. Nach dem Einmarsch der Kfor-Einheiten in den Kosovo am 12. Juni wurden durch die Nato-Informationsmaschinerie in aller Eile westliche Journalisten in den Kosovo eingeladen und ihnen zerstörte Häuser der Albaner gezeigt. Kein Mensch erwähnte dabei die durch die albanische UÇK, ursprünglich durch albanische Banditen gebildet, an den Serben begangenen Greueltaten. Der damalige Chef des VBS (Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport), Ogi, bezeichnete die UÇK sogar als Freiheitskämpfer.
Eine gründliche Besichtigung des Kosovo im März 2000 ermöglichte es dem Autor, vor Ort eine eingehende Aufnahme und Beurteilung der während des Einmarsches der Kfor durch die UÇK angerichteten Zerstörungen zu erstellen. In verschiedenen Städten und Ortschaften waren die serbischen Quartiere ausradiert und dem Erdboden gleichgemacht worden. Ein ähnliches Bild bot auch ein in den Bergen ausgelöschtes serbisches Dorf. Im südlichen Teil von Mitrovica hatte der damalige UÇK-Kommandant Rahman Rama das Roma-Viertel vor dem Eintreffen der Franzosen ausradiert. Belegt durch 600 Aufnahmen ergab sich folgendes Bild:1
– zerstörte serbische Wohnquartiere in den Städten Pec, Djakovica und Prizren
– die gesprengte orthodoxe Kirche von Suva Reka
– ein zerstörtes serbisches Bergdorf
– ausgelöschtes Roma-Quartier von Mitrovica
Die Serben lebten damals – mit Ausnahme von Mitrovica, einer geteilten Stadt, – in Enklaven und mussten durch Kfor-Einheiten geschützt werden.
Am 17. März 2004 brachen im Kosovo Unruhen aus, die durch die Gewalt albanischer Menschenmengen – 33 gewaltige Demonstrationen mit 51 000 Teilnehmern – geprägt waren. Diese Unruhen dauerten drei Tage. Der Auslöser dieser Unruhen war eine bewusste oder unbewusste Falschmeldung über den Tod von zwei albanischen Jugendlichen. Folgende Zerstörungen fanden statt:
– 19 Tote und 900 Verletzte
– 70 Fahrzeuge der UN wurden zerstört
– 550 Häuser, 27 Kirchen und 2 Klöster der Serben wurden in Brand gesetzt
Die Kfor, die gemäss der UN-Resolution 1244 für die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung verantwortlich ist, versagte 2004 bei der Auftragserfüllung vollständig. Verantwortlich für das Versagen waren die verschiedenen Führungsebenen, so die politische Führung gewisser Nato-Staaten, das Kfor-Kommando und Offiziere aller Grade. Des weiteren entsprachen auch die Ausrüstung und Ausbildung einzelner Kontingente nicht dem ursprünglichen Auftrag. Im einzelnen versagten folgende Kfor-Kontingente total:2
– das deutsche Kontingent der MNB SW (deutsche Soldaten flohen vor den Demonstranten),
– das französische Kontingent der MNB N (es erfolgte kein Einsatz von Blendgranaten gegen die Demonstranten und für den Schutz einer orthodoxen Kirche wurden marokkanische Soldaten eingesetzt, die aber ihren Standort sehr bald verliessen),
– das italienische Kontingent der MBN SW (gewisse Offiziere sollen direkt paralysiert gewesen sein).
Einzig das amerikanische Kontingent der MNB E erfüllte mit seiner Militärpolizei nahezu den gestellten Auftrag. Durch die Nato wurde nach den Unruhen eine Untersuchung beschlossen, mit dem Bericht wurde die Angelegenheit jedoch beschönigt und die Versager erhielten die notwendigen Persilscheine.
Die letzten Wahlen im Kosovo haben Hashim Thaçi und die UÇK an die Macht gebracht. Wer ist eigentlich dieser UÇK-Chef? Bekannt ist, dass er in Zürich Politikwissenschaft studiert hat. Wenig bekannt ist, dass er sich während des Besuches von Vorlesungen für die Führung von Guerilla-Kriegen und für die Unterstützung der afghanischen Mudschahedin durch die USA in ihrem Krieg gegen die UdSSR 1979–1989 interessierte. Nur wenige wussten auch, dass sein Bruder – dem es nach dem Einmarsch der Kfor gelang, die Treibstoffversorgung unter seine Kontrolle zu zwingen – im Kosovo zur Organisierten Kriminalität (OK) gehörte.
Wenig bekannt ist hierzulande auch, dass die Führungsstruktur der UÇK auf dem albanischen Stammessystem beruht und damit durch die kosovarische OK bestimmt wird. Die Beziehungen zwischen den Menschen im Kosovo regelt übrigens der Kanun. Die kosovarische OK gilt zusammen mit der albanischen OK in Fachkreisen als die mächtigste und schlagkräftigste OK in Europa. Ihre Haupttätigkeiten sind der Drogen- und der Menschenhandel. Nachdem die Kfor 1999 bei der Entwaffnung der UÇK gescheitert ist, dürfte die kosovarische OK heute schwerbewaffnet sein – und zwar nicht nur mit Jagdflinten.
Unter dem Einfluss der USA setzt sich die Aussenpolitik der Schweiz mit ihrer Chefin für die Unabhängigkeit des Kosovo ein. Es bleibt nur die Hoffnung, dass sich das EDA über die Konsequenzen der Unabhängigkeit bewusst wird. Abgesehen von der Tatsache, dass der Schutz der Minderheiten im Kosovo – es gibt neben den Serben und den Roma noch andere Minderheiten – nicht geregelt ist, muss mit einer Abspaltung des serbischen Nordteils von Mitrovica gerechnet werden. Der Nordteil von Mitrovica wird bereits heute direkt durch Belgrad kontrolliert und geführt. Dort befinden sich auch die Minen.
Es muss aber auch die geopolitische Bedeutung des Kosovo erwähnt werden. Serbien und der Kosovo sind Teil der berühmten Balkanroute. Über diese Route erfolgt der Heroinschmuggel nach Mitteleuropa und damit in die Schweiz. Aber auch die Donau ist für den Transport von Gütern aus dem Schwarzen Meer von Bedeutung. Die EU hat bewusst die Reparatur und Wiederinstandstellung der durch die Nato 1999 zerstörten Brücken ­finanziert. Es gibt aber weitere geopolitsche Faktoren zu beachten. Die USA haben im Südosten des Kosovo den mächtigen Stützpunkt Bondsteel errichtet. Dieser Stützpunkt ist der grösste seiner Art in Europa. Eine Aufgabe dieses Stützpunktes könnte der Schutz der Nabucco-Erdgaspipeline der EU sein, die über Bulgarien nach Österreich führen soll.
Es gibt weitere geopolitische Faktoren. Die Russische Förderation ist nicht bereit, ihren einzigen verbliebenen Alliierten in Südeu­ropa, Serbien, der Machtpolitik der USA und der Europäer zu opfern. Der strategische Wert von Serbien ist für Russland hoch, kann doch über dieses Land Einfluss auf die politische und wirtschaftliche Entwicklung nicht nur des Balkans, sondern auch auf ganz Südosteu­ropa ausgeübt werden. Ein Mittel der Einfluss­nahme ist die gemeinsame religiöse Gemeinschaft der Orthodoxie, welcher die Griechen, die Bulgaren, die Rumänen und die Mazedonier angehören. Im Balkan und damit auch im Kosovo zeichnet sich der gleiche Machtkampf ab, der auch im Transkaukasus und in Zentralasien zwischen den USA und Russland tobt. Dabei geht es vor allem um die Führung und Kontrolle von Pipelines – die Europa mit Erdgas aus dem Kaspischen Meer und Zentralasien zu versorgen haben – durch die USA oder durch die Russische Föderation.
Die Schweiz könnte mit ihrer Kosovo-­Politik sehr bald zwischen die Fronten geraten. Oder soll mit der im Kosovo stationierten Swisscoy gar die Organisierte Kriminalität des Kosovo geschützt werden? •

1 Aus Gründen der Einfachheit werden die serbischen Bezeichnungen verwendet.
2 Lizentiatsarbeit 2007 an der Universität Zürich. Dieses Dokument ist geistiges Eigentum des Instituts für Strategische Studien, Wädenswil. Es darf nicht auf anderen Homepages als www.strategische-studien.com abgelegt werden, das Erstellen eines Links ist jedoch erlaubt. Eine Verwendung in der gedruckten Presse ist nur nach Absprache mit dem Autor zugestanden. Das Dokument darf nur als Ganzes oder in Absprache mit dem Autor zitiert werden.
* EDA – Eidgenössisches Departement für Äusseres

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