Freitag, 30. November 2007

Die Totalisierung der Volksschule

Heute werde ich immer noch angefragt für Einzel- und Team-Supervisionen, in seltenen Fällen noch von einzelnen Schul­häusern, die ihre Zusammenarbeit verbessern möchten. Die Rektorate jedoch fragen nicht mehr an. Sie wissen mittlerweile, dass ich ihren Auftrag ablehnen oder neu verhandeln würde. Vor zehn Jahren bekam ich noch Aufträge, in denen es darum ging, den Menschen die Möglichkeit zu bieten, sich entwickeln zu können. Das Zentrum meiner Arbeit, das waren die Menschen und das Wissen darum, dass eine Schule aus ein paar Gebäuden und ansonsten aus Schülerinnen und Schülern, aus Lehrerinnen und Lehrern - Menschen eben - besteht. Ich bin immer davon ausgegangen, dass die Stärke der Lehr­personen der wichtigste Faktor bei der Entwicklung der Qualität einer Schule darstellt. Damals waren sich auch Rektoren bewusst, dass Lehrpersonen Menschen sind - nicht nur Funktionsträger­ und auch sie eine Persönlichkeit besitzen, die es wert ist, entwi­ckelt zu werden, die sogar entwickelt werden muss, denn gerade in diesem Beruf wirken sie, wie sonst nirgends so stark, als ganze Person auf ihr Gegenüber, also auf die Kinder. Heute liegt das Schwergewicht der Interventionen nicht mehr beim Menschen, sondern ausschliesslich bei den Strukturen. Das gesamte System unserer Schule soll in den nächsten Jahren grundlegend geändert werden und das hat schon begonnen. Dabei spielt die einzelne Lehrperson mit ihren Besonderheiten, mit ihrer Individualität keine Rolle mehr. Vereinheitlichungen, Normierungen und die so genannte Verschriftlichung sind gross im Trend. Die Bildung von Unwörtern übrigens auch.
Heute spriessen Projekte, Konzepte, Pilotversuche wie Giftpilze aus dem Boden. Die müssen dann eben verschriftlicht werden, das heisst, dass jeder Gugus schriftlich vorliegen muss. Zudem wird das gesamte Schulsystem grundlegend auf den Kopf gestellt. Nehmen wir mal eines der aktuellen Projekte: die Ver­teilung der sonderpädagogischen Ressourcen auf alle Standorte. Innerhalb von nur wenigen Monaten sollen alle sonderpädagogi­schen Stunden einer Stufe grundlegend neu umverteilt werden. Was nie ausgesprochen wurde ist Folgendes: Die Sonderklassen verschwinden praktisch von der Bildfläche, die Sonderlehrer wer­den jetzt alle Wanderpädagogen, die Kinder in den Regelklassen mal hier mal da unterstützen. Separation ist pfui! Integration ist hui! Das ist die neue Devise, die von den Herren auf den richtigen Sesseln propagiert und durchgesetzt wird. Um dieses Ziel zu erreichen, werden Führungs-, Entwicklungs- und Arbeitsgruppen gebildet. Organisationsentwickler werden - für sehr teures Geld angestellt, um die verschiedenen Funktionen dieser Gruppen und deren Zusammenwirken in unverständlichen Sätzen, denn das tönt doch gescheiter - zu defi­nieren. Wie die Mitglieder der einzelnen Gruppen untereinander zu funktionieren haben, wird selbstverständlich auch nicht ver­gessen. Innerhalb sehr enger Rahmenbedingungen, die natürlich auch von einer externen Leitung im Auftrag der Rektorate festge­halten werden, werden nun Lehrkräfte dazu verknurrt, neben ihren sonstigen Aufgaben die Vorstellungen der Rektoren und ihrer Helfer für ihr Schulhaus umzusetzen. Das nennt man dann partizipativen Führungsstil. Mittlerweile lehne ich solche Auf­träge in unserer Stadt ab, denn sie bedeuten, dass der Organisa­tionsentwickler nichts anderes mehr ist, als „His Masters Voice“. Er muss nämlich die Lehrerinnen und Lehrer dazu bringen, ohne zu knurren und mit Enthusiasmus die Kopfgeburten einiger Herren auf die Beine zu bringen. Da wir in Europa und im einundzwangstigten – sorry, einundzwanzigsten Jahrhundert sind, soll­ten auch in diesen Prozessen demokratische Strukturen, so weit als möglich, vorgetäuscht werden. Hearings, Open-Space-Veran­staltungen, Fischpools und sonstige Meinungsaustausch-Treffen werden in regelmässigen Abständen angeboten. Dort können dann die Immer-noch-Naiven ihren Kröpf leeren und die Enthu­siasten ohne Verfallsdatum ihre Optimierungsvorschläge an den Mann bringen, - die dann irgendwann, von einem der vielen Gremien zum Verschwinden gebracht werden. Ich finde es so schwierig, Aussenstehenden begreifbar zu machen, wie sich die Stimmung an unseren Schulen in den letzten Jahren verändert hat. Aber den Mund aufreissen, das traut sich kaum jemand. Manche schon, nämlich, diejenigen, die eine so genannte befristete Anstellung haben. Das ist theoretisch nur in den ersten vier Jahren möglich, danach müssen sie entweder angestellt oder nicht weiter beschäftigt werden. Natürlich gibt es Ausnahmeregelungen, die recht oft angewendet werden, zum Beispiel wenn Aus­bildungen abgeschlossen oder Diplome, Nachqualifikationen nachgeholt werden müssen. Dies kommt in unserem Land sehr oft vor, da nicht mal die Kantone untereinander ihre Diplome anerkennen wollen. Von ausländischen Diplomen wollen wir schon gar nicht reden, die sind eh nie gut genug. Das Schlimmste ist, was uns so in verschachtelten Sätzen oder zwischen den Zeilen der Elaborate vermittelt wird.

Peter Bloch, Supervisor, Coach, Mediator, Kommunikationsberater, Organisationsentwickler

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