Donnerstag, 15. November 2007

Die neue Weltordnung

Die Neuordnung der Welt, die sich gegenwärtig unaufhaltsam vollzieht, verheißt Unordnung und Chaos. Der Begriff von der »neuen Weltordnung«, der zu Zeiten von Bush Senior aufkam, hat längst einen makabren Beigeschmack. Das erste und viel beklagte Opfer dieser unsäglichen Entwicklung war das Völkerrecht: Die UN-Charta verbietet die Anwendung militärischer Gewalt. Ausnahmen gelten nur dann, wenn ein Staat angegriffen wurde oder ein solcher Angriff unmittelbar bevorsteht. Präventivkriege sind nach internationalem Recht ein Kriegsverbrechen. Ob ein Angriff bevorsteht und militärische Verteidigung gerechtfertigt sein soll, beschließt nach der Charta der Vereinten Nationen der Sicherheitsrat. Präsident Bush junior erklärte dieses Gremium im Vorfeld seines Krieges gegen den Irak für »irrelevant«, soweit es seine Kriegsabsichten nicht billigen sollte. Da dies nicht geschehen ist, beabsichtigt die Supermacht auch nach Beendigung des Krieges, die UNO links liegen zu lassen. Ausnahmen mögen für humanitäre Hilfsaktionen gelten. Um Hunger, Krankheit und Flüchtlingselend soll sich Kofi Annan weiter kümmern. Als weiteres Opfer der Ausgärung einer neuen Weltregierung ist der Abrüstungsprozess zu verzeichnen. Er wurde bereits vor dem 11. September 2001 beendet, als die Amerikaner den Vertrag über die Begrenzung der Interkontinentalraketen aufkündigten (ABM-Vertrag). Moskau sträubte sich zunächst, doch schließlich stimmte es zu. Im Umfeld des Irak-Kriegs und der Krise um die Atomrüstung Nordkoreas zeichnet sich eine neue Rüstungsspirale ab: Das Regime in Pjöngjang wurde offensichtlich deshalb so behutsam behandelt, weil man seine Atombomben fürchtet. Schon wird gemunkelt, dass der Iran, ein weiteres Glied auf der »Achse des Bösen«, ebenfalls nach Atomwaffen strebt. Auch Ägypten steht seit einiger Zeit im Verdacht, Zubehörteile für schwere Raketen zu importieren. Nachdem der Riese Goliath für sich in Anspruch nimmt, rund um den Erdball nach dem Rechten zu sehen und einzugreifen, wann immer er seine Sicherheit bedroht sieht, kann man es den vielen Davids kaum mehr verdenken, wenn sie ihre Steinschleudern aufrüsten, um vor einem drohenden militärischen Überfall auf ihr Land wenigstens noch Verhandlungen zu erzwingen. Zum Chaosprogramm der neuen Weltordnung gehört auch das Verhalten gegenüber der Dritten Welt. Gegenwärtig tagt wieder die Welthandelskonferenz, die den Welthandel im Zeitalter der Globalisierung gerechter machen soll. Doch die Industrieländer denken wie immer zuerst an sich. Ein krasses Beispiel ist der Patentschutz: Er macht Medikamente für Drittländer unerschwinglich teuer, weshalb man vereinbaren wollte, Imitate zuzulassen. Doch Amerika blockierte eine entsprechende Vereinbarung. Millionen von Kranken in den armen Ländern haben das Nachsehen. Ein weiteres Beispiel ist die Landwirtschaft: Hohe Agrarzölle und Subventionen hindern die Entwicklungsländer an einem profitableren Welthandel. Man wollte die Agrarsubventionen abbauen. Statt dessen erhöhte die USA ihre Subventionen um 80 % und die EU schlägt auf ausländische Butter einen Zoll von 150 % auf. Dafür subventioniert sie jede einzelne Kuh mit durchschnittlich zwei Dollar am Tag, das ist mehr als das, was der Hälfte der Weltbevölkerung täglich zum Leben bleibt. Das mit den Zuschüssen produzierte Milchpulver wird billig nach Afrika exportiert, was wiederum dazu führt, dass die örtliche Landwirtschaft ihre Kundschaft verliert.Die Richtschnur der neuen Weltordnung ist die Egomanie von Nationen und Staatsführern. Der Aggression im Krieg folgt die Rücksichtslosigkeit im Welthandel. Die Rückkopplung der Gewalttätigkeit kennt keine Grenzen. Wie sehr dabei auch die Seelen der Menschen verrohen, zeigen die Szenen des jüngsten Krieges, in denen der jeweilige Gegner mit martialischen Sprüchen verteufelt und vernichtet wird. Zum Teil macht die Vernichtungswut auch vor Freunden und Verbündeten nicht Halt: Ein amerikanischer Jagdbomber richtete bei klarer Sicht und ohne den geringsten Anlass für einen Irrtum seine Bordkanone auf britische Soldaten. Einer der Überlebenden berichtete: Ich hatte den Eindruck, dass ein verrückt Gewordener seine Lust am Töten auslebte. Später erfuhr man, dass amerikanische Soldaten Drogen erhalten, um besser kämpfen zu können.Ob Freund oder Feind, ist dann nicht mehr so wichtig. Die Welt als Kriegsschauplatz und Tollhaus ...Wer bezahlt die Zeche? Der deutsche Außenminister Joschka Fischer, ursprünglich ein Grüner in Turnschuhen und mit pazifistischen Neigungen, inzwischen ein Diplomat in Lackschuhen und mit staatstragenden Ansichten, gab immerhin zu bedenken: »Durch Krieg kann ein Sieg erreicht werden, aber niemals der Friede.« Wie wahr! Im Irak wird man das noch zu spüren bekommen. Ebenso in den benachbarten arabischen Ländern – in Syrien, Jordanien und Ägypten –, in denen die Bevölkerung gegen den »amerikanischen Kreuzzug« bereits rebelliert.Und wer bezahlt die Zeche? Zunächst die getöteten Soldaten und Zivilisten, die von Bomben und Granaten verstümmelten Frauen und Kinder. Aber auch Natur und Tiere – die vielen Zugvögel in den Sumpfgebieten von Euphrat und Tigris und unzählige Viehherden; im 1. Golfkrieg starben allein sechs Millionen Schafe. Wer nicht mit dem Leben bezahlte, wird zur Kasse gebeten. Die internationale Völkergemeinschaft wird Milliarden Summen aufbringen, um das zerstörte Land wieder aufbauen zu lassen – vorwiegend durch amerikanische Firmen, wie es heißt. Das Geld wird den Menschen in der Dritten Welt fehlen. Millionen werden weiter verhungern.Und was ist die Moral von der Geschichte? Solange der Krieg nicht ein- für allemal geächtet ist, führt er immer wieder ins Chaos. So war es in der ganzen Menschheitsgeschichte – von Babylon über Rom bis Washington. Die Grenzen zwischen »gerechten Kriegen« und Eroberungsfeldzügen sind allemal fließend. Wer den Frieden durch Krieg verteidigen will, produziert neuen Krieg. Auch deshalb ist die Lehre des Jesus von Nazareth so weise: »Wer zum Schwert greift, kommt durch das Schwert um.« Solange sich die Menschheit nicht daran hält, wird sie von einer Katastrophe in die andere stolpern. Erst wenn die Bergpredigt zum Inhalt der »neuen Weltordnung« wird, wird Frieden sein. (C. Sailer)

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