Erste Überlegungen zu den Beschlüssen des G-20-Gipfels
von Karl Müller
Seitdem der G-20-Gipfel in London am 2. April zu Ende gegangen ist, ist eine Vielzahl von Beurteilungen und Kommentaren hierzu erschienen. Wer aber das neunseitige Schlusskommuniqué sowie die dazugehörigen ergänzenden Erklärungen zur Stärkung des Finanzsystems sowie zur Bereitstellung von Mitteln durch die internationalen Finanzinstitutionen liest (alle 3 Papiere liegen bislang nur in englischer Sprache vor), der erkennt einen grossen Katalog von Willenserklärungen, dessen Konsequenzen nicht zu einem schnellen Urteil einladen und im einzelnen diskutiert werden müssen.
Nichtsdestoweniger ist schon an dieser Stelle auf ein paar grundsätzliche Punkte hinzuweisen:
• Die am Gipfel beteiligten Politiker, zumindest diejenigen, die in europäischen Medien zu Wort kommen, ereiferten sich in Formulierungen der Superlative. Dem mag die Annahme zugrunde liegen, dass die derzeitige Finanz- und Wirtschaftskrise vor allem eine Vertrauenskrise sei und dass dieses verlorengegangene Vertrauen durch schöne Worte und Gruppenbilder wiederzugewinnen sei.
In Wirklichkeit aber geht die tatsächliche Vertrauenskrise viel tiefer. Die politischen und wirtschaftlichen Eliten haben über Jahrzehnte hinweg das Vertrauen der Menschen missbraucht, und nun würde es darum gehen, dass diese Eliten endlich einen Offenbarungseid ablegen und ihr Mandat zurückgeben an den Souverän, anstatt mit hehren Worten an der Macht zu kleben.
Davon aber waren die Politiker in London weiter entfernt denn je. Die Richtung des Gipfels ist keine in Richtung der Völker, sondern eine in Richtung von noch mehr zentralisierter Machtausübung. Auch der Machtausübung und Gewalt gegen Staaten und Völker, die andere Vorstellungen von der künftigen Welt haben. Diese Staaten bieten Alternativen zu den nach Hegemonie strebenden Weltfinanzmächten in London und New York. Der vom britischen Premierminister Gordon Brown verkündeten «neuen Weltordnung» stehen sie kritisch gegenüber.
Geld für die City von London
• Der Protest aus der Schweiz und aus Luxemburg zu der vom Sekretariat der OECD parallel zum Gipfel und ohne Rücksprache mit den OECD-Mitgliedern veröffentlichten Liste von Staaten, die den OECD-Richtlinien für die Steuerstandards ganz, gar nicht oder nur halbwegs entsprechen sollen, zeigt exemplarisch, um was es geht. Der Aussenminister Luxemburgs, Jean Asselborn, hat dies in einem Interview mit dem Deutschlandfunk am 3. April empört auf den Punkt gebracht, als er darauf hinwies, wie verzerrt diese Liste ist, weil britische oder chinesische «Steuerparadiese» überhaupt nicht erwähnt werden. Und er hat insbesondere die Regierungen der grossen EU-Staaten kritisiert: «Das entspricht einem Gehabe in der Europäischen Union, das wir seit Monaten jetzt kennen, wo alles auf das Prinzip des Direktoriums der Grossen und einiger ihrer Vasallen aufgebaut ist. Die Strippenzieher in der Europäischen Union haben die Visionäre vom Platz gedrückt.»
Asselborn sagte auch etwas zum Hintergrund. Auch wenn der angelsächsische Kapitalismus eigentlich gestorben sei, bleibe aber «diese angelsächsische verkappte Arroganz» mit dem Ziel, andere Finanzstandorte wie Luxemburg und die Schweiz ins Abseits zu drängen und die weltweiten Kapitalflüsse «auf die City von London zu ziehen».
Zementierung der Machtverhältnisse statt Lösungen
• Auch der Chefökonom der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD), Heiner Flassbeck – der im übrigen betonte, dass das Thema Steueroasen «mit der Bekämpfung der Finanzkrise überhaupt nichts zu tun» hat –, hat in einem Interview mit dem Deutschlandfunk am 3. April Kritik am Gipfel geäussert. In London sei nämlich keine Rede davon gewesen, «dass man jetzt die Kasinos schliessen will, dass man sagen will, nichts mehr mit Währungsspekulationen, mit Rohstoffspekulationen, nichts mehr mit kreditfinanzierter Aktienspekulation oder ähnlichem».
Im Gegenteil: Mit dem Grundsatzbekenntnis der Politiker in London zur bisherigen Art und Weise der Globalisierung werden die Macht- und Reichtumsverhältnisse auf der Erde zementiert. Da muss man dann auch fragen, wem die beschlossenen 1,1 Billionen US-Dollar, vor allem für den IWF und die Weltbank, wirklich zugute kommen werden. Die bisherige Erfahrung der Schwellenländer und der Entwicklungsländer ist, dass sie mit Krediten von IWF oder Weltbank immer weniger frei in ihrer eigenen Politik wurden, immer mehr ins Korsett der neoliberalen Globalisierung gezwungen wurden, immer grössere Schuldenberge mit Zins und Zinseszins zu tragen hatten und sehr viel unnötige und kostspielige Investitionen aus dem Ausland aufgezwungen bekommen haben.
Für die Banken – gegen die Armen
Profitiert haben in erster Linie die Geldgeber und Investoren in den reichen Ländern. Wieviel Zinsen jährlich sind für 1,1 Billionen US-Dollar zu zahlen? Und wer erhält diese Zinsen? Die Börse hat nach dem Treffen in London mit einem «Kursfeuerwerk» (Spiegel Online vom 2. April) reagiert. Und Josef Ackermann von der Deutschen Bank meinte, «dass die Branche nach der aktuellen Krise wieder sehr profitabel sein wird» (ebenda). Von steigenden Börsenkursen und reichlichen Bankprofiten haben die Armen der Welt aber bislang nie profitiert. Im Gegenteil!
• Die Tatsache, dass sich im Schlussdokument des Gipfels für jeden der Politiker in London Formulierungen finden, die in seinem vermeintlichen Interesse liegen können, mag für die Auseinandersetzungen an der «Heimatfront» eines jeden Teilnehmers von Vorteil sein, zeugt aber nicht von einer wirklichen Auseinandersetzung mit den Ursachen der derzeitigen Krise oder von einer am Gemeinwohl der Völker orientierten ernsthaften Suche nach möglichen Problemlösungen.
Überhaupt ist es sehr wahrscheinlich die falsche Richtung, ganz fixiert darauf zu schauen, was in London beschlossen wurde. Die Welt hat viel mehr Staaten als die in London vertretenen. Nichts, was in London erklärt und beschlossen wurde, hat irgendeine verbindliche Rechtskraft. Hingegen ist es sehr wahrscheinlich, dass von den Beschlüssen in London grosse Gefahren für Freiheit und Demokratie in der Welt ausgehen.
Wenn man wirklich nach weltweiten Lösungen für die derzeitige Krise sucht, dann ist der Ort dafür der vom Völkerrecht vorgesehene, dann ist es die Generalversammlung der Vereinten Nationen. Denn die Welt braucht keine Führungsmächte, sondern ein gleichberechtigtes Miteinander aller Staaten und Völker. Vor allem der Völker!
Die Völker der Welt als der Ort der Willensbildung! Das ist eine «neue Weltordnung», für die es sich einzusetzen lohnt. •
km. Die Abkürzung G-20 bezeichnet eine Gruppe von 20 Industrie- und Schwellenländern. Teilnehmer der Treffen der G-20 sind üblicherweise die Finanzminister und Zentralbankdirektoren von 19 Staaten (Argentinien, Australien, Brasilien, China, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Kanada, Mexiko, Russland, Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea, die Türkei, die USA) und der Europäischen Union. Diese wird vertreten vom Direktor der Europäischen Zentralbank und der Regierung des Landes, das die Ratspräsidentschaft inne hat.
Das Treffen in London war nach dem in Washington im November 2008 das zweite auf Ebene der Staats- und Regierungschefs. Die Beschlüsse der G-20-Treffen haben keinerlei rechtliche Verbindlichkeit, sondern sind lediglich Willenserklärungen der bei den Treffen Anwesenden.
Freitag, 10. April 2009
G-20 - Das Direktorium der Grossen und ihrer Vasallen
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