Montag, 8. Juni 2009

Tim Geithner - Der Bock wird zum Gärtner

Geithners Vorschlag zur »Reform« der Derivatmärkte stammt von der Wall Street

F. William Engdahl

US-Finanzminister Tim Geithner hat endlich seinen lange erwarteten Vorschlag für eine umfassende »Reform« der unregulierten außerbörslichen Derivatmärkte vorgelegt. Diese OTC-Derivatgeschäfte waren der Hauptgrund für die finanziellen Übergriffe, die zu der jetzigen globalen Krise geführt haben. Geithners »Reform«vorschlag stieß – wen wundert es – bei den großen Wall-Street-Banken auf deutliche Zustimmung. Der Grund? Sie haben diesen Vorschlag verfasst.

Laut unseren gutunterrichteten Quellen haben die internationalen Großbanken Goldman Sachs Group Inc., JP Morgan Chase & Co., Crédit Suisse Group AG und Barclays Plc im Februar dem US-Finanzministerium einen Vorschlag übermittelt, wie der 592 Billionen Dollar schwere unregulierte Sektor der globalen Derivatgeschäfte »reformiert« werden kann. Bis jetzt wird dieser vollständig außerbörslich abgewickelte Finanzsektor, dessen Verluste für den Kollaps des gigantischen Versicherungskonzerns AIG sowie für geschätzte Bankenverluste in den USA, Deutschland und anderen Ländern in Höhe von mehreren Billionen Dollar verantwortlich sind, von den US-Aufsichtsbehörden nicht kontrolliert.

Wie aus dem Dokument der Banken hervorgeht, wollten sie erreichen, dass die US-Notenbank Federal Reserve die alleinige Befugnis für die Kontrolle der Märkte erhält, während die US-Börsenaufsicht (SEC) und die Aufsichtsbehörde für den Warenterminhandel (CFTC) dabei nur eine ungeordnete Rolle spielen sollten. Zurzeit haben alle drei Institutionen gleichermaßen Zugang zu den Daten des Handels mit Kreditausfallversicherungen (credit default swaps, CDS), der einen Umfang von 28 Billionen Dollar aufweist. Geithner hat sich in seinem Vorschlag dafür ausgesprochen, dass die Federal Reserve, die bekanntlich von dem »Money Trust« der Wall-Street-Banken kontrolliert wird, als alleinige Behörde die Märkte »beaufsichtigen« soll.
Wie unsere Washingtoner Quellen versichern, besteht der Knackpunkt von Geithners Plan darin, dass – unter dem Vorwand von Reform- und Regulationsbestimmungen – der gesamte OTC-Markt weiterhin in den Händen der Großbanken verbleibt, die wie Goldman Sachs oder JP Morgan Chase die Derivatgeschäfte abwickeln. Diese US-Banken, die zu einem großen Teil auch Kongressabgeordnete und andere politische Kandidaten in den USA finanzieren, bringen als Argument vor, OTC-Derivate dienten der »Risiko-Beherrschung«. Doch wie die jüngsten Erfahrungen seit September 2008 ohne jeden Zweifel zeigen, ist genau das Gegenteil der Fall.

Larry Summers und Tim Geithner sind die Schlüsselleute des Money Trusts in Obamas Kabinett. Um der Wall Street einen Gefallen zu tun, haben sie den jüngsten Entwurf zur »Reform« der Finanzmärkte verfasst.

Mit seinem Reformvorschlag hat Geithner der Wall Street sogar noch mehr Zugeständnisse gemacht, als diese sich erhofft und erträumt hatte. Denn Geitner hat nicht etwa den logischen Schritt gemacht und verfügt, dass der Handel zwischen Banken und dritten Parteien, also die sogenannten OTC-Geschäfte, ab jetzt klar reguliert und nur an regulierten Derivatbörsen wie der Eurex in Frankfurt oder der Nymex in New York abgewickelt wird, sondern er hat entschieden, dass die Wall Street all das bekommt, was sie wollte.

Nach den neuen Regeln wird lediglich eine harmlose Terminkontraktvermittlungsstelle (clearing house) eingerichtet, welche die Geschäfte zwischen den Banken vermitteln soll, wobei es aber keinerlei Transparenz nach außen gibt. Außerdem würde diese Vermittlungsstelle nur mäßige Kapitalgebühren verlangen, angeblich um Anreize dafür zu geben, dass aufgrund von »Marktmechanismen« weniger kostspielige Börsengeschäfte getätigt werden. Nach Einschätzung von Insidern der Banken- und Finanzwelt sind die vorgeschlagenen Maßnahmen reine Kosmetik und gestatten es den Banken, genau die Geschäfte ungehindert weiter zu betreiben, die in den letzten Jahren zu ihrem profitabelsten Kerngeschäft geworden sind – d.h. nach wie vor den Handel mit exotischen OTC-Derivaten wie den Kreditausfallversicherungen (CDS) zu kontrollieren und zu manipulieren.

Betrug wird belohnt
Wie ich in meinem neuen Buch Der Untergang des Dollar-Imperiums im Einzelnen darlege, hat der Money Trust der Wall Street seine Macht über die US-Regierung und das politische und wirtschaftliche Leben in den USA stetig ausgebaut, so dass inzwischen noch nicht einmal zehn riesige Finanzinstitute die Wirtschaftspolitik auf nationaler amerikanischer und internationaler Ebene bestimmen. Ich bezeichne diese Finanzinstitute mit dem Begriff »Money Trust«, womit ich meine, dass sie wie ein Monopolkartell oder Trust funktionieren, ganz ähnlich den »Großen Vier« Ölmultis auf dem Energiesektor.

Gemäß dem jetzt vom US-Finanzministerium vorgelegten Plan zur Regulierung der außerbörslichen Derivatgeschäfte bekommen die größten Banken der Wall Street all das, was sie wollen, weil nämlich jetzt alle Marktteilnehmer – darunter auch Hedge-Fonds und Unternehmen – die gleichen Mindestkapitalanforderungen erfüllen müssen wie Banken. Das macht es für neue Teilnehmer sehr schwer, auf dem jetzt von den Banken kontrollierten OTC-Markt tätig zu werden. Das heißt im Klartext, dass die Banken ganz alleine ihr riesiges Profitpotenzial ausschöpfen können. Die Wall-Street-Interessen hatten von Finanzminister Geithner eine Art »Klub«-Struktur zur Abwicklung der Derivatgeschäfte verlangt – und genau das haben sie jetzt offenbar bekommen. Wenn man zum »Altherren-Klub« gehört, das heißt zum Money Trust, dann gehört man zu den Gewinnern. Andere haben da keine Chance.
Am 13. Mai verlangte Geithner eine verstärkte Aufsicht des 592 Billionen Dollar schweren unregulierten Derivatmarktes, damit im Finanzsystem die »Risiken reduziert« werden können. Wie erwähnt, waren die OTC-Derivate im letzten Jahr für die Pleiten von Lehman Brothers und dem Versicherungskonzern AIG verantwortlich, die eine Kreditklemme der Kreditmärkte ausgelöst und zu Abschreibungen und Verlusten in Höhe von mehr als 1,4 Billionen Dollar geführt haben – mitten in der schlimmsten Finanzkrise seit der Großen Depression.
Nach Ansicht des US-Finanzministeriums sieht der jetzt von ihm vorgelegte Vorschlag »eine dramatisch verbesserte Transparenz und die Verschärfung der Regulierungsbefugnisse zur Vorbeugung gegen Marktmanipulationen [vor], die weit über alles hinausgehen, was in dem Entwurf gestanden hat«. Bankiers und andere Finanzinsider halten dagegen, genau das Gegenteil sei der Fall. Und das ist keineswegs eine Überraschung. Seit seinem Amtsantritt am 21. Januar ist Geithner der Wall Street in ganz außergewöhnlicher Weise entgegengekommen, anstatt der Amerika oder den Steuerzahlern zu dienen. Genau aus diesem Grund wurde Geithner zum US-Finanzminister ernannt. Seine Ernennung ist ein Beweis dafür, welch riesigen Einfluss der Money Trust trotz der schlimmsten Finanzkatastrophe der amerikanischen Geschichte in den USA ausübt.

Im Jahre 1999, als Geithner Staatssekretär im US-Finanzministerium unter dem damaligen Finanzminister Larry Summers war, verfassten beide gemeinsam die Entwürfe für zwei Gesetze, die buchstäblich zur der heutigen Finanzkatastrophe geführt haben – nämlich zum einen die Außerkraftsetzung des 1933 erlassenen »Glass-Steagall Act«, ein Gesetz, das strikt die Geschäfte von Banken und Investmenthäusern trennte, sowie zum anderen den »Commodity Modernization Act of 2000«, der Geschäfte mit Finanzterminkontrakten und anderen Finanzderivaten, wie den genannten Kreditausfallversicherungen (CDS) ohne jegliche Kontrolle der Regierung ermöglichte. Kurz: Geithners Tätigkeit im Jahre 1999, die er Hand in Hand mit Larry Summers, dem jetzigen Chef-Ökonomen im Weißen Haus, durchführte, gestattete es dem Money Trust, buchstäblich »ungestraft mit einem Mord davonzukommen« – nämlich mit dem Aufbau einer Schuldenblase, deren Kosten jetzt auf der ganzen Welt in einer Größenordnung von vielen Billionen Dollar anfallen.

Die Wall-Street-Banken haben die Regulierung des OTC-Derivathandels mehr als zehn Jahre lang bekämpft, denn die Erlöse aus diesen Geschäften stellen einen erheblichen Anteil der Bankeinkünfte dar. So stammen bis zu 40 Prozent der Gewinne für die Investmenthäuser Goldman Sachs und Morgan Stanley aus dem Handel mit OTC-Derivaten. JP Morgan hat im letzten Jahr bei seinen Geschäften mit OTC-Derivaten mit festem Ertrag einen Profit von fünf Milliarden Dollar erzielt.

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