Montag, 15. Juni 2009

Angriff auf die nationalen Gesundheitssysteme

Supranationale EU will nationale Gesundheitssysteme niederreißen, 13.06.2009 21:18
d.a.

In Ergänzung zu der im Zusammenhang mit dem EU-Parlament angesprochenen Privatisierung veröffentlichen wir hier einen Abriss der Bürgerrechtsbewegung Solidarität. Die darin geschilderte Entwicklung spricht für sich selbst:
In allen europäischen Staaten gibt es neue Vorstöße für weitere Kürzungen im Gesundheitswesen und mehr Deregulierung und Privatisierung medizinischer Dienstleistungen. Dahinter steckt eine neue Direktive der EU-Kommission, die medizinische Versorgung zu einem ganz alltäglichen Wirtschaftsgut erklärt, mit dem man europaweit ohne Beschränkungen handeln soll. Als Vorwand dienen dabei ›Patientenrechte bei der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung‹. Die von der Kommission im Juni 2008 formulierte Direktive wurde am 23.4.09 von der Mehrheit des Europäischen Parlaments verabschiedet und könnte von der Kommission noch vor der Europawahl eingeführt werden. Diese Direktive zum Gesundheitswesen war ursprünglich Teil der berüchtigten ›Bolkestein-Richtlinie‹ von 2005 * (so benannt nach dem Mitglied der EU-Kommission Frits Bolkestein) über die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen im EU-Binnenmarkt. Allerdings wurde 2005 der das Gesundheitswesen betreffende Aspekt auf Grund des berechtigten starken Widerstands von Gewerkschaften sowie linker und unabhängiger Parlamentarier fallengelassen. Jetzt will die Kommission ihn durch die Hintertür doch noch einführen. Obwohl das Europäische Parlament nicht alle Teile des ursprünglichen Entwurfs akzeptierte, stellt die neue Direktive eine drastische Wende dar, denn sie beruft sich ausdrücklich auf Artikel 95 des EU-Vertrages, der den Binnenmarkt betrifft, statt auf den Art. 152 über die Gesundheitsversorgung! Die Europaparlamentarierin Katika Liotard aus den Niederlanden sagte ganz unverblümt, die nationalen Gesundheitssysteme müßten sich jetzt den Gesetzen des Marktes unterwerfen. Wie die belgische Gesundheitsministerin Laurette Onkelinx aufzeigte, wird die Direktive zu sinkenden Investitionen in die Infrastruktur des Gesundheitswesens führen und ›den Export der Kranken zum günstigsten Anbieter‹ ermutigen und damit bezüglich der Versorgung Konkurrenz zwischen Einheimischen und Ausländern schaffen. Onkelinx verwies auch auf die Rolle von privaten Versicherern, die auf grenzüberschreitende Geschäfte spezialisiert sind, die diesen Wettbewerb fördern werden, indem sie in diesem freien Markt den Zugang zur Gesundheitsversorgung für die Reichsten begünstigen. Für Deutschland, das bereits heute eine starke Abwanderung von Chirurgen und anderen Spezialisten ins europäische Ausland hat, bedeutet die neue EU-Direktive eine Verstärkung dieses Trends. Seit Anfang des Jahres 2008 sind 3000 Ärzte ausgewandert und weitere 16 000 arbeiten ständig oder regelmäßig in anderen Ländern, vor allem in England. Private Agenturen in England vermitteln den Kliniken dort gerne Ärzte vom europäischen Festland für ausgewählte Operationen und andere Behandlungen für zahlungskräftige Privatpatienten, für die nicht genügend englische Ärzte bereitstehen, weil an deren Ausbildung gespart wird. Für die Leihärzte wird dies fragwürdige just-in-time-System durch eine Bezahlung, die höher liegt als in ihren Heimatländern, attraktiv gemacht. Das ist immer noch ein ›Geschäft‹ für das Gesundheitssystem Englands, weil die teuren Kosten für die Ausbildung von Chirurgen und anderen Spezialisten eingespart werden. Die BüSo fordert in ihrem Programm eine Verteidigung der nationalen Gesundheitssysteme und keinerlei Unterordnung unter Profitorientierung durch Finanzinteressen. Erst kommen die Menschen. Inzwischen hat der Vatikan vor Einschnitten bei der weltweiten Gesundheitsversorgung gewarnt. In einer Stellungnahme erklärte der Präsident des Pästlichen Rates für die Krankenseelsorge, Erzbischof Zygmunt Zimowski: »Wir müssen darüber reden, daß die Wirtschaftskrise ganz einschneidende Folgen für das menschliche Leben haben wird. Sie trifft die Bedürftigsten, die Kranken und besonders die Kinder.« Schon jetzt könnten unzählige Kinder vor allem in den ärmeren Ländern - die sich, sei hier eingefügt, nicht selten durch eine ausufernde Korruption auszeichnen, die ihre Bevölkerung in der Armut verharren läßt - ihre Möglichkeiten nicht entwickeln, weil im Gesundheitswesen große Unterschiede und Ungerechtigkeiten bestehen. Die internationale Staatengemeinschaft müsse für die Gesundheitsfürsorge nach den von ihr selbst aufgestellten Prinzipien handeln: Gleichheit, Solidarität, soziale Gerechtigkeit und allgemeiner Zugang 2.
Die Bürger dieser Staatengemeinschaft wären zweifelsohne mehrheitlich durchaus bereit, in diesem Sinne zu handeln. Was oder wer also treibt eine EU-Kommission resp. die Abgeordneten des Europa-Parlaments dazu, sich offensichtlich nicht an Erfordernisse dieser Art halten zu wollen? * Die Bolkestein-Richtlinie der EU hebelt Mindest- und Tariflöhne sowie Arbeitsstandards aus. Die von der EU geforderten ›Flexicurity‹-Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt, eine beschönigende Wortbildung aus dem englischen flexibility (Flexibilität) und security (Sicherheit), verschafft den Unternehmen die Möglichkeit, Entlassungen und Lohnsenkungen durchzusetzen. Gleichzeitig dient sie der Kürzung und Vorenthaltung der finanziellen Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Damit ist, wie Dietmar Henning und Elisabeth Zimmermann schreiben [3], die EU-Kommission zum Synonym für Deregulierung, Liberalisierung und den Abbau von Arbeitnehmerrechten geworden. 1 http://www.bueso.de/news/supranationale-eu-will-nationale-gesundheitssysteme-niederreissen 28. 5. 09 20092 http://www.bueso.de/news/vatikan-warnt-vor-einschnitten-bei-weltweiter-gesundheitsversorgung 13.6.09 Vatikan warnt vor Einschnitten bei weltweiter Gesundheitsversorgung 3 http://www.wsws.org/de/2009/mai2009/bila-m30.shtml

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