Die „Schattengeldgeber“ ziehen sich zurück: Deshalb steht jetzt Deflation und nicht Inflation auf der Tagesordnung
Ellen Brown
Die [antizyklisch handelnden] Anhänger der „Contrarian-Strategie schreien jetzt zwar „Hyperinflation!“, doch in Wirklichkeit schrumpft die Geldmenge. Das kommt daher, dass heutzutage der größte Teil der Geldmenge in Gestalt von Bankkrediten geschöpft wird und die Vergabe von Darlehen sich stark verringert hat. Das aber bedeutet, dass die US-Zentralbank Fed jetzt Schulden „monetisieren“ muss, und zwar nur um die Lücke zu füllen.
Noch am 3. Juni 2009 hatte Fed-Chef Ben Bernanke dem US-Kongress versichert: „Die Federal Reserve wird die Schulden nicht monetisieren.“ Dazu schrieb Bill Bonner in der Zeitung The Daily Reckoning, diese Erklärung komme Amerikas Bürgern irgendwie bekannt vor, denn sie klinge so ähnlich wie Präsident Nixons Aussage „Ich bin kein Betrüger“ und Präsident Clintons Versicherung „Mit dieser Frau hatte ich keinen Sex“. Genau das werde die Fed tun, nämlich Schulden monetisieren, schrieb Bonner, denn ihr bliebe gar nichts anderes übrig. Die Chinesen halten sich beim Verleihen ihrer Gelder immer stärker zurück, Amerikas Steuerzahler sind überlastet, und das Staatsdefizit ist auf beispiellose Rekordhöhen geklettert. „Selbst gute Menschen tun böse Dinge, wenn sie in der Klemme sitzen. Die Banken des Federal Reserve Systems stecken schon ziemlich tief in der Problemzone… und es wird für sie noch viel schlimmer kommen.“Doch Mr. Bernanke hat dies abgestritten und erklärt: „Wir können die Haushaltslage nur durch Ausgabenkürzungen oder durch Steuererhöhungen stabilisieren.“Aber gegen diese beiden Alternativen gibt es starke Widerstände , so dass der US-Kongress jetzt in der gleichen Sackgasse steckt, in der Kalifornien schon seit einem Jahr festsitzt. Das bedeutet, dass man sich die Monetisierungs-Option zumindest einmal ansehen muss. Was ist überhaupt schlecht daran? Bill Bonner bezeichnet sie als „größtmöglichen Diebstahl. Anstatt ehrlich das Geld zurück zu zahlen, das man sich geliehen hat, druckt eine Regierung zusätzliches Geld und zahlt damit ihre aufgenommenen Kredite zurück. Die Schulden werden ‚monetisiert‘…, also in eine Aufstockung der Geldmenge verwandelt, wodurch allerdings die Kaufkraft der Ersparnisse eines jeden Bürgers sinkt.“So argumentieren die Experten. Doch im letzten Jahr hat die Fed Staatsschulden in Höhe von über einer Billion Dollar „monetisiert“, und trotzdem vermehrt sich die Geldmenge nicht. Der Investment-Berater Mark Sunshine schrieb am 12. Juni in einem Internetbeitrag:„[W]ährend die Talkshow-Teilnehmer in den Medien darüber zeterten, dass die Fed ihre Druckmaschinen Tag und Nacht laufen lasse, um die Geldmenge zu erhöhen, sieht die Wirklichkeit ganz anders aus. [Die Geldmenge] M1 hat sich seit Mitte Dezember 2008 tatsächlich verringert, und in diesen sechs Monaten ist auch M2 nur um wenig mehr als 3 Prozent gestiegen.“Die Fed gibt seit einiger Zeit den Umfang von M3, dem größten Teil der zirkulierenden Geldmenge, nicht mehr bekannt, doch laut Sunshine sieht dort die Sache folgendermaßen aus:„“[W]ir wissen, dass sich die größeren Zahlen über die Geldmenge, also M3, in diesem Jahr 2009 nicht nennenswert erhöht haben.“Wer wissen will, wie sich in den USA die Geldmenge M3 tatsächlich entwickelt hätte, wenn die Fed die entsprechenden Zahlen veröffentlichen würde, kann die ungefähre Höhe von M3 abschätzen, wenn er sich den vierteljährlich von der Fed erstellten Bilanzbericht der USA (Federal Reserve Quarterly Flow of Accounts of the United States) ansieht, den die Fed gestern veröffentlicht hat. Daraus geht hervor, dass die Netto-Kreditaufnahme der Vereinigten Staaten (private und öffentliche Schulden) im ersten Quartal 2009 um annähernd 255 Milliarden Dollar gesunken ist, und dass auch andere Indikatoren der Geldmenge M3 (auf Netto-Basis) entweder gefallen oder gleich geblieben sind… „[D]iese Zahlen unterstützen die Theorie, dass der Rückgang der privaten Kreditaufnahme den Anstieg der Kreditaufnahme der Regierung mehr als ausgleicht, und deshalb ist auch, zumindest zur jetzigen Zeit, die Finanzierung des Defizits kein Problem.“Diese ganze Aufregung darüber, dass die Fed angeblich die US-Ökonomie in die Hyperinflation treibt, weil sie in ihren Büchern Geld schöpft, zeigt ein völliges Missverständnis der tatsächlichen Funktionsweise unseres Geldes und Bankensystems. Wenn die Fed die Schulden der Regierung monetisiert, dann tut sie genau das, was die Banken tagtäglich auch tun. Alles Geld wird von Banken in ihren Büchern erzeugt („geschöpft“), wie viele anerkannte Experten nachgewiesen haben. Die Fed wird genau an der Stelle tätig, an der das kommerzielle Bankensystem versagt hat. Mit Ausnahme von Münzen, die von der Regierung in Umlauf gebracht werden und die nur etwa ein Zehntausendstel der gesamten Geldmenge (M3) ausmachen, besteht unserer heutiges Geld nur aus Bankkrediten (oder Schulden); zur jetzigen Zeit leiden wir alle unter einer Kreditklemme, was bedeutet, dass die Banken nicht annähernd so viele Darlehen erzeugen und vergeben wie in der Vergangenheit. Im Februar 2009 hat die Baseler Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) einen Forschungsbericht veröffentlicht, aus dem hervorgeht, dass die europäischen Banken ihre Schulden deshalb nicht begleichen konnten, weil nicht genügend US-Dollars in Umlauf waren – etwa 2 Billionen Dollar fehlten. Daraufhin gab es Vorschläge für eine alternative Reservewährung. Im März 2009 berichtete der Chef der Blackstone Group, Stephen Schwarzman, die Kreditkrise habe bis zu 45 Prozent des weltweiten Reichtums vernichtet. Ohne dem System das fehlende „Geld“ wieder zuzuführen, kann dieser fehlende „Reichtum“ nicht wieder beschafft werden, und das heißt, dass die Kreditmaschinerie wieder in Gang gebracht werden muss.Deshalb haben der amerikanische Kongress, das US-Finanzministerium und die Federal Reserve Amerikas Banken das Geld buchstäblich hinterhergeworfen und damit versucht, das Bankenkapital zu erhöhen, damit die Banken ausreichend Darlehen zur Ankurbelung der Wirtschaft vergeben können. Bei einer Mindestkapitalanforderung von 8 Prozent können 8 Dollar Kapital zu Darlehen in Höhe von 100 Dollar aufgefächert werden. Doch zurzeit werden viel weniger Darlehen vergeben als früher, doch das liegt nicht daran, dass die Banken sich weigern, Kredite zu vergeben. Die Banken werden nicht müde zu betonen, dass sie so viele Kredite vergeben, wie sie aufgrund ihrer existierenden Einlagen und vorhandenen Kapitalbasis gewähren dürfen. Der wirkliche finanzielle Engpass existiert auf der Ebene der „Schattengeldgeber“ – also den Investoren, die bis Ende 2007 Unmengen von Bankkrediten aufgekauft haben, die vorher als „Wertpapiere“ verpackt worden waren; auf diese Weise verschwanden diese Kredite aus den Bilanzen der Banken und machten Platz für noch mehr Kredite, die aufgrund der existierenden Einlagen- und Kapitalbasis der Banken erzeugt und vergeben werden konnten. In einem Artikel für die Washington Times, mit der Überschrift: „Die Banken stehen immer noch mitten in einem Kredit-Trümmerhaufen“, schrieb Patrice Hill:„Nach Angaben der Federal Reserve haben vor der Kreditkrise im letzten Herbst die Banken nur 8 Billionen Dollar der in den USA offen stehenden Kreditsumme von etwa 25 Billionen Dollar vergeben, und die traditionellen Anleihenmärkte haben weitere 7 Billionen Dollar beigesteuert. Doch der größte Teilbetrag der vergebenen Darlehen – 10 Billionen Dollar – stammte aus den Märkten für verbriefte Kredite, die es vor 20 Jahren praktisch gar nicht gab…„Viele Kongressabgeordnete beschweren sich darüber, dass die Banken keine Kredite mehr vergeben, und haben das als Entschuldigung dafür benutzt, gegen weitere Finanzspritzen der Regierung zu votieren… Doch [der Chefökonom der US-Handelskammer] Mr. Regalia erklärte, diese Kritiker lägen falsch. ‚Die Banken vergeben derzeit mehr Darlehen, doch 70 Prozent des ganzen Systems existieren jetzt nicht mehr‘, so Regalia“.Und diese siebzig Prozent des Systems existieren deshalb nicht mehr, weil die traditionellen Märkte für Anleihen und verbriefte Kredite ausgetrocknet sind. Hill weiter:„Die Forderung des Kongresses, die Banken sollten einspringen und die Lücke der kollabierten Märkte für verbriefte Kredite schließen, stellt die Banken vor ein großes Dilemma, und zwar nicht nur deshalb, weil die meisten Banken gar nicht über die Kapazitäten verfügen, kurzfristig derart riesige Kreditsummen zur Verfügung zu stellen. Die Märkte für verbriefte Kredite waren ein wichtiger Teil der Finanzmaschinerie, die den Banken überhaupt die Vergabe von Krediten ermöglicht hat. Denn nur durch den Verkauf des größten Teils ihrer Hypotheken-Portfolios sowie ihrer Geschäfts- und Konsumentenkredite an Investoren konnten die Banken Gelder freisetzen, um neue Kredite vergeben zu können….„Der Markt für zusammengefasste zweitklassige (subprime) Darlehen, die als ‚collateralized debt obligations‘ (CDO) [etwa: verbriefte Schuldtitel oder forderungsbesicherte Wertpapiere] bekannt wurden, ist Ende 2007 kollabiert und wird sich höchstwahrscheinlich nie wieder erholen. Da wegen der stark zunehmenden Zahlungsausfälle bei zweitklassigen und anderen exotischen Hypotheken die Investoren davon Abstand genommen haben, derartige Kredite zu kaufen, sind die Banken und Wall Street-Häuser gezwungen, diese Papiere in ihren Büchern zu belassen und die Verluste zu tragen.“Der Rückzug der Schattengeldgeber hat eine globale Kreditklemme verursacht; und wenn die Kreditvergabe abnimmt, dann schrumpft damit auch die Geldmenge. Das heißt, es zirkuliert nicht genügend Geld zum Kauf von Gütern, was dazu führt, dass Arbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren und sogar Fabriken ihre Tore schließen müssen. Das setzt einen ganzen Teufelskreis von wirtschaftlichen Zusammenbrüchen und Depression in Gang. Um diese Abwärtsspirale zu durchbrechen, müssen wieder ausreichend Kredite in die Wirtschaft fließen; und wenn die Banken das nicht leisten können, muss die Fed einspringen und damit anfangen, die Schuldtitel zu „monetisieren“.Warum aber sagen uns die Vertreter von der Fed nicht, was sie wirklich vorhaben, so dass wir ruhig schlafen könnten? Vielleicht aus dem Grunde, weil sie uns die Wahrheit nicht sagen können, ohne gleichzeitig das ganze Spiel um Banken und Finanzen zu verraten. Der Vorhang würde sich öffnen und „Wir das Volk“, würden auf einmal erkennen, dass unser ganzes Geldsystem auf einem Taschenspielertrick beruht. Die Banken haben niemals all das Geld gehabt, das sie uns angeblich geliehen haben. Wir haben Zinsen auf etwas bezahlt, das die Banken buchstäblich aus der Luft gezaubert haben! In der Tat hat ihr Kreditgeld sogar noch weniger Substanz als die Luft, in dem zumindest noch einige Moleküle herumschwirren. Bankenkredite existieren aber nur in Cyberspace, im künstlichen Raum.Ben Bernankes Vorgänger Alan Greenspan wurde manchmal mit dem legendären Zauberer von Oz verglichen, dem kleinen Mann, der sich hinter einem Vorhang versteckte und allerlei Hebel bediente und Nummernscheiben drehte, und dabei die Illusion aufrecht erhielt, eine allmächtige Kraft habe alles unter Kontrolle. Zu Beginn seiner Amtszeit wurde Bernanke dafür kritisiert, dass er zu viel verrate. „Wenn man schon den Zauberer gibt“, meinte ein Fernsehkommentator, „dann muss man hinter dem Vorhang bleiben.“ Offenbar hat der Fed-Chef seine Lektion gelernt und spielt nun die ihm zugedachte Rolle; er verbirgt all seine Bewegungen hinter dem mysteriösen Schleier, den man von dem Mann erwartet, der als der mächtigste Bankier der Welt angesehen wird: der Zauberer, der mit seinen Worten Märkte manipulieren kann.Allerdings besteht das Problem mit dem Zauberer, der sich absolut nicht in die Karten sehen lässt, darin, dass die Investoren überhaupt nicht wissen, was sie mit ihren eigenen Karten machen sollen. Die Chinesen machen sich inzwischen derartige Sorgen um die Solidität ihrer Dollarinvestitionen, dass der Chef von Chinas zweitgrößter Bank kürzlich vorschlug, die US-Regierung solle damit anfangen, amerikanische Staatsanleihen in chinesischer Währung – also in Yuan – aufzulegen. Was aber sollen wir Amerikaner mit dem Yuan anfangen? Wir brauchen US-Dollars; und es wäre besser, wir bekämen diese Dollars von unserer eigenen Zentralbank, als dass wir sie uns von unseren ausländischen Konkurrenten leihen müssten. Dann könnten wir sie für Projekte ausgeben, die unsere Binnenkonjunktur ankurbeln und unsere eigene wirtschaftliche Entwicklung antreiben – genau so wie es die Chinesen derzeit machen – und damit könnten wir die Räder unseres Produktionsapparates wieder in Bewegung bringen.Falls Ben Bernanke aber sein Wort hält und sich weigert, die Bundesschulden zu monetisieren, dann sollte der Kongress erwägen, selber Geld in Umlauf zu bringen, wie das die US-Verfassung vorsieht. Die „volle Würdigung und Anerkennung (credit) der Vereinigten Staaten“ ist ein Aktivposten der Vereinigten Staaten von Amerika, und dieser Kredit sollte auch sachdienlich von der Regierung der Vereinigten Staaten gewährt und ausgegeben werden, und nicht von privaten Banken und Schattengeldgebern, die niemandem Rechenschaft schuldig sind. Der wirkliche Weg zum Wirtschaftsaufschwung – der Weg, der tatsächlich von einer Ökonomie, die in ihren Schulden fast erstickt, zu einer wahrhaft prosperierenden Ökonomie führt – besteht einzig und allein darin, dass die Öffentlichkeit die Macht über die Ressource Geld, bzw. die der Geldschöpfung und Kreditgewährung wieder erlangt. Damit verwandelt sich das Geld von einem privaten Herrn und Meister zu einem Diener der Öffentlichkeit.Ellen Brown entwickelte ihr Forschertalent als praktizierende Anwältin für Zivilrecht in Los Angeles. In ihrem neuesten Buch Der Dollar-Crash hat sie ihre Fähigkeiten und Erfahrung auf die Untersuchung der US-Zentralbank Federal Reserve und des „Geldkartells“ angewandt. Sie zeigt, wie dieses private Kartell dem amerikanischen Volk die Macht der Geldschöpfung aus der Hand gerissen hat und wie „Wir, das Volk“ sie wieder zurückerobern können. Ellen Brown ist erfolgreiche Autorin von insgesamt elf Büchern, darunter der Bestseller Nature’s Pharmacy (Die Apotheke der Natur), das sie zusammen mit Dr. Lynne Walker verfasst hat, Forbidden Medicine (Verbotene Medizin) und The Key to Ultimate Health (Der Schlüssel zur definitiven Gesundheit) mit Dr. Richard Hansen als Koautor. Siehe auch ihre Internetseiten unter www.webofdebt.com und www.ellenbrown.com
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