Das Weisse Haus sieht schwarz
Von Wolfram Knorr
Die Traumfabrik Hollywood ist in der Manipulation der Wirklichkeit erstaunlich erfolgreich. Das jüngste Beispiel ist die breite Akzeptanz von Barack Obama.
Hollywood wollte schon immer mit der Möchtegern-Wirklichkeit in die Echt-Wirklichkeit eingreifen. Dabei ist die Traumfabrik bei ihrem beharrlichen Rumfingern am Realen erstaunlich erfolgreich. «Ich dacht’, ich bin in einem Film», gehört schon lange zu den stehenden Redewendungen; auch der Begriff vom «Lebensfilm» ist fast normal, und Foltervorwürfe kontert die CIA schon mal mit dem Kino als Inspirationsquelle.
Angesichts einer solchen Entwicklung lässt sich auch «beweisen», dass in der besten aller Demokratien, in der alle Menschen gleich sind und jeder, auch ein Schwarzer, Präsident werden kann, auf der Leinwand schwarze Präsidenten präsent sind. Man muss nur diese Möchtegern-Wirklichkeit zur Wiedererkennungs-Wirklichkeit machen, und am Ende wird Echt-Wirklichkeit daraus.
Genau das ist fast geglückt! Für den Afroamerikaner Barack Obama ist das höchste Amt in greifbare Nähe gerückt. Selbst die andere, nicht weniger kühne Showbiz-Fiktion - eine Frau als Präsidentin - perforierte mit Hillary Clinton ziemlich vehement die Wirklichkeit. War Aussenministerin Condoleezza Rice nicht ein erster und dazu idealer Schritt? Schwarz und Frau! In allen anderen Kulturen, vor allem der europäischen, liegen zwischen Fiktion und Realität Welten, die respektiert werden. Für Amerika gilt dieser Respekt nicht. Das hat Gründe.
Walt Whitman, Amerikas erster grosser Dichter, hielt seine Gesänge für religiöse Handreichungen, wie der Amerikaner zu denken und zu handeln habe. «Ich hörte, Ihr wollt die Neue Welt erklärt haben, Amerika und seine athletische Demokratie», fragte er und gab sich die Antwort: Seht in meine Gedichte, damit ihr wisst, wonach ihr verlangt. Und Whitman wollte, dass nicht nur nach Freiheit, Freude, Frömmigkeit, Fanatismus und Kraft verlangt wurde, sondern auch nach einer neuen ureigenen Kunst. Und die sah er aus seiner Lyrik hervorgehen. Doch er sollte sich irren. Die neue Kunst voll kraftvoller Träume und Wünsche wurde das mächtige Medium Kino, diese gigantische Illusionskathedrale, in der sichtbar zelebriert wird, was in den Seelen-Katakomben der «athletischen» Nation rumorte.
Ein Dutzend Sahnetorten ins Gesicht
Walt Whitman wollte die Aufgipfelung, das Sensationelle, aber erst das Kino löste es ein. Das täuschend echte Abbild der Wirklichkeit reizte, das täuschend echte Abbild zu toppen. Eine Sahnetorte ins Gesicht? Warum nicht gleich mehrere Dutzend? Ein Bulle hetzt den Tramp? Warum nicht gleich eine ganze Kompanie von Polypen? Eine Lady aalt sich auf dem Diwan, und ihr Lover muss brav auf dem Stuhl ausharren? Warum die prickelnde Szene nicht überdimensional auswuchten? Mit Grossaufnahmen auf die Pfefferschoten-Lippen, die, leicht geöffnet, feucht glänzen, während der Mann rasch sein Feuerzeug zündet und seine Augen durch eine unscharf flackernde Flamme wie glühende Klingen das Objekt der Begierde festnageln.
Von solch verführerischen Möglichkeiten der Verzauberung war es kein allzu grosser Schritt, mit dem Kino auch anderes aus dem Realen zurechtbiegen zu wollen. Zum Beispiel Moden, Posen, Verhalten, soziale Regularien. Ganze Generationen übernahmen typische Haltungen von Humphrey Bogart, James Dean, Marlon Brando, Marlene Dietrich, Greta Garbo, Elizabeth Taylor und anderen. Und weit vor dem Emanzen-Hype «Sex and the City» drehte George Cukor einen Frauenfilm, der die TV-Serie ziemlich spiessig aussehen lässt: «The Women» (1939). Mondäne Luder intrigieren gnadenlos, beim Coiffeur, in Modehäusern, Restaurants und auf Rennplätzen. Alles dreht sich um die Männer, aber es kommt kein einziger vor. «Women» blieb nicht folgenlos, beeinflusste das Frauen-Selbstbild und erleichterte ihren Weg zur Dominanz.
Eine neue Herausforderung war, die Schwarzen aus ihrem «Onkel Tom»-Rollenkorsett zu befreien. Allerdings waren die Motive zunächst weder von Provokationslust noch von Nächstenliebe geprägt. Es war die verdammte Konkurrenz Fernsehen, die das Leitmedium nervös zu machen begann. Mitte der fünfziger Jahre hatten einige Networks mit Hitparaden bei der Jugend Erfolg. Im Gegensatz zum Radio waren auf einmal Schwarze neben Weissen zu sehen! Und ziemlich nahe beieinander! Die weissen Mittelschicht-Bubis fanden das «reizvoll», aufregend. Die blosse Wahrnehmung reichte, aber die frass sich in die Wirklichkeit.
1958 startete Hollywood einen ersten Versuch mit «Flucht in Ketten» («The Defiant Ones»), der rassistischen Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. Tony Curtis und Sidney Poitier, der erste afroamerikanische Star, aneinandergefesselt, fliehen aus dem Zuchthaus und bleiben draussen die Gefangenen ihrer verbohrten Vorurteile. Curtis war nicht die erste Wahl. Robert Mitchum lehnte ab, weil er nicht mit einem Schwarzen spielen wollte, und anderen wie Kirk Douglas und Marlon Brando war die Thematik zu heiss. Das Fernsehen konterte einige Jahre später mit einer gewagten gemischtrassigen Buddy-Serie. «Tennisschläger und Kanonen» («I Spy») mit Robert Culp und Bill Cosby führte in der Produktion zu wilden Diskussionen, ob beide nebeneinander in einem Auto sitzen dürfen (1965!). Um Rassenkonflikte im eigenen Land auszuklammern, wurde die Handlung häufig ins Ausland verlegt, nur die deutsche Kalauer-Synchronisation war noch völlig hemmungslos («Na, was sagt denn unser Mohrchen?»). Aber siehe da, Cosby wurde ein US-Publikumsliebling. 1967 machte Hollywood einen noch mutigeren Schritt und setzte den Stein des Anstosses ins Sanktuarium Amerikas: in die Familie. «Rat mal, wer zum Essen kommt» («Guess Who’s Coming to Dinner») war, mit Spencer Tracy, Katharine Hepburn und Sidney Poitier prima besetzt, nur halb gewagt, aber trotzdem fast gewonnen. Die Tochter wohlhabender Suburbans bringt ihren Freund mit nach Hause und der ist - Überraschung - schwarz. Die Eltern gucken erst kariert, springen aber auf moralisch einwandfreie Geleise, denn Poitier ist ein brillanter Arzt, der Vater (Tracy) liberaler Verleger, die Mutter (Hepburn) Galeristin. Pure Wohlfühldramaturgie, aber gleichwohl bewies der Film die Macht der laufenden Bilder: Mischehen waren nicht mehr tabu und sogar ein bisschen chic.
Ein Schwarzer wird Gott
«Waren Homer, Dante, Rembrandt», heisst es in Theodore Roszaks «Schattenlichter», «jemals tiefer in die schattigen Schluchten des Bewusstseins vorgedrungen als diese Zelluloidheroen?» Alle Idole, von Marlon Brando über James Dean bis Sidney Poitier, Eddie Murphy und Samuel L. Jackson, die die Säulen und Werte der Gesellschaft verspotteten, tragen mehr dazu bei, sie ins Wanken zu bringen, als tausend politische Manifeste. In rascher Folge geriet der Schwarze immer häufiger ins Bild und ist heute als Vorgesetzter, Partner, Freund und Nachbar, egal in welchem Filmgenre, nicht mehr wegzudenken. Morgan Freeman gelang ein wahres Pfingstwunder, eine Karriere in noch höheren Sphären. Vom Chauffeur aus «Miss Daisy und ihr Chauffeur» («Driving Miss Daisy», 1989) zum US-Präsidenten im Katastrophenfilm «Deep Impact» (1998) - und in «Bruce Allmächtig» («Bruce Almighty», 2003) gleich zu Gott persönlich! Höher geht’s auch für einen Weissen nicht.
Natürlich mischt längst auch das Fernsehen kräftig mit und platzierte in seinen Serien schon eine Frau und einen Afroamerikaner im Weisse Haus. In «Prison Break» ist es eine ränkeschmiedende Präsidentin, die aus dem Hintergrund die Fäden zieht, und in «Welcome, Mrs President» («Commander in Chief») wird der Alptraum aller Machos wahr. Assoziationen mit Hillary Clinton sind beabsichtigt.
Im Echtzeit-Reisser «24» wurde Dennis Haysbert in der Rolle des schwarzen Präsidenten berühmt. Zuvor glänzte er als Charaktermime in Retrofilmen wie «Liebe ohne Grenzen» («Love Field», 1992) und «Dem Himmel so fern» («Far from Heaven», 2002). Mal spielte er, in der Kennedy-Ära angesiedelt, einen «Boy» und mal, in den Fünfzigern, einen Gärtner. Seit «24» ist Haysberts Image der knallharte Boss («The Unit - Eine Frage der Ehre»). Immer hart, aber fair, ein idealer Quasipräsident. Das Glaubenssakrament amerikanischen Entertainments kann offenbar Berge versetzen. In der Komödie «Head of State» (2003) wird der schwarze Komiker Chris Rock mehr aus Versehen Präsident der Vereinigten Staaten und sorgt für Chaos. Es kommt nicht oft vor, dass deutsche Titel besser als die Originale sind; aber hier erwies er sich sogar als prophetisch: «Das Weisse Haus sieht schwarz».
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