Donnerstag, 24. Juli 2008

Samuel Schmid und Roland Nef

Armee-Affäre
Raketenhafter Auf- und Abstieg

Von Urs Paul Engeler

Bundesrat Samuel Schmid hätte alles wissen können über Roland Nef und hat fast alles gewusst. Trotzdem hat er ihn zum Chef der Armee gemacht und bei Gegenwind fallengelassen: eine schmidsche Gemeinheit mehr.

Das Idealbild, das Wehrminister Samuel Schmid von seinem ersten Soldaten, Korpskommandant Roland Nef, zeichnen liess, war immer ganz falsch. Die Urteile über den zackigen Berufsoffizier aus Frauenfeld waren, für alle hörbar, die es wissen wollten, stets sehr gemischt. Strebsamkeit, Können und Fleiss wurden dem früheren Ministranten ohne Vorbehalt attestiert: «Bei den Tests hatte er stets die besten Noten», erinnert sich ein Dienstkamerad. Die Fragezeichen, die Milizoffiziere hinter Nefs Bilderbuchkarriere setzten, betrafen das Sozialverhalten von «Teflon-Roli», wie er auch genannt wird. Ein «seelenloser Apparatschik» sei er mit einem Hang zum «Bestrafen», gab ein Hauptmann bereits geraume Zeit vor dem Ausbruch der Affäre der Weltwoche zu Protokoll: Sein Führungsprinzip könne als «management by terror» bezeichnet werden. Für andere funktioniert der Offizier einfach wie die perfekte Militärmaschine: salutieren, Befehle entgegennehmen, salutieren, Befehle weitergeben, salutieren, kontrollieren, bemängeln, befehlen, salutieren.

Tobsuchtsanfall am Weihnachtsessen

In einem zähflüssigen Talk mit dem Titel «19 Tage im Amt», inszeniert am 20. Januar 2008 beim Rapport der Territorialregion 4 in der St. Galler Olma-Halle, kokettierte Nef vor der gesamten Ostschweizer Polit- und Armeeprominenz damit, dass er lange gezögert habe, ob er eine militärische oder doch eher eine musikalische Laufbahn einschlagen solle. Als Schüler des bekannten (und offenbar viele begeisternden und antreibenden) Kirchenmusikers Josef Holtz hatte es der Jurist - sein Verbindungs-Vulgo «Taschte» bürgt dafür - zum guten Klavier- und Orgelspieler gebracht. «Musik wäre vielleicht doch die bessere Entscheidung gewesen», kommentierte ein Oberleutnant a. D. Nefs leicht irritierende Selbstdarstellung.

Tatsächlich beobachteten hohe Militärs, die nicht als frustrierte Konkurrenten gelten können, den Raketenaufstieg des CVP-nahen Katholiken mit wachsender Verwunderung. Sie vermissten die Tiefe der Bildung, die Breite der Erfahrungen oder auch eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Sicherheitspolitik: «Viele Kommandoposten bekleidete er nur sehr kurz. Sein einziger Auslandaufenthalt im amerikanischen Fort Sill ist keine hochwertige Ausbildung für höhere Offiziersränge. Nef hat auch nie etwas publiziert.» Und hinter vorgehaltener Hand wird immer wieder sein Vater, der umstrittene Artillerie-Instruktor mit dem Übernamen «Chlapf-Toni», thematisiert: «Der überkorrekte, asketisch wirkende Auftritt des Juniors und sein Drang an die Spitze können fast nur als Kompensation verstanden werden», übt ein Weggefährte sich in Populärpsychologie.

All diese heiklen Konstellationen und Dispositionen des Kandidaten waren durchaus bekannt, als Bundesrat Schmid Anfang 2007 einen neuen Armeechef suchte. Ja noch mehr und noch Brisanteres lag vor. Nach einer gescheiterten ersten Ehe im gemeinsamen Haus in Uesslingen TG hatte Tastenspieler Nef eine schwierige Beziehung zu P. S., einer Berufsmusikerin am Opernhaus Zürich, aufgenommen. Kolportiert wird eine fürchterliche Szene, als Nef, angetrunken, im Dezember 2004 an einem Weihnachtsessen bei Bekannten seiner Partnerin eruptiv vorwarf, ein anderes Verhältnis zu unterhalten, ausrastete und unkontrolliert derart zu toben begann, dass die Gäste alle gefährlichen Gegenstände wie Messer vor dem Wütenden versteckten und P. S. aus der Wohnung flüchten musste. Die belastete Zweisamkeit am Zürichberg endete Anfang 2005 denn auch in tiefer Zwietracht, im Zorn und in einer 18-monatigen Verfolgungsjagd, die erst durch eine Strafanzeige der Frau gestoppt wurde. Bei einer Haus- und Bürodurchsuchung wurden Nefs Computer konfisziert und sogar dessen Armeepistole beschlagnahmt. Der Brigadier musste für einige Zeit, unfreiwillig, waffenlosen Dienst leisten.

Amateurhafter Beförderungsprozess

Das von P. S. im Herbst 2006 angestrengte Nötigungs- und Stalking-Verfahren vor der Zürcher Staatsanwaltschaft lief noch, als das Rennen um den höchsten Posten in der Armee in die Endphase trat. Korrekt machte der Kronfavorit den Wehrminister, der die Selektion leitete und zu verantworten hätte, auch auf diesen äusserst diffizilen Umstand aufmerksam.

Mit dieser Mitteilung und in diesem Moment wurde die peinliche (Privat-)Affäre Nef zum öffentlichen Skandal Schmid. Das Wahlgremium hatte alle Möglichkeiten, sich im Detail über die Vorwürfe gegen Nef und ihre Hintergründe zu informieren. Für die notwendige Personensicherheitsüberprüfung (PSP) muss jeder Anwärter auf höchste Staatsämter alle seine Bücher, alle Dossiers und Konten offenlegen. Und die Wahlbehörde kann, im eindeutigen Gegensatz zu den Billigausflüchten von Schmid, gemäss PSP-Verordnung Einblick nehmen in die Akten. Das Departement war also jederzeit im Bild. Entweder unterschätzten Schmid und sein Beraterstäbchen die Sprengkraft dieser Zeitbombe, oder, was wahrscheinlicher ist, die VBS-Crew hoffte, sie unter dem Deckel halten zu können. Auf jeden Fall begann mit der offiziellen Information des Departementschefs die grosse Vertuschung der Vergangenheit des Mustersoldaten.

Das von Schmid eingesetzte Quartett zur Vorbereitung der wichtigen Wahl bestand aus vier einigermassen gleichgeschalteten Gestalten: Peter Arbenz (FDP), in den achtziger Jahren von Kopps Gnaden Flüchtlingschef, heute wirbelnder Berater, VBS-Generalsekretär Markus Seiler (FDP), Divisionär Markus Rusch, der Militärflüsterer Schmids mit Einfluss und Interessen, sowie der leicht affektierte Nachdenker Stephan Bieri, vormals ETH-Geschäftsführer und an der Universität Zürich Dozent für Wirtschaftspolitik, heute Verwaltungsratspräsident der S-U-P-Gruppe, wie die in Basel domizilierte Societät für Unternehmungsplanung sich auch nennt.

Das handverlesene konforme Grüppchen, das heute über seine missglückte Arbeit nicht sprechen will, winkte, offenbar artig Vorgaben aus dem Departement befolgend, den jungen Nef (damals 47) an älteren und mit wesentlich mehr Meriten behangenen Divisionären vorbei durch. Das Assessment, das gemäss Schmid eine professionelle externe Firma durchgeführt hat, wurde - für teure Steuerfranken - gleich von Stephan Bieris eigener S-U-P («arbeitet ausschliesslich auf Basis persönlicher Empfehlungen hochqualifizierter Fach- und Führungskräfte») erledigt. So blieben die dunklen Flecken auf Nefs Uniform fast verborgen.

Die Verantwortung für die amateurhaft vorbereitete Beförderung aber hatte Schmid, der mal gar nichts gewusst, mal nichts Konkretes, mal keine Details über das laufende Verfahren gegen Roland Nef gekannt haben will. Immerhin hatte der VBS-Chef ein derart schlechtes Gewissen, dass er den Gesamtbundesrat gezielt nicht über das noch immer laufende Strafverfahren informierte. Der unvollständige Antrag, Nef zum Chef der Armee zu ernennen und per Anfang 2008 zum Korpskommandanten zu befördern, flatterte am Morgen des 8. Juni 2007, kaum zwei Stunden vor Sitzungsbeginn, in die Büros der andern sechs Bundesräte, die ahnungs- und diskussionslos zustimmten.

Weggeputzt wurde der Fleck auf der Weste vier Monate später hinter den Kulissen. Das Prestige des neuen Amtes und etwas Geld - die nicht bestätigte Rede ist von einem fünfstelligen Betrag - halfen mit, die Exfreundin P. S. zu einer «Desinteresse-Erklärung» zu bewegen. Und die Staatsanwaltschaft Zürich stellte, wie gewünscht, das Verfahren ein. Oberstaatsanwalt Andreas Brunner bestätigte, dass es in dieser Phase auch «Kontakte zum VBS» gegeben habe; «Druck aus Bern» hingegen sei nicht ausgeübt worden. Mittlerweile schweigen Brunner und die Staatsanwaltschaft sich eifrig darüber aus, unter welchen Umständen und mit welcher Begründung sie die Einstellung verfügt haben.

Das Interesse des Departements an diesem Entscheid auf jeden Fall war gross. Erst nach Abschluss dieses Verfahrens wurde offiziell die Sicherheitsüberprüfung Roland Nefs gestartet, die dann - logischerweise - keine Defizite mehr entdecken konnte. Zum Zeitpunkt der Wahl wäre Nef durchgefallen, denn ausgeleuchtet werden auch die «persönlichen Verhältnisse», die nicht «ungeordnet» sein dürfen. «Ungeordnet» heisst unter anderem «ein hängiges Strafverfahren». Samuel Schmid lügt auch, wenn er nun behauptet, die Überprüfung Nefs vor der Wahl hätte zu lange gedauert. Ein solches Verfahren ist gemäss Praktikern problemlos innerhalb von zwei, drei Wochen abzuschliessen.

Die Wahl des neuen Armeechefs war nicht nur ein Pfusch, sondern ein Murks, bei dem vielfach gegen Usanzen, Vorschriften und Gesetze verstossen wurde. Das Parlament kommt nicht darum herum, den verschleierten Prozess nochmals aufzurollen. Ein halbes Jahr lang schien die Rechnung aufzugehen: Der schneidige Nef, der den Reformeifer zu bremsen und die wacklige Armee zu «konsolidieren» versprach, war für viele der Leuchtturm in der Sinnkrise, der letzte Stützpfeiler in einer abrutschenden Region. Selbst für sinnlose und dürftig abgestützte Aktionen wie die erzwungene Demission von Luftwaffenchef Walter Knutti erntete der Durchgreifer nur Applaus. Doch - Ironie der Geschichte - je heller in den Medien das Bild des Saubermanns erstrahlte, umso rascher nahte sein Ende.

Es war der wachsende Widerspruch zwischen dem öffentlich strahlenden und privat problematischen Nef, der offenbar jemanden bewog, die Sonntagszeitung über die Defizite des Armeechefs zu informieren. Sie zielten auf Nef, trafen aber zugleich Schmid, dessen Machenschaften bei der Wahl seines ersten Mitarbeiters nun auffliegen. Doch selbst in dieser Situation setzte der VBS-Chef auf Schweigen und Bemäntelung (siehe Kasten).

Schmid war jederzeit vollständig informiert, nicht nur vor einem Jahr über das Verfahren gegen Nef und die Anstrengungen, es niederzuschlagen, sondern auch jetzt über die angekündigte Veröffentlichung von Details aus dem Verfahren. Er hätte, dies das einzig mögliche Fazit, den Risikofaktor Nef gar nie auf diesen sensiblen Posten befördern dürfen.

Wenn Schmid mit grosser Geste und feuerrotem Kopf nun von angeschlagenem Vertrauen spricht und dem obersten Offizier einen Monat Zeit gibt, «alle Mutmassungen, Gerüchte und Vorwürfe zu entkräften», dann spielt er wie der schmierige Dorfrichter Adam in Kleists «Zerbrochenem Krug» den Richter in eigener Sache. Die besondere Perfidie dieser politischen Inszenierung ist, dass Schmid ganz genau weiss, dass Nef die «unbesonnenen» Handlungen, die er ja schon öffentlich eingestanden hat, gar nicht aus der Welt schaffen kann. Nef, der bei der Trennung von seiner Partnerin vieles falsch, bei der Berufung auf den hohen Posten aber alles richtig gemacht hat, sitzt in der Falle.

Befreien kann er sich nur, wenn er nicht von einem hinterhältigen Bundesrat, der ihn terrorisiert, etwas «Vertrauen» zurückbettelt, sondern gegenüber der Öffentlichkeit reinen Tisch macht, in die Offensive geht, die Winkelzüge Schmids darstellt. In Kleists Stück zumindest entflieht der entlarvte Adam.

Quelle: www.weltwoche

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