«Wir hatten keine Rechte, wir wurden nicht wie menschliche Wesen behandelt»
Ein Interview mit Sami Elhaj*, ehemaligem Häftling in Guantánamo, geführt von Professor Alfred de Zayas
Professor Alfred de Zayas: Herr Elhaj, im Mai 2008 wurden Sie nach mehr als 6 Jahren Haft aus Guantánamo entlassen. Nun sind Sie in Genf, um Vertreter der Vereinten Nationen und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz zu treffen. Im Dezember 2001 wurden Sie damals an der Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan verhaftet, obwohl Sie nichts mit Terrorismus zu tun hatten, kein «feindlicher Kombattant» waren und auch nie angeklagt wurden. Wie erklären Sie sich Ihre Verhaftung?
Sami Elhaj: Das US-Militär warf mir fälschlicherweise vor, ein Kurier für eine militante Muslimorganisation zu sein. Ich bin ein Journalist für Al-Jazira und wurde wahrscheinlich verhaftet, weil die USA gegen Al-Jazira feindlich eingestellt sind und die Medien über (Menschen-)Rechtsverletzungen in Afghanistan berichteten.
Haben Sie von den US-Behörden für die mehr als 6 Jahre dauernde willkürliche Haft Entschädigung verlangt? Artikel 9(5) des Internationalen Abkommens über Zivile und Politische Reche schreibt in Fällen von willkürlicher Verhaftung und Gefangenhaltung ein Recht auf Entschädigung vor. Haben Sie eine Sammelklage ehemaliger Guantánamo-Häftlinge gegen die USA wegen willkürlicher Haft, Misshandlung, Folter, religiöser Lästerung und Diffamierung erwogen?
Ich bin nach meiner Entlassung so schnell nach Genf gekommen, weil ich besorgt bin um die, die immer noch in Guantánamo Bay sind und meine Hilfe brauchen. Mein Ziel ist es jetzt, das Bewusstsein und das Verständnis zu stärken für die Lage der Gefangenen in Guantánamo Bay, wo ich 6 1/2 Jahre gefangengehalten wurde. Diese Männer müssen freigelassen werden; viele von ihnen können nicht in ihre Heimatländer zurückkehren und müssen von anderen Ländern Schutz bekommen.
Mir geht es auch um die Stärkung des Bewusstseins für die Tausenden von Gefangenen, die immer noch in geheimen Gefängnissen auf der ganzen Welt gefangengehalten werden, auch im Irak und in Afghanistan; geheime Gefängnisse, die im Rahmen des «Kriegs gegen den Terror» errichtet wurden. Natürlich muss man auch über das Thema der moralischen und rechtlichen Kompensation nachdenken für diejenigen, die Opfer dieser Massnahmen waren, und wie wir alle unter der Folter, dem Verlust der Menschenwürde und der Freiheit gelitten haben. Im Moment geht es mir darum, dass die Gefangenen aus diesen Orten freigelassen und ihre Menschenrechte geachtet werden.
Schreiben Sie ein Buch über Ihre Erfahrungen? – Wenn nicht, warum nicht?
Ich arbeite an vielen Projekten und hoffe, dass ich in Zukunft in der Lage sein werde, meine Erfahrungen und Gedanken in dieser Form festzuhalten.
Seit Ihrer Haft benutzen Sie einen Gehstock. Wurden Sie in Guantánamo persönlich gefoltert?
Viele, viele Dinge sind mir in den 6 1/2 Jahren seit meiner Gefangennahme zugestossen. Ich wurde auch geschlagen. Als ich wegen einer Kopfverletzung infolge von Misshandlungen medizinische Behandlung brauchte, konnte der Arzt mich nur durch die Gitterstäbe meiner Zelle hindurch behandeln. Ich wurde auf verschiedene Weise gefesselt und in schmerzhaften Positionen gehalten. Als Bestrafung steckte man mich in sehr kalte Zellen und nahm mir die Kleider weg. Wir wussten nicht, wie viele Tage, Monate, vergangen waren. Ich ging in Hungerstreik, um gegen unsere Lage zu protestieren, und die Art, wie ich behandelt wurde, war unmenschlich und qualvoll. Ich wurde zwangsernährt, bis ich krank war, sie benutzten Kanülen, die unsauber und sehr schmerzhaft waren – viele, viele solche Dinge. Wie sie die Gefangenen im Hungerstreik behandelten, war eine spezielle Art von Folter. Wir hatten keine Rechte, wir wurden nicht wie menschliche Wesen behandelt.
Was war in Guantánamo am schwersten zu ertragen?
Die Verletzung der Würde, der Verlust des Kontakts mit meiner Familie und die Unmöglichkeit, meinen Glauben zu praktizieren.
Kannten Sie die Gefangenen, die Suizid begangen haben?
Darüber kann ich viele Dinge sagen. Erstens, ich glaube nicht, dass diese Gefangenen Selbstmord begangen haben, und ich habe darüber mit Vertretern der UN-Menschenrechtskommission gesprochen. Ich habe diese Männer gekannt, und ich weiss, dass einer von ihnen sogar gerade von seinem Anwalt gute Neuigkeiten über seine Lage erhalten hatte. Im Fall von Ahmed Ali Abdullah, einem jemenitischen Bürger, hat die Alkarama-Stiftung für Menschenrechte der Familie geholfen, eine Autopsie der Leiche ihres Sohnes zu organisieren. Alkarama beauftragte ein Ärzteteam unter der Leitung des Direktors des Instituts für forensische Medizin der Universität von Lausanne. Die Autopsie fand im Militärkrankenhaus von Sanaa statt. Die Autopsie stellte einige Anomalien fest, insbesondere die Tatsache, dass die amerikanischen Behörden die Organe der oberen Luftwege, die im Fall eines Selbstmords durch Erhängen zentral sind, nicht herausgaben. Auch zwei anderen, den verdächtigen Todesfällen von Yassir az-Zahrani und Mani Shaman al-Utaybi, wurden diese Organe entfernt. Die Akten zu diesem Thema sind noch nicht geschlossen.
Haben Sie religiöse Beleidigungen oder Erniedrigungen erlitten?
Ja, oft – und ich habe vieles gesehen. Ich habe gesehen, wie mit Stiefeln auf den Heiligen Koran getreten wurde und wie Beleidigungen und obszöne Phrasen daraufgeschrieben wurden. Während der Befragungen sass der Vernehmende auf dem Heiligen Koran und sagte, er würde nicht aufstehen, bis seine Fragen beantwortet wären. Sie zeichneten beleidigende Bilder des Propheten Mohammed. Sie schnitten unsere Bärte ab und nahmen uns als Bestrafung die Kleider weg. Sie gaben vor, mit Allah am Telefon zu sprechen, und machten sich über ihn lustig. Sie zwangen uns, obszöne und gewalttätige Filme anzusehen, und zwangen uns, zu beschreiben, was wir gesehen haben. Viele, viele Dinge sind in den Jahren geschehen, und das ist ein sehr schmerzliches Thema. Man hat mich sogar rassistisch beleidigt – eine Sache, die ich in diesem Jahrhundert nicht für möglich gehalten hätte.
Herr Elhaj, vielen Dank für dieses Interview. Ich wünsche Ihnen Erfolg bei Ihrem Bemühen um die Befreiung der anderen unschuldigen Häftlinge in Guantánamo und anderswo auf der Welt. •
*Sami Elhaj, 38, arbeitet jetzt als Produzent für den in Qatar ansässigen Sender Al-Jazira. Er ist der einzige Journalist einer grösseren internationalen Medienorganisation, der in Guantánamo gefangengehalten worden ist.
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