Weitere Hintergründe zu Henry Paulsons versuchtem Finanzputsch - Von F. William Engdahl, 27.09.2008 21:13
Der Plan zur »Rettung« (bailout) des US-Finanzsystems, den Präsident Bushs Finanzminister Henry Paulson jetzt einem verdutzten Kongreß zur Bestätigung vorgelegt hat, wäre, wenn er in der von Paulson vorgelegten Form angenommen würde, der größte Griff zur Macht in der amerikanischen Finanzgeschichte. Da die Mitglieder des Repräsentantenhauses und des US-Senats Zeit haben, Paulsons Programm - das TARP oder Troubled Asset Relief Program (zu deutsch etwa: Hilfsprogramm für notleidende Anlagen) - zu studieren, werden sich immer mehr Abgeordnete über die ungeheuren Auswirkungen bewusst.
Wenn es Paulson mit der Hilfe von »Federal-Reserve«-Chef Bernanke gelänge, sein Programm als Gesetz durchzupauken, dann erhielte der Finanzminister die größte Macht, die je ein Einzelner in der amerikanischen Finanzgeschichte inne hatte. Aus diesem Grund bezeichnen bereits einige Gegner das TARP als »finanzielles Äquivalent zum ›Patriot Act‹ (Heimatschutzgesetz) nach dem 11. September [2001]« - dem Gesetz, das in den USA mit einem Federstrich fast alle Verfassungsgarantien für bürgerliche Freiheiten außer Kraft setzte und der Exekutive fast unbegrenzte Vollmachten gab, Telefone anzuzapfen, Wohnungen und Geschäftsräume zu durchsuchen und Personen festzusetzen sowie sich selbst praktisch vor jeder Strafverfolgung zu schützen. Der Teufel liegt bei dem »Paulson-Plan«, oder TARP, wie zu erwarten war, im Detail. Der Kern des Streits über Paulsons vorgeschlagenen Bailout in Höhe von über 700 Milliarden $ ist ein Abschnitt im Gesetz: er lautet: »Entscheidungen des Ministers über die Befugnisse dieses Gesetzes sind nicht anfechtbar und unterliegen der Entscheidung der Behörde; sie können von keinem Gericht oder keiner Verwaltungsbehörde angefochten werden.«
Wenn dieses Gesetz angenommen wird, dann bekommt einzig und allein der Finanzminister, wer immer das in der nächsten Regierung auch sein wird, diktatorische Vollmachten über die Verwendung von mindestens 700 Mrd. $, um in Schwierigkeiten geratenen Banken zu helfen. Theoretisch könnte Paulson gemäß dem Passus, daß die Entscheidungen des Finanzministers von bzw. vor keinem Gericht angefochten werden können, die gesamten 700 Mrd. $ für die Rettung seiner ehemaligen Firma, Goldman Sachs, verwenden. Wenn ein demokratischer Kongreß diese Vollmachten bestätigt, dann verliehe dies Paulson die Macht, die gesamte Finanzmacht der Vereinigten Staaten nach den Plänen eines Einzelnen, des ehemaligen Chefs von Goldman Sachs, zu reorganisieren. Er allein könnte dann entscheiden, wer überlebt, und wer untergeht. Nicht einmal Junius Pierpoint Morgan hatte auf dem Höhepunkt seiner Macht zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor der Schaffung der Federal Reserve im Jahr 1913 derart weitreichende diktatorische Vollmachten. In Paulsons TARP gibt es beim Bailout von Finanzunternehmen überhaupt keine Transparenz und keine öffentliche Aufsicht, und das angesichts der Tatsache, daß der Mangel an Transparenz und Aufsicht genau dieser Firmen überhaupt erst zu dem Subprime-Immobiliendebakel geführt hat. Im Gesetzesentwurf heißt es weiter: »Der (Finanz-)Minister ist ermächtigt, alle Maßnahmen zu ergreifen, die er zur Durchführung durch die Behörden für notwendig hält, ohne Rücksicht auf andere gesetzliche Bestimmungen in Bezug auf öffentliche Verträge.« In Paulsons TARP-Gesetzesvorschlag heißt es weiter: »Alle Mittel, die für Maßnahmen aufgewendet werden, die von diesem Gesetz autorisiert sind, einschließlich der Zahlungen für Verwaltungskosten, sollen zum Zeitpunkt ihrer Vergabe als genehmigt betrachtet werden.« Wenn der Kongreß rücksichtslos genug ist, zuzulassen, daß der TARP-Gesetzesvorschlag in seiner jetzigen Form verabschiedet wird, würde dies bedeuten, daß der Finanzminister tatsächlich unbegrenzte Mittel zur Verfügung hätte - und nicht nur die bereits erwähnten 700 Milliarden Dollar - um die Fehler der habgierigen und betrügerischen Banken auszubügeln. Der Minister könnte faktisch einen »Blankoscheck« in jeder Höhe, die er für richtig hält, ausstellen und müßte keinerlei Aufsicht oder Fragen eines Gerichts oder einer Regierungsbehörde befürchten. Tatsächlich würde das Gesetz eine völlige Absage an jegliche Aufsicht durch den Kongreß und die Steuerbehörden über einen Finanzminister bedeuten, der noch vor zwei Jahren auf dem Chefsessel einer der Finanzfirmen saß, die am meisten an dem Verbriefungsschwindel beteiligt war, der zu der heutigen Krise geführt hat.
Das FBI untersucht Wall-Street-Banken wegen Betrugs
Es überrascht nicht, daß das Federal Bureau of Investigation (FBI) zum gleichen Zeitpunkt, an dem über Paulsons Bailout-Gesetz öffentlich diskutiert wird, bekanntgegeben hat, daß es gegen vier große US-Finanzinstitute ermittelt, deren Zusammenbruch den Anstoß zur Formulierung des 700-Mrd.-$-Bailout-Plans der US-Regierung gegeben hat. Zwei Beamte der Strafverfolgungsbehörde erklärten am 23. 9. 08, das FBI ermittle wegen möglichen Betrugs auf Seiten der großen Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac, die vor wenigen Wochen faktisch verstaatlicht wurden; diese Maßnahme hatte die jetzige Krise ausgelöst. Das FBI ermittelt auch gegen die riesige US-Versicherungsgruppe American International Group Inc., AIG *, die Paulsons Finanzministerium erst vor wenigen Tagen nationalisiert hat, sowie gegen die Investmentbank Lehman Brothers Holdings Inc., die Konkurs angemeldet hat. Die Ermittlungen werden sich auf die Finanzinstitute und ihre verantwortlichen Vertreter konzentrieren, erklärten die hohen Vollzugsbeamten. Wie andere Beamte mitteilten, steigt dadurch die Zahl der Ermittlungen gegen Finanzkonzerne in diesem Jahr auf 26. Nach Angaben von FBI-Direktor Robert Mueller ermittelt seine Behörde auch, ob einige der Banken falsche Angaben über ihre Anlagewerte gemacht haben. Mueller hatte zuvor erklärt, die Suche des FBI nach den Schuldigen für die Subprime-Hypothekenkrise des Landes konzentriere sich auf betrügerische Buchhaltung, Insiderhandel und mangelnde Offenlegung des Werts hypothekenbezogener Wertpapiere und anderer Investments.
Genau diese Preisfestsetzung der Anlagewerte will Paulson als Finanzminister an sich reißen. Das Problem der mehrere Billionen Dollar schweren anlagegestützten Wertpapiere (ABS), darunter Wohnimmobilien, Kreditkarten und Automobilschulden, liegt darin, daß mit Ausbruch der Krise im August 2007 die Banken plötzlich die Risiken und die Absicherung ihrer Wertpapiere genauer unter die Lupe nahmen und erkannten, daß der US-Eigenheim-Hypothekenmarkt kollabierte, daß immer mehr Hausbesitzer mit der Bedienung ihrer Hypothekendarlehen gegenüber ihrem Kreditinstitut in Verzug gerieten - gegenwärtig sind etwa 6 % aller zweitklassigen (subprime) Hypotheken in Verzug - und daß sich der Wert ihrer ABS-Wertpapiere in ihren Büchern nicht mehr ermitteln ließ, weil der Markt für den Kauf und Verkauf solcher Papiere faktisch nicht mehr existierte. Der Wert einer zum Verkauf angebotenen 100-Millionen-Dollar-Anleihe betrug womöglich nur noch 70 %, vielleicht gar nur 30 % oder noch weniger, falls es dafür überhaupt Käufer gab. Zu welchem Preis Paulson das Papier von den Banken - das Bankhaus Goldman Sachs, das Paulson zu einer Geschäftsbank gemacht hat, eingeschlossen - kaufen würde, bliebe geheim. Er könnte, wenn er wollte, 100 % des Nennwerts bezahlen und niemand außer seinen Vertrauten bei den Banken würde davon erfahren. Die Behauptung von Paulson und Bernanke vor dem Kongreß, diese Vollmachten seien nötig, um das Bankensystem zu retten und die Hausbesitzer zu schützen, ist schlimmer als Patentbetrug. Es ist nach Ansicht von Bankern, die Einzelheiten dieses beispiellosen Bailouts kennen, ein kriminelles Überschreiten der Befugnisse und Missbrauch des öffentlichen Vertrauens. Ob diese von Paulson und Bernanke geforderte Machtübertragung jetzt vom US-Kongreß abgesegnet wird oder nicht, wird zum Lackmustest dafür, inwieweit der von den Demokraten dominierte Kongreß, und nicht nur die Republikaner, von außen kontrolliert werden.
http://info.kopp-verlag.de/news/weitere-hintergruende-zu-henry-paulsons-versuchtem-finanzputsch.html 25. 9. 08
* Zu AIG siehe in »Lehman Brothers« den Artikel von Daniell Neun: »American International Group (AIG): Die Schmierenkomödie - »Erdbeben in Babel IV - Ein bisschen zuviel USA« - Von Daniel Neun
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